Pester Lloyd, Oktober 1864 (Jahrgang 11, nr. 224-249)

1864-10-09 / nr. 231

­ — Kriegt­.Fepescheic deskpeflerxlayd. Wien,8.­Oktober.Preußen bietet einen Lande 18­­vertrag auf Grund der Prager Konferenzen und seine guten Dienste bezüglich des Weitfeld 31, gegen den Verzicht auf vertragsmäßiges Eintrittsrecht an. Wien, 8. Oktober. Ein Steueranlehen im Betrage von 30 Millionen wird nächster Tage aufgelegt. Die Nach­zahlung sol erst in drei Jahren beginnen, Wien, 8. Oktober. Aben­dbörse Krevitastien 177.80, 1860er Lofe 90.50,, 1864er Lore 81.40, Nordbahn 1885, Karl-Lud­­wigsbahn 238.75, Staatsbahn 201, flau. 39 Millionen Steueran­­leihe, sowie Armeeredaktion erwartet. Paris gerüchtmeife 65.50. von Berlin Kreditaktien 76, 1860er Lofe 767­, 1864er Lofe 461, Staats­­sohn 115.50, Zombard 712; von Frankfurt Kreditaktien 177,50, 1860er Rose 7714, 1864er Loje 801%, Staatsbahn 209 gemeldet. Zur Tagesgeschichte. Mefz, 8. Oktober. Im Batk­an ist Alles sehr verstimmt, den immer freundlichen und Heiteren Kardinal Antonelli ausgenommen. Bon Allen — schreibt der römische Korrespondent der „R. Ztg." unterm 1. b. — trägt der heilige Vater den Druck der Verhältnisse am Schwerten. Er zieht die Einsamkeit mehr als sonst der Unterhaltung vor, und selbst die unfehlbare Billard­­partie nach Tije verlor ihren Reiz. Mean sieht den heiligen Bater oft in ernste Betrachtungen vertieft. Es scheint, er über­­zeugt sich immer mehr, wie es bei der jenigen politischen Welt­­lage unmöglich ist, die verlorenen Provinzen dem heiligen Stuhle zurückzuerwerben, aber er­st auch eben­so sehr ent­­facloffen, nie darauf zu verzichten. Das Dilemma gestattet daher nur den Ausweg, abzubaufen und es seinem Nachfolger zu überlassen, ob er das heutige Patrimonium Petri als die far nonische Ausstattung zeitlicher Herrschaft der Kirche gelten lassen will oder nicht. In Wien ist man gleichfalls ob der Konvention miß­­muthig, schon aus dem Grunde, daß ihr Inhalt kaum zwölf Stunden­ früher dem Grafen N­echberg mitgetheilt ward, bevor ihn der „Monitenr" aller Welt “undgab. „Unter den soge­­nannten „katholischen" Mächten, hebt bie un. Fr. Br." mit Recht hervor, steht der „apostolische Kaiser” wenigstens auf gleicher Höhe mit dem „ältesten Sohne der Kirche” und die ganze, Jahrhunderte alte Nebenbuhlerschaft Oesterreichs und Frankreichs in Italien spiegelt sich in dem Vorgange ab, wel­­chen das Tuilerienkabinet mit Bezug auf den Septembervertrag gegen Desterreich beobachtet hat. Diese Thatsache ist am umb für sich für die ganze Situation in hohem Grade bezeichnen. — Auch der ministerielle „Botf“." kann seine üble Laune nicht verhehlen und beginnt seinen Leader mit den Worten : Der „Moniteur“ publizirt die frankoz italienische Konven­­tion und überhebt damit die französische Diplomatien der undanfbaren Mühe, sie von europäischen Höfen mitzutheilen. Wozu so viele Kopien dieser Konvention veranstalten ? Die Drudersshhwärze thut dieselben Dienste, und aus dem „Moniteur“ kann sich jeder unter­­richten, den die Konvention interessirt, der Duprier von Paris so gut, wie der König von Italien. Das­ heißt man die Diplomatie demo­ fratifiren , d. i. sie der höflichen Formen gegen alle Zene entkleiden,­­ welche z. B. an der Kenntniß der Konvention ein besonderes Interesse haben. Und daß die Konvention dem heiligen Vater doch etwas mehr Interesse einflößen muß, als etwa dem Landgrafen von Hessen-Hom­­­burg oder irgend einem anderen Eleineren oder größeren ‘Botentaten, wäre denn doch vorauszulesen. Aber sie werden Alle gleich behandelt ; ja, Frankreich ist das Land der Gleichheit ! Noch mehr als über diese verlegende Form der Mitthei­­lung wird man in Wien wohl davon affizirt sein, daß der „Depanteur" auch den mehr erwähnten Bericht des nun verab­­schiedeten Turiner Ministerium­s mittheilt , wo­­durch er die darin ausgesprochenen Motive auch sich aneignet. Der Bericht erhält Hiedurch um so größere Bedeutung, wir wollen daher, nun er vollständig vorliegt, seine wichtigsten Stel­­len hier folgen lassen : Aus den Verhandlungen und Berathungen des Parlaments über die römische Frage — heißt es nach der einleitenden An­­ftrage an den König — ergeben sich zwei Auffassungen, welche uns allen anderen vorzuziehen und der Regierung Eurer Ma Kat ‚als Norm für ihr Vorgehen dienen zu können k­einen. Die eine, daß die römische Stage pub moralische und nicht durch materielle Mittel gelöst werden müsse, denn in diesem Falle würde die Gewalt seineswegs die Schwierigkeit beseitigen . —­ Die zweite, das man im Einklange mit Frankreich vorgehen müsse, um zu erlangen, daß auch in dieser Frage das Prinzip der Kichtintervention seine Geltung behalte. Der Kaiser der Franzosen hat stets gewünscht, seine Truppen aus Rom zurückzuziehen , nicht nur weil dies mit den Grundfäßen des öffentli­­chen Rechtes übereinstimmt,­ Kraft welches er regiert und welches er mit den Waffen und der seine Politik in Europa aufrecht erhalten hat, sondern auch weil Italiens Wiedergeburt, zu der die französische Nation mächtig beigetragen hat, eine der größten Ruhmes­­t­aten seines Reiches sein wird. Ein solches loyal gegebenes und fest aufrecht erhaltenes Ber­sprechen negirte, nach unserer Ansicht, seinesweg­s die Nechte und die Bestrebungen der Nation, fon den es halt fest an der Ansicht, hab man mit mora­­lischer Kraft und mit allen Mitteln, welche die heutige Lefit­­zung dem Triumphe der liberalen und nationalen Ideen barbiert, die Vermwirklichung dieses Zieles anstreben müsse.. Die auf Venedig und die, Berlegung der Haupt­­stadt nach Florenz bezüglichen Stellen' lauten :­­ Während nun die Regierung Em. Majestät sich mit der­ römi­gen Frage beschäftigte, vergaß sie nicht die venetianische Frage. Oesterreich behauptet im Venetianischen eine der festesten und lübarten Stellungen, welche die Natur und die militärische Kunst gebildet har­ben, und sein Heer wetteifert an Zahl, an Tapferkeit und an Rüstun­­gen mit den formidabeliten in Europa. Und wenn es in diesem Augenblicke nicht das Königreich Italien bedroht, so könnten sich jedoch Allianzen bilden und Eventualitäten entstehen, deren Gefahren man nothwendiger und dringlicher Weise vorbeugen muß. Stalin hatte sic kaum unter dem Szepter der Dynastie von Savoyen bereinigt , als Em. Majestät vor Allem die Einführung eines allgemeinen Bertheidi­­gungssystemes des neuen Königreiches ins Auge fachtat. Denn Em. Majestät urtheilen ganz richtig, daß in anderer Weise eine wahrhafte, nur nur militärische, sondern an politische Unabhängigkeit nicht zu erzielen sei. 63 war daher auch augenscheinlich, das das Vertheidi­­gungssystem, das aus den Verhältnissen des alten sardinischen Staa­­tes fr­ eigab, nicht mehr das System des­ neuen Italiens sein könne. Oesterreichs Position und die Annäherung der Französischen Grenze durch die Vereinigung Savoyens mit Frankreich ehelichten, daß der­eit der Regierung, welcher in den modernen Kriegen von so großer Wichtigkeit it, nur eine noch größere wegen der segiellen Verhältnisse Italiens haben würde, von Turin nach einem anderen geeigneteren Orte verlegt­­ werde. F 63 war nun evident, daß unter den vorzüglichsten Gräbten des jegigen Gebietes des Königreiche Florenz sowohl vermöge seiner topographischen Lage, als auch, weil es von dem Po und den Apenni­­nen geb­üßt ist, die günstigsten Bedingungen barbot. Dies wurde von den höchststehenden Generalen der Land- und Seearmee, welche von Ew. Majestät zu Nathe gezogen wurden, anerkannt, und es stand außer Zweifel, da­ auf dieser Basis die von Ew. Majestät verlangten allge­­meinen Pert­einigungsmaßnahmen festgestellt werden müssen. Diese Thatsache hält sich überdies, wenn auch der innere Gründe motivirt, streng an den Xraftat, dessen Abschluß dadurch erleichtert und möglich gemacht wurde. Denn nach außen hin, namentlich Frankreich gegen­­über, ist er ein Argument und eine Gewähr unseres festen Borlakes, der Anwendung gewaltsamer Mittel gegen das B­AAA ‚zu entsagen. Ein anderes ha dieser Zhatiahe wird sein, daß die Wirkung der moralischen Mittel sich in Rom um so schneller zeigen wird, je größer die Nähe des Sikes der Regierung ist, je häufiger die Beziehungen , je älter und inniger die Vereinigung der Interessen und der Gewohnheiten sind. Wird mun noch jemand von einem Verzicht auf Rom sprechen, den Viktor Emanuel durch die Konvention eingegan­­gen wäre ? Aus Berlin wird vom 7. telegraphist: Bis­­mar­d folgten zwei Nüthe, Abefen und Keudell, nach Paris. Der König unterhält von Baden aus mit Bismard und Golk regen D Verfehr. Bismarc erklärte Herrn von Ahlefeldt , daß Preußen die Augustenburgische Kandidatur günstiger ansehen merde, wenn dort ein Umschwung der Bolitis erfolgte. Dieser Umschwung scheint vorbereitet. Die offiziöse Presse führt fon eine veränderte Sprache. .—­ .—.. | ! ! | Der Bericht erwähnt Hierauf, wie die Regierung nipts | der Hand hält ; dies Verhältnis würde nur doch Kombina- Anderes thun konnte, „als das Gebiet nicht angreifen, welches | tionen, die außerhalb aller menschlichen Berechnung Liegen, der die französischen Truppen befest­hielten, und zugleich vegin­­|’ ändert werden künnen ; nach der bereits erreichten Befestigung denn, daß irreguläre Banden es vom Gebiete des Königlichs aus überfallen" , fügt aber sogleich hinzu : | | der eigenen Macht bleibe ihm als zweite Aufgabe die B­efesti­­gung seiner Dynastie, und es handle sich für diesen med zu­nächst darum, die brennenden Fragen Europas dergestalt geord­­net zu hinterlassen, daß jede Chance eines Krieges, welcher zur Koalition gegen Frankreich führen konnte, ausgeschlossen bleibe. Die Konvention vom 15. September­­ schließt das Bismard- The Organ — soll den Utopien Italiens ein Ziel gefett ha­­ben und es würde nun der Kongreß , der die neue Ordnung der Dinge in Europa zu fonsolidiren bestimmt wäre, viel grö­­ßere Aussichten auf Erfolg in einem Augenblice befigen, wo derselbe auch in Italien dauerndere und verbürgtere Zustä­nde als Basis vorfindet. Nach der inzwischen bekannt gewordenen Depesche des französischen Ministers an den Grafen Sartiges und der Pır­­blisation der Turiner Regierung ist zwar den „italienischen Utopien" nicht so ansprüchlich ein Ende gefeßt, im Batk­an will man sogar finden, daß ihnen nun erst recht Thir und Thor geöffnet sind. In dem Augenblice, wo Kardinal Anto­­nelli die Möglichkeit, daß der heilige Vater, an seine Some­ränität sich erinnernd, die Unterfrügung einer andern, nicht­­französischen Macht anrufen könnte, durchblichen läßt, scheinen die Zustände in Italien auch nicht jene Aussichten zu eröffnen, in welchen das preußische Blatt die günstige Vorbedingung für den Kongres findet. Daß beim Hinblick auf die Konvention die Kongresidee sich wieder von selbst in Erinnerung bringt, bleibt aber nichtsoestum weniger sehr begreiflich ; ja, sie drängt sich um so stärker hervor, je weniger man geneigt ist, in dem Beitrage eine Schranke für den Ehrgeiz Viktor Emanuel’s zu erkennen. Napoleon III. hat Europa nicht daran gewöhnt zu glauben, daß er Pläne, mit denen er einmal hervorgetreten, nach dem ersten Mißerfolge so leicht gänzlich fallen lasse. Die feierliche Art, womit er von Frankreich und Europa den Kon­­greß als das einzige Heilmittel zur Beruhigung unseres Telt­theils ankündigte, und die Schritte, die er hierauf gethan, seine Schreiben an alle Souveräne, — er wird das Alles schwerlich als abgethane Dinge ansehen und in die Rumpelkammer sei­­nes abgenügten politischen Hausr­ab­es geworfen haben. Seine Empfindlichkeit für die Ablehnung seiner Einladungen hat er bereits, aber in anscheinend passiver Weise, deutlich genug mar­­ifestirt. Im seiner Natur lag es aber auch, einen Moment und eine Lage herbeizuführen, die ihm thatsächliche Satisfaktion für die erfahrenen Kefüs’ bieten oder einer möglichen Wieder­­anregung des Kongreßprojektes Nachbruch verleihen konnte. Beides scheint durch den neuen Vertrag vollauf erreicht. Dieser hat den französischen Kaiser wieder als Meister der Situation ertwiesen , und das Schauspiel, das fs nach Bekanntwerdung der Uebereinkunft darbietet, die Wahrnehmung, welche Unruhe auf einmal, wie über Nacht gleichsam, der alten Europa in alle Glieder gefahren, in Folge eines Stücks Papier, das doch scheinbar an dem Status quo gar nichts geändert, das weder einen Soldaten in Bewegung gelegt, noch ein Schwert aus der Scheide fahren gelassen ; Dieses Schauspiel scheint aller­­dings dazu geschaffen, das Kongreßprojekt wieder vor Augen zu stellen, als dasjenige Mittel, von welchem­­Berjüngung der alten und Festigung der neuen Ordnung der Dinge zu er­warten wäre. Ob es Napoleon mehr darum zu bhat, in schadenfreudigem Ergeten an der Verblüffung Europa’s seine Genugthuung zu suchen und durch einzelne gelungene Manöver ein augenblicliches Supremat darzuthun, oder allen Ernstes die Weltlage definitiv durch einen großen europäischen Areopag regeln zu lassen ? Darüber können wir seinen Augenblick im Zweifel sein. Er will das Letter: Sene ersteren Erfolge kommen im besten Falle nur ihm persönlich zu Gute, der andere Weg seiner Dynastie. Napoleon versteht sich auch gut auf den Werth moralischer Erfolge, und als ein solcher, wer höher zu schären als eine siegreiche Schlacht muß es ihm gelten, wenn Europa, wie jet vor der Wiener Alte, so später von dem Pariser Kongreß die Nera seiner Politik dativen wollte. Die feierliche Sanktion, die Europa Dingen und Zuständen gebe, die nun einmal fertig und die Napoleon geschaffen, müßte es diesem erleichtern, Fra­­gen fallen zu Lassen, die für ihm selber eine Verlegenheit ge­­worden , deren £ajt er sich vielleicht von ganz Europa gerne abnehmen ließe, während heute jedes Zurü­ctweichen vor dieser oder jener Allianz innerhalb der Pentarchie, ihm ein Schlag gegen sich und seinen Nachfolgern wünfen muß. Das Zustande­­kommen eines Kongresses wäre ein zu bedeutender Sieg, um ihm nicht bezüglich der einzelnen Friedenspunkte zur größtmög­­lichen Willfährigkeit zu stimmen. Io aber wirklich das Kongreßprojekt heute feiner Neali­­ Die Kongresidee Met, 8. Oktober. Die französisch-italienische Konvention vom 15. Septem­­ber hat eine neue Weberschrift erhalten: Die Einladung zum Kongreß. Preußische Offiziere sind es vorzüglich, welche sich diese Auffassung angeeignet haben, die auch von einem Theile der Wiener unabhängigen Liberalen Presse getheilt wird. Auf­­fallender Weise erscheint dies den Wortführern der beiden hier bezeichneten entgegengefegten Nichtungen gleich sehr als die wünschenswerthafte Bedeutung der vielbesprochenen Konvention, und der Kongreß als der geeignetste Weg, ferneren und grö­­ßeren Verwichlungen zu entgehen. Besonders bemerkenswerth ist hiebei der Ton , welchen das preußische Negierungsorgan dem Kaiser Napoleon III., dessen Regime und Dynastie gegenüber anschlägt.. Kiffingen und Karlsbad sind da mit einem Male weggespült ; das angebliche Wort Gottscharoff’s, daß es nur noch eine Napoleon’sche Frage gebe, wird aufs Dilatanteste begr­avouirt. Die Hoffnung, mit welcher sich die Gegner der Na­­poleoniden lange Zeit getragen , „daß die kaiserliche Ddynastie unter ihrem gegenwärtigen Chef, sei es durch die Revolution, sei es durch eine Koalition, zusammenbrechen könnte", diese Hoffnung erklä­rt nach dem Geständniß der „Norbd. Allg. 3." nicht mehr. Der Thron des Kaisers erscheint ihr unbestreit­­­­bar auf so lange Zeit gesichert , als er selbst das Szepter in firung näher als im Dezember des vorigen Jahres? Der Kongreß, den Napoleon im Sinne hatte, sollte sein Kongreß ad hoc oder ad haec, nicht für eine oder einige bestimmte Bragen sein. In der Spee Napoleon’s sollte er : Reliision der Wiener Afte, die Basis der fünftigen Zustände Europa’s bedeuten. Wir zweifeln aber, ob für einen Kongreß in diesem Sinne die Geneigtheit der übrigen Mächte erstarrt sei. Wir haben zwar, wir gestehen es, seiner Zeit nicht ganz begriffen, warum der Kongresplan gerade von England die schroffste Abweisung erfahren hat, von England, das die Ionischen In­­seln an Griechenland abgetreten, das, mit Ausnahme Gibral­­tar’s, seinen materiellen Befitstand bei einer Diskussion der europäischen Charte am wenigsten in Frage gestellt zu sehen­­ ber auch . Seinem befreundeten Rußland entgegen, eine po­nische Frage auf dem S Kongreffe zur Sprache bringen lassen? oder wäre gar Rußland hiezu einverstanden ? Das aber ist der Punkt, welcher zumeist geeignet, den Glauben an einen Kongreß nicht recht aufkommen zu lassen. Die Kongreßidee ist aufgetaucht, vorzüglich unter dem Eindruck der damals noch nicht erloschenen polnischen Neno­­lution. Die großmächtlichen Noten, die sechs Punkte waren noch in Aller Erinnerung , der Revolution mochte von mancher Seite noch einige Lebensfähigkeit zugemuthet werden. Rußland wollte diese Frage nicht nur nicht von den Kongreßmächten, sondern nicht einmal von allen Großstaaten inrefutiven Lasten. Sollte dieses Rußland heute, wo „in Warschau Aue herrscht" geneigter sein, die polnische Frage vor den europäischen Richter ítuk­ zu bringen ? oder ,sollte Napoleon, der Bolen als fla­­granten Beweis ansah, „die Verträge mit Füßen getreten werden”, nun auf Erörterung dieser einen Frage verzichten und somit seinerseits feierlich dag „Finis Poloniae" auszusprechen erbetig sein? — Der Kongreß ohne polnische Frage wäre Berleugnung der ursprünglichen Idee, ein Stüdwert, eine halbe That, die dem Urheber nicht nur den gewünschten Triumph nicht bringt, sondern den Werth­beg Uebungen versümmert, und allen moralischen Erfolg in Frage stellt.­­­­­­­­­ Ungarisches Bodenkreditinstitut.­ ­ Die Ueberwachungskommission des un­­garischen Bodenkreditinstitutes hat Anfangs Oktober 1864 die in den Punkten b), c) und d) beg §. 25 der Statuten vorge­schriebene vierteljährige Revision der Karsen und Bücher vorge­nommen, und veröffentlicht das Resultat in Folgenden : Am 30.September 1864: 2. Wechselvorrath . . . . . 7. Blei Geldinstituten auf kurze Kündigung an­­geegt. . . . . . . . 4.Hypothekar-Darlehen auf einen statutenmäßig festgestellten Bodenwerth von 30,872,948fl.77 kr.,und zwar: a)1356 Darlehen in Pfandbriefen(auf einen Bodenwerth von 23,537,447fl.16kr.).7.902,816,,32» b)76 Darlehen in 10jährigen Rentenscheinen (auf einen Bodenwerth von 3.493,161 f­.66tr.) 629,250 , 95 , 520,000 ,— 1. Rassenbestand . 45,084 fl. 31 fr. 477,430 „ — " — Englische Zigeuner, I. Br]. London, im Oktober. Eine der interessantesten Zi­­geunerkolonien in Großbritannien ist die zu Vetholm oder viel­­mehr Vetholm selbst , gelegen auf einem streitig gebliebenen Yand­­strig an der Grenze von England und Schottland. Es ist dies die Grafschaft Berwic. Im Mittelalter wurden blutige Gefechte von beiden Seiten geliefert, um den Befigtitel festzustellen. Zehn­­mal fiel sie in englische Hände, zehnmal in die­ser Schotten und bis auf den heutigen Tag ist die Frage unerledigt geblieben, ob­­wohl seit der Union beider Königreiche , ohne politische Berentung. Berwid liegt am der Nordsee oder am­ deutschen Ozean, wie man sie in England heißt, am Ostende jener Hügelreihen, welche die Grenze bilden und quer durch das Land nach dem irischen Kanal an der Westseite sich erstreden. Die fünlichen Abhänge heißen die Cheviothigel, gefeiert in jenen uralten Nomanzen von der Che­­viotjagd und historisch berü­chtigt von den Tagen Nobin Hook’8­68 zu den letten Stuarts hinab als das Gebiet der Ritter und Abenteurer des Fanftrechts, der sogenannten „Moostrupper”, Die Alles, was von einem Königreich in das andere zu pasfiren hatte, für gute Beute erklärten. Als die Maleresse Brigands begnügten sie ih nicht mit der eindrucksvollen Phrase „Steh und überliefere !" sondern machten auch im den Bruderkriegen und Parteifehden je nach Laune oder Profit gemeinsame Sache mit den Streitenden. ‚Sie waren die Boltigeurs und Plänfler in Wald und auf moo­­siger Halde , aber im Frieden wurden sie von den bisherigen Freunden mit derselben Bereitwilligkeit gehängt oder getöpft, als Raubritter und Gauner, als hätten sie nie von demselben Kom­­misbrod im Soldatenlager miteinander gegessen und aus denselben Steinbecher getrunken, _Ueberfälle von Schlösfern, Branpfchaten von Dörfern, Weilern oder einzelnen Hofstellen prangten im far Tender ihrer „Exnten". Noch heute ist dies Grenzland weniger bebaut als andere Theile Englands. Der Romantitel „riecht" soz­zusagen hier „Walter Scott". Hundert Hügel, hundert schmale Thäler, mit Moos und Haide gefüllt, wie Blumenfarbe voll Im­­mortellen, die man im Zimmer pflegt, einsame Mühlen, stille, hohe Baumgruppen, dichte Heden, die meilennweit die „Liebesgaffen“ (love-lanes) einfassen. in der­ ganz England üblicher Name für jene zahllosen grünen Hedengaffen , welche die Felder durch­kreuzen und leidet nicht nur freundliche stile Promenaden für das füge­leshwäg Tiebender Paare, sondern auch wohl ein will­om­­menes Versted für Wilddiebe, Haiveläufer, Bettler und Heimath­ Lose jener Art bieten, wenn diese auf der „Ausschau“ begriffen. Hin und wieder fegt eine rasende Fuchsjagd über die Hügelsuppen, oder der siehst auch wohl eine elegante junge Nesterin vom baum­­umgrünten Schlosse aus, der Walter Ecottichen „Diana Debalbiz ftone" gleich , im wallenden Heitkleid und schwingenden Federn, über die Zäune fegen und ins Blaue der Ferne hineingaloppiren. "Ins Blaue, sage ich recht eigentlich. Denn über diesen Landschaf­­ten schmebt jene unbeschreibliche offianische Dämmerung , jener bläuliche Nebel­dunft, vor Waldgebieten, Hügellandschaften, ja auf geringe Entfernung von den Parks im Herzen Londons einen eigenthümlichen Zauber­ verleiht. Mit ihrem merkwürdigen Sinn für landschaftliche Ein­­samkeit und romantische Yage wählten Die Zigeuner Grenzschott­­lands von je an diesen Hügelgürtel zu ihrem Wandergebiet. Ge­­rade hier, wo noch heute das „alte Crenzermejen" im Gemüsche der Bevölkerung lebt und fast jeder noch im Gedächtnis hat jene alten immer wechselnden Demarkationslinien von „Mein und „Dein“, Prozesse um Grenzsteine und Aderlinien von den Bauern den Monofaten in zahlloser Menge zugetragen werden, da fühlt der Zigeuner sich am wohlsten. Hier ist sein Königreich, denn in Vetholm wohnten die Zigeunerkönige seit drei Jahrhunderten. Ungefähr sieben Meilen westlich von der Stadt Kelso wohnen die Zigeuner in großen Schaaren, in Vetholm, einem beträchtli­­chen Hleden mit weitem unter ihrer Obrigkeit stehenden Wande­ringeum. Dieser Heine Staat im­ Staate wurde ihnen durch Ja­mes V., König von Schottland, in einer Schenkungsurkunde ver­­macht und alle Anerbietungen, ihnen anderswo Landesstreifen in Austausch zu geben, hatten seinen Erfolg. Mit einer Zähigkeit, die bei Nomaden erstaunlich ist, kleben sie an dieser Scholle, als den Zentrum für ihre wandernden Trupps im ganzen vereinigten Kö­­nigreiche. Um Yetholm herum Lagern sie in Zeltreihen während des Sommers, denn nur einige hundert sind seßhaft in den Häusern des Flecens. Hier weiden sie ihre zahlreichen Vierherden , sind Eigenthümer festen Grund und Bodens und haben ein Diodez­­königthum für sich selbst. Es ist eine reizvolle Wandschaft , der Geologe und der Botaniker haben oft lohnende Ausbeute hier ge­­funden, und die forellenfischenden Lords und Sportömen wisfen seine bessere Angelstelle als an den Ufern der drei Flüßchen Bomw­­mont, Kale und College-Water, die durch das Zigeunergebiet sich in mäandrischen Windungen schlängeln. Natürlich­ müssen sie das Recht zu diesem Sport von den bumfelbraunen , s­chwarzlockigen Landherren erlaufen, welche im Widerspruche mit ihrer „National­­geschichte“ jede präzise Eigenthumsbegriffe entwickeln. Hier erscheint Alles romantisch und seltsam , und die Schönheit von Berg und Thal ist grambios und dem Beichauer unvergeßlich, selbst wenn er, wie ich, auf seiner Wanderung kurz vorher das Gebiet der Hundert Seen von Westmoreland besucht hat, das der Dichter Worksmorth einst in seinen lieblichen Yo­llen vereinigte. Das Land ist noch nicht allzusehr von Touristen abgesuc­ht, und wer Nordengland bet­reift und einmal die Fabrikfhornsteine vergesfen will, die ihn von Birmingham, der Stadt der Amboise, bis nach dem Norden wie armlose Wegweiser begleiteten ; wer ein Mal ein paar Tage lang in Nomantis schwelgen will, ohne anderes Wuchergepäc, «als den Offian oder eine Novelle von Walter Scott, dem empfehle ich eine Tagereise dur Netholm’s Gebiet und eine Nachtherberge im­­ Bilug." Auch Ihre Majestät die Zigeumerkönigin ist nicht geigig mit ihren Ambienten, obwohl die Besuche von Xorbs und Lapies, in Equipage und mit gepulierten Bedienten auf dem Wagen tritt, die an solche auszeichnende Neugier gewöhnte „Herrscherin“ ver­wöhnt haben sollten. Aber ein Nänzel und ein Wanderstof geben sei­­nen Anstoß im „Palais“ der Königin der Gypsies, des Wanderwolfes. " „Hirten und Wanderer sind immer Gottes Lieblinge gez wesen !" erwiederte mir Ihre Majestät auf die Entfeiuldigungen wegen meiner unhoffnügigen Toilette. Sie sprach diese Worte nicht mit dem Tone, in welchem solche Phrasen als Gesprächsaushilfen passiren, sondern mit tiefernsten Gesicht und einem wehmlu­higen Lächeln , einem Witwen lächeln, möchte ich e8 nennen. Sie war in Trauer gefreivet. Und er war Trauer in ganz Detholm, denn erst vor Kurzem war der Zigeunerkönig, „Charles der Erste" ver­­la­heren und sie mal zurü­dgeblieben eine hochbetagte Matrone, „Gott hat die Wandernden feh", wiederholte sie, „und darum hat er ihn zu sich heraufgehoben. “ Er war ein guter Mann !" Mir fielen Claudius’ Zeilen bei diesen langsam gesprochenen Worten ein : „Sie haben „Da einen guten Mann begraben, a Dodd­ mir war er mehr!” Sie reichte mir stumm einen Zeitungsausschnitt, der auf einen seltsam verzierten Pappbogen gefiebt war und faltete ihre Hände über einem Gebetbuche, während ich las. Es war ein Artikel aus einem in Berwid erscheinenden Journal. Hier die Kopie : „Es ist nicht Recht, daß Einer, der so hoch erhoben war über feine Stammesgenossen, wie der Zigeunerkönig von Netholm, in die Erde bestattet werde ohne ein Wort des Lebewohls über seinem Grabe zu sprechen, besonders wenn seine Regierung friedlich­ war und von seinem räuberischen Charakter. Ungleich der mancher feiner monarchischen Zeitgenossen, war seine Herrschaft so milde, daß seine Unterthanen nicht nur eine ehrerbietige Loyalität ihm gegenüber beobachteten, sondern ihm mit Zärtlichkeit ergeben waren.“ S­ie waren alle gute Männer von John Fam, Lord und Earl von Klein-Eglipten an ! unterbrach die alte weißhaarige Zigeumerin meine Lektüre. Ic la8 laut weiter. — „Seine exemplarische Gewohnheit fic) jeder Einmischung in andere „Neic­e“, und jede Eroberungsgelüste in Betreff anderer­­ Mächte zu enthalten, erwarb ihm Freundlichkeit und ejpert bei anderen „Potentaten.” Ich hatte Mühe ein Flächeln zu unterbiüden, denn ich be­­merkte, daß die Alte den Scherz der Stron­e als bare Münze hinnahm und ich hätte um seinen Preis Fränsen mögen. — „Während sein königlicher Charakter und seine Auffüh­­rung so musterhaft waren, gewann ihm seine Herrschermilde die Ehrfurcht Aller, die ihm gehorchten. Sein Palast war ein Haus des Besuches für viele Touristen und die Unterhaltung des alten Königs war allgemein beliebt und gesucht. Seine bemerkenswer­­thaften Gewohnheiten bestanden im efen der heiligen Schrift und im­­ Tabaffauen, und er erhielt große Duantitäten dieses Krautes von seinen Besuchern. Der verstorbene König trug den Namen Charles der Erste, — indem er der erste dieses Namens aus seiner Familie war, der den Thron innehatte — und erreichte das hohe Alter von 86 Jahren. Ein zahlreiches Gefolge begleitete seine sterbliche Hilfe zum Grabe auf dem Kirch­­hofe von Metholm. Es wird angegeben, daß der König seinen Thronfolger hinterläßt und daß die Monarchie eine Wahlmonarchie sei. Dem ist nicht so. Unzweifelhaft ist die Zigeunerfrone erblich und des Königs Tochter, eine Lady von guter Gesundheit und milden Wesen, führt den Titel Exbpringef ein und hat Ansprüche auf die Krone nach dem Ableben ihrer Mutter. Die Negierungs­­weise eines Zigeunerkönigs oder Königin — denn das falische Geiet ist nicht anerkannt — ist mehr patriarcjalisch als königlich, ist hochgefrägt und die Würde des An­tes findet freiwillige Popa­­lität überall. Die äußeren Insignien und Privilegien — wie ein Balast, ein Hofstaat, eine Krone und Hermelinrobe — existiren nicht. Ein solcher Monarch ist und trintt und logirt nach der frugalen Weise seiner geringsten Interthanen, und verschmäht «8 nicht bei Haus und elvarbeit mit Hand anzulegen.‘ Als Hätte sie ihren Text aus gesprochenen Gewanfen noch nicht zu Ende gedacht, wiederholte sie dieselben Worte noch einmal mit langsamer Betonung, halb zu sich selber redend : — „Sie waren alle gute Männer von John Faw, Lord und Earl von Klein-Egypten an!" Sie hatte dabei ihre Augen auf die gegenüberstehende Wand geheftet. Ich folgte dieser Nichtung und bemerkte einen breiten verwitterten Goldrahmen, der ein Pergamentblatt umschlug. Es war alt, gebräunt, rauchfarben, und zeigte eine Schrift, offenbar aus alter Zeit, in jenen großen, schweren, trägen Zügen, die so verdrießlich, aussehen, wie das Gesicht des Schreibers ge­wesen sein mag, wenn es die verkriegliche Mühe der Schreibefunft in jenen Tagen auszuüben hatte, wo man eben so „ungern Zinte vergoß, wie man ,gern" den Degen als Fever gebrauchte und Menschen­­gesichter als ein Schreibealbum. Bei näherer Besichtigung nahm ich die Jahreszahl A. D 1594 wahr und darunter „Writ of privy seal" („Geheime Kabinetsordre”). Eine Zeile ist mir im Geächtung geblieben. Sie lautete : „Bestätigt Sohn Jam, Lord und Earl von Klein-Egypten in der Ausübung der Gerichtsbarkeit über seine Kompagnie, gemäß den Geferigen Egyptens." „Die Rückeite stehte im Rahmen und somit konnte ich nicht die Signatur des schottischen Großsiegelbemahrers seien. Zwei Zoll tiefer hing ein anderes Pergamentblatt, die Reife enthaltend : Gott jhiet uns was uns Noth im Leben ! Uns fümmert nur, wie Er es meint, Denn Menschen können wenig geben, Gott selbst ist des Zigeumerd Freund ! Lieber Leser! Hast Dun je, wenn du die unter „Raritäten" befunden, die du nirgendwo auf der Welt wieder ein anderes Mal zu Gesichte zu bekommen meinst, jene eigenthümliche Negung verspürt, die ich mit „Literarischer Gefräßigkeit" — sehr grob, aber zweifelsohne deutlich — bezeichnen möchte? Ich begriff in jenem Momente den Enthusiasmus eines Bibliophilen, der ein Vermögen in Elzioiid anlegt, wie ein Holländer lag feine in Hyazinthen und Zwiebeln. Da lag vor mir ein Häuflein Zigeunerbliher , auf einem Edtijúdien — die meisten in schwarzledernem Einband und viel zerlesen, wie es sdhien. Was hätte ich darum gegeben, diese alten Scharteien mit weiße Buchblättern zu fünnen. Wie waren, wie ich mich im­ Fluge überzeugte , sämmtlich in englischer Sprache, größtentheils biographischen und poetischen Inhalts. Das Datum gehörte meist dem vorigen Jahrhundert an, nur eines war so neu, wie 1842, eine Sammlung von Wolfserzählungen über Zigeuner und Zigeunerlehen. Hatte ich schon Zeit gefunden , mir die Nummer des Zeitungsblattes, welches den Netrolog des Zigeu­­nerkönigs enthielt, in meinem Notizbuche zu verzeichnen, und sogar jenen frommen Zigeunerspeuc in aller Haft gestribelt, so war ich auch Fühn genug, hier, wo seine Ga­fette verlangt wurde , es mir in einem alten Armstuhl bequem zu machen. Ich beruhigte mich mit der Beobachtung, bag die Alte, mit Der Bergerlichkeit,, die hoz dem Alter eigen, fich mutterfeelen allein meinend, ihr Gebetbuch, aufgeschlagen und, mit dem weitsichtigen Brillenauge die Blätter übergleitend, halblaut zu sejen begonnen. Ich fließ auf eine kleine Erzählung , überschrieben : „Von unserem guten König Georg." Hier, mas ich fopirte, |

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