Pester Lloyd - esti kiadás, 1938. november (85. évfolyam, 247-271. szám)

1938-11-02 / 247. szám

Mittwoch; 2. November 1938 PESTER LLOYD AUSLAJNDSCHAU — ’ I 2. NOVEMBER —-m«.................. Faul Reynaud zwischen Wirtschaft und PsychoEosie Für den gestrigen Kabinettsrat in Paris war eine mehrstündige Dauer vorgesehen. Man rechnete da­mit, daß sich die Sitzung, in der Finanzminister Marchandeau seine neuen Pläne zur Wiederaufrich­tung der französischen Wirtschaft vortragen sollte, bis in die späten Abendstunden hinausziehen könnte. Statt dessen verließen die Minister bereits um halb 6 Uhr, also nach einer knapp halbstündigen Beratung, wieder den Sitzungssaal und der Presse wurde folgendes sensationell wirkende Kommunique zur Verfügung gestellt: „In der gestrigen und heuti­gen Sitzung des Kabinettsrats hat Finanzminister Marchandeau seinem Wunsche Ausdruck gegeben, auf sein Portefeuille zu verzichten. Auf die freund­schaftlich eindringende Bitte des Ministerpräsidenten Daladier, der sich die Mitglieder des Kabinetts ein­mütig anschlossen, entschied Marchandeau, auch weiter mit der Regierung Daladier zusammen­zuarbeiten, und zwar an der Spitze des Justiz­ministeriums, an der Stelle Paul Reynauds, der das Finanzportefeu,ille übernimmt.“ Was ist. geschehen? Nun, dem Anschein nach nicht besonders viel: zwei Minister haben ihre Por­tefeuilles getauscht — ein in Frankreich gar nicht so seltenes Vorkommnis. Tatsächlich handelt es sich aber um ciii Ereignis, das weittragende Folgen für die Entwicklung der Lage in Frankreich habeh kann. Als Marchandeau die Leitung des Finanz­ministeriums übernahm, galt er als ausgesprochener Gegner der vom linken Flügel der Volksfront gefor­derten wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen, wie etwa der Devisenbeschränkungen und der mit der Notwendigkeit einer Kontrolle der Privatwirtschaft motivierten staatlichen Eingriffe in die Gebarung der Finanz- und Industriegesellschaften. Man sah in ihm den Vertretei- eines ökonomischen Liberalismus, der gerade durch Verzicht auf den Zwang das Vertrauen wiederherstellen und auf diesem Wege die franzö­sische Devisenlage — deren Probleme in ihrem Ur­grund in der Psychologie des französischen Kapita­listen verwurzelt sind — festigen wird. Auch die Lage der Staatsfinanzen sollte, wie angenommen, auf dem Umweg durch die Erhöhung der Produktion infolge einer zuversichtlicheren Beurteilung der Konjunktur • erre: eht - werden. Dies war auch gewiß der ursprüngliche Plan Marchandeaus und der grundlegende Wandel in sei­ner Einstellung dürfte sich erst in der zweiten Hälfte seiner Amtsperiode, und zwar vor allem unter dem Eindruck der politischen Verhältnisse, vollzogen haben. Die große Krise vor dem Münchner Abkommen störte die ruhige Ent­wicklung, die als Voraussetzung für das Gelingen des liberalen Planes angesehen wurde; doch war das Tempo der Besserung nicht so groß, daß es den durch die Teilmobilisierung und durch die neuen Rüstungspläne wieder angewachsenen Anforderun­gen an die französischen Finanzen entsprochen hätte. Der Finanzminister sah keinen anderen Aus­weg, als den eines Zurückgreifens auf die Mittel der Zwangswirtschaft: der neue Marchandeau-Plan sah sehr energische Eingriffe insbesondere auf devisen­­politischem Gebiet vor — Maßnahmen, die nach den durchgesickerten Informationen praktisch einer Devisenkontrolle gleichgekommen wären, sowie die Inanspruchnahme von privaten Gold- und Devisen­beständen u. a, m. Aus dem Ton der Pariser Presse war bereits seit Tagen darauf zu schließen, daß der Widerstand gegen die Konzeption des Finanzministers im Wach­sen begriffen ist. Im Kabinett selber scheinen Bon­net, Chautcuips und Reynaud bei den ersten An­kündigungen Marchandeaus bereits heftig opponiert zu haben, während nur Campinchi und Zay dem Finanzminister volle Unterstützung gewährten. Und obwohl auch außerhalb des Kabinetts der sehr ein­flußreiche Herriot sich ebenfalls für Marchandeau einsetzte, waren die Kräfte doch sehr ungleich ver­teilt: Daladier schloß sich nach kurzem Zögern den Wirtschaftsexperten, also dem Flügel Bonnnets, an. Paul Reynaud dürfte nun wiederum — welch seltsamer Tausch der Rollen! — als liberaler Wirt­schaftspolitiker auftreten. Seine Liberalität wird sich allerdings nicht viel weiter, als auf den Verzicht auf unmittelbare Zwangsmaßnahmen erstrecken. Da­für verfügt er jedoch über eine so großartige wirt­schaftliche Autorität und über so ausgezeichnete Ver- Irauensbeziehungen zu den Führern der französi­schen Wirtschaft, daß ein Wort oder eine Zurede sei­nerseits einige Verordnungen aufwiegt. Er verfügt auch über eine genügend große Energie, um die Wol­len des Vertrauens, die ihm — auch schon in der heu­tigen französischen Morgenpresse — entgegenströ­men, gebührend auszunützen und den psychologi­schen Beruhigungsprozeß, mit dem Marchandeau nicht viel anzufangen wußte, zu beschleunigen. Man darf eben niemals aus dein Auge verlieren, daß die französische Wirtschaftsproblematik eine psycholo­gische Fundierung hat — sie ist vergleichbar mit hysterischen Konvulsionen und Lähmungen, die durch ihre Hartnäckigkeit allerdings auch schwere organische Schädigungen und Entartungen hervor­­rufen können, wobei jedoch die Therapie weitgehend von der psychischen Seite ausgehen muß. Den ein­zigen schwachen Punkt in den Vertrauensbeziehun­gen zu Reynaud, die Erinnerung an seine konsequent durchgehaltene devalvationistische Einstellung, hat der neue Finanzminister sofort nach Übernahme sei­nes Amtes entsprechend behandelt: er erklärte klipp und klar, er halve unter den gewandelten Verhältnis­sen auch seine Anschauungen revidiert und halte eine neue Abwertung des Franc nicht mehr fiir notwen­dig, auch wolle er keineswegs das valutarische Dreierabkommen mit England und den Vereinigten Staaten kündigen. ; ■ Finanzminister Reynaud dürfte sich jetzt dem Vernehmen nach vier bis fünf Tage Zeit nehmen, um seine Finanzpläne auszuarbeiten. Inzwischen wird inan auch sehen, wie die Finanzwelt des In- und Aus­landes auf seine Ernennung reagiert. Hievon dürfte sehr viel, ja überhaupt das Gelingen seiner Mission abliängen. Jedenfalls hat jetzt einer der besten fran­zösischen Wirtscbaftspclitiker das Finanzportefeuille im Kabinett Daladier inne. Mißlingt es ihm, seine Aufgabe zu erfüllen, so stehen eben als ultima ratio noch immer die von Marchandeau ins Auge gefaßten Zwangsmaßnahmen zur Verfügung. Chamberlains erstarkender Kurs Nach der verhältnismäßigen Windstille, die im politischen Leben Englands seit dem Ab­schluß des Münchener Abkommens einge- Ireten ist, beginnt jetzt, wenn nicht alle Zeichen triigenf eine neue Periode der außenpoliti­schen Aktivität. Die Nebel, die bis jetzt über den Ab­sichten Chamberlains lagen, heben sich, und der Steuermann der englischen Politik segelt jetzt einem klar erkennbaren Ziele zu. Durch eine Aussprache zwischen den demokratischen und totalitären Mäch­ten die Anwendung der Gewalt zu, vermeiden und auf friedlichem Wege die Probleme zu lösen — dies ist das Ziel Chamberlains. Um aber eine Grundlage zur Fortsetzung der in München begonnenen Politik zu schaffen, muß das englisch-italienische Abkommen in Kraft gesetzt werden. Heute wird das englische Unterhaus über den Antrag Chamberlains, die dies­bezüglichen Schritte der Regierung gutzuheißen, de­battieren. Es ist darum durchaus verständlich, daß die Weltöffentlichkeit der außenpolitischen Aus­sprache im Unterhause am Mittwoch mit gespanntem Interesse entgegensieht, obwohl die Argumente, die von der Arbeiterpartei und von den unabhängigen Liberale!! gegen die Italienpolitik Chamberlains seit Monaten Vorgebracht werden, wohlbekannt sind. Die Liberalen gaben noch in der Nacht zum Mittwoch den Text ihres Mißtrauensvotums über die Politik Chamberlains bekannt, in dem zum Ausdruck ge­bracht wird, daß die Partei, obgleich auch sie die Wiederherstellung der geschichtlichen Freundschaft zwischen England und Italien als notwendig erachte, die Inkraftsetzung des Osterabkommens von Rom nicht billigen könne, ehe nicht Italien seinen im Nichteinniischungsausscliuß ein gegangenen Ver­pflichtungen zur Zurückziehung aller italienischen Freiwilligen aus Spanien voll und ganz nachgekom­men sei. Die gestrige Unterhausrede des Ministerpräsiden­ten Chamberlain hat in der englischen Öffentlichkeit ihren Eindruck übrigens nicht verfehlt. Die Morgen­presse schreibt, soweit es sich um konservative Blät­ter handelt, vom Beginn einer neuen Friedensepoche, die durch das Inkrafttreten des englisch-italienischen Abkommens zu erwarten sei. Interessant sind die Feststellungen des Daily Expreß über die Stimmung, die am Dienstag im Un­terhause unter den Abgeordneten geherrscht hat. Das Blatt weist darauf hin, daß mehrere Abgeordnete, die in den letzten Wochen mit ihren Wahlkreisen in Fühlung gestanden hätten, ein und dieselbe Beob­achtung gemacht haben, nämlich die, daß das An­sehen Chamberlains unter der Landbevölkerung er­heblich angewachsen sei. Diese Beobachtung sei auch häufig von Abgeordneten bestätigt worden, die ihre Mandate in Industriebezirken haben. Die Ausführungen Chamberlains im Unterhaus haben auch in Berliner politischen Kreisen starke Beachtung gefunden. Man scheint darin eine Bestäti­gung dafür zu sehen- daß die Regierung Chamberlain bereit ist, die in München eingeleitete Politik der An­näherung der beiden Achsen fortzusetzen und auch den Belangen anderer Verständnis entgegenzubrin­gen. Der Entschluß der englischen Regierung, das englisch-italienische Abkommen nunmehr in Kraft treten zu lassen, wird hier als erfreuliches Zeichen realpolitischer Einstellung und als verdiente An­erkennung der italienischen Haltung lebhaft begrüßt. Als Symptom für den Rückhalt der Chamberlain­­schen Politik in den breiten Massen dürfen die Ge­meindewahlen gewertet werden, derén erste Ergeb­nisse erhebliche Verluste der Arbeiterpartei insbeson­dere in den großen Industriegebieten zeigen. In Burnley, Sunderland, Wakefield, Hull,. Leicester und Bristol sind die Einbußen der Partei so groß, daß dadurch die Linksparteien die Kontrolle über die Ge­meindeverwaltung verloren haben. Die Mittwoch früh vorliegenden Ergebnisse zeigen folgendes Bild: Die Konservativen haben 57 Sitze gewonnen. 37 ver­loren (Zuwachs: 20), die Arbeiterpartei verlor 79, gewann 62 (Verlust: 17), während die Liberalen bei 3 DER POLITISCHE TAG Die bevorstehende Einberufung des Parlaments Erste Sitzung am 10. November ln politischen Kreisen rechnet man mit der baldigen Einberufung des Abgeordnetenhauses mit Rücksicht darauf, daß der ungarisch-tschecho­slowakische Konflikt in den nächsten Tagen, viel­leicht schon Stunden, gelöst wird und die inner­­politischen Probleme wieder in den Vordergrund des Interesses rücken. Wie wir erfahren, ist der Entwurf des besonderen Ermächtigungsgesetzes bereits fertig­gestellt und wird in der ersten Sitzung des Abge­ordnetenhauses, die voraussichtlich am 10. Novem­ber stattfinden wird, eingereicht werden. Die Herbst­session wird durch ein großes außenpolitisches Expose des Ministerpräsidenten eröffnet werden, der, wie wir erfahren, in der Debatte über das Ermäch­tigungsgesetz auch die Grundrisse seines Reform­programms bekanntgeben wird. 14 verlorenen und 16 gewonnenen, und dié Unab­hängigen Liberalen bei 40 verlorenen und 41 ge­wonnenen Mandaten ihre Stellung im ganzen unver­ändert behalten konnten. Palästina-Frage demnächst vor dem Unterhaus Die Regelung der Verhältnisse in Palästina be­reitet der britischen Regierung kein geringes Kopfzer­brechen. Der Regierungsausschuß beschäftigt sich seit Wochen mit der Bearbeitung der Pläne über die Aufteilung Palästinas — doch diese Pläne befriedigen kaum die Interessierten selbst. Man sieht einstweilen kaum, wie die englische' Regierung die zum Teil ein­ander scharf entgegengesetzten Interessen überbrük­­ken kann. Der arabische Nationalismus ist während des Weltkrieges durch die Engländer entfacht und nach dem Weltkrieg durch die zahlreichen Beispiele der Nachbarschaft und des Westens geschürt worden. In diesem kampflustigen und rücksichtslosen Nationalismus — mit dem selbstverständlich ein ebenfalls starker Nationalismus des Judentums in Pa­lästina parallel läuft — liegen die Forderungen ver­ankert, die eine Abordnung des Kairoer Arabischen Weltkongresses in London dem Kolonialministcr MacDonald vorlegen wird. Die Abordnung wird vom ehemaligen ägyptischen Ministerpräsidenten Allubi Pascha geführt und ist am Dienstag in London cin­­getroffen. Allubi Pascha gab in einer Presseerklärung die arabischen Forderungen bekannt: 1. Sofortige Abstellung der jüdischen Einwande­rung, 2. Bildung einer verfassungsmäßigen Regierung, die die Rechte der Minderheiten gewährleistet und 3. Bündnisvertrag mit Großbritannien, d. h. die Abschaffung des englischen Mandatsrechtes über Pa­lästina. Die Aussprache zwischen den englischen amt­lichen Stellen und Allubi Pascha soll in den näch­sten Tagen stattfinden. Zur Unterstützung der ara­bischen Forderungen ist der Verkehrsstreik der Araber verkündet und wirksam durchgeführt wor­den. Die englischen Ortsbehörden bezeichnen den Ausstand als sehr ernst und stellen fest, daß die Lage heute noch mehr zugespitzt sei als je. Die englischen Maßnahmen, wie Ausgehverbot, Haussuchungen, etwa 500 Verhaftungen in wenigen Tagen, Strafexpeditionen gegen ganze Dörfer, Sprengung der Häuser mehrerer Aufständischen, veranlagten die arabischen Kreise, ihre Drohung mit dem Generalstreik zu verwirklichen. Dieser wurde gestern veykündet und stellt die englischen Behörden erneut vor eine schwere Auf­gabe. Es wurden bereits Vorkehrungen getroffen, um die Strom- und Wasserversorgung und den Eisenbahnverkehr sicherzustellen. Es werden noch weitere wirksame Maßnahmen erwartet. Der Ober­befehlshaber der britischen Mittelmeerflotte Admi­ral Sir Dudley Pound, dessen Flaggenschiff „War­­spite“ in Haifa vor Anker liegt, begab sich gestern nach Jerusalem, wo er sich als Gast des hohen Kommissärs aufhielt, über die Beratungen sickerte noch nichts durch. Seit der Ausrufung des Generalstreiks kam es zu weiteren Ausschreitungen. Bei Kalunia ist eine jüdische Lederfabrik in Brand gesteckt, in Nazareth gegen das Hotel Adriatic, das durch englisches Mi­litär besetzt ist, ein Bombenanschlag verübt, in Jerusalem eine Fabrik angezündet worden, über sonstige Zusammenstöße werden 5 Tote und 5 Ver­letzte gemeldet. Alle diese Ereignisse bewegen die britische Re­gierung, die Frage möglichst rasch zu lösen. Kolo­nialminister MacDonald kündete deshalb im Unter­haus an, daß bald nach der Eröffnung der nächsten Parlamentssession über die weiteren Pläne der Re­gierung Bericht erstattet werde. -É | ........Iiauijjum,!—^ , i______ Der heranwachscndcn Jugend reicht man zeitweise mor­gens ein Gläschen natürliches „Fran*.Josef"-Bitterwasser das infolge seiner magen-, darm- und hlutreinigenden Wir­kung bei Mädchen und Knaben oft recht beachtenswerte Er. folge erzielt. Fragen Sie Ihren Arzt.,

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