Pester Lloyd - Abendblatt, September 1855 (Jahrgang 2, nr. 203-226)

1855-09-27 / nr. 224

In Brü­ssel begann am 23.September die jährliche Feier der Sep­­tembertage. Eine russische Stimme über den Fall Sebastopols.« Petersburg,18.September.(Schl.Z.)Eine der interessantesten Erscheinungen,welche die russische Pressesetzlgngen Zeit enthallten hat,Istein Aussatz in der heutigen,,5)iordisch­en«Biene»:«.13ut der UeberschaftH the ersten Gedanken bei Vorlesung der­ Nachricht-von-deerberlassu·tt«g,der südlichen Seite Sebastopols an den Feind«,der Vonnechtostztexlem Standpunkt auf eine Beurtheilung der Ursachen und Folgen ‚jenes Ereignisses bringt, die, so einseitig sie sein mag, doch nicht blos wegen ihrer Erscheinung überhaupt, sondern auch wegen der Anschauungsweise Aufmerksamkeit verdient. Der Verfasser gibt zuerst eine kurze Uebersicht des Ganges der Belagerung. Er entwicelt dann die besonderen Umstände, welche den Fall der Stadt herbeigeführt, und es tritt hierbei überall das Bestreben hervor,­ zu­ beweisen, daß es Die Regierung in seiner Weise an Fürsorge habe fehlen lassen. Frankreich­ und England hätten den Krieg angestiftet unter dem Vorwand, der Türkei zu helfen, in Wahrheit aber, um die Macht Ruslands zu erfehl­ttern. Durch ihr Bündnis untereinander und mit der Türkei hätten sie sehen bewiesen, daß keine Macht allein im Stande seit, es mit Ruf­­land­ aufzunehmen. Bald aber hätten sie au) noch ein Hilfskorps den Sardinien herbeiziehen und England Fremdenlegtionen werben müssen, zu denen Ungarn, Italiener, Deutsche, Indier und andere Fremdlinge genommen worden seien. Mailand sei diesem neuen Bunde der Heiden allein gegenübergetreten, es habe verschmäht, Die Last des Krieges auf Andere zu wälzen; es habe nicht, wie das scha­­chernde England, Unterthanen zum Aufstande verlobt. Es habe sein Kreuz allein auf sich genommen, und­­ während alle Unterthanen ruhig ihren Geschäften nachgegangen, hätte der Kaiser allein alle Sorge für die Vertheivigung übernommen. Die weiten Grenzen des Reic­es zersplitterten die Kräfte, aber Kronstadt sei unzerstörbar, Swea- Borg habe ein höffliches Bombardement ausgehalten und die Berbheinigung Sebastopols ein Jahr gedauert. Keiner der Feinde künne sagen: ‚Ich habe Die Russen besiegt, die Festung genommen,’ denn sie seien es Alle zusammen nur im Stande gewesen, das heißt, die halbe zivilisirte Welt mit den besten Truppen und den vollkommensten Zer­­störungsmitteln. Rußland sei ferner an der Grenze seines Reiches angegriffen worden, und während die Feinde die See und mächtige Dampfflotten zur Verfügung gehabt, hätte für die Garnison jedes Pfund Pulver, jede Kugel, jedes Pfund, Brot, Dietfe­ und Branntwein Hunderte von Werften auf dem Landwege, durch Die menschenleeren Steppen Neuruslands und Die Bergpfade der Krimm herbeigeschafft werden müssen. Dann seien die technischen Mittel des Angreifers denen des Vertheidigers über­­legen gewesen. In dem Lager Senes sei die Intelligenz von ganz Europa konzentritt gewesen, der Neiche, in denen­ Wissenschaften und Technik schon Jahrhunderte blühen, während sie in Naßland noch nicht 50 Jahre gepflegt werden. Demnach habe sich Rußland auch in der Kunst des Krieges bewährt und seine Helden hätten unsterblichen Ruhm erworben. Von der Familie dr­efhernomorischen Seeleute sei nur der alterkleinste Theil dem Gefechte entronnen, aber das Andenken der Gestorbenen Lebe bei ihren Nachkommen fort. Dem Feinde­­ habe man nur Trümmer ü­berlassen, Seba­­stopol selbst existige nicht mehr. Die ganze Sache bestehe darin, daß der Feind auf der äußersten Südgrenze Nußlands einen Raum von 40 Quadratwerft innehabe, wo einst die hauptsächlichsten , aber Feineswegs­­ alle, Marineanstalten und ein großer Theil der Flotte war. Noch habe sich der Feind mit der G Südseite Sebastopols nicht Des ganzen Aurlands bemächtigt, und , laßt uns zusehen, wie weit er vordringen kön­­nen wird !’’ Am Schluß wird dann Alles noch einmal refumirt, nochmals hervorgehoben, daß man nur einen Heinen Fled mit Trümmern beledte Erde, einen Theil der Flotte und ein par Tausend tapfere Landsleute verloren habe, während der Feind sehr ge­­schwächt sei. . Rußland habe von Schmwereres ertragen; Mongolen, Schweden, Gran zufen hätten die Hälfte des Neid­es innegehabt, und Gott habe Rußland doch befreit. Der Fall Sebastopols sei vielleicht eine Strafe, weil die Leute, stolz auf die Aufklärung, Gott vergessen. Vielleicht gebe aus ihr, wie aus dem Brande Mostaw’s eine au­ßer­­gewöhnliche Erscheinung zur kräftigen Aufrichtung vieler Bett bersor. Der Finger Gottes sei allmächtig, Sebastopols Hal sein Wille und vor ihm müse man sich beugen. A j Schwarzes Meer. Die neusten Nachrichten aus der Krimm, so wie die daraus resultirenden Schlüffe über den ferneren Feldzugsplan findet der Leser an der Spiße des Blattes und der Revue. Die „Rondon Onzette” veröffentlicht einen Bericht des Admirals Lyons über den Antheil, den die englische Marine an dem Angriffe auf Se­­bastopol genommen hat. Derselbe ist vom "Royal Albert" den 10. September Datirt und enthält folgende Hauptstellen: ‚‚Die Generäle Simpson und Peltifier, Admiral Bruat und ich hatten beschlos­­sen, daß am 8. September Mittags die verbündeten Gesc­hwader das Feuer auf die Batterien der Quarantäne eröffnen, sollten , , welche die Annäherungs­wege der Sturm- Kolonnen bestrichen, aber leider änderte sr am Morgen des Angriffs das Wetter, welches die vorhergehenden Tage schön gewesen war. Ein starrer Wind aus Nordwest und ein hohes Meer machten es auf dieser offenen Rhede unmöglich, gegen die Küsten­­batterien zu agiren. Sndefsen ist aus den beigeschlosfenen Berichten der Kapitäne Wileer und Digby zu ersehen, daß die den Slotten beigegebenen Bombarden von ihrer KPofition in der Strelegfabat aus ein Feuer von bedeutendem Erfolge unterhielten. Im inneren Hafen schienen am Ende des Tages die Dinge in derselben Lage zu sein, wie am Morgen; aber während der Nacht vernahm man starke Erprosionen und bei Ta­gesanbruch sahen wir, daß die Befestigungen der Süßseite gesprengt waren, und daß man die noch übrigen sechs Linienschiffe versenkt hatte, so daß die russische Flotte des Schwarzen Meeres nur noch aus zwei entmasteten Korvetten und 9 Dampfern bestand, die meist sehr Hein sind. Bald nachher sah man den Feind seinen Rückzug über die neugebaute Brücke dem werkstelligen, welcher fortgefegt wurde, bis die Süßseite, auf welcher die Arsenale der Armee und Flotte, die öffentlichen Gebäude und die Stadt Sebastopol ltegen, volständig geräumt fehten; hierauf wurde der fünfiche Theil der Bride abgenommen und nach der­ Nordseite transportirt. " Es folgt hier, ähnlich wie im Bericht des Generals Simpson, ein kurz­­er Nachblick auf die lange Belagerung ; die Flotte habe zwar nur­ in gesunde­­rer Weise zu dem­mßlichen Erfolge beitragen können ; Cody habe besonders die den Randbatterien zugetheilte Marinebrigade zuerst unter Sir Stephen m­it Thington und zulegt unter Kapitän Keppel die­ wesentlichsten Dienste ge­­leistet. Am Schluffe wird der herzlichen Mitwirkung des Admiral Brunt rühmend gedacht. E kapítán Digby theilt in einem der beigefehloffenen Berichte aus der Streichrabat vom 8. September mit, daß er um 8­ Uhr Morgens mit seinen Bombarden das Feuer gegen die Quarantänebatterie eröffnete, und von 12 Uhr Mittags bis­ 7 Uhr Abends mit gutem Erfolge ein allgemeines und leb­­haftes Bombardement gegen diese Batterie und das Fort Alexander unterhielt. Kapitän Wilcor fügt in einem andern Berichte hinzu, daß­­ auch einige der höher gelegenen Bastionen, wo der Feind einen großen Theil seiner Resersen angesammelt hatte, bestrichen wurden ; der Feind antwortete nur schwac­h. Von größerem Interesse­nt Der beigeschlossene Bericht des Kapitäns Keppel vom 9. September, welcher die Marinebrigade auf dem Lande Jom­­a und Über den Verlauf des Sturmes im Wesentlichen Folgendes eriichtet: „Wir eröffneten am 7. September um 6 Uhr Morgens ein kräftiges Feier, welches den ganzen Tag unterhalten wurde. Gestern frü­h wurde es mit noch größerem Nachpruch wieder aufgenommen, um den Sturm vorzubereiten, welchen unsere Verbü­n­­deten auf den Malakoff und wir selbst nachher auf den Nedan unternehmen sollten. Am Mittag sah man die Franzosen in Maffe aus ihren Laufgräben vorstürmen und sich tapfer bei Malakoff bemächtigen, auf welchem zehn Minuten nach ihrem Borrüden aus den Laufgräben die dreifarbige Fahne und der Kaiferliche Adler aufgepflanzt wurde. Unmittelbar darauf drangen unsere Truppen aus den Laufgräben, und griffen den vorspringenden Winter des Nedan an; aber der Feind hatte sich wäh­­rend­dessen auf ihren Empfang vorbereitet, und es wurde ein mörderisches Kartätschen­­feuer gegen sie eröffnet, trug der Thätigkeit unserer Artillerie, die sie gegen alle nicht angegriffenen Theile des Nedan, sowie gegen die Batterien auf den dtlanten richtete. Nachdem sie einige Zeit das eroberte Terrain behauptet hatten, mußten sie ih zurück­­ziehen, indem sie ihre Todten und Vermundeten zurückriefen, deren Zahl­ hinreichend die Tapferkeit bezeugte, mit welcher sie gedämpft hatten. "Das Feuer unserer Batterien wurde bis in die Nacht fortgefest, und um 7 Uhr räumte der Feind den Nedan, nahe dem er Feuer in seine Pulvermagazine gelegt hatte, welche in die Luft flogen. Heute haben wir übersehen Eannen, die vollständig der Steg der verbü­ndeten Truppen ist. Der Feind hat alle Positionen auf der Südseite geräumt; die Stadt, das Fort Niko­­laus, das Fort Paul und das Arsenal stehen in Flammen, und die Schiffe sind an den Stellen versenzt, wo man sie früher vor Anker sah." " Es folgen die Belebungen der Mannschaften. Aus Marseille vom 23.September wird«telegraphirt: Der­,Simois«ist mit Nachrichten aus Konstantinopel vom 14.d.M. hier eingelaufen.In der französischen Ludwigskirche ist ein Te Deum abgehalten wor­­den,und die Freude über den Fall von Sebastopol hatte ihren Gipfel erreicht.Die dem Kaiser Napoleon bei Gelegenheit des Empfanges des türkischen Gesandten zuge­­triebenen Aeußerungen über Reschid Pascha(sie wurden bekanntlich später vom«Mo­­nteur«berichtigt)hatten eine lebhafte Sensation verursacht.Am 13.ward in Kon­­stantinopel durch eine Anzeige bekanntgemacht,daß in jener Hauptstadt noch kein amtliches Verzeichniß der bei dem Sturm auf Sebastopol Getödteten und Ver­­wundeten eingetroffen sei.Die Zahl der in den Grund gebohrten russischen Schiffe ward aus 27 angegeben.Am 9.Abend s wütdeten die Flammen noch immer 1x in Se­­bastopol.In Folge des Falles von Sebastopol sollte die türkische Hauptstadt vom 13. an drei Nächte lang erleuchtet werden.Dem»Journal de Const.«zufolge sollte das englisch-türkische Kontingent auf die Stärke von 50.000 Mann gebracht werden.Lord Redcliffe hatte die Offiziere desselben dem Sultan vorgestellt. Außerdem werden eine Anzahl von Notizen der in Konsan­tinopel erscheinenden Blätter über die Begebenheiten an der Krimm mitgetheilt, die zum Theil sehr zweifelhaft, zum Theil entschieden faljig sind. Am 9. pflanzten die N­ussen eine Parlamentärflagge auf dem Fort Konstantin auf, und er hatte hierauf eine Konferenz zwischen dem Fürsten Gortscharoff und dem englischen Seekapitän Drummond statt, welche wahrscheinlich die Auslieferung der Verwundeten betraf; er verbreitete sich aber das Gerücht, das Fürst Gottscharoff um freien Abzug ersucht habe und dasselbe findet sich also in einer Anzahl von Mittheilungen aus Konstantinopel. Eben­so hat General Larchey sich veranlaßt gesehen, das in der türkischen Hauptstadt ums laufende Gerücht, daß 90.000 Franzosen bereits jenseits vor Tschernaja operi­e­ren, amtlich zu widerlegen. Es fehlt auch nicht die Nachricht, dab General a Faden sich nach der Katastrophe erschoffen habe, so wie Aehnliches dieser Art. Untere Donau. Aus Bularest, 25., meldet man der „Oesterr. tg. “ ,­ürst Stirbey ist am 22. Abends von seiner Nundreife zurück­­gekehrt. Er hatte sofort Befehle ertheilt, Daß Die Stadt drei Tage nach­einander wegen der Einnahme Sebastopols iluminirt werde. Der­ türkische General, sowie die Generalfonsuln Stanfreichs und Englands sind von den hohen walachischen Autoritäten beglücktwünscht worden. Paris, 23. September. Der Baron Andre und der Herzog von Ga­­lieri haben als Mitglieder der Administration der Kredit- Mobilier- Gesellschat ihre Entlassung eingereicht, weil Die Negierung vom Credit Mobilier von Anfarf von Getreide im Auslande für die Summe von 60 Millionen verlangt hatte. Die Herren Bould (vom Banquierhaufe Dieses Namens) und Graf Morny, auch Mit­­glieder des Verwaltungsrathes, fanden auf dem Punkte, dem Beispiele der Hemen Andre und Onk­eli zu folgen. Sie wurden jedoch durch die Intervention aner hoben Person daran verhindert. Dieselbe febte es dar, das die Regierung ihr Verlangen zurückzog. Die in dieser Angelegenheit stattgehabten Diskussionen waren sehr stürmisch. Die Regierung bestand zuerst mit großer Energie auf ihrem Verlangen, da sie geltend machte, daß der Credit Mobilier ein von ihr gegründetes Institut sei, das ihr in ihren Verlegenheiten beistehen müsse. Die Herren vom Credit Mobilier erwiderten Darauf, daß sie einem jeden Verlangen der Regierung, wenn es möglich wäre, entsprechen würden, Daß sie aber in diesem Augenblicke kein Geschäft unterneh­­men künnten, wobei sie bare sechszig Millionen Sres. auslegen müßten, indem man bei solchen Geschäften seinen Kredit habe. Durch welche Konzessionen der Credit Mobilier die Regierung wieder verfühnt hat, erfährt man noch nicht... Gewiß is aber, daß für Den Augenblic zwischen Beiden wieder ein besseres Vernehmen herrscht. An die Stelle der Herren André und Öalieri, deren Entlassungen angenommen worden waren, sind die Herren Macnard und Hottinger, beide Pariser Ban­­quiers, getreten. Die Aktien des Credit Mobilier fliegen in Folge obiger Nachrich­­ten auf der heutigen Boulevardabörse von 1260 auf 1360, Wet, 27. September. Aus Debreczin wird gemeldet, das am 24. dort das Telegraphenamt eröffnet wurde. r Zelegr. Depefche 9. „Peter Vood." Paris, 26. September, Beliffier’s Bericht Konstatirt Die Verluste der Franzosen am s. Sept. folgendermaßen: Todt 5 Generäle, 1410 Offiziere, 1489 Soldaten — vermißt 1410 Mann — Ver­­wundet 10 Generäle, 240 Offiziere, 41259 Sol­­daten. Der Kaiser bat den Herzog von Koburg besucht. Die Negierung hat beschlossen, ähnliche Konzessinnen und Autoritatinnen, wie Diejenigen des Credit Mobilier, vorläufig nicht zu beiwilligen. Wiener Börse vom 26. September. Die weidende Tendenz im­ Agiv ausländischer Devisen und aller Metallmünzen machte sich heute weiter gel­­tend in namhaften Nachgang der betreffenden Kurse und im Aufgebot. In natürlicher Verbindung damit steht Die Flauheit und der Nadgang in­ Sonde und Effekten. Blos Nordbahnaktien nahmen einigen Aufschwung , wie man glaubt, wegen günstigen Monatsausweises. Staatsbahnak­ien fielen um 4, 5 ff., Groß der Höheren Notizung aus Paris, Go 1714 5 Silber 13 /2. Verantwortlicher Redakteur: Karl Weißkircher, Schellpfeifenbruch von Emil Müller, Servitenplag Nr. 1. — Berlag der Pester Noyd-Gesellschaft.

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