Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1930. január (77. évfolyam, 1-25. szám)

1930-01-01 / 1. szám

Mittwoch, 1.-Januar 1930 Führung Dr. Josef Vass’ stets bewiesen, daß die un­garische Sozialpolitik die berechtigten Interessen der Produktion unausgesetzt im Auge behält. Daß in dieser Periode der wachsenden Versicherungskosten die Beitragsvorschreibung um 11.6 Prozent zurück­gegangen ist, muß eben dem Umstand zugeschrieben werden, daß die Sozialpolitik die krisenhafte Lage unserer industriellen Produktion nicht unberück­sichtigt gelassen hat. In der Tschecho-Slowakei und in Deutschland wurden in der gleichen Periode die J-rankheitsversicherungsbeiträge wiederholt von Mo­nat zu Monat erhöht. Der Industrielle in Frankfurt und in Stuttgart zahlt heute schon 8prozentige, der Industrielle in Dresden 7.5prozentige und der in Berlin Tprozentige Versicherungsbeiträge, — in Un­garn aber beträgt der Beitragsschlüssel für die Krankheitsversicherung nur 5.4 Prozent. Wie aber wäre eine defizitfreie Wirtschaft denkbar, wo sich Leistung und Gegenleistung unabhängig voneinander gestalten? Das Grundprinzip jeglicher Versicherung ist die Gleichheit der Leistung und Gegenleistung; in der Krankheitsversicherung aber ist es ein überall in der Welt gültiges Prinzip, daß schon die Tat­sache des Arbeitsverhältnisses allein bei Eintritt des Versicherungsereignisses Anspruch auf Versiche­rungsleistung eröffnet. Während die Post nur dann befördert, wenn sie die Gebühr im voraus er­halten hat und die Eisenbahn in der Regel nur nach vorheriger Abstattung des Frachtsatzes, hat die Krankheitsversicherung, unabhängig von ihren Ein­nahmen, den erkrankten Arbeiter nötigenfalls auch 52 Wochen hindurch mit Krankengeld zu versorgen, wenn er vor seiner Erkrankung auch nur einen ein­zigen Tag im Arbeitsverhältnis gestanden hat, sein Arbeitgeber aber den Beitrag nicht einmal für diesen einzigen Tag abgetragen hat. Die Krankheitsver­sicherung ist also im Endresultat eine Volksversor­gung, bei der das Grundprinip des Versicherungs­geschäfts, die Korrespondenz von Leistung und Ge­genleistung, nicht einmal in der Theorie zur Gel­tung kommt. Aus diesem Grunde aber limitieren die Krankheitsversicherungen in der Tschecho-Slowakei und in Deutschland, aber auch in mehreren anderen Staaten die obere Grenze des Beitragsschlüssels nicht in dogmatischer Weise: sie modifizieren ihn vielmehr entsprechend der jeweiligen finanziellen Lage der Versicherungsorgane derart, daß die einge­henden Beiträge die Ausgaben stets decken. Die un­garische Legislative dagegen hat die obere Grenze des Gebührenschlüssels unabhängig von der mög­lichen Gestaltung der mit der Krankheitsversiche­rung einhergehenden Ausgaben im Gesetze selbst festgesetzt, um den Interessen der industriellen Pro­duktion Rechnung zu tragen. Die Lasten einer noch größer und harmonischer proportionierten Sozial­versicherung könnte die ungarische Wirtschaft heute nicht ertragen. Und da dem so ist, und da es eine Folge der produktionsfördernden Politik des Mini­steriums für Volkswohlfahrt und Arbeitswesen ist, daß der ungarische Beitragsschlüssel nicht dem tschecho-slowakischen und dem deutschen Vorbild folgt, dürfen jene, in deren Interesse diese verant­wortungsvolle Politik liegt, die Quelle der Übel nicht in kleinlichen Momenten von untergeordneter Be­deutung, wie zum Beispiel in der Personalreform der Sozialversicherung, finden wollen: sie sollten viel­mehr endlich zur Kenntnis nehmen, daß die Bezüge sämtlicher Oberbeamten der Sozialversicherung nicht einmal 0.3 Prozent der vorgeschriebenen Ein­künfte aus den Beiträgen aüsmacht, und daß die Personalauslagen, die im Jahre 1927 noch 9.78 Prozent der Beitragvorschreibung betragen haben, ; im Jahre 1929 nicht nur nicht gestiegen, sondern im Gegenteil, um 8.7 Prozent gesunken sind. Das mußte gesagt werden, damit jene, die mit Ziffern umgeben können, mit den Erscheinungen in der Sozialversicherung rechnen könnten, die sie, als j unmittelbar interessierte Subjekte der Institution, be- ■ , treffen, und aus deren irriger Beurteilung Nachteile j eigentlich nur für diejenigen entstehen, die aus der Erkenntnis der Dinge nicht produktive Ideen, j sondern bloß entmutigende Kritiken schöpfen. Das Fundament unserer sozialen Institutionen i bildet die ungarische Volkswirtschaft. Das Schicksal ! ■ dieser Institutionen ist mithin aufs engste mit den 1 Geschicken des ungarischen Unternehmertums Ver­knüpft. Vergeblich ist jegliche Kritik, die sich gegen irgendeine Institution oder eine Erscheinung unseres sozialen Lebens richtet. Solange sich in unserem wirtschaftlichen Organismus partielle Dislokationen zeigen und die Produktion gegen die Verwertungs­und Kreditkrise anzukämpfen hat, können wir an einem oder dem anderen Frontabschnitt des sozialen Lebens keine günstige Konjunktur erhoffen. Alle Ver­­! fügungen, die dem ungarischen Unternehmertum neue Erwerbsmöglichkeiten eröffnen, seine Betriebe | zur Lösung neuer Aufgaben befähigen, den Arbeitern neue Arbeitsgelegenheiten geben, fördern die Gé- i samtheit unserer Volkswirtschaft, mittelbar also alle ! auf die Wirtschaft als Fundament aufgebauten i sozialen Einrichtungen. Indem ich also wirtschaft- I liehen und sozialpolitischen Gesichtspunkten huldi- 1 gend, auf Inangriffnahme der Wohnbauaklion, auf I scherten sich niemals um die Sittengesetze der Ge­sellschaft, ja, sie fänden ihre größte Freude daran, die alten Tafeln zu zerbrechen und die Scherben den Hütern des Anstands und der Moral ins Gesicht zu schleudern. Die vielen Hunderte und Tausende im Reich der Künstler, die bürgerlich, ja spießbür­gerlich leben, betrachtet eine auf Sensation und Skandal erpichte Masse kaum, keineswegs mit solcher Aufmerksamkeit wie die Bohemegestalten, die über alle Stränge schlagen, jedes Recht und 'Unrecht für sich beanspruchen und als Pflicht bloß gelten lassen, keine gelten zu lassen. Die Ausnahme also, nicht die Regel scheint da wichtig zu sein. Gewiß, das Liebesieben mancher Dichter und Schriftsteller bewegt sich nicht in den staatlich und behördlich vorgezeichneten Grenzen. Man weiß, Swift lebte mit zwei Frauen, Byron liebte seine Schwester, Wilde wurde von krankhaften Leiden­schaften heimgesucht. Ebenso ist längst bekannt, welche erotischen Vprirrungen im frommen deut­schen Dichterwald entdeckt wurden: Bürgers Ehe mit zwei Cousinen, Goethes Liebeshändel ohne Ende, Grillparzers Verhältnis mit den drei Schwestern Fröhlich, wobei wohl der Name wenig zutreffend gewesen sein dürfte. Frankreichs Dich­ter haben ebenfalls ihre Liebeleien mit doppeltem oder dreifachem Boden. Zu den weniger bekannten dreieckigen Mißgeschicken gehören Hugos Ehe­trauerspiel, bei dem er der leidtragende und sein größter Verehrer der freudtragende Teil w>ar, ferner der Ehebruch im Totenzimmer Balzacs, ein Seiten­stück zum Verrat der männerhungrigen George Sand an Müsset, und Zolas doppelseitige Liebes­und Eheverhältnisse. Auch in Ungarn könnte man ähnliche Irrungen und Wirrungen ausfindig machen. Es genügt, die Namen Liszt, Petőfi und Jókai zu nennen. Doch was haben die geschriebenen Romane der Romanciers mit ihren erlebten zu tun, was die Dichtungen oder Kunstschöpfungen des Poeten oder des Künstlers mit ihren Alltagserlebnissen? Der Künstler ist von seinem Werk ebenso zu trennen, wie der Dichter von seiner poetischen Leistung. Bloß das Werk hat Bedeutung, und Krittler und Späher, die hinter jedem Buch den Autor mit seinen Allzu­menschlichkeiten suchen, die alle neuen Romane drehen und wenden, um darin Ähnlichkeiten und Anspielungen auf das Privatleben des Romanciers selbst aufzustöbern, vollbringen törichte oder doch i überflüssige Arbeit. Nicht Eulenbergs Erlebnissen und Erfahrungen soll man in seinen prächtigen Büchern nachspüren, wenngleich sie zweifellos notwendig waren, um man­ches tiefsinnige Werk zur Reife zu bringen, sondern das Kunstwerk als solches muß geprüft und gewertet werden. In seinem Roman „Zwischen zwei Frauen" zerbricht die aufopferungsvolle Bereitwilligkeit der beiden Frauen, sich in die Liebe eines Mannes teilen zu wollen, an den gesellschaftlichen Konven­tionen und den eingeborenen Trieben der Menschen. An Ordnung und Reinheit. Im Gegenstück dazu, (auch ein Pendant zu Hauptmanns neuem Buch), im Roman: „Zwischen zwei Männern“ (Verlag Engelhorn, Stuttgart), schildert der Dichter die Seelenkämpfe eines unabhängigen, kühnen, moder­nen Mädchens, das unter dem Eindruck der schrift­lichen Lebensbeichte einer längst dahingegangenen Frau mit dem Gedanken spielt, zwei Männern in gleicher Liebe angehören zu wollen, aber schließlich von diesem Wahn sich befreiend, bei einem treuen, gütigen Gatten Verständnis und Verzeihung, Ruhe und Frieden findet. Meisterhaft ersonnen, meister­haft erzählt ist Eulenbergs neues WTerk. Wie alle seihe Dichtungen, ist es eigenartig, spannend und packend, überflüssig zu sagen, daß auch Hauptmanns neuer Roman: „Buch der Leidenschaft“ (Verlag Fischer, Berlin), alle großen Qualitäten dieses großen Dichters aufweist. Es wird darin ein nicht recht starker, nicht recht guter Mann geschildert, der viele Jahre in tadelloser Ehe mit einer edlen Frau lebt, prächtige Kinder bekommt, aber plötzlich in ein junges Mädel sich verliebt. Unbekümmert um seine Familie, brennt er mit diesem Backfisch durch. Er kehrt jedoch wieder heim, um seiner Frau zu erklären, daß die Ehe auf eine höhere Ebene ge­stellt werden könnte, wenn die ältere Frau mit der jüngeren im holden Verein, mit vereinten Kräften sozusagen, seine den beiden weiblichen Wesen ge­widmete Liebe erwidern möchten. Da aber die tapfere und geduldige Gattin den Plan einer Doppel­ehe unzweideutig ablehnt, den Ehebruch als Ehe­kitt nicht gelten lassen will und die Kleine noch ein Kleines bekommt, läßt der Ehemann die Frau samt den Kindern sitzen und heiratet die Geliebte. Warum die begeisterten Kommentatoren Haupt­manns in „Titus“, dem fragwürdigen „Helden“ dieses Buches, durchaus eine Art Selbstbiographie des Dichters erblicken wollen, ist schwer begreiflich. Dieser Titus ist ein unsympathischer Mensch, ihm und seinen Brüdern ist nichts Menschliches fremd, insoweit es die Schatten- und Nachtseiten des Men­schen betrifft. Das ist nicht Hauptmann, das kann nicht Hauptmann, der edle, der genjale Poet sein. Gewinnt man doch, wenn der Dichter in seinem Werk zum Schluß einen „Narren der Liebe“ auf­­treten läßt, einen durch erotische Ideen toll, gewor­denen Menschen, geradezu den Eindruck, als wollte der Dichter seinen Helden verspotten und verhöh­nen. Wie dem auch sei: Der Versuch, für die Absich­ten des Grafen von Gleichen hier Propaganda zu machen, ist ebensowenig gelungen, wie das Bestre­ben, in diesem Roman darzutun, wie leicht und an­genehm es dem Ehemann wäre, sein Herz ^wischen zwei Frauen aufzuteilen, wenn die Frauen nur wollten, und wie schön und ideal die Ehe zu Dritt überhaupt sein könnte. Nein, aus dom Ehebruch wird kein Ehekitt. Neben häßlichen und widerwärtigen Auf­tritten aus dem Familienleben bringt der neue Roman erfreulicherweise auch herrliche Bilder, blut­durchpulste Gestalten, lebensweise Sätze. Manche Ausführungen blenden geradezu, wenngleich sie bei den meisten ernsten Männern und Frauen Widerspruch wecken dürften. Denn alle poetischen und sophistischen Künste und Künsteleien werden nimmermehr die ewige Wahrheit verdunkeln kön­nen, daß jeder zivilisierte Mensch doch nur einen, nur einen einzigen Menschen wahrhaft und wirk­lich, mit Leib und Seele lieben kann. Allerdings ist dieser eine und einzige nicht selten er selbst. X. Y. Z. • 3 « PESTER LLOYD

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