Pester Lloyd - esti kiadás, 1932. szeptember (79. évfolyam, 196-220. szám)

1932-09-02 / 197. szám

I i > Sitzung des Abgeordnetenhauses. Budapest, 2. September. Zum zweiten Male seit Beginn der Sommerferien ist heute das Abgeordnetenhaus auf Veranlassung der Oppo­sition zusanimengekommen. Als sie den Antrag, das Haus einzuherufen, dem Präsidenten überreicht hat, wußte die Opposition noch nicht, ob sie einen Wlahlsieg zu feiern oder ihrem Schmerz über eine Niederlage Ausdruck zu geben haben wird, — jedenfalls stand schon damals fest, daß diese Sitzung im Zeichen der Mezőcsáter Wahl ver­laufen wird. Und das war auch tatsächlich der Fall: die ganze Aussprache hat sich um diese Wahl gedreht, und damit ist wohl schon gesagt, daß die Sitzung vom Gesichts­punkt der Landesinteressen ziemlich belanglos verlief. Die Opposition, als Siegerin im Wahlkampfe von Mezőcsát, hatte keinen Grund zu leidenschaftlichen Rekriminatäonen, und der Ton, den sie anschlug, konnte also gemäßigt und, abgesehen von einzelnen Entgleisungen, ganz parla­mentarisch sein, was einen guten Eindruck auf das Haus und auch auf die überfüllten Galerien machte. Schlag zehn Uhr eröffnete Präsident Dr. Almásy die Sitzung. Nach Erledigung der Formalitäten (im Einlauf befand sich u. a. auch eine Irakompatiibilitätsanzeige eines Ujpester Rechtsanwaltes gegen den Abgeordneten Dr. Klein) Heß er den Einberufungsantrag verlesen und for­derte dann dem von der Opposition als ihren General­redner designierten Abgeordneten Dr. Ulain auf, den An­trag zu begründen. All dies ging in Ruhe und Gelassenheit vor sich, und nur die sozialdemokratischen Abgeordneten Buchinger und Malasits vermochten ihr Temperament nicht zu zügeln: sie störten den Präsidenten in seinen Amtshandlungen mit Zwischenrufen, die schließlich dem Abgeordneten Buchinger schon in den ersten sechs Mi­nuten der Sitzung einen Ordnungsruf eintrugen. Es nahm also Abgeordneter Dr. Ulain (Unabh. Lw.) das Wort, um den Einberufungsantrag zu begründen. Er entledigte sich seines Auftrages in folgenden Ausführungen: — Seit der Sitzung vom 12. August, in der wir die Verfehlungen der Wirtschaftspolitik der Regierung auf­gezählt haben, ist cs notwendig geworden, das Haus wie­der einzuherufen, diesmal, um im Zusammenhang mit einem Wahlkampf festzustellen, daß das politische Sy­stem, das vor einem Jahre anläßlich der berichtigten Sommerwahlen den überwiegenden Teil der Opposition mit unerhörten Mitteln aus dem Parlament verdrängt hat, noch immer forilebt, und festzustellen, daß wir unser Vertrauen, das wir dem Ministerpräsidenten Grafen Károlyi entgegenhraohten (Lebhafte Eljenrufe rechts), diesem etwas voreilig vorgestreckt haben. Vor zwei Mo­naten fand im Komitat Zala eine Nachwahl statt; gegen die Haltung des dortigen Obergespans konnte nicht die leiseste Einwendung erhoben werden, und auch die Ver­waltungsbehörden waren bestrebt, wenigstens den Schein der Unparteilichkeit zu wahren. Wir verbeugten uns da­mals vor dem Obergespan und den Zalaer Behörden und stellten fest, daß sie dem Gesetze Achtung verschafft ha­ben. (Abgeordneter Graf Bethlen tritt in den Saal.) Abgeordneter Esztergályos (Soz.): Die aufdringliche Vergangenheit ist erschienen! (Leb­hafte Eljenrufe rechts.) Abgeordneter Dr. Ulain: Auch in Kisvárda waren der Obergespan und die Be­hörden bestrebt, den Schein der Gesetzlichkeit zu wahren. Der Obergespan von Szabolcs hat sich wohl gewisser Be­einflussungen nicht enthalten, doch konnten gegen die Verwaltung im allgemeinen keine ernstlichen Beschwerden erhoben werden, und ich darf sagen, daß wir loyalen Gegnern gegenüberstanden. Die Wahl hat sich im Ver­gleich zu den Sommerwahlen des Jahres 1931 im Rahmen der Gesetzlichkeit abgespielt, und im Vergleich zu den da­maligen niederträchtigen Mißbräuchen und Atrozitäten schien eine geklärte politische Auffassung zur Geltung zu kommen. Wir waren zwar aus verschiedenen Gründen schon damals entschlossen, das Haus einzuberufen, taten es aber dennoch nicht, um die Herren Abgeordneten nicht unnötigerweise zu bemühen. Das alles mußte gesagt wer­den, um zu dokumentieren, daß wir jetzt unter dem Ein­druck eines Zwanges standen, als wir das Haus einbe­rufen ließen. Ursprünglich hatten wir angenommen, daß die Wahl in Mezőcsat in einem erträglichen Rahmen vor sich gehen wire. Vor einer Woche mußten wir jedoch unseren Einberufungsantrag dem Herrn Präsidenten über­reichen, weil sich in Mezőcsát Dinge ereigneten, gegen die wir hier im Hause Wiedergutmachung suchen mußten. Der Vizegespan des Komitats Borsod hat aus politischem Eifer unsere Anhänger aus dem Bezirk einfach ausge­wiesen und unter Gendarmeriebedeckung entfernen lassen. Wir Abgeordneten haben u. a. auch die ernste Pflicht, über die persönliche Freiheit aller Staatsbürger zu wachen. Jeder ungarische Staatsbürger ist berechtigt, sich in jeder beliebigen ungarischen Ortschaft aufzuhalten und für seine politische Auffassung einzutreten; und ist er auch oppo­sitionell gesinntj so ist das noch keine Rechtsgrundlage zur Beschränkung seiner persönlichen Freiheit. Da nun selbst die elementare Freiheit ungarischer Staatsbürger gefährdet war, waren wir gezwungen, das Haus embe­riden zu lassen. Wir haben ernste Beschwerden vorzu­bringen, und diese wollen wir dem Hause heute unter­breiten, einerseits, damit das Haus Gelegenheit habe, zu diesen Stellung zu nehmen, andererseits, um auch der Regierung Gelegenheit zur Wiedergutmachung zu bieten. (Zustimmung links.) Im weiteren Verlaufe seiner Rede sprach Abgeord­neter Dr. Ulain über die Gesetzwidrigkeiten, die während der Wahl im Mezőcsáter Bezirk angeblich begangen wor­den seien. Er leitete diese Ausführungen mit der Behaup­tung ein, die Partei der Unabhängigen Landwirte sei wochenlang unaufhörlich Presseangriffen ausgesetzt ge­wesen, eine Behauptung, die bei der Einheitspartei stür­mische Heiterkeit auslöste. Seine Partei — fuhr der Red­ner fort — sei angegriffen worden, weil sie angeblich eine maßlose Verhetzung der Wähler während der Wahl getrieben habe, was indessen der Wahrheit absolut nicht entspreche. Seine Partei habe während der Wahl weder gegen die bestehende gesetzliche Ordnung, noch gegen das Eigentum, gegen einzelne Gesellschaftsklassen oder Konfessionen die Wähler gereizt. Der Redner forderte so­dann den Justiz- und den Innenminister auf, die strengste Untersuchung einzuleiten, um festzustellen, ob solche Aufreizungen während der Wahl von Mezőcsát statt­­gefninden haben. Das unabhängige ungarische Gericht werde dann wohl die ganze Strenge des Gesetzes nicht bloß gegen alle diejenigen änwenden können, die die Verfassung und die Wahlgesetze mit Füßen getreten haben. (Stürmischer Widerspruch und Lärm rechts.) Wenn wir die Wähler aufgereizt haben, fuhr Dr. Ulain fort; so haben wir gegen die ungesetzlichen behörd­lichen Maßnahmen, gegen die Verletzung der ungarischen Verfassung aufgereizt. Wir erklären vor der Öffentlich­keit des ganzen Landes, daß wir diese „aufreizende“ Tätigkeit solange fortsetzen werden, bis die ungarischen Wähler ihr Wahlrecht frei werden ausüben können. Wir haben keinen einzigen aufreizenden oder aufwühlerischen Ausdruck gebraucht, und nicht wir waren es, die in Mezőcsát über die imbezillen Grafen gesprochen haben. Abgeordneter Berki (Einheit): Das ist eine Lüge! Abgeordneter Ulain (fortfahrend): Unsere Aufgabe und unsere Arbeit bestanden bloß darin, daß wir versucht haben, nach einem terroristi­schen Regime von zehn Jahren das Selbstbewußtsein der ungarischen Landbevölkerung zu wecken, ihr das Be­wußtsein einzuimpfen, daß dem Verwaltungsbeamten, der die Wähler in der Ausübung des freien Wahlrechtes verhindert, die Peitsche gebührt. Wenn dies Aufreizung bedeutet, so sind wir stolz darauf, sie begangen zu haben, und werden sie bis zu unserem letzten Atemzuge fort­setzen. (Großer Lärm und Widerspruch rechts.) Präsident Dr. Almásy: Der Herr Abgeordnete spricht im Namen von mehr als fünfzig Abgeordneten, und ich will ihn daher in sei­ner Redefreiheit nicht beschränken. Die Hausordnung und die Regeln des parlamentarischen Anstandes sind indessen auch für ihn bindend, und ich fordere ihn auf, diese in seinen Ausführungen zu beachten. Abgeordneter Dr. Ulain: Nicht wir, sondern die höchsten Beamten der Bor­soder Verwaltung haben die Gesetze und die Verfassung verletzt, und es geht nicht an, daß die „zudringliche“ Vergangenheit- in dieser skandalösen Weise ihre Machen­schaften fortzusetzen beginnt. Abgeordneter Jánossy (Einheit): I-n der „zudringlichen“ Vergangenheit hatte der Weizen einen Preis von 30 Pengő! Abgeordneter Dr. Rassay (lib. Opp.): Wie kann man so kindische Sachen sprechen! Abgeordneter Dr. Ulain sprach im weiteren Verlauf seiner Rede über die angeb­lichen Gesetzwidrigkeiten, die nach seiner Darstellung darin gipfelten, daß der Obergespan des Komitats Borsod seinen Amtssitz während der Wahlen nach Mezőcsát ver­legt und den Wahlkampf aus einem Wirtshause, wo das Hauptquartier der Regierungspartei sich befand, in Hemdärmeln persönlich geleitet habe, was ein Ober­gespan vor fünfzehn oder zwanzig Jahren niemals ge­tan hätte. Ferner habe der Obergespan das Verfügungs­recht in allen Belangen eigenmächtig an sich gerissen. Nicht bloß der Oberstuhlrichter und die beiden ihm zu­geteilten Stuhlrichter des Mezőcsáter Bezirks, sowie alle Dorfnotäre hätten sich im Interesse des Regierungkandi­daten am Wahlkampfe beteiligt, sondern drei andere Oberstnhlrichter des Komitats hätten sich beurlauben lassen, um die Wähler für den Kandidaten der Einheits­partei zu bearbeiten. Gegen diese Gesetzwidrigkeit habe die Partei der Unabhängigen Landwirte vergebens an den Innenminister appelliert, denn der Minister habe sich allem Anschein nach mit dem Regime identifiziert, durch das der Landesteil südlich der Donau und der Drau auf das Niveau eines Balkanstaates herabgesunken »ei. Der Abgeordnete Ulain beschäftigte sich sodann mit den Ausweisungen aus dem Mezőcsáter Wahlbezirk während der Wahlkampagne. — Gegen die kleinen Verwaltungspaschas, fuhr Dr. Ulain fort, werden wir das Strafverfahren unbedingt be­antragen, und zwar auf Grund der Protokolle, die wir übri­gens dem Herrn Minister des Innern zur Verfügung stel­len, wobei wir nicht werden unerwähnt lassen, daß wir den Minister des Innern vergeblich um Intervention ge­gen die Ungesetzlichkeiten aufgefordert haben. Die Ver­waltung hat sich mit ihrer unerhörten Haltung auf eine abschüssige Bahn begeben. (Stürmischer Applaus links.), Ich aber mache den Herrn Ministerpräsidenten aufmerk­sam, daß dies so nicht weiter geht. Das ungarische Volk wird nicht dulden, daß seine Rechte mit Füßen getreten werden. Wissen Sie, meine Herren, wohin dieses System führt? Es führt dahin, daß es schließlich nur mehr zwei Parteien in diesem Lande gehen wird: die Behörden und das ungarische Volk. (Stürmische Zustimmung links.) Das können auch Sie nicht haben wollen, und darum fordere ich Sie, Herr Ministerpräsident, auf, indem ich Sie auf Ihre geschichtliche Verantwortlichkeit aufmerk­sam mache, mit diesem System aufzuräumen, — denn tun Sie es nicht, so wird es in kurzem keinen Halt mehr geben auf dieser abschüssigen Bahn, Die Achtung vor den Behörden ist im Volke ohnehin schon erschüttert. Aber nicht dies allein steht auf der Verlustliste dieses Wahlkampfes. Mit beispiellosem Leichtsinn ist auch die Gendarmerie zu Kortesehzwecken verwendet worden. Stets ist die Gendarmerie der Stolz dieses Landes gewe­sen. (Rufe rechts: „Auch jetzt ist sie es!“) Ich aber frage, ob sie es auch noch weiterhin bleiben kann, wenn sie im Interesse einer einzigen Partei zu Kortesehzwecken ver­wendet wird. Abgeordneter Malasics (Soz.)': Sie ist zum Gesinde der Einheitspartei degradiert! Präsident Dr. Almásy: Die Gendarmerie steht unter dem Schutz des Ge­setzes und ist zum Schutz des Gesetzes berufen. Ich kann nicht zulassen, daß gegen sie allgemein gehaltene Beschuldigungen erhoben werden, Abgeordneter Dr. Ulain: Ich verbeuge mich vor Ihrer Ermahnung, Herr Prä­sident, aber als Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft hin ich wohl berechtigt, an jedem und allem Kritik zu üben, und schließlich ist auch die Gendarmerie nur ein Organ des Staates, das sich an die Gesetze halten muß. Präsident Dr. Almásy: Das stimmt schon, doch muß sich Ihre Kritik inner­halb der Grenzen der Gesetze und der Geschäftsordnung bewegen. Allgemeine Beschuldigungen sind nicht zu­lässig. (Zustimmung rechts.) Abgeordneter Dr. Ulain: Wir reizen nicht gegen die Institution der Gendar­merie auf, wir wollen bloß feststellen, daß sie nicht Ihnen allein gehört, sondern auch uns, daß sie der Nation ge­hört und dazu da ist, das Recht selbst für den Kleinsten zu sichern. (Applaus links.) Was hätten Sie wohl gesagt, meine Herren, wenn Sie gesehen hätten, wie die Gendar­men das arme Volk verfolgen, wie sie bei braven Bür­gern dreimal, viermal im Tage Haussuchungen vorneh­men und Übertretungsverfahren einleiten, doch immer mit der Bemerkung, daß ihnen kein Leid geschehen soll, wenn sie nur für die Regierung stimmen. (Großer Lärm im ganzen Hause, stürmische Rufe links: Pfui! Pfui!) Abgeordneter Pcyer (Soz.); Das ist ja ein Misthaufen! Präsident Dr. Almásy: Ich rufe Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Peyer! Abgeordneter Dr. Eckhardt (Unabh. Landw ): Das ist der Beginn eines Verwesungsprozesses! Abgeordneter Dr. Ulain: Was hätten Sie gesagt, meine Herren, wenn Sie ge­sehen hätten, wie ein Postenkommandant seine Leute antreten ließ, als ein Abgeordneter, allerdings ein oppo- PREIS DES ABENDBLATTES im Einzelverkauf 10 HEILER lnscratenaufnahra© t to Budapest, in der Administration des Pester Lloyd und in den Annoncen- Bureaus: Baloph Sándor, J.Blockner. 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