Pester Lloyd - Abendblatt, November 1859 (Jahrgang 6, nr. 241-265)

1859-11-21 / nr. 257

Montag, 21 Novemb Nr.257 (Die einzelne Nummer Loftet 3 fr. 5.08.) Abendblatt as Pest = ‚Die Schwierigkeiten der un­garischen Frage, — beginnt ein Leitartikel der „DD. Pol“, — erfüllen die Freunde Oesterreichs mit ‚mannigfachr D Besorgung und regen Die triumphirrnde Schardenfreude unserer Gegner auf. Auf beiden Seiten hält man diese Schwierigkeiten für außerordentlich, weil man sie eben nur aus der Ferne betrachtet, ihnen­ auf Ummegen auszuweichen sucht, anstatt unmittelbar nahe an sie heranzutreten.“ Hören wir nun, in welcher Weise das ‚Wiener Blatt diese Frage beurtheilt, indem es an die­­selbe „nahe herantritt”. Die ungarische Frage in ihrer momentanen Gestaltung, Teten wir, gleicht, wie dies schon wiederholt der Fall­ war, einer­ partiellen Erkrankung eines font im Allgemeinen kräftig gesund.ı Konstituirten: Organismus. Ein solches Hebel kann sich allerdings verschlimmern, je länger man es unbeachtet läßt. Und­ es ist im individuellen wie im Staatenleben leider oft, ja gewöhnlich der Fall, daß der im Ganzen gesunde und auf feine­r Kraft pochende Organismus sich dagegen sträubt, das totale Hebel durch aufmerksame Schonung, Durch vorsich­­tige Heilung zu­­ beseitigen, daß er es vielmehr blos durch seine­ Kraft überwinden­­ will,. Auf solche Weise kann dann ein solches temporäres und partielles Uebel allerdings in ein ironisches Stechthum des ganzen Organismus ausarten. Die reale Wahrheit dieses Bletschniffes wäre in der That für Oesterreich zu fürchten, wenn die Schwierigkeiten und­ Uebel­­fände, welche in der ungarischen Frage unstreitig Yliegen, noch länger si selbst überlasfen, oder Lediglich mit passiver Nega­­tion behandelt würden, Wir hegen Die feste Ueberzeugung, Daß die, ungarische Trage­ficher allseitig gelöst, d. h. dag das Verhältnis Ungarns zur Gesammtmonarchie organisch gestal­­tet und in den natürlichen Gang der wechselwirkenden Ent­­wickklung gebracht wäre, wenn man das Werk nur fon vor drei oder vor fünf, Jahren in Angriff genommen hätte. Fret- Ud hätte es nicht nach einer theoretisch bequemen, aber praf­­tig unausführbaren firen Idee, nicht in der Nachahmung fremder, für die österreichischen Verhältnisse durchaus nicht Haftender Mutter geschehen dürfen, am allerwenigsten aber nach der grauen Theorie gemeister dogmatischer Broschuren, deren Derfafler nichts be­wiesen haben, als daß sie für die ganz­ be­­sonders eigenthümlijen V­erhältnisse, Bedürfnisse und Aufga­­ben des Kaiserreichs kein D Verständniß haben. Die besondere Stellung Ungarns zu Oesterreich, oder besser: gesagt , ein eigenthümliches Verhältniß dieses hochwich­­tigen Kronlandes zur Gesammtmonarchie ist im Laufe der Jahrhunderte, seit Desterreich und Ungarn zusammengehören, immer anerkannt worden , und es ist nach vorübergehender Bek­ennung und Bernachlässigung immer wieder zur Geltung gekommen. Die feste Krisis, die wir erlebt haben, eine Wir­­fung und Folge früherer beiderseitiger Bersäumnisse und Fehl­­griffe, war ungeachtet ihres vielen Unglückes gleichwohl ganz geeignet, ja man durfte sie geradezu für providentiell gegeben hatten, um einen mächtigen Fortschritt zu machen und eine dauernd­­ gesicherte Zukunft zu gestalten.­­ Dieser Gedanke schwebte auch wirklich den Staatsmännern vor , welchen­ die Neugestaltung Oesterreichs anvertraut war, und der Gedanke trzuwerte, festgehalten zu werden, und noch ist es nicht zu spät, ton praktisch durchzuführen. Aber einen Vorwurf, welcher gewöhnlich den theoretischen Politikern , zumal den liberalen gemacht wird, der Vorwurf nämlich , den­ historischen Boden der Entwicklung verlassen,, mit der Vergangenheit gänzlich brechen und die Zukunft antizipiren zu wollen, bieten Vor­­wurf müssen die präftt­gen Staatsmänner , melche wahrhaft inservativ wirken wollen , bei ihren Schöpfungen sorgfältig vermeiden. Sol den Ansprüchen der Gegenwart genug ge­­than, soi Überhaupt eine Lebendige , entwickklung­sfähige Ge­gen­wart geschaffen werden, so muß das Nüsliche und Berech­­tigte aus der Vergangenheit mit den Aufgaben und Postu­­laten der Zukunft in harmonischen Einflang gebracht werden. Dieser Grundlag­ gilt für Die praktische Politik überhaupt, für die Konstituirung Oesterreichs aber muß er die oberste Regel und Richtfehler sein. Das Historische Recht muß für alle Theile der Monarchie respektivt werden, das ist und bietet an das unerschütterliche Fundament des ganzen Reiches. Dir kennen nicht die authentische Formulirung der M­ünsche der Magyaren, von deren Berathungen und Petitio­­nen jet so viel zu hören und zu lesen ist. Noch weniger sind wir in die Absichten der Regierung eingeweiht, welche den ungarischen Angelegenheiten ohne Zweifel eine angelegent­­Uche und­ ernste­­ Aufmerksamk­eit widmet. Thatsache if, daß in Desterreich eine ungarische Frage schwebt, deren rich­­tige Lösung für den Kaiserstaat von vitaler Wichtigkeit istt. Theoretische Rathschläge dafür zu liefern, haben wir nicht den Beruf und hier nicht den Ort. Nur auf die geschichtlic­he Erfahrung wollen wir für beide Theile Hinweisen, bag Ungarn in demselben Maße, als es seine Historische und nationale Eigenthümlichkett bis zur schroff en­tfüh­rten Sonderstellung oder gar Trennung treiben wollte, seiner eigenen Entwickklung und den mit so vollem Rechte hochgehaltenen Nationalgütern geschadet, bag anderntheils Oesterreich durch jeden Versudg, das, was in dem ungarischen Sonderverhältniß wirklich Ber­­echtigtes ist, zu Übersehen und zu vernachlässigen, immer die entgegengefegte Wirkung hervorgebracht hat. Wenn beide Theile dieser ernsten Erfahrung gedenken und danach ihre An­­sprüche praktisch gestalten, ihre Wünsche mäßigen, so wird die ungarische Frage, wir wollen nicht sagen leicht, aber gewiß glücklich und zum wahren Heile beider Theile und des ganzen Reiches gelöst werden können. Den Nachrichten aus Wien vom gestrigen Datum entnehmen wir : Der Gemeinderath der Stadt Wien hat den Beschluß gefaßt, ihren Exzellenzen dem Herrn 339. Freiheren von Kempen und dem Herrn FME. Treibern v. Benedef das Ehrenbügerrecht der Stadt Wien zu verleihen. Der Mini­­sterialrath und Gefängnißinspektor Herr Wetz, Star­tenfels ist aus dem Ministerium des Innertt aus- und­er Disponibilität getreten. Der zum Geltronschef im Ministerium des Innern ernannte Vizepräsident der Statthalterei in Böhmen, Anton Graf v. Forgad,zum in Prag angekommen, hat sich dem Herrn Minister Grafen 9. Goluhomwift vorgestellt und wird nächstens seinen neuen Wirkungskreis antreten. Politische Nundschau, 21. November. Die italienische Be­wegung hat einen gewaltigen Stoß erlitten; nicht nur hat Bibtor Emanuel in der Mer­gentfhaftsfrage sich den französischen Forbes rungen gefügt, auch S Garibaldi’s Rücktritt von sei­­nem Kommando in Zentralitalien bestätigt sich vollkom­­­men. Sämmtliche Korrespondenzen aus Paris und Sta­ Iien beschäftigen ss mit vielen beiden Tagesfragen; mir lasfen das Wichtigere aus den betreffenden Mittheilungen hier folgen : Stanfreids Proteste gegen die Regentschaft sind in Turin mit einer Heftigkeit aufgetreten, das, wie der „Independance” aus Turin wenigstens auf das bestimmteste versichert wird , „Stanfreich Sardinien mit einer bewaffneten Sintervention bedroht habe, um in Mittelitalien , falls die Annahme der Regentschaft erfolge, den jegigen Status quo bi zur Entscheidung des Kongresses aufrecht zu erhalten.“ A ' Massimo d’Azeglio und Cavour, die in Folge dieser Drohung Dalewsk­’s von Viktor Emanuel zu Rathe gezogen wurden, sprachen für die Annahme der Regentschaft nur den Prin­­zen, unter den Ministern waren gleichfalls für eine solche Ra­­tazzi und Monticeli, während Dabormida und La Marmora die Annahme der Regentschaft widerrieb­en, um die Stellung Sardiniens Frankreich gegenüber nicht zu gefährden. — Im Branfreich sieht die offizielle Presse einen Eingriff in die Kom­­petenz des Kongresses. In diesem Sinne hat auch Graf Wa­­lewsri an die französis­chen diplomatischen Agenten im Aus­­lande ein Rm­pfschreiben ergehen lassen, worin er gegen jene „übereilte Maßregel” des Turiner Kabinets Verwahrung einlegt. — Die „Bazzetta Piemontese" vom 23. Nov. bringt die bereits mitgetheilte Antwort des Prinzen v. Ca­­rignan an die Herren Marco Minghetti und Ubalding Per­ruzzi, welche demselben die Regentschaft über Parma, Modena, Toskana und die Romagna antrugen, so wie folgendes, aus Turin batiitesg S­chreibendes Prinz gen an Carlo Buoncompagni: Turin, 14. November 1859, Ser K­ommandeur­ 34 habe Sie zu der edlen Mission vorgeschlagen, sich nach Mittelitalien zu begeben und die Regentschaft über Die Provinzen zu übernehmen, die durch ihre Besschlüffe erklärt haben, daß sie ein einiges, konstitutionelles und italienisches, starres Königreich wollen, und die darauf die Regentschaft ausgeru­­fen haben, S ihr ehrenvoller Ruf, die edlen Eigenscaften Ihres Geistes und Herzens, die Ergebenheitsbeweise, welche­ Sie dem Könige und dem Vaterland geliefert haben , so wie das volle Vertrauen, bag ih in Sie feste und das Ihnen öffent­­lich auszusprechen ich heute so glücklich bin, dies sind eben so viele Beweggründe dafür, daß Ihre Mission ein erfreuliches Ergebniß erzielen werde. Doch es sind nicht die einzigen. Die Revöl­­kerungen Mittelitaliens gaben so viele Beweise von gesundem Menschenversand , Reitigkeit und Mäßigung „daß sie si Die Achtung der gefitteten Welt erworben haben, Sch bin über­­zeugt, daß sie die Notleiwendigkeit einsehen werden, bei dieser nämlichen ruhigen und geordneten Haltung auszuharren, zumal im dermaligen Augenblice, wo ein Stongreß zusammentritt, auf m welchem Staltens Gefiide berathen werden sollen, und wo Sr. Majestät der König Viktor Emanuel, starf durch die ihm übertragenen Rechte, ihre Wünsche unwirksam zu vertreten wissen wird. Die wiederholten Bereicherungen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen , Daß durchaus seine Intervention in Mittelitalien erfolgen solle, sind auch noch ein Grund zu großer Zuversicht. Sole Bersicherungen ermuthigen műdje­tig die Politik des Königs , der niemals darein­willigen könnte , Daß die auswärtige Ge­waltthätigkeit an die Stelle des Nationalwillens träte. Wenn aus Gründen gefunder Hor­­tt Se. Majestät es nach dem Frieden von P­illafranca ge­­rathen erachtete, seine Kommissäre zurückzuberufen und sich in Mittelitalien jeder Einmifung zu enthalten, so geschah dies nicht, weil seine Regierung in Diensten freundschaftlichen Wohl­­wollens, das neue Thatsachen noch mehr beseitigt haben, entziehen wollte. Ich spreche die Ueberzeugung aus, das bieselbe sich, in den Grenzen des Möglichen, nicht unweigern werde, biesen Ländern zu Hilfe zu kommen, um ihnen eine Anleihe, wenn es nöthig sein sollte, zu erleichtern. Aus allen diesen Erwä­­gungsgründen sehe ich der Zukunft mächtig entgegen. Auf der anderen Seite ist Ihre Aufgabe einfach und deutlich, insofern es ich darum handelt, der politischen Bewe­­gung in diesen Provinzen mehr Einheit zu verleihen. Die Konzentrirung der Gewalten wird jede derselben für sich selbst und in den Augen Europa’s flärfer machen. Die militärische Organisation wird leichter vollständig werden, wenn es nur Eine Verwaltung, Einen Oberbefehl und Ein Heer gibt. Diese der Zahl und Mannstudlet alte Armee, die ihren Muth zu bethätigen ‚bereit ist, wenn das Vaterland es verlangt, darf jedoch­ weder angreifend, noch herausfordernd verfahren. Wenn einigen edelmüthigen und glühenden Geistern jede Zurückhal­­tung als Fehler, jeder Akt der Klugheit als Schwäche erscheint, so ist es gerathen sie daran zu erinnern, daß die Zeit ein mächtiger Bundesgenosse bei gerechten Sachen is, und daß die Ungeduld i dieselben oft verdirbt und sie am Giege verhindert. Bei solchen Aussichten bin ich, ich wiederhole es, Überzeugt, daß Ihre Sendung von glücklichem Erfolge gekrönt sein wird, und daß die Bevölkerungen nach wie vor Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten „ so wie jenen gesunden Menschenverstand und jene politische Reife befunden werden, die ihnen in so hohem Grade zur Ehre gereichen und die dem Kongresse den

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