Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1929. április (76. évfolyam, 74-97. szám)

1929-04-03 / 74. szám

PESTER LLOYD • 2 • Mittwoch, 3. April 1929 zuin Wasser und zum Luftmeer der offenen See, und das ist in der wirtschaftlichen und politischen Ge­schichte der Menschheit ein Abschnitt, der keinen Rückfall, sondern bloß eine Vorwärtsentwicklung jm Geiste der universalen Freiheitsrechte der Menschheit zuläßt,__________ Ehescheidungen. Vom Oberregierungsrat Dr. ARTUR MESZLÉNY! Die moderne Ehe ist unleugbar brüchig. Die Ursachen dieser betrübenden Erscheinung sind kein Geheimnis, Die völlige Umstülpung des Privat­lebens, die vielleicht am treffendsten mit dem Worte „Amerikanismus“ bezeichnet wird, vernichtet das Heim, versetzt den Brennpunkt des Individuallebens ■— auch jenes der Frau — nach außen, verleiht der Frau dem Mann gegenüber eine Unabhängig­keit, von der sie in Ermangelung der dem Mann angeborenen und anerzogenen Selbstkontrolle und sozialen Disziplin nicht immer den richtigen Ge­brauch zu Nutz und Frommen der Familie zu machen versteht. Seitdem die Frau des Mittel­standes zumeist selbst einem Erwerb nachgeht, bei der chronisch gewordenen Arbeitslosigkeit sogar nicht selten den Löwenanteil zum Unterhält der Familie beisteuert, büßt der Mann seine Vormacht­stellung im Ehebunde Schritt für Schritt ein. Hie­durch gewinnen im Lebensplan häufig die weib­lichen Charakterzüge die Oberhand: mangelnde Zielsetzungen auf weitere Sicht, die Politik des Fort­­wurstelns, auf einer Seite kleinliche Knickerei, auf der anderen ein Hervorkehren des Scheins an Stelle des Seins. Die tagsüber um einen Hungerlohn weit über ihre Kräfte schuftende Frau fordert abends einen eigenen Anteil an selbständigen Lebens­freuden: sie raucht, sie spielt Bridge und Rumy, sie tanzt in den Bars und will ihr Wochenende in Sport und Flirt genießen. Die Kinder — öder zu­meist: das Kind —r werden bezahltem Personal überlassen und so bald als möglich aus dem Haus geschafft. Ein intimes seelisches Verhältnis zwi­schen den Gliedern der Familie kann in diesem kärglichen Boden freilich weder aufkommen noch gedeihen: nie war die Kluft zwischen jung und alt so tief und unüberbrückbar wie in unseren Tagen. . Das Recht, auf einfachere und patriarchalere Verhältnisse gezimmert, steht dieser Entwicklung zu­nächst ohnmächtig gegenüber. Die Zähl der Ehe­scheidungen schwillt lawinenartig an. Findige An­wälte begegnen bei überlasteten Richtern willigem Gehör und gestalten den Scheidungsprozeß zu einer leeren Formalität. Im Regelfall gegenseitigen Ein­verständnisses ist die Ehe in dreizehn Tagen rechts­kräftig geschieden. Widersetzt sich hingegen der eine Teil und läßt sich sein Widerstand auch mit Geld oder guten Worten nicht erweichen, so hebt ein häß­licher und endloser Prozeß an, dem der Richter rat­­und tatlos zusieht, bis sich die Parteien am Ende doch aussöhnen oder den alleinseligmachenden Weg jdes sogenannten böswilligen Verlassens betreten. Auch hier wiederholt sich die im gesellschaft­lichen Leben so oft zutage tretende Erscheinung: Sitte und Recht, im Grunde doch zwei Behelfe zür Sicherung und Förderung größeren Menschenglücks, haben in ihrer praktischen Durchsetzung einen Kampf mit menschlicher Schwäche und Trägheit zu bestehen und ziehen dabei nicht selten den kürzeren. jUnd das Recht selbst, notgedrungen dem äußeren man sich nicht vorstellen, daß es hier unzufriedene Menschen gibt. Hier ist noch anmutig idyllisches achtzehntes Jahrhundert: Miniaturherrschaft, gelbe Barockfassaden, Galawache mit aufgepflanztem Bajonett, und alles so schön beisammen: neben der Feuerwehr der Schneider, neben den Ansichtskarten die Kaserne. Es ist die gewaschenste und gepflegteste Residenzstadt der Welt. Und wenn man im Tiefsee­­iinstitut das Aquarium besucht, wo die Fische und Krabben erstklassig untergebracht und verpflegt sind, dann hat man den Eindruck, daß der Fürst von jMonako allen seinen Untertanen, ob sie Füße oder Flossen haben, ein gütiger Monarch sein muß. Außerdem gibt’s hier keine Steuern, keine Abgaben, das Wetter ist auch immer schön, also worüber schimpfen hier die Leute eigentlich den ganzen Tag ? Da könnten viel eher die diesen Staat erhaltenden Gäste unzufrieden sein, denn sie verlieren ihr Geld hier in Monte Carlo imunterbrochen. Im Kasino, das noch vulgärer geworden ist und wo es manchem Besucher an den weichen und nicht sehr sauberen Kragen geht, in kleinen Beträgen von fünf bis zwan­zig Francs. Hier kann jeder für eine kleine Gebühr eintreten. Im Sporting-Club aber, der sich im Souter­rain des „Hotel de Paris“ befindet, ist man sehr exklusiv: hier zahlt man als Eintagsmitglied vierzig Francs und muß sich außerdem durch Smoking oder Abendkleid als distinguierter Hasardeur legitimieren. Hier gibt es echten Schmuck, hier beginnt man zumindest mit 1000 Francs Einsatz und steht nicht unter 50.000 Francs Verlust auf. Hier ist es wirklich international, denn man hört nicht bloß Englisch, Französisch, Italienisch, Slawisch, auch heimatliche Laute dringen wieder ans Ohr: Deutsch, Wienerisch und Ungarisch. Bis tief in die Nacht arbeitet man hier unermüdlich, verbissen und verzweifelt für den Fürsten von Monako. Er braucht wegen des kleinen Aufruhrs nicht zu zittern, denn er hat seinen Thron auf die festeste und dauerhafteste Basis gestellt: auf die Geldgier Tun zugewendet und auf eine dürftige Zahl von Schablonen beschränkt, hantiert im lebendigen Menscbenfleisch wie ein stumpfes Messer, läßt ein­mal schwärende Wunden stehen, zerstört ein anderes Mal gesunde Gewebe, verursacht aber jedesmal uner­hörten Schmerz und Verwüstung. Der Alarmruf, der in unserem Oberhaus vor kurzem erscholl und in seiner nächsten Auswirkung zu bedenklichen Schwankungen in der Eheschei­dungspraxis und zu einigen nicht eben glücklich zu nennenden Versuchen zur Erschwerung der Schei­dungen geführt hat, war also nichts weniger als un­begründet. Nur die Folgerungen, die daraus gezogen wurden und vielfach Verbreitung finden, scheinen mir nicht bloß verfehlt, sondern auch gefährlich. Eine grundsätzliche Erschwerung der Scheidungen hieße das menschliche Elend absichtlich mehren, die Zahl der Geburten absichtlich kürzen, die Quali­tät der Nachkommenschaft absichtlich herab­setzen. Nicht die Schéidungen, sondern die unüber­legten und unbegründeten Scheidungen sind hintan­zuhalten. Unser Ehescheidungsrecht fußt auf dem soge­nannten Vefschuldungsprinzip. Ohne grobes Ver­schulden keine Scheidung. Weder die unüberwind­liche Abneigung des kanonischen Rechts, noch die incompatibilité d’hiimeurs des Code Napoléon sind Scheidungsgründe. Irrsinn, Epilepsie, ekelerregende oder unheilbare Krankheit des anderen Gatten geben an sich keine Möglichkeit zur Scheidung. Schwere Verletzung der ehelichen Pflichten ist bloß Schei­dungsgrund, wenn sie die Ehe derart zerrüttet hat, daß eine Weiterführung der Gemeinschaft dem an­deren Teil nach Ermessen des Richters nicht zuge­mutet werden kann. Wahrlich, mehr als genug Ge­legenheiten für den unglücklichen und unschul­digen anderen Teil, an ein unerträglich gewordenes Éheband unrettbar gefesselt zu bleiben! Der viel­umstrittene Punkt a) des § 77 unseres Ehegesetzes wurde in weiser Erwägung dieser Mißlichkeiteri und der Unzulänglichkeit irdischer Rechtsprechung geschaffen, um wenigstens bei Einverständnis bei­der Teile und unter voller Wahrung des Grundprin­zips, wonach eine Ehe auf Grund gegenseitigen Ein­verständnisses nicht geschieden werden darf, Ab­hilfe und Rettung zu bringen. Männer, wie Desider Szilágyi, Julius Wlassics, Julius Kováts und Ben­jamin Großschmid sind Bürgen und Garanten dieses genialen Kompromisses, ohne daß in der Ehe­gerichtsbarkeit Lug und Trug, Anwerbung falscher Zeugen, Aul'tischung von Schlafzimmergeheimnissen und Verunglimpfung des Gegners Orgien feiern würden. Lasset uns im Reformeifer nicht die wert­vollsten Pfeiler im Tempel der Justitia untergraben! Denket eher daran, die Intentionen unserer großen Juristen und Menschenkenner von der ihnen im Laufe der Zeiten angewachsenen Schlacke zu be­freien und sie Unbefleckt und unangetastet den Nachkommen zu überliefern! Ihr werdet mit Über­raschung gewahr werden, daß die Fehler und Män­gel, die Ihr bekämpft, nicht so sehr im Gesetz als in dessen schlapper und ungenauer Anwendung be­gründet sind. Fassen wir zunächst § 77 ins Auge. Er erfordert vor allem den Ablauf von sechs, beziehungsweise zwölf Monaten der Trennung, ehe das Gesuch um Anordnung der Wiederherstellung der Gemeinschaft cingebracht werden kann. Die Wiederherstellung.»» frist beträgt mindestens 30 Taae, sie kann aber bis zu 90 Tage erstreckt werden, wenn die Umstände dies erfordern. Das sind immerhin mindestens 7 bis 9 Monate bis zur Möglichkeit der Einreichung der Scheidungsklage. Fürwahr Zeit genug, um den Ehe­leuten Gelegenheit zur Selbstbesinnung, Ein- und Umkehr zu bieten. Es müssen bloß die offenkundigen Mißbräuche, die sich bei Erwirkung der die tatsäch­liche Trennung beweisenden Zeugnisse eingenistet haben, abgeschafft werden. Als Folge des Mahnrufes halten die Richter neuerdings auch bei Scheidungs­klagen wegen böswilligen Verlassens Versöhnungs­tagfahrten ab. Das Gesetz gibt ihnen ein Recht dazu., und sie verlängern damit die Prozeßdauer tatsächlich um 6 bis 8 Wochen. Mehr ist aber durch diese Maß­regel nicht gewonnen. Die Maßregel hätte Sinn und Zweck, wenn sich der Richter bei der Tagfahrt über den wirklichen Grund der einverständlichen Schei­dung klar würde und dessen Triftigkeit beurteilen könnte, um sodann je nach dem Ergebnis dem Scheidungsbegehren stattzugeben oder es abzuweisen. Hiezu bietet jedoch die Versöhnungstagfahrt keine Möglichkeit, zumal solange sie nur formell im Massenbetrieb abgewickelt wird. Würde sie zu einer richtigen causae cognitio ausgebaut, so könnte in ihr ein Kern gesunder und förderlicher Weiterentwick­lung liegen. Die zweite Achillesferse unseres Eherechtes ist die Scheidung wegen schwerer Pflichtverletzung auf Grund Zerrüttetseins der Ehegemeinschaft. Der tiefe philosophische Sinn dieses Scheidungsgrundes liegt darin, daß die Aufrßchterhaltung einer unrettbar zerrütteten Ehe nicht im Interesse der Gesamtheit liegt. Das Moment der Pflichtverletzung rückt hiebei in die zweite Reihe und folgt bloß aus dem bereits berührten Verschuldungsprinzip. Ein weiser und verständnisvoller Richter wird sich daher vor einer Überspannung dieses subjektiven Erfordernisses hüten und sein Augenmerk vor allem auf die Frage richten, ob die Ehe — gleichviel aus wessen Schuld •— objektiv im erforderten: Maße zerfallen ist oder nicht. Zur Probe auf das Exempel dient u. a. die zeitweilige Trennung, deren Verhängung für diesen Fall nicht ohne Grund obligatorisch vorgeschrieben ist. Als Überbleibsel aus den bitteren Zeiten der Wohnungsnot wird nun diese Trennung zwar for­mell angeordnet, jedoch tatsächlich in der Weise durchgefiihrt, daß die Ehegatten in derselben Woh­nung verbleiben und der Frau bloß ein besonderer Wohnraum angewiesen wird. Die verhältnismäßige Beruhigung und Sammlung, das Insgerichtgehen mit sich selbst, der tief menschliche Sinn der zeit­weiligen Trennung geht auf diese Weise freilich verloren. Überhaupt müßten die Gerichte anstatt Pflege der Äußerlichkeiten bei Scheidungen mehr in das seelische Elend einer unglücklichen Ehe eindringen. Dazu ist ihnen die Offiziosität des Verfahrens, dazu das unbeschränkte Fragerecht gegeben. Nach Zei­tungsberichten soll die kön. Kurie letzthin die zweite Ehe einer geschiedenen Frau, die nach kurzem zu ihrem ersten Mann zurücklief, wegen Ehebruchs ge­schieden haben. Damit war in zwingender Weise das Verbot der Eheschließung mit dem vorherigen Gatten auszusprechen und die Frau auf Gnade und Ungnade dem zweiten Mann ausgeliefert, der sie sogar wegen Ehebruchs einsperren lassen kann. Ich kenne die Einzelheiten des Falles nicht und maße mir' daher kein Urteil darüber zu, welche Gründe die kön, Kurie dazu bestimmt haben, diesmal vom alten Brauch ab­­züweichen und die Scheidung nicht aus anderem Grunde auszusprechen, etwa wegen skandalösen Be­nehmens oder böswilligen Verlassens. Sollte aber das Motiv im oben besprochenen modernen Hang zur Strenge liegen, so möchte ich zu bedenken geben, daß ein derartiges Irren weiblich, allzuweiblich und da­her verzeihlich war und daß die moralische Ordnung am besten durch Wiederverehelichung der ursprüng­lichen Ehegatten hergestellt worden wäre. Der Scheidungsrichter soll ében in einer Person Vor­mund, Seelsorger und Beichtvater der Eheleute und der Ihrigen sein, der über das weitere Schicksal einer ganzen Familie, eines unschuldigen Gatten und un­schuldiger Kinder entscheidet, der zwar nicht lösen soll, was im Himmel verbunden wurde, aber Men­schenseelen Und Körper auch nicht lebenslänglicher Knechtung ausliefern darf, wenn das Eheband seiner­zeit, sei es durch Leichtsinn, sei es wegen niederer Interessen oder aus Oberflächlichkeit, geflochten wurde und nun die Ernüchterung spät, aber doch eintritt. Eine größere Vertiefung in den Einzelfall, ein lebendigeres Nacherleben des Falles in der Richter­seele anstatt Haftenbleibens an den Rechtsformen, — und das Ehegesetz funktioniert wieder zufrieden­stellend. Freilich erweist sich hiebei die 1925 erfolgte Abschaffung der Senate und Einführung des Einzel­richters auch für Eheprozesse als eine verfehlte Maßnahme. Ungleich schwerer läßt sich vor einem dreigliedrigen Senat auf Stimmung hinarbeiten, ein momentaner Situationseffekt ausnützen, rascher Er­ledigung vor der Gründlichkeit den Vorzug geben. Bei einem unter dreien regt sich wohl immer das Menschenherz, das dann auch die übrigen beiden zu eingehenderer Beobachtung des Falles veranlaßt. Notgedrungen einseitige Weltauffassung des Ein­­zelmenschen, durch Einzelschicksale hervorge­brachte Vorurteile für oder gegen Ehemänner oder Ehefrauen werden durch Zusammerwirken dreier beseitigt und weltgemacht. Die Wichtigkeit, die Eheprozessen heute mit Recht beigemessen wird, möge ihnen vor allem die Wiederherstellung des al­ten Rechtszustandes, die Aburteilung in Senaten, be­scheren. Dann würde auch das Vorbereitungsver­fahren in Ehesachen, das heute infolge der Identität des Einzelrichters völlig mit dem Hauptverfahren verschmilzt, wieder zu Bedeutung gelangen und eben jene causae cognitio zur Geltung bringen, die dem Gericht Einblick in das Zerwürfnis der Ehe­leute und in die Individualität des Falles verschafft. Wenn wir fortwährend nur abbauen, ohne den Wiederaufbau auch nur zu versuchen, so darf es nicht wundernehmen, daß wir uns plötzlich in einer Wüste befinden. Stellen wir das alte Recht, soweit als möglich, wieder her, dann wird zum Teil auch die alte Ordnung wiederkehren. Zusammenkunft Cbamberlain-Mussolini« (Telegramm des Pester Lloyd.) Mailand, 2. April. Völlig überraschend für die Öffentlichkeit hat heute in der Nähe von Florenz eine Begegnung zwi­schen Mussolini und Chamberlain stattgefuhden, die nahezu zwei Stunden gedauert hat. Mussolini kam heute vormittags halb 11 Uhr im Kraftwögen in Florenz an und fuhr in Begleitung seines Sekretärs sowie des Polizeichefs von Florenz zur Villa Gioiosa in der Nähe von Santa Maria di Montici, wo Cham­berlain gegenwärtig seinen Osterurlaub verbringt. Um 12 Uhr verließ Mussolini die Villa und begab sich nach Forli, wo Graf Nigra zu Ehren Chamber­lains ein Bankett veranstaltete. Uber den Inhalt der Unterredung wird verlaut­bart, daß in ihr die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten Großbritannien und Italien erneut bestätigt wurden. Mussolini und Chamberlain hätten, so heißt es in der Verlautba­rung mit Genugtuung, die Übereinstimmung in den wichtigen Fragen festgestellt, die die beiden Länder interessieren. Die s offiziöse Agenzia Stefani berichtet hier­über: Heute vormittag hat Mussolini den britischen Staatssekretär für Auswärtiges Chamberlain aufge­­sucht, der für einige Tage in der Villa Gioiosa in der

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