Pester Lloyd - Abendblatt, Januar 1857 (Jahrgang 4, nr. 1-25)

1857-01-13 / nr. 9

" ga Daniella son Georges Sand. (Sortiesung:) fol, *) - « ,,»Ahg­riefisch—da kommt der Bodensatz der Trägheit oder Gleichgiltigkeit schon wieder zum Vorschein.­· „Sie meinen ?" „Natürlich! warum sich seiner Nichtigkeit freuen .” ‚Weil mir scheint, daß das Talent weitreichende Pflichten mit sich bringt, und weil eine befehrhafte Verantwortlichkeit weit mehr nach meinem Geschmade ist, Träg­­heit ist so wenig meine Rathgeberin, daß ich, wenn ich ein Mittel wüßte eine ehrenvolle Stellung im Dienste einer bedeutenden Kapacität einzunehmen, mich, sehr glü­cklich fhäsen würde, ihren Ruhm mitzugenießen, ohne bessen Saft zu tragen. Gerade so viel Herz befigen, um sich der Große Anderer zu freuen, sie im eigenen Innern mit durchleben zu können , ohne daß man durch­ Die Natur gezwungen ist, selber an den Lärm der Oeffentlichkeit herauszutreten : das ist ein Föstlicher Zustand, auf den mein Trachten ger­­ichtet ist — es iut mein Traum von der goldenen Mittelmäßigkeit, dem ich nachjage ; Mittelmäßigkeit , in allen äußeren Verhältnissen, verbunden mit Hoheit des Gefühles und Klarheit des Verstandes, mit Hingebung an eine vertraute Freundschaft, mit dem Glauben an ein unsterbliches Prinzip, das man in Einem der Lebenden verkörpert ere Blicht. Bin ich denn in Ihren Augen so verdammenswerth , weil ich lernen will, nur um zu verstehen, und weiter Nichts begehre ?" „Also gut! Bersuche! ich denne, diese V­erscheidenheit wird Dich nicht hindern Dein Talent zu entfalten, wenn die Malerei wirflich Dein Beruf ist, Trogdem wirft Du daran dennen müssen so viel zu lernen, daß Du diese Kunst mindestens zu einem Heinen Er­werbszweige machen kannst , denn mit Deinen taufend Frances Rente. . ." „Zwölfhundert Srancs ! Indem mein Oheim die Zinsen zehn Jahre lang zum Capitale schlug, hat er mein Einkommen auf die respectable Ziffer von hundert Srancs monatlich gebracht. Aber freilich bin ich, fett ih in Paris lebe, dahinter gekommen, daß es heutigen Tages unmöglich ist, damit ein freies, unabhängiges Leben zu führen. Ich habe doppelt so viel und außerdem noch viel Umsicht im Haushalte nöthig. Meine Aufgabe ist fest, mir diese anzueignen und jenes zu erwerben — nicht um als Kind aus gutem Hause aufzutreten, wonach ich­ nichts frage,­­ sondern um die Ausgaben für meine Lehrzeit zu bestreiten,­­ die, wie ich weiß, kostspielig ist“., „Das denkt Du also zu beginnen, nicht um Dir eine strenge Sparsamkeit anzu­­eignen, denn das hängt nu­r von Dir selber ab — wohl aber um Dir zu Deiner Rente monatlich noch hundert Francos zuzuverdienen,, ohne dabei auf die Malerei zu verzich­­ten, die Dir, mindestens drei bis vier Jahre lang, Nichts einbringen und viel Fosten wird :" „Ich weiß nicht, Ach will zusehen., Bedarf ich Ihres Nathes oder Ihrer Dime­pfehlung, so m werde.ich Sie darum ersuchen.“­­ Zwei Monate spä­ter war Jean Valrey Violinist in dem Orchester eines kleinen lotischen Theaters.Er war ein brauchbarer Musiker und spielte gut genug,um seinen Part leidlich durchzufü­hren.Er hatte sich dieses Talent es nie gerü­hmt,sodaßsviree gar nicht bei ihm vermutheten. »Ich habe den Plan sin’oder·igeseut ohne Jemanden zu befragen—sagten mir.Man hätte nur versucht,mich davon abwendig zu machen,ja Sie selber»·« »Ich’m­­irde Dir einfach die Wahrheit Vorgehalten haben-daß die9­ korgerrpkso­­den und die Abendvorstellungen Dir kaum Zeit genuug zum Studium der Malerei ü­brig lassen werden.Aber vielleicht hast Du auf diese verzichtetz möglich,daßDrr­etzt die Musik vorziehst?«« »Nein!erwiderte er—ich isten­se immer noch bei der Malerei.« „Aber wo tausend Hast Du die Musik erlernt 2” „Das lernt sich mit etwas Geduld, und ich habe deren viel, ganz von selber.” „Warum denn nicht Dich auf diese Kunst trerfen , in der Du einen so hübsschen Anlauf genommen hast ?" „Die Musik: fegt das Individuum allzu sehr den Augen des Publikums aus. In meinem Orchester verloren, werde ich nie die Blicke irgend eines Menschen auf mich ziehen , aber von dem Tage an, wo ich ein ausgezeichneter Birtuose wäre, müßte ich hervortreten und mich, zeigen — und das würde mir genk­en. ch bedarf eines Stan­­des, der meine Persönlichkeit nicht beeinträchtigt. Wenn ich felechte Gemälde produ­­círe, wird man mich um des Willen nicht auszischen , und wenn sie ausgezeicht­et gerathen, wird man mir nicht auf offener Strafe beim Vorübergehen Beifall Blatfehen. Der Birtuose aber steht sein Lebelang am Pranger oder auf einem Predeital. Das ist eine unnatürliche Situation , wen sie nicht närrisch machen sol­ der muß sich bewußt sein‘ sie, nur als ein verhängnißvolles Geschenk des Geschickes, oder als eine Pflicht aus den Händen der Beziehung hingenommen zu haben.“ „Hast Du wenigstens Zeit übrig um das Atelier zu besuchen ?" „Immerhin, wenn auch nicht viel, Meine Lehrlingschaft wird Länger dauern, als wenn ich frei Über meine Stunden verfügen künnte, aber sie ist so mindestens möglich, was sie ohne die Hilfsquellen, die meine Geige mir eröffnet, ganz und gar nicht gewesen wäre. Freilich hätte ich mein Kapital angreifen können, vorbehaltlich der Chance nach drei oder vier Jahren ohne Brod und ohne Talent dazustehen. Doch wenn ich meinem Oheim nur davon spräche, ihm die Verwaltung dieses schönen Vermö­­gend­ aus der Hand zu nehmen, wirde er mich verfluchen und für ein verlorenes Men­schenkind halten. Ich muß also, willig der wider Willen, Ordnung halten, das heißt, ich werde mich, begnügen müssen, meine glänzenden Nevenuen zu verzehren. So­­mit ist demnach Alles in Richtigkeit. Das Handwerk, das ich treibe, Tangm weilt mich nicht gar zu sehr. Ich trage meine Geige jeden Abend wie eine gutgeschmierte Maschine und, denfe dabei an Gott weiß was, Ich bin der Liebhaber einer feinen, leidlich hü­lo­­fen ‚Choristin, die dumm mie eine Gans ist und feine Spur von Herz befigt. Mit Frauen der Art in Verbindung zu treten, ist so leicht, daß ich nicht Danach zu fragen brauche, ob diese mich betrügt oder figen läßt. Ich würde am nächsten Morgen eine andere finden, die weder mehr noch weniger werth wäre. Mein Leben ist ausgefüllt und wenn es seine filanischen Momente hat, so tröste ich mich damit, daß ich daran arbeite, mir meine Freiheit zu erobern. Manchmal ist das etwas peinlich : auch ist es noch gar nicht so ausgemacht, daß ich nicht den, sichersten und kirzesten Weg einge­­tlagen hätte, wenn ich mich in meinem Kirchfriese nievergelasfen und irgend ein­ hol­­des Dorffräulein geehelicht hätte, welche mich durch die geflickten Hosen und pausbädi­­gen Rangen, die sie mir zu tragen gegeben, nach und nach in ein Stüc Vieh verwan­­delt haben würde. Aber ich habe ein geistiges Leben führen wollen und habe also sein Recht zu klagen.’ Ich verreiste und nach zwei Jahren fand ich Dean Balrey in Paris wieder in­ einer ähnlichen Lage. Er hatte das Orchester satt bekommen, jedoch Mittel gefunden sich Copiaturen zu verschaffen,die er Abends bei sich zu Hause anfertigte,und in einer Pensionsanstalt,wo er wö­chentlich zwei Stunden gab,als Musiklehrer angestellt zru werden.So erwarb er sich immer noch seine hundert Frei,i1n Monat und fuhr fort die Malerei zu studiren.Er war stets mit sorgfältiger Nettigkeit und mit einem ge­­wissen Geschmack gekleidet.Immer noch hatte er jenefeinen Manieren und das durch­­aus gentlemännische Benehmen beibehalten,das er,ohne andere Beihilfe augenschein­­lich aus seinem angeborenem­ Taktgefühle geschöpft,doch war er bleicher und erschien trübsinniger als früher: „Sieh­e redete ich ihn an — Du hast mir mehrere Briefe geschrieben, um Dich, nach meinem Ergehen zu erkundigen : ich Danke Dir, aber es ist nicht recht, daß Du mir darin nie von Dir gesprochen. Heute sagst Du mir, das es Dir gelungen ist, Dich in Deiner Arbeit, Deinen Ideen, Deiner Lebensstellung zu befestigen, Aber Du bist fest so etwa Deine dreiundzwanzig Jahre alt, und mit der Ausdauer, Die Du be­­wiesen hast, mußt Du Dir wohl einiges Talent angeeignet haben. Ich muß Die­ be­­suchen, um Deine Malereien anzufchauen,” ‚Mein, nein ! rief er aus — und nicht! Meine Productionen zeigen Fein Ia­­tent, seinen Charakter ; ich habe methodisch zu Werke gehen und mir vor allen Dingen einen gewissen Grad mechanischer Fertigkeit erwerben wollen, est bin ich, soweit es Noth thut, Herr der Technik: nun will ich versuchen, meinen Genius aufzufinden, zu entdecken. Aber dazu muß ich ein Leben beginnen, das von meinem jegigen himmel­­weit verfegteden und, wie ich Ihnen nicht verhehren will, entseglich it — für mich, so ntfeglich, meiner Natur so antipathisch, meiner Gesundheit so zumidher, das ich Shen, aus Rücksicht auf Ihre Freundschaft für mich, den Zustand des Leidens nicht schildern mochte, in den mein Herz und meine Seele seit zwei Jahren versenft sind. Ich reife ab; ich werde einen Monat bei meinem Oheim und dann ein bis zwei Sabre in LIta­­lien zubringen.” § „Aha ! also auch Du schwármit für Italien? auf Du glaubst, dag man dort eher als anderwärts zum Maler wird ?" „Nein, dies Vorurtheil liegt mir fern, Man wird nirgends ein Künstler, wenn man nicht dazu bestimmt ist. Aber man hat mir so viel von dem römischen Simmel gesprochen , daß ich mich dort von den Pariser Neben, die mich in einen Pilz ver­­wandeln, erwärmen will. Und dann ist Rom die antike Welt, die ich kennen lernen muß ; dort­ seht die Menschheit in der Vergangenheit; Rom ist wie ein altes Buch, das man gelesen haben muß, um die Geschichte der Kunst zu versiehen , und Sie wissen, daß ich Logisch zu Werke gehe. Möglich, daß ich nach dem Allen in mein Kirch­­spiel zurückkehrte, ein Dorffräulein heimzuführen, wie es jedem Nenn­er meines niederen Ranges zugänglich ist. Ich muß also fortfahren mich in der Schmwebe zu halten , mein Möglichstes tun, um ein hervorragender Mensch zu werden , und gleichzeitig alle meine Kräfte zusammennehmen, um ohne Galle, ohne Niedergeschlagenheit, das untergeord­­netste Pläschen in dieser Welt auszufüllen. Es hoftet mir nicht allzu viel Anstrengung, mich so im Gleichgewichte zu behaupten, da zwei schroff entgegengefegte Neigungen fi­abmwechselnd meinen Charakter streitig machen: die Sehnsucht nach einem Spear und die Sehnsucht nach Ruhe. Ich will sehen, welche den Sieg davontragen wird , und wie der Ausgang auch sein mag, ich werde Sie benachrichtigen.“ „Barte ein wenig! rief ich ihm nach, als er d­einen Hut nahm, um sich zu empfehlen. Wenn Du in der Malerei scheitern solltet, würdet Du dann nicht irgend eine andere Laufbahn versuchen? Die Musik . . ." „Ob, nein ! nichts von der Mufii ! Um sie zu lieben, werde ich erst lange Zeit brauchen, um sie wieder zu vergessen; aber lieber wollt’ ich sterben, als von ihr ge­ben : Sie fennen meine Gründe.“ „Trog dem Fannst Du bei Deinem Hab gegen alles Positive und bei dem Man­­gel Haffischer Vorbildung Nichts anderes werden als ein Künstler. Bei dem Lesen Dei­­ner Briefe ist mir der Gedanke durch den Kopf gefahren, Du Tönntest wohl einiges Talent für die Journalität haben." „Literat werden, ich? Nein, ich habe die Welt und das soziale Leben nur wie durch einen Schleier gesehen. Redigoren heißt mehr als schreiben ; es heißt auch d­en­ken, und ich bin entweder ein Träumer, oder ein Mensch der Aktion . Keinesfalls ist die Nefferion meine Sache. Ich fchiehe in meinen Schlüffen über das Ziel hin­­aus , und überdies sind alle Consequenzen, die ich ziehe, rein subjektiver Art da sie nur auf meine Persönlichkeit Bezug haben. Die Literatur sol, mittelbar oder unmit­­teilbar, fr­ein­deal Propaganda machen, Bedenken Sie doch, dab ich no nicht einmal nein eigenes Speal gefunden habe !" A Ps verantwortliger Redakteur , Karl Weißkircher, k „hat nichts ! willst Du mir ein festes Versprechen geben 2“ „Sie haben das Recht, Alles von mir zu verlangen, was in meinen Kräften „But! Du wirt mir — mir allein wenn Du will, denn auf Dein Verlangen sichere ich Dir unverbrüchlice Geheimhaltung zu — einen detaillirten Bericht ü­ber Deine Reife, über Deine wie immer gearteten Eindrücke, selbst ü­ber Deine Abenteuer aufregen, falls Du dergleichen erlebst, Und das ein Sach lang, in Pausen von höch­­stens acht Tagen.“ „Ich sehe wohl, weshalb Sie das wünschen. Sie wollen mich nöthigen, nich in allen Einzelnheiten des Lebens zu prüfen und mir von meinem eigenen Dasein Verhenichaft abzulegen.“ „Sanz richtig! Ich finde, bag Du, unter dem Einflusse gewisser Entschlüsse, die Du in ziemlich langen Zwvischenräumen faßt und ge­wissenhaft beobachtest, zu leben bi. gift und in einer ewigen Spannung fdjivebrt , die Dich al der kleinen Schüffe der Jugend beraubt. Wenn Du Deine wahren Bedürfnisse und Deine berechtigten Hoff­­nungen genauer überwacht , wirt Du allmälig zu größerer Freiheit in Deinen Grund­zügen gelangen.” „Sie halten mich also für närrisch 2“ „Wer es nicht dann und wann ein wenig it, der it es immerwährend.“ 7 „Ich werde Ihre Anweisungen befolgen. Vielleicht zu meinem Besten , aber m­ie, wenn ich bei diesem Wieverfällen meiner eigenen Gedanken närrlicher werde, als Ahnen steh tft­e" „Ich gebe Dir ja neben dem aufregenden auch das beruhigende Mittel an die Hand : die Reflexion.“ Ich bot ihm an, seine Reife durch jenen Beistand, mie die Eltern ihn dem Kinde er­weifen und den er von mir unbedenklich annehmen durfte, zu erleichtern. Er lehnte dankend ab, Füßte mich und entfernte si. Eine Woche später erhielt ich einen ziemlich langen Brief von ihm, gleichsam die Vorrede seines Tagebuches : ich haffe das Schreiben, so wie den Nest dieser Arbeit über sich selber, zu der ich ihn vermocht, hier Beinahe wortgetreu folgen. (Bortregung folgt.) wird —­­sch s« Z lede Nach *) Da druck derselben verbeten. g g diese Ueberlegung in eigener Ausgabe erscheinen BEN Schnellpreifendend von Emil Müller, Dorotheagafse Nr. 12, — Verlag der Pe­ter Hopb-Gesellscaft.

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