Német evangélikus gimnázium, Segesvár, 1910

Eine der interessantesten und schönsten Dichtungen der älteren ungarischen Literatur ist die Erzählung „Szilágyi und Hajmási“. Ihrem Wesen nach ist sie aus dem goldenen Quell der Volkspoesie hervorgegangen und nimmt ihren Stoff aus der bewegtesten und ruhmvollsten Zeit der ungarischen Geschichte, aus der Zeit der Türkenkriege, da Ungarn das Bollwerk der Christenheit wurde und die herrliche Heldengestalt des grossen Führers Johann Hunyadi ewige Lorbeeren in den Kranz der vaterländischen Geschichte flocht. Der beste Beweis für die Bedeutung dieser Dichtung ist es, dass in verschiedenen Zeiten hervorragende Dichter sich mit ihr beschäftigt haben und neue poetische Bear­beitungen geschaffen haben. So hat Michael Vörösmarty eine Ballade über den Stoff von „Szilágyi und Hajmási“ gedichtet, Paul Gyulai und Edmund Jakab haben dichterische Erzählungen darüber geschrieben. Doch nicht nur die Dichtung als solche ist interessant, sondern auch ihre Geschichte. Zuerst haben wir eine poetische Darstellung aus dem Jahre 1571, deren Verfasser unbe­kannt ist. Die Literaturgeschichte führt ihn unter dem Namen „Anonymus von Szendrö'' an. Der unbekannte Verfasser sass als Gefangener in der Burg Szendrö, wahrscheinlich im Komitat Borsod. Das Gedicht ist enthalten im sogenannten Csorna-Kodex, den im Jahre 1636 Stefan Csorna zusammengeschrieben hat. Aus diesem Kodex, der heute Eigentum der „Ungarischen Akademie der Wissenschaften“ ist, hat ein Unbekannter das Gedicht zuerst im Jahre 1822 in deutscher Uebersetzung veröffentlicht. Erschienen ist diese Uebersetzung im „Taschenbuch für vaterländische Geschichte von Hormayr-Mednyänszky“. Sechs Jahre nachher hat das Gedicht in ungarischer Sprache herausgegeben der bedeutende Literarhistoriker Franz Toldy. Nun sagt der „Anonymus von Szendrö“ selbst, dass er die Sage seines Gedichtes den Versen eines andern Dichters entnommen habe. Also gab es noch eine frühere Bearbeitung, wahrscheinlich in lateinischer Sprache. Ausserdem wurden später auch Sekler Volksballaden bekannt, die denselben Stoff behandeln. Daher ist es kein Wunder, wenn das Interesse der Literarhistoriker seit Toldy bis auf den heutigen Tag sich um diese Dichtung dreht, und die bedeutendsten Männer sich bemühten und bemühen, die geschichtliche Frage der Dichtuug „Szilágyi und Hajmási“ zu lösen. Toldy war anfangs der Ansicht, dass der eine Held der Sage Michael Szilágyi, der Onkel des grossen Königs, Mathias Corvinus sei. Später ging er von dieser Ansicht ab und glaubte, dass es sich um einen Szilágyi aus dem 16. Jahrhundert handle, und dass das Gedicht des Anonymus nach einem unbekannten serbischen Volkslied verfasst sei. Dann änderte er seine Meinung wieder und behauptete, dass sowohl das Gedicht des Anonymus, wie auch die Sekler Volksballaden Variationen einer und derselben Grund­sage bilden.

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