Pester Lloyd - Abendblatt, Oktober 1861 (Jahrgang 8, nr. 225-251)
1861-10-09 / nr. 232
.Napelseon wenigstens ist nicht anzunehmen,daß er seinen königlichen Gast mit einer Broschüre empfangen würde,welche die Wiederherstellung Polens,d.h.die Theilung Preußens,fordert. Zur Erklärung des Vorschlages über die Abtretung von Landom und Saarlouis diene Folgendes:Der erste Pariser Friede hatte in dem Schlußvertrage vom 30.Mai 1814 Frankreich auf seine Grenzen von 1792 reduzirt. Der zweite Pariser Friede(nach der Rückkehr Napoleon’s von der Insel Elba und den hundert Tagen)in seinem Schlußvertrage vom 20.Novemberlslö ging weiter und führte Frankreich auf die Grenzen zurück,die es im Jahre 1790 innehatte.In Folge dieser neuen Reduktion verlor Frankreich nun auch die vier Festungen Philippeville,Saarlouis,Marienburg und Landau,das Gebiet des ehemaligen Herzogthums Bouillon,einen Theil des Departements Niederrhein, den Nest von Savoyen und das Gebiet von Ger am Genfer See. Diese N Reduzirung hat, wie bekannt, Napoleon I. ganz besonders geschmerzt, da sie eine für seine N Rückehr Frankreich auferlegte Strafe war; zahllose französische Schriftsteller haben der nationalen Erbitterung über diese Stipulation des zweiten Wiener Friedens Anspruch gegeben. Indessen war die Wunde innerhalb 40 Jahren so ziemlich vernarbt, und erst Napoleon III. hat den Gedanken wieder aufgenommen, i wenigstens den Verlust, den Frankreich durch Die Rückehr von Elba erlitten, ihm wieder zu erstatten. Mit Savoyen ist der Anfang gemacht worden. Die sammtlichen französischen Journale sprechen sich mit mehr oder weniger Empfindlichkeit über Die Compiegne-Artikel der englischen Presse aus: Der „Konstitutionnel“ erfreut sich, „nach dem Unsinn des „Morning Ehrontele” und den Haluziationen der „Times”, der einsichtsvollen Beurtheilung, welche die „Morning Post“ dem Ereignisse in Bompaègne zu Theil werden läßt. Das „Pays“ führt eine sehr gereiste Sprache. Es hebt hervor ,„ daß gerade die „Times“ nie genug Hohn und Spott auf Preußen habe häufen können ; das Parlament und das Ministerium seien (und dabei wird auf die Macdonald- Affaire hingedeutet) ebenso mißgünstig und unbillig gewesen. Wie habe man sich erst über die preußische Flotte moquirt ! Das habe sich nun Alles mit einem Male vollkommen geändert. Es sei eine grobe Beleidigung gegen den deutschen Beistand und die französische Ehrenhaftigkeit der preußischen Nation bemeisen zu wollen, daß sie mehr von der Freundschaft als von der Feindschaft Frankreichs zu fürchten habe. Schließlich ertheilt Herr Paulin Upmairac der „Times“ den freundschaftlichen Rath, in Betreff des Besuches des Königs von Preußen mehr Gerechtigkeit, mehr Gedächtniß und ieniger Berger an den Tag zu legen. — Die „Pfesse“ sagt, der „Times“-Artikel sei mehr leidenschaftlich als vernünftig gehalten. Dieselben Gründe, welche die „Times“ für ein preußisch-englisches Bündnis geltend macht, ließen sich auch für ein preußisch-Französisches geltend machen. Es liege an im französischen Interesse, daß eine protestantische und liberale Macht, die Fe in Ungarn zu bändigen und kein Venetien zu behaupten habe, eher an der Spike Deutschlands stehe, als eine absolutistische und aggressive katholische Macht. Die „Dibats“ nehmen sich die Iuffnuationen des englischen Blattes am meisten zu Herzen. Nichts sei eigentbünzlicher und bezeichnender, als Dieser Anfall von bisigem Fieber, der die „Times“ bei dem Gedanken schon ergreife, Preußen könne ih Srantreich um einen Schritt nähern. Man wisfte nicht, ob man si mehr über Die Argumentation der , Times", um Preußen an England heranzuziehen, oder um die, um Preußen von Srantreich abwendig zu machen, vermindern solle. Wenn die englische Alianz für Preußen wirklich so vortheilhaft und so wichtig sei, wie komme es denn, daß man dies nicht Schon längst in Berlin eingefehlten, und pad König Wilhelm nicht lieber nachh MWindsor, als nach Compiegne gegangen? Habe Frankreich bis jegt Preußen zurückgehalten? Sei es die Schuld Frankreichs, wenn der unverträgliche Charakter, die hochmüthigen Ansprüche, das gewaltthätige Verfahren der englischen Politik die natürlichen Bande zwischen beiden Nationen gefodert, wenn der un bedeutendste Vorfall, wie die traurige Macdonaldgeschichte, eine wahre Sturmfluth von Noten und zermalmenden Neven über das preußische Kabinet herbeiführe? Was künne dagegen Preußen dem französischen Ehrgeize vorwerfen? Die Hinweisung auf das Sahr. 1806, das Schredensgespenst, welches die Phantasie der „Times“ am Rheine wie am Kanal verfolge, werde man in Berlin gebührend zu würdigen wissen. Preußen könne die englische Armee und Flotte, welche ihm die „Times“ so großmüthig zur Verfügung stelle, sehr wohl entbehren. Wenn zwischen Napoleon III. und Wilhelm I. ein Bündnis zu Stande kommen sollte, so würde der „Times“-Artikel sie nicht daran hindern. Aber der wirkliche Nöbelstand einer so aufrichtigen Sperade bestehe darin, daß er die Beziehungen zweier Kander gefährde, die ganz geschaffen seien sich zu verstehen und zu verständigen, nämlich die Beziehungen zwischen Frankreich und England, indem dadurch die Gemüther in Frankreich zu dem Gedanken gebracht würden, Yard Palmerston sei nicht der einzige Erbe der befragenswerthen Leidenschaften und Vorurtheile, welche vor 50 oder 60 Jahren die Politik Englands gegen Frankreich beherrschten. Man schreibt aus Posen, 6. Oktober : Die heute Nachmittag aus Anlaß des Matki Borki rozancewy od pust (Mutter Gottes Rosenfestablaß) flattgehabte Prozession hatte eine außergewöhnliche Menschenmenge nicht allein aus der Stadt, sondern auch aus den umliegenden Ortschaften herbeigezogen. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man die Maffe , unter welcher man die Hochgestelltesten polnischen Herren und Damen bemerkte, auf 5—6000 und darüber veranschlagt. Unter den Andächtigen waren Hunderte von Damen und Herren mit polnischen Abzeichen geschmückt. Diese Abzeichen bestanden bei den Damen in schwarzweißen Medaillen, Broden einen Kranz vorstellend, um welche die Worte „Gott fabe Polen“, so wie noch andere Inschriften eingravirt waren. Bei den Herren sah man außer der polnischen Tracht noch Bufennadeln, den polnischen Adler,oder blos den Adlertopf, oder das polnische und Kittbauische Wappen ıc. vorstellend, oder breite Gurte, mit großen Schnallen und Devisen, um den Leib. Ein Fahnenträger hatte die echt polnische Tracht angelegt, eine große, weiße, hohe, sieresige Muse, langen Rad und einen, wohl 3 Hände breiten, weißbunten seidenen Gürtel, was einen herrlichen Effekt darbot. Alles verlief ohne die mindeste Störung. Man steht deutlich, daß die kirchlichen Demonstrationen,, so ruhig , so gelaffen, so unbemerkt sie so rüberzugehen scheinen dennoch sehr bedeutend auf das Landdoch und die anderen Schichten einwirken. Aus WBarscbau, 59 M., wird der „RN. 3.” berichtet : Um Ihnen eine Probe von der Kühnheit der Agitationspartei zu geben, füge ich diesem Bericht eine gestern empfangene Einladungskarte zu einem Gottesdienste für Das Won des Vaterlandes in der Franziskanerkirche bei, der heute stattfand, und dem ich, als in Diesem Stadtviertel wohnhaft, pflichtmäßig beimohnen mußte. Wie Sie erleben , ist die lithographerte Karte mit dem Wappen von Kitthauen, Keusen und Polen verziert, und trägt im Rande die Inschrift: „Gott erlöse Polen“, und „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”. Solche Karten, mit den Emblemen der zukünftigen polnischen Republik, werden ungehindert an den Straßeneden angeschlagen , und befinden sich in Hunderten von Exemplaren in den Händen des Publikums. Bei der heutigen Andacht in der Franzissanerkirche war der Hauptaltar ebenfalls mit den auf der Karte befindlichen revolutionären Wappen geschmückt und die Trikolore prangte an den Wänden. Eine Anzahl in Genf anfüßiger Tranzofen hat gegen Die neulichen Berleumdungen des "Konstitutionnel" in folgendem Schriftstück protestirt : „Die zu Genf lebhaften Franzosen Habe mit Hein Erstaunen und mit dem größten eeden , 84 tuffonnel" vom 28. September gelesen. Dieses Journal enthält unter diesem Datum einen Artikel, in welchem die verachtungswürdigsten Verdächtigungen gegen die Bevölkerung de Kantons Genf Pas finden. Ueberzeugt, das, wenn wi einen solchen Artikel ohne Protestation vorüber gehen ließe wir die Verantwortlichkeit für eine Handlung, welche jede ehrenhafte Mensch von sich zurückweisen muß, auf uns haben würden, geben wir, die Unterzeichner, zu Genf niedergelassene Franzosen, dem „Konstitutionnel“ das feierlichste Dementi, und lehnen die Berleumdungen jenes Journals als für uns selbst beleidigend von uns ab; wir bedauern auf das Tebhafteste, daß man eine fehlende Lüge einer befreundeten Repelferung in das Gesicht schleudert, mit welcher wir immer in dem beten Einverständniß gelebt haben; mir erflaren, daß zu Genf inmitten der größten Freiheit die Ruhe und die vollkommenste Ordnung zu berriehen niemals aufgehört haben, und daß wir die Regierung Genf in jeder Beziehung nur soben künnen. Gegenwärtige Protestation soll an den Staatsrath Genf’s und an den französischen Konsul in Genf gefehidt werden, damit dieser unserer Regierung von ihr Kenntniß gebe, und sie in der royalen Presse der Schweiz, Frankreiche und des Auslandes zur Veröffentlichung gelange.“ Das Beispiel Paffaglias scheint unter dem italienischen Klerus zahlreiche Nachahmer zu finden. Das Mailänder Domkapitel hat bereits seine Zustimmung zu den Speen des Gegners der weltlichen Macht ausgesprochen. Der Klerus von Pistoja sol eine ähnliche Erklärung vorbereiten. Mehrere Geistliche, selbst Höheren Ranges, solen demnächst Broschüren von derselben Tendenz veröffentlichen. Man nennt insbesondere den bekannten Msgr. Liverant, Domberrn Realt, den Benediktinerabt Belli und einen Kardinal Migr. Chiesa. Eine Privatkorrespondenzg des ,‚Monitent‘’ aus New York stellt heute die militärische, wie die finanzielle Lage des Nordens in ein günstigeres Licht, als Dies bisher von den meisten französischen Blättern geschah. Es heißt unter Anderem : „In dem Marinedepartement werden die Arbeiten mit einer Energie betrieben, welche die Anklage gegen den Staatssekretär Herrn Welles zum Schweigen bringt. Oie zwei Monate vergehen, wird eine volständige Flotte von neuen Schiffen vorhanden sein. Am 20. September hat eines der neuen Kanonendote seine Probefahrt in der Bar von Newyork gemacht. Es wurde am 1. Suli in Bau genommen, ist 168 Fuß lang und hat eine Maschine von 300 S Pferdekraft. Es wurde nach 42 Tagen vom Stapel gelassen und war 21 Tage später vollkommen fertig. Es kortet die Regierung 88,000 Dollars, wovon 56,500 für das Schiff und 31,500, für Die Maschine. Am 28. Juni hat die Regierung den Kontrakt über 21 solcher Fahrzeuge abgeschlossen, und sie werden sämmtlich Ende September zur Verfügung stehen. Die öffentlichen Zeichnungen für das Ansehen gehen ausgezeichnet von Statten. Die Banken schießen ohne Bedenken 50 Millionen Dollars für Oktober und ebenso viel für Dezember vor, da ihr Baakvoriath eben ganz bedeutend ist, Asien, S DE. Bei stillem Geschäft wurden an der heutigen Vorbörse Kreditaktien von 182,80—183,20, Nordbahn & 20022004 begeben. Die Mittagsbörse war ebenfalls wenig lebhaft. Am Schranken wurden National um YıpEt, Banfastien um 1 fl. besser bezahlt. 5pEt, Metalliques, Steueranlehen, 1860er Lose unverändert, Pardubiser und französische Staatsbahn billiger im Handel, Baluten vertheuerten sich um 5% pCt, und namentlich sprach sich die Nachfrage in der Der sife London lebhaft aus. Kreditakten bis 183 gedrüht, besserten sich auf mannigfache Nachkäufe, Nordbahn blieben unberücksichtigt. Um halb 2 Uhr Börsenschluß besser: Kredit 183.40— 50, Nordbahn 2001—2002, Französische Staatsbahn 275,50, National 80.4050, London 138,80, Silber .137,50, preuß. Kassenanmeisungen 2,81%, Verantwortlicher Redakteur : Karl Weißkircher, Schnellpfeifenbruch von Ewit Müller, Dorotheagaffe Nr. 12, Pelt, 1861, — Verlag der Pelter Lloydgesellschaft, 4 {