Pester Lloyd, Februar 1911 (Jahrgang 58, nr. 27-39)

1911-02-01 / nr. 27

MICH. 4 K. 40 b. Mit des Abendblattes , das E­ement muss direkt in unserer Free­ser erfolgen. . Vertretung für Deutschland, Frankreich, England und Italien bei der Zeitungsfirma News Exchange in Mainz. Saarbach, 58. Jahrgang MORGENBLATT Budape, Alittwoch, 1. Februar 1911 . Nr. 12 und in den Annoncen-Bureaus :­­ Ed. B. B. Eckstein, Leopold, Jul­­an­d­ 2. In Wien: bei Bock , Herzfeld, Ed. Braun, 4. Danneberg, M. Dukes, Haasenstein , Vogler, Rud. Mosse, J. Rafael, H. Schalek. Im Auslande: Berlin: Rudolf Mosse, Daube " 6 Co.; Paris : John F. Jones & Co. Ein­zein : Morgenblatt in Budapest 12 Hel­­ler, in der Provinz 14 Heller, dblatt in Budapest 6 Heller, in der Provinz 8 Heller, Redaktion und Administration: V., Mária Valeria-uteza 12. — Manuskripte werden in keinem Falle zurückgestellt. — ‚Unfran­­kierte Briefe werden nicht angenommen. ázat mem ee Ar. 27. I­m Budapest, 31. Jamuar. Die Schließung der Krakauer Universität, die vielleicht bald als verhängnisvolle Ergänzung­ die Einstellung der Verlefungen­­ an der Lemberger Universität hervorrufen könnte, in feine galizisch-polnische und feine ausschließlich innere österreichijehe, sondern eine allgemeine kulturelle An­­gelegenheit von tiefstgehender Bedeutung. Es handelt sich darum­, ob die Hochschule, die den ehrfurchtsvoll und ängst­­lich gehüteten Thronfiß des freien Forschungsgedankens und der vorurteilslosen Wissenschaft bilden sol, den nimmer ruhenden V­ormundschaftsbegierden der geistlichen Gewalt überantwortet werden darf. Es genügt, Dieser­ Gewalt nur ein einziges Angriffsfledchen darzubieten und der archime­­dische Punkt­ ist für sie gefunden, von dem aus sie den ganzen steigen Bau unserer modernen Kultur, der so viel Menschenmwürde und Menschenglück in sich birgt, aus den Angelrfchleudern Fann. Hier gilt es also wittlich: „principiis obsta !* Und jest ganz besonders, da. nach dem lechten Brief des P­apstes an den Kardinalerzbisher­iger von Köln der Antimodernisteneid mit hartem, ungestümem Finger Schon an den Pforten jeder Hochschule pocht.. Mit Krakau soll nun ernstlich der Anfang gemacht werden, nachdem der erste Vorstof in Innsbruck mit der Wahrmund- Affäre nicht voll gelingen wollte und man in Wien vorerst nur die tastende Hand an die Kliniken zu legen suchte, um dann nach der wichtigsten Stätte naturwissenscaftlicher Forschung, der medizinischen Fakultät, fangen zu können. Darum darf man auch­ das überschäumende Verhalten der­ Krakauer fortigrittlichen Studenten nicht bloß­ aus dem engen, philiströsen Gesichtswinter des Bruches der Disziplin beurteilen. Daß jugendliches Selbstgefühl, wenn er empfind­­lich gereizt wird, bald über die Stränge schlägt und gegen die ihm Klugertweile gerechten Grenzen anstimmt, ist eine zu bekannte und begründete Erfahrung, als daß man sie im den Wind Schlagen dürfte und dort Hatte man sie sich vor Augen zu halten, von wo läjfig oder gar gefin­fentlich Diese Reizung­­ erfolgt war. Diesmal bat man, die wahrheitsuchenden Krakauer Studenten zu­ zornsprühelnden, ihre ganze, hoff­­nungsfreudige Zukunft aufs Spiel gegenden Wächtern der edelsten Menschengüter gemalt, hat ihn­en eine Stellung aufgezwungen, die aus bestem Ehrgeiz her reifere Elemente hätten beziehen sollen. z·­ —­­Denn d­iese Studenten hatten bis zur Stunde,då­ sie« in Verwüstungsarte hineingehegt wurden, " das Löblichste angestrebt. Mit den staunenden­ Sinnen der empfindungs­­reichen Jugend, die von überall her sich reiche Anregung Holt, haben sie den betäubenden und verwirrenden Wett­kampf der schaffenden und zerstörenden Kräfte des sozialen Lebens beobachtet, in das auch sie einzugreifen, berufen sind, und wünschten, ehe sie auf völlig eigene Betontivotz­tung in­ dasselbe treten, unbefangene, also tendenzlose Lehren über den Rat und das Getriebe Dieses Lebens von t wissenschaftlich vollwerzigen Lehrern zu empfangen. Ihr Anliegen ging dahin, bak an Die Stalauer Univer­­sität für das jüngstwissenschaftliche Fach der Soziologie ein Profes­sor gebracht werde. Und sofort war das Herz des österreichischen Unterrichtsministers gar tief bes­egt. Mit nahezu verdächtiger Eile übte er das schleunigste Entgegen­­kommen und an der­ Krakauer Universität erschien aus Rofen der Geistliche Dr. Kasimir Zimmermann, der an der theologischen Fakultät den Studenten tiefsinnigen Auf­­schluß über die Kernfragen der Soziologie erteilen sollte. Da er ein Theologe aus Posen war, verschlägt nicht viel: der Mann mußte ja Bolaüdj können. Freilich dü­rfte " es auch‘ feine‘ Unmöglichkeit‘ gewesen sein, einen Gelehrten gleichen geistigen und­­ literaris­chen Kalibers auch­­ in­ Gali­­zien aufzutreiben. Indessen, das mögen die­­ gelehrten Kreise Galiziens mit dem Minister abmachen. Aber mußte es ein Geistlicher sein, und it gerade Die theologische Fakultät die berufenste, die wechselnden, Erscheinungen des sozialen Lebens sinnrichtig zu deuten, gerade jene Fakultät, die am gründlichsten jenes Mei erhellen will, das „nicht von dieser Welt“ ist? Soviel haben die Studenten immer­­hin aus dem Studium der Geschichte, auch der Polens, ‚profitiert, um recht gut zu wissen, daß das Wort­ „unterm Krummstab ist gut wohnen“ nur kurze Geltung hatte, daß, forv­a “der Glaube ih zu irdisden , Macht organi­­sierte, und in­ Bündnis mit­­ der ‚weltlichen Gewalt trat, um sie zu begereichen und mit ihr vereint Die Geister­ zu verdummen und die Leiber zu knechten, Die unter geist­­licher Leitung stehenden Gemeinwesen, den SKirchenstaat am allerwenigsten ausgenommten, was M­einlichkeit, Ge­sundheit, Bildung und Wohlfahrt betrifft, Die nicht 14 höchsten Stufe des Gedeihens entiiidelten Gemeinwesen waren. Die moderne Evolution Hat D dieser , geistlichen Herrlichkeit beträchtlichen Abbruch getan, und da sollte bei der Wahrheit ‚verschloß, hat­ sich auch Graf Giürgkh, dessen Bil nun umsichtiger, desser Witterung nun für fer und differenzierter­ war, vom Stambpfjelde weg in fühle Dunkelheit gezogen, wo die Nachtschattengemächt je­der Macht fest am üppigsten gedeihen. Um endlich sein er­sehntes­­ Ziel, das­ Unterrichtsportefeuille, zu gewinnen. Nun verh­altet er es mit liebevoller Sorgfalt, am Altar des Fortschrittes opfernd. Wie sein Vorgehen gegen die ,freie Schule‘­­in Wien, wie sein­ Verhalten in der An­­­gelegenheit der­ Kliniken, ‘wie die Ergebnisse an der Ria­sauer Uniersität beweisen. Da die Studenten sich für ein solches Lehrfach nicht einen solchen Lehrer­ gefallen ließen, ist, je ernster, ihr Bilsensdrang war, umso begreiflicher.­­ Sie boykottierten seine­ Vorlefungen, sie demonstrierten immer lauter und heftiger gegen ihn, damit man sie in Wien doch verstehe, und die Antwort war ein­ Disziplinarerfahren, waren Verbilligungen und Relegierungen. &3 ist ja richtig, sie hätten­ vorerst: ersuchen sollen, daß für eine andere Sakultät der Hochschule ein anderer Professor für Ddiefes­ac­­ er­­nannt werde, weil die theologische Fakultät, so sehr sie sich auch wissenschaftlich zu betätigen sucht, über Die dogmati­­schen Edranten nicht hinaus kann, nicht hinaus "darf. Sie hätten es tun sollen als Appell an die Freiheit der Bissenschaft. It er aber nicht die höchste Aufgabe des Unterrichtsministers, für Diese Freiheit die höchste Vorsorge zu­ treffen, und Hätte er ‚nicht, selbst zur Wahrung dieser Lebensbedingung der Tijjenschaft auf. fo. naheliegende Abhilfe verfallen sollen? Sreilich, aber nur, wenn ihm, an dieser Freiheit so, sonderlich viel gelegen wäre. Er scheint in ganz anderem Sinne inspiriert zu sein, sonst hätte­ es nicht zu starren Exzessen kommen­­ müssen, bei denen das unzweifelhafte Unrecht der Studenten federleicht wiegt im Vergleiche zu dem Unrecht, mit dem man, sie an Mittel und Vorwand nehmend, die freie Koh­dung, die Freiheit des wissenschaftlichen­ Denkens bedroht. Das gibt den Krakauer Studentenerteilen geradezu eine ge­wisse Weihe, das­ macht es" begreiflich, Daß nicht nur Die Lemberger, sondern. Die fortschrittliche Studentenschaft ganz Oesterreichs Is in mehr als nur­ gesprochenen Sympathie­­bezeigungen ergeht. Die Trage des geistigen Sorkichritts ist in Kralan in­ der schmeidigsten Form aufgeworfen worden und die jungen Opfer riefen troß ihrer­ befragenswerten Uebergriffe das allgemeine Mitgefühl wachh .Es ist ein Ringen­ von­ Siide und Staat, das seit der Thron­­besteigung Pius’ X. intensiver als seit langer Zeit, und nicht nur in Oesterreich eingefest hat. Der Eler­falen Macht winkt sein neuerlicher Aufstieg, aber der Staat, der sich ihr zum Büttel Teiht, verfällt sicherem Niedergang, unbefangen Yuftefihie bi gegenübersteht, den Studenten die richtigen ermuten, wieso Örxaf die Venchte der G Fenilleton. Akademie und Bühne. Vor Ludisig Hatvany. Wissenschaft und Talent sind schon wieder in Hader ge­­raten. Tüchtige ungarische Gelehrte lehnen sie gegen Die tüchtigsten­­ Bühnenjriftsteller auf: „Ihr bösen Buben des Talents, ihr jalagt ung zu viel’ Lärm, Sik! Etill! Wir­ brauchen Ruhe! Kinder haben zu seschweigen, wenn die Großen Sprechen.“ .­­ Und m­a3 sprechen Die Großen? Professor Heinrich spricht: „Eure Spiele haben mit der Ewigkeit nichts zu tun. Ihr seld verierte Zeitungsmovellisten, die mit einiger Gewandtheit Theaterstücke zurechtzimmern. Und wenn das technische Können nicht zureicht, so wird eben noch Die Würze der Pilanterie beigemengt. Auch die große Trom­­mel könnt ihr schlagen — unsere schönsten BVprfefungen verklingen ohne Widerhall, denn die Zeitungen sind eures Zodes voll.” So pricht Professor Heinrich und verweigert unseren Bühnenschrifstelleen im Namen seiner S­ollegen den aka­demischen Preis für Bühnenfuücke von literarischem Wert. Die würdige Kommission der Akademie mag in vielem recht haben. Unsere besten Schriftsteller­ bringen zwar ihr Erfolgreichstes, doch nicht ebert ihr Bestes zur Bühne. Auch ist der Rum, den unsere Schriftsteller.. im Auslande errungen haben, etwas übertrieben “worden. Wer ahnt da draußen, was wir eigentlich an. Brady und Molnár beu­gen? Mit ihren feinsten Stüden, worin sie si als wirkliche, große Dichter zeigen, mit „Dada“ und " Liliom" durften­ sie sich ja nicht vor Europa stellen. Man weiß von ihrem Wis, ihrem Können, ihrer Routine. Von ihren Poesie weiß man wenig.­­ Der­ deutsche Theaterbesucher mag ihnen die urwiüchsige Kraft des CHöpfers vielleicht absprechen — aber vor der ungariscen Akademie stehen­­ ja die­ ungarischen Dichter als ganze Gestalten.. Doch: Hatte sie diesmal nicht über Die dichterii­ge Kraft, sondern­ vielmehr über die dichterische Kraft in den dramatischen Werfen unserer Dichter zu ur­­teilen. Und Diese Kraft — dies­e­ nicht zu­ leugnen — äußert sich nicht ungetrübt in den­ Zugfuüden der Saison, Nichtsdeltomeniger­­ ist­ es­ nicht nur ungerecht, sondern auch geradezu­ empörend, wenn unseren B­ühnenschrift­­stellern der akademische Preis abgesproc­hen wird.” Meines Wissens haben weder Szigligeti noch Ceity Ewigkeitswerte geschaffen. Sie waren die besten Routinier ihrer Zeit. Und die Akademie, die damals noch in reger­ühlung mit dem Leben war, krönte ihre Werke mit Preisen und wählte sie zu ihren Mitgliedern. Das Können unshrer damaligen Bühnenautoren hat eben dazu gereicht, um das ungarische Publikum an ungarisches Theater zu gewöhnen. Das Können der modernen ungarischen Schriftsteller gewöhnt das Publikum von Wien, Berlin, London, Petersburg und Neiwyork an das ungarische Theater. Moesie darf nicht nach dem Erfolg, nach der momen­­tanen Wirkung gemessen werden. Doc ist der Erfolg ein sicheres Maß, des Könnens: Die­se hat einst Das begrenzte Können der Lokalgrößen anerkannt — und sträubt sich nun gegen die internattional-bühnensichere Ge­wandtheit der Moderne? Warum? Die fid) Die akademiscdhen Preisrichter ‚int Samben­­nek ‚fangen Fasjen,. zeigt, der , Fall des. schlauen ‚Imre Földes.­­ a erhielt, er. ‚Preise,. . so lange‘ “er fig Historische” Vorwürfe” zum” Berie « Doch svet ist wir die internationalen Kaffenerfolge von Xengyel, Bródy und Molnár ganz außer acht ließen — was haben beim die ungarischen Schriftstelleer aus den heimischen Theatern gemacht? Vor einigen Jahren noch waren wir die Tributäre von Bü­fon und Gaillavet, von Blumenthal und Kadelburg. Jeder kleine ausländische Erfolg war auf ein ungarischer Erfolg. Heute dringen nur die stärksten­ Stimmen des Auslandes zu uns. Das ungarische Repertoire versorgt sich selbst. Gegen diese Tatsache kann sich Doc, Die Akademie nicht mehr ver­­schließen ? Literarischer Wert, Emnigkeitswerte? Mein Gott — ja... wie wissen nur zu gut, was die Akadem­ie Darunter versteht. "Ich glaube, dab außer Lengyels „Haläs utókor" und Móricz" „Säri bir“" Die Akademie mit einem sicheren Instinkt des Danebengreifens immer richtig das Unrichtige getroffen hat. “ In seiner Zeit — nicht allzu­ lange ist es her —, da ein ungarischer Name auf dem epentersettel genügte, im­ das Publikum vom Theater abzuschieden, verteilte die Akademie alljährlich ihre MBreise, den Ianıken-Strumpf- Wirken der ungarischen Geschichte. Spata­­ et Consortes sa­h Molnár, Szomory, Bird, Kóbor nicht. Es ist zum Lachen. .­­ . , so wie er Stimme­n von Zoltan Andrus äußerte unlängst eine ähnliche Meinung. Ich sehe nur eins: die, Männlichkeit "de Mannes, die Weiblichkeit der Frau, die jahrhundertes­lang das Gebiet der­ Gauloiserie, Des Eherzes mwareiı, sind uns blutig ernst geworden. Das erwachende Liebes­­verlangen und das erlöschende, Die eriwachte­ und for­dernde Sinnlichkeit, ide Kampf in uns selbst, erscheinen dem­ Dramatiker von heute mit Net bedeutend inter­essanter als der ewige Dumasiche und Brieursche Konflikt mit Gejebesparagraphen. Und was man so im allge­­meinen unter Liebe versteht — Professor Heinrich." Denkt: als den ewig schmachtenden Badfish und Pr­­adidramatiker „willig, den Brovinzigriten, San­ den un flötenden » Liebhaber —, so überlügt sie der « heutige Gro­ß Brovinzdramatikern » imd anderen zukünftigen, Mitgliedern unsreier­ Akademie. . . .

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