Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1935. november (82. évfolyam, 250-273. szám)

1935-11-03 / 250. szám

weite zu treffen, und zwar völlig» nach eigenem Gut­dünken. Sein Prestige und sein Ansehen ist daher enorm. Ihm wird blindlings gehorcht, ihn sich Gehorsam zu verschaffen, genügt von seiten des Speakers meistens ein einziges Wort, ja oft nur ein Blick oder ein Lächeln. Er ist eine der angesehensten Persönlichkeiten im Lande, Im offiziellen, Zeremo­niell rangiert er, unmittelbar hinter dem Premier­minister und dem Lord-Präsidenten des Staatsrates und schreitet neben dem Erzbischof von Canterbury und vor sämtlichen Peers. Das Amt eines Speakers ist vielleicht die höchste Würde, die dias englische Volk von sich aus zu vergeben hat. Der Speaker muß, in Kürze gesagt, der ideale Vertreter einer Ver­sammlung englischer Gentlemen sein, und Captain Fitzroy entspricht diesen Anforderungen in vollstem Maße. Aus dem Gesagten ist also ohne weiteres ersicht­lich, wie übel die Männer von der Labour-Party be­raten waren, als sie beschlossen, gegen den Speaker einen sozialistischen V\ ahlkaiididaten aufzustellen. Schon die erste Wahlversammlung, bei der Captain Fitzroy wider seinen Willen in Daventry auftreten mußte, gestaltete sich zu einer starken Kundgebung für ihn und für seine Wiederwahl. Vertreter der Konservativen, der Liberalen und Labournationalen setzten sich, alle auf gleicher Tribüne, für Captain Fitzroy ein. Captain Fitzroy selbst hielt eine der fremdartigsten und denkwürdigsten — da in ihr das Element des Parteikampfes gänzlich fehlte — Reden, die in einem englischen Wahlkampf je gehalten wor­den sind. „Ich gehöre zu keiner einzigen Partei,“ er­klärte Captain Fitzroy, „meine Aufgabe besteht darin, den Wahlkampf in Daventry außerhalb jegli­cher politischer Dispute ;M 'halten. Mit meinem sozia­listischen Opponenten werde ich mich in gar keine Diskussionen einlassen. Ich werde keine einzige politische Frage .aufwerfen. Die einzige Frage, dae die Wähler zu beantworten haben werden, ist die, ob sie den bisherigen Sprecher des Parlaments wie­dergewählt wissen wollen oder nicht.“ Und Captain Fitzroy schloß seine Rede, indem er das Handeln der Sozialisten, ohne sie bei Namen zu nennen, als nicht sportsmanlike und als unfair — wohl mit das Schlimmste, was ein Engländer von einem an­deren sagen kann — charakterisierte. „Der Sprecher des Parlaments," erklärte Captain Fitzroy, „hat -völ­lig unparteilich zu sein und ist daher picht in der Lage, sich selbst -zu verteidigen. Bisher war es eine alte englische Regel, daß es nicht recht und billig ist, einen Mann anzug-reifen, der sich nicht selbst verteidigen kann. Soll diese Regel nun mißachtet werden? Wie kann man die Handlung von Leuten bezeichnen, die zuerst den Speaker selbst gewählt und ihn damit politisch entwaffnet habén, ihn jetzt aber angreifen? Ich weiß nicht, wie diese Handlung bezeichnet werden kann» Ich weiß aber mit Be­stimmtheit, daß eine solche Handlung sicherlich kein anständiges Cricketspiel ist.“ Abessinien im Liebte der Tatsachen. Von Dr. ALBERT v. BERZEVICZY, Minister a. D„ Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Oberhauses. Als Italien, von dem seinen Kolonien Erythräa und Somali benachbarten Abessinien seit einer langen Reihe von Jahren in immer steigendem Maße behel­ligt, sich endlich zur Wehr setzte und dafür von Abessinien vor den Richterstuhl des Völikerbundrates zitiert wurde, hat die italienische Regierung dem Völkerbundrat ein auisgedehntcis Elaborat vorgelegt, um seinen Standpunkt zu rechtfertigen. Dieses Ela­borat, das uns nun vorliegt, besteht aus einem 107 Druckseiten in großem Bogenformat enthalten­den Bericht in französischer Spräche, dem eine sehr übersichtliche Landkarte des in Rede stellendem Territoriums beigefügt ist. Diesem Bericht schließen sich an eine 20 Blätter umfassende Sammlung von' Photographien und eine Sammlung von Originaldokumenten (360 Druck­seiten in großem Bogenformat nebst 98 Seiten Annexe und zahlreiche Photographien). Die Photographien sind geradezu verblüffend, denn sie stellen mit der größten Unmittelbarkeit die schauerlichen Grausamkeiten dar, die an abessini­­schen Untertanen, hie und da sogar an solchen ver­übt wurden, die italienischer Herrschaft unterstehen, und die in Abessinien herrschende Barbarei in ein grelles Licht versetzen. Da sind beispielsweise Fälle von Entmannung und andere Verstümmelungen, die ihrem Opfer das Lehen kosteten. Da sehen wir, daß man in Abessinien die ahgetrennten Körperteile der Verstümmelten als Trophäe auf den Giebel des Hauses anzubringen pflegt, dessen Eigentümer die ruchlose Tat begehen ließ. Und die Authentizität der benützten Photographien kann hier in keinem Falle angezweifdt werden. Es finden sich, nicht Ent­gleisungen, wie sie den Verfassern der in dér Ange­legenheit des Marseiiler Königsinordes gegen Ungarn gerichteten jugoslawischen Anklageschrift unterlaufen sind, die Photographien benützten, auf denen kroati­sche Emigranten in Uniform angeblich in Jankapuszta dargestellt sind; das Bild Stellt jedoch eine Gebirgs­landschaft dar, wo doch in Jankapuszta gar keine Gebirge existieren. Unter den vielen grauenerregen­den Bildern begegnen wir zum Glück auch einem,, das uns heiter stimmen muß. Ein Schuldner und sein Gläubiger erscheinen da aneinander gekettet.' "Man kaun sich denken, wie viel Angenehmes diese beiden in ihrer erzwungenen Intimität einander zu sagen haben; und wir müssen uns wundern, daß bei uns, wo doch in der letzten Zeit so vieles üiber die Rege­lung der Schulden der Landwirte verhandelt wurde, -diese einfache und jedenfalls unparteiische Lösung des Problems niemand einfiel; Es war eine sehr glückliche Eingebung, die die Verfasser des italienischen Berichtes vefarilaBté, ihre Daten hauptsächlich englischen Quellen zu entneh­men; es sind zumeist englische Berichte und die Auf­zeichnungen englischer Autoritäten, durch die die haarsträubendsten Begebenheiten und Vorgänge nach­gewiesen werden. Der Bericht greift bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts Zurück, um das Verhältnis Äthiopiens zu Italien zu schildern. Das Werk italienischer Rei­senden, Forscher, Missionäre verlieh, wenn auch oft mit Bulütopfern verbunden, den stärksten Impuls zur Erkenntnis Abessiniens in der zivilisierten Welt. So kam in den Vertrag vöiii 2. Mai 1889 eine Art Protek­torat Italiens über Abessinien zustande. Dasselbe er­wies sieb jedoch ziemlich nutzlos, obgleich die 2000 Kilometer übersteigende Länge der italienisch-abessi­­nischen Grenze es ersprießlich hätte gestalten kön­nen. Es erwies sich nutzlos, weil Abessinien sich in der Praxis allen Verpflichtungen entzog und den Ita­lienern überall und jedesmal entschieden t feindlich entgegentrat, so daß es nach einem sechzehnjährigen Vertragsverihältnis zum offenen Zusammenstoß und endlich zum Fxiedenssohluß vom 26. Oktober 1896 kam. Leider brachte auch der Friedensschluß keine wesentliche Änderung; die zügellosen Ausschreitun­gen der Äthiopier, wiederholtet!' sich und die Reklama­tionen der italienischen Behörden hatten kein anderes Resultat, als Versprechungen, die nicht erfüllt wur­den und Untersuchungen, während welcher die Täter immer die Möglichkeit zur Flucht fänden. Selbst als Italien im Jahre 1928 mit Abessinien ein Freundschaftsbündnis schloß mit der besonderen Bestimmung, das wirtschaftliche^ Zusammenwirken der beiden Staren zu fördern, konnte es nicht zum crwitnséhtnh Ziele gelangen, dehn Abessinien behan­delte die italienischen Behörden, Unternehmungen und Geschäftsleute -schlechter als die Angehörigen solcher Staaten, mit denen es keinen Freundschafts­vertrag hatte. Die Italiener waren in ihrem Verkehr überall verhindert;, ^bessinische Freischärler drangen in die italienischen Kolonien ein, verschleppten, be­raubten, töteten sogarAn vielen Fällen in grauenvoller Weise Italiener oder Kolonialuntertanen' Italiens, und eine ernste Reparation war niemals zu erlangen. Diese Zustände waren nicht nur dem Rassen­haß gegen die Weißen zuzttschreiben, sie wurden auch durch den Umstand; gefördert, daß es in Abessinien gar. keine Zentralgewalt gibt, die sich auf dem gan­zen, heute Ahessinieü.ajgehannten, Territorium, das größer als Frankreichs oder Italien ist,, geltend machen könnte. Die in den letzten Jahrzehnten dem alten »Abessinien ansgeschlossenen Länder betrachten sich wohl als tributpflichtig xler in Addis Abeba residierenden Regierung gegenüber, sind aber in den seltensten Fällen geneigt, denn Weisungen der dor­tigen Exekutive zu folgen. Dej? Mangel einer wirk­lichen : ■einheitlichen' staatlichen Struktur macht »Abessinien zu einem gaffz un ver läßlichen Vertrags­partner und zu einem unerträglichen Nachbar. Diese-Erfahrungen erschwerten auch die »Auf­nahme Abessiniens in den Völkerbund; und als diese, auch von Italien lebhaft unterstützt, dennoch erfolgte, stellte es sich bald heraus, daß dieses neueste Mit­glied des Völkerbundes sich nur den Schutz der Genfer Institution sichern wollte, jedoch gar nicht gesinnt ist, auch deren Bedingungen zu erfüllen. Ein noch in ganz barbarischem Zustand befindliches Land kann überhaupt nicht den zivilisierten Län­dern die im Völkerbund angestrebte Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit gewährleisten. Im Falle Abes­siniens ist dies aber um so schwerer, ja, ganz-un­möglich, weil das Völkerhund-statut jedem Mit­gliedstaat die Freiheit und ordentliche Belohnung der Arbeit vorschreibt, Äthiopien aber hartnäckig bei der Sklavenarbeit verharrt, ja, sein ganzes Wirtschafts­system auf Sklavenarbeit aufgebaut hat. Alle Bemühungen des Völkerbundes, die Skla­venarbeit abzuschaffen. scheitern an der Gewohnheit und der althergebrachten Lebensweise des Volkes, ohwohl-dieses schon seit längerer Zeit dem Christen-* tum angehört. »Alle Versicherungen, die im Völker­bund die Abschaffung- des Sklaventums versprechen, sind leere Spiegelfechterei. Der Negus selbst ist der größte Sklavenhändler, weil ihm sein Tribut von den angegliederten Provinzen in Form von Sklaven geliefert wird. Mit den Sklaven wird auch ein aus­gedehnter Handel getrieben, und das Merkwürdigste isi, daß der katholische Kferus ebenfalls die Beibe­­; halttmg des Sklaventums befürwortet, gewiß nicht aus dogmatischen Gründen, sondern weil unter den gegebenen Verhältnissen dies auch das wirtschaft­liche Interesse der Kirche erfordert. Leider wurde diese so sorgfältig und gewissen­haft zusammengestellte Denkschrift Italiens, wie die Beschlußfassung zeigt, von den Mitgliedern des Völkerbundes nur sehr geringer Aufmerksamkeit gewürdigt. In dem Streitfall Italiens mit Abessinien hat sich der Völkerbund auf die Seite Abessiniens gestellt. Fiir eine formelle Mißbilligung des Vor­gehens Italiens fehlten wohl nicht die nötigen Para­graphen; aber die Frage, auf welcher Seite für die wahre Gerechtigkeit, für die Verwirklichung der im Völkerbund zur Geltung berufenen hohen Ziele und ideale gekämpft wird, hätte wohl eine eingehendere rruiung vermem. So hat sich das Widersinnige er* geben müssen, daß jene Institution, die die Ver* sklavung des Menschen und gar den Sklavenhandel mit Stumpf und Stiel auszurotten sich anschickte, nun die Beschützerin der Souveränität »Äthiopiens und dadurch eigentlich auch zur Beschützerin des Sklavenhandels wurde und sich jetzt anschickt, Ita­lien dafür zu züchtigen, daß es Abessinien zur Ein* -Haltung der die Menschenrechte sichernden Satzun­gen zwingen will. Und nicht minder widersinnig ist es, daß jene Länder, die einen so harten Kampf gegen die »Ar­beitslosigkeit führen, nun über jenen Staat herfal­len, der die Arbeitslosigkeit überwunden hat und einen Staat in ihren Schutz nehmen, der durch Auf­rechterhaltung des Sklavenhandels die .mensch­liche »Arbeit nicht zu ihrem verdienten Lohn gelan­gen läßt. Und das alles nur darum, weil in Italien der Faszismus wohl die »Arbeiterfrage gelöst, aber der Sozialdemokratie den Garaus gemacht hat- • 4# PESTER LLOYD Sonntag,-3. November 1935* Was geht in Rom vor? . r— Von einem gelegentlichen Korrespondenten. —­ Rom, »Anfang November. Mussolinis heroische Gestalt sieht die Welt seit einiger Zeit mit weitgeöffneten Augen an. Was mag dieses nach allen »Anzeichen größte staatsmännische Talent unseres Zeitalters in den abessinischen Kon­flikt 'hineingezogen haben, der die englisch-italieni­sche Freundschaft, den zuvor lässigsten Pfeiler der italienischen Außenpolitik, zerstörte? Es taucht eine ganze Legion von Fragen auf: Ist es wahr, daß zur Bekämpfung der Komitatschikampfweise der Abes­sinier selbst dann noch lange Jahre notwendig wä­ren. wenn der Negus keine Waffen „auf Kredit“ er­hielte? Ist es wahr, daß auch bei vollständigem mili­tärischen Erfolg Abessinien eine zum größten Teil unbrauchbare Kolonie in der Hand der Italiener wäre, da bekanntlich Kolonien nicht so sehr durch Menschen, als vielmehr durch Kapital fruchtbar gemacht werden, Italien aber über keine Kapitalien verfügt? Ist es wahr, daß die Engländer das faszisti­sche System absichtlich in dieses aussichtslose Unter­nehmen hinein manövi erteil, damit der voraussicht­liche politische und wirtschaftliche Mißerfolg das­jenige Regime schwäche, auf das Mussolini bereits seine Weltreichpläne aufzubauen begann? Und ist es wahr, daß auch Laval die Erwirkung der Zu­stimmung der Engländer deshalb übernahm, damit er Italien solcherart in ein Tiefwasser locke, in dem es auf den Rettungsgürtel der Banque de France angewiesen wäre? Die sich hinter solchen oratorischen Fragen verbergenden Gerüchte Isinä naturgemäß derart un* kontrollierbar; daß man sife nur als unverantwört* liehen Klatsch ansehen kann. Mehr als die uner­gründliche Vorgeschichte interessieren Europa augen­blicklich ohnedies die Fragen, ob die um Abessinien so unglücklich verworrenen englischen und italieni­schen Fäden gütlich entwirrt werden körnten, ferner, was in diesem Konflikt die Ziele der Engländer und die der Italiener sind, und was einem Kompromiß zwischen diesen beiderseitigen Zielen im Wege steht. In Rom hat man den Eindruck, daß es sich im Wesen schon lange nicht mehr um Abessinien han­delt. Schließlich könnte das Hauptziel, das Italien und England in Ostafrika verfolgen, verhältnis­mäßig leicht miteinander in Einklang gebracht wer­den. England hätte eine befreundete Macht, zumin­dest wirtschaftlich, ganz Abessinien durchdringen lassen können; was das britische Reich vom (sachlichen Gesichtspunkte aus fordert, ist auch heute — nach Beurteilung englischer Kreise in Rom — nur so viel, daß die Diagonale, die vom Sudan nach Britisch- Somaliland führt, unter englischem Einfluß stehe. Für den von der Sudangrenze bis Addis »Abeba rei­chenden Teil der Strecke haben die Engländer vom Negus die Straßenbaukonzession . bereits erworben und England bietet dem Negus einen Korridor über Britisch-Somaliland nach Zeila deshalb bereitwillig an, weil die Straße von »Addis Abeba bis Zeila der Negus selbst bauen würde und England sich derart eine mit der Linie Suez-Rotes Meer gleichlaufende Landverbindung zwischen Ägyptisch-Sudan und der Bucht von Aden, somit dem Indischen Ozean, ver­schaffen könnte. Nebst dem Tanasee wäre somit dies an positivem Interesse alles, was England mit »Abessinien verbände. Demgegenüber ist das Hauptziel der Italiener nicht die Sammlung von Wüsten, aber auch nicht die von Urwäldern und Felsen-iSaharas, sondern eine andere Diagonale über Abessinien. Die Italiener trachten nämlich ip erster Linie, eine unmittelbare Verbindung zwischen dem am Roten Meer gelegenen Erythräa und dem vom Indischen Ozean um spül ten Italienisch-Sonialiland zustande zu bringen. Italiens Recht hiezu sei schon im Jahre 1906 von England und Frankreich anerkannt worden, aber nicht in Form einer politischen Oberhoheit oder eines Korri­dors, sondern in der einer einfachen Interessen­sphäre, was bedeutet, daß Italien das Recht hat, über dieses Gebiet hindurch sich eine Straße zu bauen. Diese Straße Erythräa—I talieni sc h - Som al i land würde die Straße Sudan—Britisch-Somaliland jeden­falls kreuzen, doch erschien diese Frage zur Zeit der englisch-italienischen Freundschaft nicht unlösbar. Schwierig wurde sie erst, als die Italiener sich längs der Interessensphäre nicht allein , eine Straße, son-

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