Pester Lloyd, Mai 1887 (Jahrgang 34, nr. 119-148)

1887-05-01 / nr. 119

. RN Budapest, 30. April. Zwischen dem Organe des Ddeutschen K Reichskanzler-Amtes und einem für offizidg gehaltenen rufsischen Blatte müt­et seit etwa ach Tagen ein Rettungskrieg, dessen Heftigkeit noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint. Bon ruffi­­fer Seite wird gegen Deutschland der Vorwurf erhoben, daß die Mißerfolge, welche die erstere Macht auf dem Ber­liner Kongresse zu erleiden hatte, ihren eigentlichen Grund in der damaligen unfreundlichen Haltung Deutschlands gegen Naßland hatten, während Desterreich-Ungarn, von Dentsche­land unterstüßt, ohne Schwertstreich die — wenn al einst­­weilen nur thatsächliche — Besigergreifung von Bosnien und der Herzegovina als Errungenschaft von diesem Kon­­gresse heimbrachte. Dagegen bemerkt die „Norddeutsche Age­meine Zettung", der Berliner Kongreß sei „nur auf Rußlands Verlangen berufen worden und Deutschland Habe auf demselben jeden Wunsc, den Rußland überhaupt geäußert hat, befürwortet und Durchgefeßt" ; bezüglich Bosniengs und der Herzegovina — so behauptet das Kanzlerblatt — hätten zuerst im Jahre 1876 zu Reichstadt bestimmte Verabredun­­gen stattgefunden und dann sei im Jänner 1877 ein­ forme­ler Vertrag zwischen Rußland und Desterreich-Un­­garn abgeschlossen worden, welcher sich Hinterher im Jahre 1878 in Berlin „nicht mehr rückgängig machen ließ" , wenn also Desterreich-Ungarn, wie das russische offiziöse Blatt jagt, der Bevölkerung von Bosnien und der Herzegowina „statt des türkischen Faches sein eigenes aufgebürvet” Habe, so sei ihm hiefür nicht im Jahre 1878 in Berlin, sondern in den Jahren 1876 und 1877 in Wien und Buda­­pest die nöthige Unterftügung, und zwar geradezu von ruffischer Seite — namentlich durch Vermittlung der Herren Ignatieff und Obrutscheff — zugesichert worden ; es hätten sich also Oesterreich-Ungarn und Rußland, lang ehe an eine Berufung des Kongresses gedacht worden, über die Bewegung Bosniens und der Herzegovina geeinigt und der Preis, den Oesterreich bezahlte, habe darin bestanden, Daß es der Darauf folgenden militärischen Aktion Rußlands im Balkan stillschweigend zusah .. . Cs liegt durchaus nicht in unserer Absicht, uns in diesen Deutschrussischen Zeitungskrieg zu mischen ; die offi­­ziellen Organe in Berlin und Petersburg und Diejenigen, welche Hinter ihnen stehen, mögen ihre Heinen oder großen Bwistigkeiten austragen, wie es ihnen beliebt, und wenn man sich bei dieser Gelegenheit in Berlin wieder einmal überzeugt, in welcher Weise die „thurmhohe” Freundschaft Deutschlands für M­ußland von diesen Lekteren ermwrdert wird, 10 kann uns Dies nur angenehm sein. Wie jedoch aus dem­­ Vorstehenden ersichtlich ist im Verlaufe dieser Polemik ans auf einige uns­ehr nahe berührende Thatsachen Berufung geschehen, und zwar in einer Weise, welche der Historischen Wahrheit Durchaus nicht entspricht. Diese Thatsachen in ganz objektiver Weise richtigzustellen, dürfte uns nicht mir gestattet sein, sondern wir glauben damit geradezu eine Pflicht zu erfüllen. Zunächst mit den Thatsachen im Widerspruc stehend ist die Behauptung — und wir bedürfen einer Richtigstellung derselben für unsere weitere Beweisführung —, daß Der Berliner Kongreß „ausschließlich auf Ber langen Rußland 3" einberufen worden se. Die Initiative in dieser Bezieh­ung wurde im Gegentheil von Desterreig-Ungarn ergriffen, während der diesfällige Vorschlag von Neußland nicht ohne Widerstreben acceptirt wurde. Am 5. Feber 1878 lud Graf Andrasfy Die europäischen Mächte zu einer Konferenz in Wien, „um die Ueber­einstimmung Europas bezüglich jener Veränderungen herbei­­zuführen, welche doch Die Friedensbedingungen zwischen Rußland und der Türkei (San Stefano) in Bezug auf die Verträge von 1856 und 1876 notwendig sein könnten”. Schon am darauffolgenden Tage erklärten ss die Mächte zur Befhidung einer solchen Konferenz bereit, wollten jedoch Die Frage, ob dieselbe in Wien stattfinden sollte, einstweilen offen Taffen. Am 7. März änderte Graf Andräffy die Aufforderung zu einer Konferenz in die Aufforderung zu einem K­ongresfe der leitenden Minister in Berlin um, Rußland hätte irgend­eine kleinere Stadt gewünscht, allein Graf Andräffy beharrte darauf, daß der Kongreß in Berlin zusammentreten solle. „Die öster­reichisch-ungarische Negierung ist der Ansicht, hieß es in der diesbezüglichen Zirkularnote, daß ein Kongreß die meiste Aussicht haben würde, zu praktischen Resultaten zu gelan­­gen, wenn er in Berlin stattfindet; das Berliner Kabinet hat sich bereit erklärt, die Einladungen dazu ergehen zu lassen, sobald wir (Oesterreich-Ungarn) in der Lage sind, es der Zustimmung der übrigen Kabinete zu ver­­sichern." England erklärte ihn zwei Tage später, sein Bedenken gegen einen Kongreß zu haben, wenn sämmt­­liche, im­­­ertrage von San Stefano zwischen Rußland and der Tü­rkei behandelten Fragen den Gegenstand der Erörterung bilden würden. Dagegen meldete Lord Loftus unter dem 12. März an Lord Derby: First Gor­­tscharoff habe erklärt, daß der Vertrag von San Stefano nach der Nazifikation zwischen Rußland und der Züri bindend sei und jede etwa von den Mäch­­ten vorzunehmende Veränderung den Gegenstand mei­­­terer­­ Verhandlungn zwischen Rußland und der Türkei bilden müßte; auch könne Ruß­­land nur die Diskussion über Diejenigen Artikel annehmen, welche europäische Interessen berühren. Endlich siegte jedoch die englische Auffassung und unter dem 3. Juni erging bereits von Seite der deutschen Reichsregierung Die Ran zum Kongresse an sämmtliche Mächte, in welcher ausdrüclich gesagt wird: „In Meder­­einstimmung mit der vom Österreichsc-um grarischen Richbin ein ergriff­enen : Inni­tiative beehrt sich die Negierung Sr. Majestät des Deutschen Kaisers, den Signatarmächten der ÜBerträge von 1856 und 1876 vorzuschlagen, sich zu einem Kongresse in Berlin vereinigen zu wollen, um auf demselben die Bestimmungen des zwischen Rußland und der Türkei abge­schlossenen Präliminar-Bertrags von San Stefano zu erörtern ;“ und weiter unten heißt es, daß „die freie Erör­­terung des gesammten Inhaltes des Ber­trages von San Stefano“ die Aufgabe des Kongresses zu „bilden habe. Aus all dem geht wohl Mar hervor, daß die Initiative zur Einberufung des Kongresses von Oesterreich-Ungarn ausging, während Rußland sich nur mit Widerstreben diesen Borschlage fügte und schon dieser Umstand allein berechtigt wohl zu der Frage, ob Dieser ganze Vorgang möglich gewesen wäre, wenn zwischen Desterreich-Ungarn und Rußland bereits lange vor dem Kongresse bindende Abmahnungen getroffen waren und Dester­­reich-Ungarn sich in denselben Die einzige Errungenschaft, die es vom Berliner Kongresse heimbrachte, nämlich die Refit­­ergreifung von Bosnien und der Herzegovina, bereits in voraus gesichert hätte? Würde in einem solchen alle ‚Oesterreich-Ungarn nicht weit eher bemüht gewesen sein, jene ‚moralische Schlappe, melde Rußland unzweifelbar an dach­ten nahe des Kongresses an und für sich ‚erlitt, von d­iesem abzuwenden, nachdem es ja auf­­ dem Kongresse nicht mehr erreichen konnte, als was ihm ohnehin bereits zugesichert war?! Es gibt aber auch noch andere, ganz direkte Beweise dafür, daß Dasjenige, was über Separatabmachungen zwischen Oesterreich-Ungarn und Rußland bezüglich Bosniens und der Herzegovina in der zweiten Hälfte 1876 (Mei­städter Zusammenkunft) und­­ im Jänner 1877 gesagt wird, der Wahrheit durchaus nicht entspricht. Die Z­­sammenkunft z­wischen dem Kaiser-König von Oesterreich-Ungarn und­ dem neu­en Kaiser von Rußland in Reichstadt fand am 8. Juli 1876 statt. Am darauf Folgenden Tage telegraphirte Graf Andrássy nach Paris, London und Rom an die dortigen Botschafter Oester­­reich-Ungarns: „Theilen Sie als Ergebniß der Neichstädter Begegnung vertraulich mit, daß wir mit Beseiti­gung aller neueren Vorschläge überein gekommen sind, an der Nichtintervention unter den gegenwärtigen Verhältnissen festzuhalten. Erst wenn die Umstände es erfordern und ein Tonfreier als vorliegen wird, soll ein weiteres vertrauliches Einvernehmen 3 m­it Then allen cristlichen Mächten eingeleitet werden." Hierauf erwiderte am folgenden Tage (10. Juli) der damalige Londoner Botschafter Graf Beust: „Tele­gramm Em. Erzellenz erhalten. Lord Derby empfing die Mittheilung mit großer Befriedigung und sagte: est exit fan ich erklären, daß sein allgemeiner Krieg zu befürchten ist, was hier so sehr beunruhigte,” — und am nämlichen Tage telegraphirt Lord Derby an den englischen Botschafter in Wien: „Der Österreichische Botschafter theilte mir heute den Inhalt eines Telegramms mit, das er von seiner Res­gierung über die Zusammenkunft in Neichstadt erhalten habe. Das Ergebnis der Besprechung wird als zufrieden­­stellend bezeichnet. Die beiden Kaiser waren darüber einig, unter den jenigen Umständen eine Politik der Nichtinter­­vention zu verfolgen. Wenn weitere Ereignisse es nöthig machen sollten oder wenn irgend­ein bestimmter that­­sächlicher Wendepunkt eintrete, sollten Anstrengungen gemacht werden, um zu einer allgemeinen Verständigung unter den Mächten zu gelangen.” In der That waren, so weit wir unterrichtet sind, die Bemühungen Oesterreich- Ungarns bei Gelegenheit der Neichstädter Zusammenkunft in erster Linie dahin gerichtet, Rußland wenn möglich vom Kriege abzuhalten, obwohl Graf Andrasfy schon dort Die Impression gewonnen haben dürfte, daß er Diefen 3wed nicht erreichen werde und der Krieg auf russischer Seite eine ausgemachte Sache sei. Der damalige Leiter unserer auswärtigen Bolitit hatte unter solchen Umständen zwischen zwei Wegen zu wählen. Entweder er mußte sich entschließen, seinem Monarchen anzurathen, jedes kriegerische Beginnen Nußlands gegen die Zunft mit bewaffneter Hand zu verhindern Die Folgen eines solc­hen Entschlusses lassen si an den Fingern abzählen. Rußland wü­rde dann nicht den Krieg gegen die Türfer, wohl aber sofort gegen Oesterreich-Ungarn gemacht haben; es­ hätte sich, um den Schein zu wahren, mit gewissen Reform­­versprechungen der Türfer begnügt und sie dann mit aller Wucht auf unsere Monarchie geworfen, welche in einem solchen Falle — wer sich. die damalige Situation­­ vergegen­­­wärtigt, für den wird Diese Behauptung Feines weiteren DBemreifes bedü­rfen — vollständig isolirt gewesen wäre. Die Türkei hätte für uns seinen Finger gerührt, nachdem sie si zuvor mit Rußland separat verständigt gehabt hätte . England hätte mit seinen Fernrohr wohlgefällig dem Flie­­gerifgen Schauspiele zugesehen, da ja bei einem Kriege zwischen uns und Rußland die englischen Synteressen Direkt nicht in Frage genommen, indirekt aber durch uns und auf unsere Kosten vertheidigt worden wären. Das Bündniß zwischen uns und Deutschland erkläirte damals noch nicht, wohl aber die räurmhohe Freundschaft zwischen diesem und Rußland und wer die damaligen Neden des Fürsten Bisz­mard Tieft, der wird zu der Mederzeugung gelangen, daß von Dieser Seite für uns im allergünstigsten Falle Neutra­­lität, und vielleicht nicht einmal eine wohlelmollende Neutralität zu erwarten gewesen wäre. Obendrein wäre es Rußland gar nicht schwer gefallen, in den Augen der Balkanwölfer die Sache so darzustellen, als hätten wir «8 an dem Kriege gegen die Türkei bies deshalb verhindern wollen, weil wir eine Emanzipation dieser christlichen Völker von der türkischen Herrschaft nicht wünschen und die Sym­pathien­­ derselben hätten sich dann ebenso sehr Rußland zugemendet, als mir vor ihnen, zum Gegenstande des Hafses geworden wären. Unter solchen Umständen einen Angriff Rußlands auf die Türkei unserer­­seits von vornherein und in allen Fällen gemaltsam ver­­hindern zu wollen, wäre von einem österreichisch-ungarischen Staatsmanne eine Gehissenlosigkeit, ja geradezu ein Ver­­brechen gewesen, für welches er die seidene Schnur verdient hätte. Es blieb also dem Grafen Andrasfy nur der andere Weg offen, nämlich für den Fall, als Rußland zum Kriege gegen die Türkei schreiten sollte, seinerseits an der­ Nicht­intervention festzuhalten, gleichzeitig aber auchin voran genau jene Grenzliniie su­bDessionen, mer an Auk­ıraer Seite nicht überschritten werden dürfe, solle nicht Oesterreich-Ungarn seine eigenen Sinteressen als gefährdet und sich zu einem unmittelbaren Eingreifen ge­nöthigt sehen. Es war übrigens nicht nur eine Pflicht der Loyalität gegenüber Rußland, mit welchem wir ja durch­­aus gute Beziehungen unterhielten, sondern auch eine Pflicht gegen unsere Monarchie, diese letete nach Kräften vor der Mög­lichkeit eines Konfliktes dadurch zu bewahren, daß rechtzeitig diejenigen Punkte bezeichnet wurden, welche von uns als casus belli betrachtet werden müßten. Das ist denn auch von Seite des Grafen Andraffy geschehen und mnwunde von ihm, so viel wir uns­­­erimmern, der­­ Hauptsache nach auch gar nicht als Geheimniß behandelt. Vielleicht nicht mit allen jenen Details, welche in seinen diplomatischen Noten ent­­halten sein mochten, aber in den Hauptzü­gen deutlich er­­kennbar, hat er Dasjenige, was er als die Interessensphäre Oesterreich-Ungarns betrachtete, auch­ vor den Delegationen zu wiederholten Malen gekennzeichnet, so namentlich bei Gelegenheit der Verhandlungen über den Schzig-Millionen- Kredit am 9. April 1878. Graf Andräsig schloß damals seine Rede mit folgenden Worten: „Die Delegation wird gewiß die Mederzeugung theilen, daß in dem Augenblick, wo sich eine Umgestaltung aller Verhältnisse an unserer im­me­­diaten Grenze vollziehen soll, Oesterreich-Ungarn unmöglich weniger in der Lage sein kann, als das geringste der bethei­­ligten Länder, ss vor Ueberraschung Durch­falls accomplis zu fhüsen. Auch heute ist es seine Mobilisirung, die wir bean­­spruchen , es ü­­blos die Möglichkeit, im Falle der Noth unverweilt das Geeignete vorzuführen, es ist Dies seine Feindseligkeit irgend eine Macht, ebenso­­gegen wenig aber seine­ leere DOMETT­E e­tion­­ft „eine uch: hie Borhicht gebotene Maßregel, — die Vorbereitung, um unter Den jenigen DVerhältnissen das Selbst­­bestimmungsrecht der Monarchie gegen­über allen Eventualitäten aufrecht zu er­­halten.” Kann mim, so fragen wir, ein Mensch mit fünf gesunden Sinnen annehmen, daß Graf Andrásfy, dem selbst seine Gegner Zeit seines Lebens das Zeugniß eines ehr­­lichen Mannes nicht versagen konnten, eine solche Sprache geführt haben m wü­rde, wenn er bereits die Abmachung mit Nußland, gegen welches allein diese „durch die Vorsicht gebotene Maßregel” gerichtet sein konnte, in der Tascje gehabt hätte ? Daß sie unter jenen Punkten, welche von Seite un­serer Monarchie in­ voraus als casus belli bezeichnet wurden, auch eine fremde Diskupation Bosniens und der Herzegovina befand, fann auch, wenn man nicht in die Geheimnisse der damaligen Verhandlungen eingemeiht it, für seinen denkenden Politiker einem Zweifel unterliegen, und wir würden es nur als Beweis einer richtigen staats­­männlschen Erkenntniß betrachten, wenn Graf Andrasiy­­gon zu allem Anbeginn rundweg er­­klärt hätte, daß mir zwar die F­ürten aus Bosnien und der Herzegowina nicht verdrängen wollen, so Lange sie im Stande sind, in diesen unseren Nachbarländern Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, d­nß m wir aber falls die Türken Dieser Aufgabe nicht gewachsen wären und daher in der Lage dieser beiden Länder nothgedrungen irgend eine Wende» Jung eintreten müßte,die Ossupation derselben Durch irgend eine andere Macht,sei es eine große oder eine kleine, absolut nicht dulden, sondern sofort selbst einschreiten würden, um in der une­mittelbaren Nähe unserer Grenzen, so weit dies eben mög­­lich, geordnete Zustände herzustellen. Die Klausel, daß dieser Schritt nur Dann stattfinden­­ solle, wenn wir Dazu im Interesse unserer eigenen Sicherheit, doßh die Ohnmacht der Ziürkei, gendt­igt werden sollten, bemweift wohl zur Ge­nüge, daß nicht der Ländererwerb unser Ziel war und daß Die Besigergreifung von Bosnien und der Herzegovina somit für uns seinen von langer Hand angestrebten Gewinn repräsentirte, für welchen wir, sei es an Rußland, sei es an irgend jemand Anderen zu irgend einer ‚Segenleistung verpflichtet gewesen wären. Die Gestattung Der Ofsu­­pation dieser Länder war also nit und­ konnte nach alldem auch nicht der „Br­ei 8" sein, welchen ung Rußland für unsere Neutralität im walfischtürkischen­­ Kriege bezahlte ; denn erstens hatte Diese Neutralität, wie­ wir von oben aus­­einandergefeßt, ganz andere, aus unserer eigenen Situation geschöpfte Gründe und konnten wir für Dieselbe sonst auch von Niemandem einen Preis beanspruchen; zweitens waren dieser Neutralität ganz bestim­mte, von uns in voraus genau bezeichnete Grenzen. gesteht und Nußland wäre wohl nicht so bhöricht gewesen, uns in voraus einen Preis zuzugestehen für einen Dienst, welchen wir ihm jeden Augenblick versagen konnten; drittens ist uns das Mandat für die Ossupation und Administration­ Bosniens und der Herzegovina nicht von Rußland, sondern gegen dessen Willen vom Berliner Kongresse erteilt worden. Und daß selbst in diesem Punkte Deutschland den Wünschen N Rußlands näher stand als jenen Oesterreic-Ungarns, daß es Daher von der zuffi­­schen Breite höchst ungerecht ist, wenn sie der deutschen Boli­tit heute das Gegenteil zum V­orwurfe macht, dafür spricht eine charakteristische Thatsache, zu deren Kenntnig wir dur­ eine Mittheilung des verstorbenen Ministers des Auswärti­­gen Baron Haymerle (bekanntlich einer der Vertreter Oester­­reich-Ungarns am Berliner Kongresse) gelangt sind. Noch in jener Nacht, welche dem für die Verhandlung der bosnischen Angelegenheit bestimmten Sigungstage voranging, schidte Vürst Bismarc — es war bereits spät nach Mitternacht — seinen Sohn Herbert zum Grafen Andrásfy, mit der Bitte, derselbe, möge sich doch noch einmal überlegen, ob es nicht besser wäre, die Forderung Oesterreich- Ungarns bezüglich Bosniens und der Herzegovina fallen zulassen welde Ant­­wort Graf Andrásiy auf diese Zumethung ertheilte, das läßt sie aus dem Berichte fibher die am nächsten Tage abge­­haltene Sigung des Kongresses beiläufig errathen. 5 Und wo eine Frage, wenn bei " Gelegenheit der Reichstädter Zusammenkunft, also Anfangs Juli 1876, die oft erwähnte Abmachung stattgefunden hätte, wie erklärt sich dann die im September­­ desselben Jahres, also drei Monate Später erfolge Mission Sama­taEoff's, welche in dem russischen Borschlage gipfelte: DOesterreich-Ungarn solle Bosnien und Die Herzegowina, Rußland Dagegen Bulgarien belegen,­­ ein Porschlag, Der von unserem Auswärtigen Amte­rundweg abgelehnt wurde, indem b dasselbe einerseits neuerdings jene Vorauslegung her­­vorhob, unter welcher allein für uns ein Einschreiten in Bosnien und der Herzegovina zur Nothmendigkeit­­ wu­rde, andererseits aber auch die Gründe anführte, welche ung eine dauernde Ossupation Bulgariens durch Naßland in seinem Falle und um seinen Preis als statthaft erscheinen liefen. Und wenn dieser oder ein ähnlicher Bor Schlag, sei es gelegenheitlich der Mission Samarakoff, sei es etwas später von Seite Desterreich-Ungarns zur Annahme gelangt wäre, ist es denkbar, daß Nußland Dann den Ber­­liner Vertrag acceptirt hätte, welcher Oesterreich-Ungarn die erst zu übemwertstelligende Ossupation und Ad­ministration Bosniens und der Herzegovina mit unbe­schränkter Zeitdauer übertrug, während für das Aufhören der bereits bestehenden russischen Ossupation Bulgariens ein bestimmter, sehr knapp berrossener Termin filter wurde? Nur neben­­bei sei hier noch bemerkt, da in den Deutschen Blättern insbesondere von einer im uteresse jenes Separatvertrages stattgefundenen Mission gnatieff's nach Wien und Obrutiheff's nach Budapest gesprochen wird, — daß Graf Ignatieff erst kurze Zeit vor dem Berliner Kongresse nach Wien tant und früher, also in der zweiten Hälfte, 1876 oder Anfangs 1877 mit unserem Auswärtigen Amte in seinerlei Ber­­ehr getreten war, mit General Obru­­tisheff aber h­at Graf Andräffly, soweit wir unterrichtet sind überhaupt nie­mals verhandelt, weder in Wien no­ch Budapest, und es wäre wirklich interessant zu erfahren, wie dieser russische Pilatus in das deutsche Credo hineingekommen ist..... Unserem eingangs Dieser Zeilen gegebenen DBer- sprechen getreu, befehränfen wir uns auf diese Nichtig­­stellung der Thatsachen und wir besorgen nit, daß irgend eine Der von uns gemachten Angaben von Den­­jenigen, welche in die Vorgänge der damaligen Zeit eingeweiht sind, Lügen gestraft werden dürfte. Wenn einige dieser Angaben mit den Behauptungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung” im Widerspruche stehen, so berechtigt dies nicht im Entferntesten zu der Annahme — und wir möchten uns gegen eine solche auch noch ausdrültlich ver­­wahrt haben —, als hätte das Organ des deutschen Reichs­­kanzler-Amtes dabei anders, als im vollen guten Glauben gehandelt. Die Erklärung für dessen Irrthü­mer liegt­­ eben darin, das die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung” selbst bei­­fügt: Die angeblichen Abmachungen, von denen sie spricht, sein „ohne Mitwirkung und ohne Bitten Deutschlands” getroffen worden. CS war eben damals das deutezösterreichisch-ungarische Bindniß einfu­rte noch nu­­r gar seine Veranlassung vorhanden, über Dasjenige, was überhaupt zwsschen Oesterreich- Ungarn und Rußland geschah,­ dem Berliner S Kabinet mehr mitzutheilen, als irgend­einem anderen, und so dürften denn au die Informationen des offiziellen deutschen Blattes über die Vorfälle jener Zeit nicht aus unmittelbarer und vielleicht au­ nit aus ganz Tau­­terer Quelle getroffen sein.­­ Heute liegen Die Dinge aller­­dings anders; heute würde man­ sich über Dasjenige, was zwischen Wien und Petersburg vorgeht, in Berlin nicht erst aus rufsischen Quellen Belehrung verschaffen müssen. Der Separatvertrag zwischen Oesterreich-Ungarn und Naßland, welchen man ihm in die Schuhe schieben will, hat niemals einftirt, dagegen eriftirt noch bis zur Stunde jenes vom Grafen Andrasfy geschaffene intime Verhältnis zwischen unserer Monarchie und Deutschland, welches seinen Nachfolgern nebst mancherlei anderen Bort­theilen auch noch den bietet, daß sie nicht der Gefahr ausgeregt sind, ihre Wolitit selbst in offiziösen Berliner Blättern in solcher Weise entstellt zu sehen, wie Dies Graf Andrássy im gegenwärtigen Augenblicke über sich ergehen lassen muß, ordneten aus den Reichslanden, Tehrieb, unser Gewährs­­mann, fühen der nächsten Zukunft mit Besorgung entgegen,­­ dieselbe würde über Die gesammte Bevölkerung, vielfach Relationen und Über­ einzelne Familien schweres Ungemach bringen. Tritt Dieser Fall ein, auf welchen die Organe der Regierung übrigens schon seit den legten Wahlen­­ vorbereitet haben, dann werden die deutsch-französischen Beziehungen in naher Zukunft, sicherlich, eine Wandlung zum­ Besseren er­­fahren. Es ist damit sogar nur das Minimum der­ begrün­­deten Befürchtungen ausgesprochen. Denn , dem Falle des Polizei-Kommissärs von Bagny selbst haben wir, wie unsere Leser gesehen haben, immer­ nur eine untergeordnete­­ Bedeu­tung beigelegt. In Bar i­st Diese Bedeutung einigermaßen übertrieben worden, weil man sich deutd Das’ Ereignis an einer besonders empfindlichen Stelle berührt fühlte. Seit z­­ei Jahrzehnten wird bekanntlich­ das Kapitel von den Spion­en in­ Frankreich unaufhörlich variirt, und zwar­ in einer­ Weise, als ob jeder Spion nothunwendigerweise ein P­reuße oder ein Italiener­ sein müßte, und als ob Frankreich von dieser Satzung nichts Aehnliches aufzuweisen hätte. Unter diesem Titel wurden in dem gastfreiesten Lande der Welt, und in der Stadt, die mehr als irgend eine andere dem Fremden bietet und die von den Fremden hinm wieder­ einen ansehrlichen Theil ihres­­ Reichthums empfängt, unter diesem Titel wurden in Frankreich und in Paris gegen alle Fremden die selt­­samsten Hosen veranstaltet. Jedesmal war das Publikum mit Herz und­ Seele dabei und es­ lebte wahrscheinlich in dem guten Glauben, daß nur der Boden Frankreichs neun­gierigen Besuchern ausgelegt sei. Nun behauptet die deutsche Regierung, ein ganzes Neu der Spionage in den Reichs­­landen entdeckt zu haben, das selbstverständlich nur fran­­zösischen Zwecken dienen kann, und damit ist den Franzosen die Möglichkeit genommen,­­sich fortan als die alleinigen Opfer eines ignoblen Kundschafterwesens auszugeben. Ein Stück der patriotischen Legende des Jahres 1870 geht somit in die Brühe und an seine Stelle tritt die simple Wahr­­heit, Daß beide­ Theile. mit gleichen Waffen operiren. Andererseits s zeigt sich bei diesem Anlasse neuerdings, wie gering die mogalische Eroberungsfähigkeit des deutsche­n­ Stamme-HistNach-Verlauf von siebzerhahren«,währen­d des­en das deutschese Regiment zumeist die angenehmsten­ Seiten seines Wesens geltend machte,scheint eine Art der stillen Verschwörungi1x»der«1s"·a11nektirten Ländern in Permanenz zu bestehen.Die­ Einwanderu­ng des deutschen Elements wurde in jeder Weise jagd isolziert,die Einheimischen,welche sich der N­euenOrdnun­­g faeundlich erw­iesen,«kon­nten aufs vielfache Begünstigu­ng reichne­n,die­ Verwaltung trachtete sich dent her­­gebrachten Formen möglichst­ anzuschmiegen,in­materi­eller­ Beziehung brachte der Verband mit Deutschland zum we­­nigsten­ keine Nachtheile,weit eher gewichtige Begünstigun­­gen.Alles vergeblich!Dazu­ tritt der weitere Umsta­n­d, daß­ Frankreich während D dieses Zeitraumes an­ äußerem Prestige nicht gewonnen hat, während Deutschland­­ die lei­tende Macht in Europa geworden ist. Wederall ist dieser Wechsel der Dinge anerkannt worden, nur in Elsaß-Lothrin­­gen nicht. Die Desertionen und die Ausländschaftungen sind in­­dieser­ Hinsicht vieleicht nicht einmal dermaßen­­ bezeich­­nend wie die Wahlen zum Reichstage. Bei allgemeinem Stimmrecht und geheimer Abstimmung mußte es sich wohl zeigen, wenn in­­ den wenn, auch Kleine Partei demselben Maße gemessen, wie den Bewohnern der Stad Berlin und allen übrigen Deutschen; allein, sie sehen in unmittelbarer Nähe eine demokratische Republik, mit die bedingungslosen Anerkennung des Prinzips der Gleichheit, das selbst unter dem Kaiserreich respektirt worden ist, mit dem vollen am d ımeingeschränktem Rechte der freien Individualität und der nationalen Selbstbestimmung, und wenn sie da Vergleiche zu Ungunsten Deutschlands anstellen, so ist das schließlich keineswegs befremdlich. ‚Das sind die Thatsachen, und man die deutsche Mer­gierung in­ Elsaß-Lothringen zu gewaltsamen Maßregeln­ greift, wird der Konflikt­ sich nur verschärfen. Dabei­ be­­merken wir, daß wir den Glauben an kriegerische Absichten der französischen Negierung keineswegs theilen. Liest man die Pariser Blätter, welche­ der Negierung am nächsten­­ stehen, so hat­ man sogar zuweilen die Empfindung, als, würden die aus den Reid­slanden kommenden Manifestationen, stiller oder ungestümer Zuneigung der­­ republikanischen Mer­kierung recht unbequem sein. Sie kann­ sich Dieselben nicht, gerade verbitten, aber sie­ wirde offenbar, wünschen, den­ Ausbruch dieser Gefühle für bessere Zeiten vertagt zu sehen. Und das nicht einmal blos mit Rücsicht auf die unmittel­­bare Gefahr eines Krieges mit, Deutschland! Denn einem­ großen Theile der französischen Politiker sind die Vortheile­ sehr gut bekannt, welche Frankreich aus einem guten Einvernehmen mit Deutschland erwachsen künnen, „Je nachdem wir uns zu­­ Deutschland gut oder­ schlecht gestellt haben — schrieb jüngst ein P­ariser Blatt —, haben mir Zunis gewonnen und Egypten verloren.” Es gibt also eine Fülle von Anzeichen, welche die­ fran­­zösische Negierung und die Wolfsmassen selbst auf die Bahn der Verständigung verweisen. Den Kabineten, welche einander rasch genug in Pamis gefolgt sind, kann auch­ die Anerken­­nung nicht verweigert werden, daß sie Tammiich in dem Punkte einander glichen, daß sie jeder Provokation gegen Deutschland behutsam aus dem Wege gingen. Das Kabinet Goblet hat sich von dieser Linie so wenig entfernt, wie seine Vorgänger und es hat auch­ die Affaire Schnäbele mit größter Kaltblütigkeit behandelt. Es wird wahrscheinlich auch Triftig Dieselbe Taktik befolgen und sogar Herrn Bonlanger im Zaume halten, der soeben veranlaßt worden ist. Die grandiose Huldigung, die ihm­ durch­ Medersendung eines­ russischen Ehrensäbels zugedacht gewesen, abzulehnen, so daß die stolze Waffe, welche für die herrlichsten " Thaten: bestimmt gewesen, Derzeit im Wetersburger Bollamt’ eine schnöde und ruhenlose Existenz fristet. Wenn es sich endlich bewahrheitet, daß die französische Negierung gefonnen sei, die unglückelige Patriotenliga aufzulösen, so­ hätte sie ein vollgiftiges Zeugniß ihrer Loyalität, ihrer Nüchternheit und ihres bürgerlichen Muthes gegeben. Aber den besten Willen und das größte Gefihd der Negierungsmänner voraus­­geseßt, bleibt die Situation darum gleichwohl eine im höchsten Grade bedrohliche und die Freilassung Schnäbele's ändert daran verzweifelt wenig. .·«· Unter welchen Modalitäten der N2a1111 seinerzeit­ ver­« haftet worden sei U­nd unter welchem Vorwande man·ihn· jetzt laufen lasse,der konkrete Fall ist fast belanglos,wen­n­ man ihn vereinzelt betrachtet. Aber im Augenblick, da die deutsch-Französischen Beziehungen so wie jet zur Diskussion­­ gestellt sind und Die Bevölkerung von Elsas- Lothringen sich nir mehr auf ihre alte passive Rolle beschränkt, entziehen sich Die künftigen Ereignisse jeder Berechnung. Man kann Tag fir Tag eine Affaire Schnäbele heraufbeschwören, und wenn heute die­­ äußeren Umstände Deutschland ungünstig gewesen sind, so kann die Sache morgen derart arrangirt werden, daß Deutschland si. moralisch im Vortheil befinde. Wird Fürst Bismarc men een ea­c­h Budapesst, 30. April. (Hr) Schm­äbele ist frei und über Elftaf- Lothringen soll der Kriegszustand verhängt werden. Wie Die beiden Nachrichten zu gleicher­ Zeit eintreffen, so gegangen sie einander auch und sie eröffnen eine Perspek­­tive, Die genau dem entspricht, was einer unserer Berliner Korrespondenten. Dieser Tage in Aussicht stellte: Die Abger { /

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