Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1930. június (77. évfolyam, 123-145. szám)

1930-06-01 / 123. szám

Sonntag, 1. Juni 1930 trächtigen kann, das den Mitgliedsstaaten eines solchen Verbandes zusteht“? Wenn das etwa heißen soll, daß an den Grenzfestsetzungen des Versailler Vertrages unter allen Umständen festgehalten wer­den soll, daß also etwa auch an eine Beseitigung des polnischen Korridors nicht zu denken wäre, dann wäre damit die tatsächliche Erreichung des vorge­­steckten Ziels, nämlich die Befriedung Europas schon von vornherein unmöglich gemacht. Eine Klarstellung in dieser Richtung ist also unbedingt notwendig. Wenn es dazu kommen sollte, daß, wie es fast den Anschein hat. England sich überhaupt nicht an der geplanten Konferenz beteiligen will, wenn viel­leicht auch Italien, das unverkennbar durch die Hartnäckigkeit Frankreichs bei den Verhandlungen der Londoner Konferenz schwer verletzt ist, sich ebenfalls ablehnend verhalten sollte, dann würde der Plan ja schon an sich rettungslos verloren sein. Nach meiner Meinung wird die deutsche Regierung sich aber unter allen Umständen bereit erklären müssen, an der weiteren Beratung teilzunehmen. Wie ich schon bei früheren Gelegenheiten ausführen durfte, so muß meines Erachtens an einer Voraus­setzung unter allen Umständen festgehalten werden, wenn das gesteckte Ziel der allgemeinen Befriedung wirklich erreicht werden soll: der Bund darf keine feindliche Spitze gegen Amerika enthalten; seine Grundsätze und seine Ziele müssen in eingehender Aussprache der Nationen deutlich und klar dargelegt werden, wenn das mit Recht zurzeit noch nament­lich bei Deutschland berechtigte Mißtrauen völlig be­seitigt werden soll. Man müßte Briands unentwegt festgehaltenen Gedanken und Pläne der letzten Jahre vollständig vergessen, wenn man nicht in der scharfen Betonung, daß „jede Fortschrittsmöglichkeit auf dem Wege der wirtschaftlichen Einigung streng durch die Sicherheitsfrage bestimmt werde, und daß diese Frage selbst eng mit der des erreichbaren Fort­schritts auf dem Wege der politischen Einigung Zu­sammenhänge“, eine geradlinige Fortsetzung der in den letzten Jahren konsequent durchgeführten poli­tischen Haltung Frankreichs erblicken müßte. Es hat doch kaum eine politische Auseinandersetzung von größerer Bedeutung in den letzten Jahren stattgefun­den, bei der nicht von französischer Seite der Ge­danke der Sicherheit, selbstverständlich in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, der Sicherheit Frankreichs mit aller Schärfe betont wurde. Ist nicht gerade an diesem Prinzip der französischen Politik der Abrüstungsplan Amerikas und Englands geschei­tert? Das unselige, völlig ungerechtfertigte Mißtrauen, das Frankreich im letzten Jahrzehnt so oft nament­lich Deutschland gegenüber an den Tag gelegt hat, ist das größte Hindernis, das der Anbahnung des Völkerfriedens entgegensteht. Der Friede der Na­tionen kann auch durch Konferenzen nicht gefördert werden, wenn man in alle Verhandlungen mit dieser inneren Ablehnung hineingeht. Will man wahrhaft den Weltfrieden, dann kann er nur mit Großherzig­keit, Offenheit und gegenseitigem Vertrauen erreicht werden. Deutschland hat diese seine auf Frieden ge­richtete Gesinnung so oft und unzweideutig an den Tag gelegt, daß niemand daran zweifeln kann. Wir wollen hoffen, daß eine kommende Konferenz der europäischen Staaten auf allen Seiten diese gleiche Gesinnung vorfmdet und den festen Willen, den Frieden der Welt so weit wie möglich herbeizu­führen. Zettel kleben an den Auslagen und Fenstern, suchen den Passanten im Auto und Omnibus zu ködern, festzuhalten. Aber es angelt sich jetzt schwer in Ber­lin. Die schnittigsten Ecken bleiben unvermietet, die Erfolg garantierenden Plakate werden nicht beach­tet. Die Hetze der Stadt geht daran vorbei, geht darüber hinweg, rasch, ohne Aufenthalt, ohne Besin­nen. Ein paar Leichen am Weg — keine Zeit zu ver­lieren! Sie werden weggeräumt werden, es werden sich andere Unternehmer finden, die eine Chance packen und ein Risiko werden wagen wollen. Was inzwischen geschieht, soll nicht beachtet werden. Weiter, weiter, nur weiter! Die Börse hebt sich schon wieder. Wenn auch nur für einen Tag. Die Damen­schneiderinnen, die im Winter auf ganz wenige Kunden gekommen waren, haben schon wieder mehr zu tun. Weiter, weiter, nur weiter! Es kommt dieser Stadt nicht darauf an, daß sich da und dort in ihrem Bereich schwere Erschüt­terungen ihres wirtschaftlichen Fundaments ereignet haben. Tempo, Tempo! Kein Aufenthalt! Werstehen bleibt, wird erschossen. Oder zumindest von einem Auto überfahren. Also ist keine Zeit für die Pleite, also ist schon gar keine Zeit für Pessimismus. Deutschland ist reich, Deutschland trägt Lasten, aus diesen Komponenten des Heute wird sich schon eine Resultante der Zukunft finden lassen. Aber ans Auto wollen wir uns deshalb nicht greifen lassen. Bahn frei! Sie gehört nicht dem Tüchtigen, sie gehört schon gar nicht der Qualität, sie gehört allein dem, der von der Pleite nichts wissen will. Ganz Berlin nimmt sie nicht zur Kenntnis. Ber­lin hat immer vom Willen gelebt. Der Wille war immer das Bestimmende und Entscheidende an der Stadt. Was sie belebte, war einmal der Wille zur umfassendsten Elektrotechnik Europas, war nach­­fher der Wille zum besten Theater Europas, war spä­ter der Wille zum schärfsten Tempo Europas und Ist ijetzti dep-Wille zum Gleichgewicht det- Kräfte nach dem wirtschaftlichen Kraftmeiertum von gestern und der galoppierenden Inflationsschwind­sucht von vorgestern. Nun soll alles wieder ins Gleich­gewicht rutschen. So will es die Stadt. Basta. Und darum ist sie zu vermieten, wo sie früher mehr bot, als sie hatte, wo sie hasardierte, wo sie bluffte. Mammutbetriebe liegen im Dunkel, der Konkurs hat ihnen die Lichter abgedreht. Aber andere Riesen­­gaststätten, die eben einen Ausgleich siegreich über­schritten haben, protzen im Licht, zeigen hängende Gärten mit täglich frischen Blumen und die Tische sind voll mit Weinflaschen und Gästen. Daneben fließen Ströme von Pilsner Bier in durstige Kehlen. Und in der Nacht von Samstag auf Sonntag mar­schiert Berlin in Achterreihen entschlossen zum Vergnügen auf. Die Straßen sind voll. Trotz der Massen geht es rasch vorwärts. Aufenthalt ist Tod­sünde in Berlin. Das planscht in die Lokale, das wird von ihnen wieder ausgespien, das wälzt sich über die Dämme, an den Kolonnen der Autos und an den Leichen der Wirtschaft, die da gespenstisch | murmeln: „Zu vermieten, zu vermieten!“ endlos vorbei, bis in die frühen Morgenstunden — ein mili­tärisch organisierter Organismus mit Aufmarsch­­raum und Rückzuglinie. Jawohl, jawohl (für das „jawohl“ ist keine Zeit), schlechte Zeiten, knappe Zeiten! Riesige Ab­satzbetriebe, pompös, als neue „Wahrzeichen“ Ber­lins in den Arbeitervierteln entstanden, merken durch das Schwinden ihrer Käufer am deutlichsten das Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Trotz der günsti­gen Witterung in den letzten Monaten ist die Bau­tätigkeit in Berlin stark zurückgegangen. Von Monat zu Monat. Sowohl an Wohnungsbauten, als auch an Fabriksbauten. Der monatliche Durchschnittswert der Bauten in Groß-Berlin beträgt ungefähr 45 Mil­lionen. Im Februar sank der Wert der in Angriff genommenen Bauten nach einer Statistik des städti­schen Hpchbauamtes auf 20.46 Millionen. Ein Aus­fall *von<-24.54 Millionen! -Es» ist ziiviel*zu*vermieten in Berlin. Warum sollte neu gebaut werden? Das Wort „Bau“ kommt auch hier zumeist in der Form „Abbau“ vor. Überall geht der Abbau um, auch der Abbau der Menschen. Auch Menschen sind hier zu vermieten, sofort, um jeden Preis, viele, viele. Männer, die 18 Jahre in einem Betrieb standen, finden sich plötzlich an die Luft gesetzt. Menschen, Mitte der Vierzig, müssen noch einmal anfangen. Es ist schwer, es ist vielleicht hoffnungslos. Aber die Stadt macht gar keine An* stalten, sich in dieser Misere einzurichten, sich von der Chemie der Zersetzung, der Verwesung ein biß* eben Wärme zu borgen. Weiter, weiter, nur weiter! Diese Losung ist aus der Stadt zu spüren. Sie küm* mert sich nicht um das, was neben ihr, in ihr zu* sammenbricht. Sie läuft sich selbst davon — dem Luxus-Berlin. Gebrauchsartikel, dafür sei einzig und allein die Zeit, sagen die Produzenten. Für alles andere sei das Geld zu rar. Die Betriebe stellen sich um. Was früher dem Luxus diente, wird für den Gebrauch ummontiert. Gebrauch — das wird das nächste Schlagwort Berlins sein. Es liegt bereits in der Luft. Damit geschieht im Wirtschaftlichen nur, was sich hier im Geistigen schon lang vollzogen hat. Aus Lyrik wurde Gebrauchslyrik, ohne Anstrengung sofort zu genießen, sofort zu vergessen. Dem Theater der Kunst wurde das Gebrauchstheater dokumen* tarisch belegter „Fälle“ und advokatorischer Mei* nungen gegenübergestellt. Na, und der Geist, der in Berlin nicht Gebrauchsgeist hätte sein wollen, sein müssen — wo lebt er, wer bezahlt ihn, wer hält ihn? Der Kreis schließt sich. Das Leben hat sich am längsten, am zähesten gewehrt. Hat ihm nichts ge* nutzt. Jetzt wird das Leben eben auch ein Gebrauchs* leben. Keine Bange! Der Gebrauch wird es schaffen* Berlin ist zu vermieten. Der Gebrauch wird es mieten*' • B • PESTER LLOYD Die Briandscfie Konzeption des europäischen Staatenbundes. Vom Geheimen Rat Dr. GUSTAV GRATZ, Minister des Äußern a. D. Das Memorandum Briands über die Organisie­rung eines europäischen Staatenbundes liegt nun auch in seinem Wortlaut vor. Erst auf Grund dieses vollständigen Textes kann man sich über die Ideen und Vorschläge des französischen Ministers des Äußern ein ganz klares Bild machen. Von vornherein muß festgestellt werden, daß sich dieses Bild wesent­lich anders gestaltet, als nach den Äußerungen Briands aqf der im September abgehaltenen gesamt­europäischen Konferenz und nach den wiederholten Ankündigungen der dem Außenminister Frankreichs nahestehenden Presse zu erwarten war, denn Briand und seine Freunde haben die Welt auf einen ganz anderen europäischen Staatenbund vorbereitet, als dessen Verwirklichung jetzt in Vorschlag gebracht wird. Obgleich dieser Umstand einigermaßen ver­wirrend wirkt und gewiß nicht dazu beiträgt, die Annahme der Briandschen Ideen zu erleichtern, wäre das noch kein Grund, gegen die Vorschläge Stellung zu nehmen. Hat Briand auch am ersten Mai 1930 etwas anderes vorgeschlagen, als er im September 1929 in Genf angekündigt hatte, so wäre es darum doch noch möglich, daß diese ver­änderten Vorschläge an sich richtig und glücklich sind, daß sie vielleicht sogar eben eine Verbesserung und richtige Fortentwicklung des ursprünglichen Briandschen Gedankens enthalten. Wenn jedoch schon die ersten, in der Öffentlichkeit erschienenen Auszüge des Briandschen Memorandums Zweifel hieran erweckten, so hat der ungekürzte Wortlaut absolute Klarheit darüber geschaffen, daß man es mit Anträgen zu tun hat, die nicht nur ganz verschieden sind von denen, zu denen sich Briand im September* bekannt hat, sondern die auch viel weniger am ziehend und verlockend sind, und gegen die sich eine Unzahl von Einwendungen erheben läßt, selbst von Männern — zu denen ich mich gern bekenne —, die eine höhere internationale Organisation zwischen den europäischen Staaten sfls ein wirklich erstrebens* wertes, hohes Ziel betrachten. Es ist zu befürchten, daß die Initiative Briands und der wenig glücklich« Charakter seiner Vorschläge den Zusammenschluß* bestrebungen eher schaden als nützen wird. Wenn Briand in früheren Zeiten über sein« Idee von einer Vereinigung Europas gesprochen hat, hat er immer das wirtschaftliche Moment in den Vordergrund geschoben. Was ihm vorschwebte, wa» damals eine gemeinsame Verteidigung der gemein* Samen Wirtschaftsinteressen der europäischen Staa-* ten. Noch in den vor etwa zwei Monaten erschiene* nen Mitteilungen der französischen Presse, in denen zum ersten Male angekündigt wurde, daß das Me* morandum Briands demnächst den Regierungen übermittelt werden wird, wurde auf den Wirtschaft* liehen Charakter der Vorschläge ausdrücklich hin* gewiesen, und die politischem Gedanken, die in dem Memorandum tatsächlich ausgeführt sind, wurden in diesen Mitteilungen nicht einmal erwähnt, wenn man nicht die vollständig irreführende Bemerkung, daß eine europäische Kooperation auch „auf dem Gebiete des Polizeiwesens“ stattfmden soll, als eine solche Andeutung betrachten will. Der Hauptgedanke Briands war immer, man müsse eine wirtschaftliche Kooperation der europäischen Staaten schaffen und durch diese dann allmählich zu einer innigeren poll* tischen Zusammenarbeit gelangen. Die Denkschrift Briands ist aber in einem ganz anderen Geiste gehalten. Sie schlägt den entgegen* gesetzten Weg ein und beantragt: die Schaffung; einer politischen Staatenverbindung in Europa, aus

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