Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1892. November (Jahrgang 19, nr. 5744-5769)

1892-11-08 / nr. 5750

Siebenbürgisch-Deutsches Hermannstadt, Dienstag 8. November Reduktion und Atdministration Heltauergasse 23. Erscheint mit Ausnah­me des aufspannsind Feiertage folgenden siechen tages täglich. Abonnement für Hermannstadt: monatlich 85 Er., vierteljährlich 2 fl. 50 Er., halb­­­jährig 5 fl., ganzjährig 10 NI. RS Zustellung in’3 Haus, mit Zustellung 1L., 3 fl. 6 fl. 12 fL. Abonnement mit Wortversendung: Für das Inland: Vierteljährig 3 fl. 50 fl., halbjährig 7 fL., ganz­­­jährig 14 fl. Für das Ausland: vierteljährig 7 NM. oder 10 Fres., halbjährig 14 AM. oder 20 Fccs., ganzjährig 23 AM. oder 40 Fred Eine einzelne Nummer tostet 5.5. W. Unfrankirte Briefe werden nicht angenommen, Manuskripte nicht zurückgestellt. Nr. 5750. XIX. Jahrgang Pränuumerationen und Inserate übernehmen außer dem Hauptbureau, Heltauer­­­gasse Nr. 23, in Kronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresswandt’s Nachfolger, Mediasch Johann Hedrich’s Erben, Schässburg Carl Herrmann, Bistritz G. Wachsmann, Sächsisch-Regen Carl Fronius, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos Paul Batzoni, Zehrer, Wien Otto Maas (Haasenstein & Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, M. Dukes, Heinrich Schalek, J. Danne­­­berg, Budapest, A. V. Goldberger, B. Eckstein, Frankfurt a. M. G. L. Daube & Co., Hamburg Adolf Steiner, Karoly­­n Liebmann. Insertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Garmondzeile fostet beim einmaligen Einrücken 7 ff., das zweites mal je 6 fr., das drittemal je 5 fr. d. W. ex­­­ clusive der Stempelgebühr von je 30 Er. 1892. Unser Lehrlingswesen.­­ ­3 ist eine den Verhältnissen entsprechende Empfindung, wenn im Wolf die Hebung des Gewerbes immer wieder von der besseren Gestaltung des Lehr­­­lingswesend abhängig gemacht wird. Gemeiß, niemand wird sich banger Ahnungen erwehren künnen, wenn er diese heranmach­enden zukünftigen „Meister” ins Auge faßt, die ohne rechte Bildung in die Lehre gehen, noch Kinder, zu allen häuslichen Verrichtungen mißbraucht werden, in der Gewerbeschule nicht viel lernen, denn es fehlt die rechte Anknüpfung und noch manches andere, der Anregungen dar, die das gerettete Haus in der Vergangenheit gewährte, sitt­­­lichen Einflüssen nahezu entzogen, zu feiner fachlicher Ausbildung gelangend — in der That, die Sache ist wert, daß man sich ihrer annehme. Von diesen Erwägungen gedrängt, hat der Zentralausschuß die Erörterung der Lehrlingsfrage nicht nur den Kreisausschüssen ans Herz gelegt, sondern au selbst in der legten­­digung verhandelt. € 3 lag ihm ein wertvolles Material von einzelnen Kreisausschüssen vor. In Bittung ist die Sache allseitig erwogen worden; wir teilen die im „S.-D. Tageblatt” Nr. 5641 schon veröffentlichten Beischlüsse noch einmal mit. Bur Hebung des Gewerbes fühnte, nach diesen, vor allem beitragen eine entsprechende Lösung der sogenannten Lehrlingsfrage. Hiezu dürften führen die folgenden Mittel: 1. Der Berfuch, dem Gewerbe mehr und besser gebildete Elemente (Sachen) zuzuführen. Diese wären zu suchen: a) in der Bittunger städtischen Bevölkerung, b) unter der Jugend unserer beiden V­orstädte, c) durch Heranziehung von Burschen aus Billa, Großjchogen, Kallesdorf, Kirieleis (eventuell durch Geldunterfrügung) und durchzuführen durch eine Kommission von drei Mitgliedern in Verbindung mit der Gymnasialdirektion, den Lehrern der Vorstadtschulen und duch Verbindung mit den Pfarrern und Lehrern der betreffenden Ge­­­meinden. 2. Beeinflussung der Jugend bei der Wahl der Ge­­werbe: a) durch die Rektoren und Lehrer, b) durch den Gewerbeverein und dessen Einflußnahme auf die Eltern. us Auge zu fassen wären dabei folgende Gewerbe: Steinmebe, Töpfer, Zimmermeister, Maschinenschloffer, Schneider, Deutsch-Schuster, Schmiede,­­­Schloffer, Tischler, Drechsler, Mlempfner, Buchbinder. Nr. 1 und 2 durchzuführen durch eine Kommission des sächsischen Partei­­­ausschusses in Verbindung mit dem Gewerbeverein. 3. Tüchtige Ausbildung der heranwachsenden Geschlechter in geistiger Be­­­ziehung, eventuell, falls nicht bald gründliche Aenderungen des Mittel- und Bürgerschulwesens erfolgen, durch Einrichtung einer höheren Bolfs­­­schule von zwei bis drei Jahrgängen. 4. Sorge für bessere Fachliche Ausbildung der Lehrlinge in der Ausübung des Gewerbes selbst: a) duch Einrichtung von Fachschulen, eventuell Lehrwerkstätten, b) der sorgsame Pflege des Freihand- und Fachzeichnens in der Gewerbeschule, even­­­tuell Einrichtung von Sachkursen von Zeit zu Zeit, ce) durch Anregung der gewerblichen Jugend zum Besuche und zur Arbeit in tüchtigen auswärtigen Werkstätten des Inlandes, Oesterreichs und Deutschlands, sowie zum Besuche der ung fehlenden Fachschulen dortselbst, d) durch Unterfrügung in Auslande arbeitender Zünglinge und Ausbildung von Sänglingen, welche im Auslande ein bei uns noch nicht betriebenes Gewerbe erlernen, a) und b) durchzuführen duch die Gewerbeschuldirektion, c) und d) namentlich duch den Parteiausschuß, respektive dessen Kommission mit Hilfe der Kreditinstitute. 5. Förderung einer streng sittlichen und soliden Lebensführung des heran­­­wachsenden Geschlechtes (Lehrlinge und Gesellen), a) durch bessere Behandlung der L­ehrlinge seitens des Meisters, durch strenge Zucht derselben, b) durch Fürsorge der Gewerbeschullehrer für ein besseres Betragen der Lehrlinge in und außer der Schule, c) duch Anhalten derselben zum S Kirchenbesuch so weit er ihnen nur möglich, d) durch fördernde Einwirkung auf ernstere Lebensauffassung und sittliche Lebensführung auch der Gesellen inr Gesellenvereine, namentlich seitens des Schulvorstandes, e) An­­­­regung so­wohl der Lehrlinge als auch der Gesellen zur Sparsamkeit, zu strengem Haushalten mit dem Erworbenen, zum Einlegen von Ersparnissen in die Kreditinstitute und in die Profisparkassen (durch die Meister, Lehrer und den Gesellenverein) Auch der Leihkircher Ausschuß ist der Meinung, daß die Ausschüsse es sich sollten angelegen sein haffen, die Eltern auf den Dörfern aufmerksam zu machen, gut veranlagte Kinder dem Gewerbe zuzuführen, wobei die Eltern bei der Wahl des Gewerbes und des Lehrmeisters zu unterfragen wären. Meldestellen können dabei gute Dienste thun. Eine wesentliche Förderung würde es sein, wenn es gelänge, die Zahl der Stipendien zu mehren, eventuell aus Mitteln der Allodialkarsen. Ebenso sollten die Ausschüsse darüber wachen und sorgen helfen, daß nur solche Lehrlinge, aufgenommen werden, die die Volfs­­­schule absolviert haben und weiter, daß die Meister nicht, wie das so oft vor­­­kommt, die Lehrlinge zu häuslichen Diensten mitbrauchen, wobei die fachliche Ausbildung ganz zu kurz kommt. Ein Referat Stadtpfarrer Obert3 behandelte vor allem die Beziohung des heranwachholenden Handwerkerstandes und sieht ein Mittel, diesem entgegen zu arbeiten, darin, daß für die Veranstaltung gesunder, jugendlich frischer, fitti­­­gender, geselliger Erholungsgelegenheiten an Sonntagnachmittagen gesorgt werde, u. a. duch Gründung eines Lehrlingsheimes ! &3 ist sein Zweifel, daß alle in den Referaten berührten Punkte nicht nur erwägenswert sind, sondern, ins Leben über fest, zur Klärung und zur För­­­derung der Sache wesentlich beitragen würden. Der fächli­che Zentralausschuß richtet darum nicht nur die Aufmerksamkeit der Rreigausschüsse, sondern aller Kreise, denen das Wohl unseres­ Gewerbes am Herzen liegt, darauf, mitzuhelfen, daß die oben berührten Gedanken in Thaten umgefegt werden. Fe Bunächst handelt es sich um Heranriehung ländlichen Zuzuges zum Gewerbe. Die Städte sind Menschenverzehrer. Es ist eine alte That­­­sache, daß die Städte nur doch fortwährenden Zufluß vom Lande aus er­­­halten werden. Hört dieser auf, so verdorrt die Stadt. Dieser Zufluß ist übrigens ein so natürlicher, daß er nirgends fehlt. E3 wird sich auch nicht darum handeln, ihn neu zu schaffen, sondern nur ihn hie und da­­zu unterstoßen, diesem­ oder jenem Vater helfend zur Seite zu stehen und — nicht zulegt — ihm zu einem guten Meister zu verhelfen. Ein guter Meister aber ist der nicht, der gewissenlos genug ist, den Lehrling als Knecht und Magd zur gebrauchen, vom Handwerk ihn aber ganz entfernt zu halten! Das Gefe hat in den Ferwerbeinspektoren und­­­ Korporationen Mittel geschaffen, solchem Unfug zu wehren. E 8 ist sehr schade, daß die dort gegebenen Mittel so gar nicht ver­­­wertet werden. Umso mehr muß das öffentliche Urteil, die öffentliche Meinung den Meister brandmarken, der dem Lehrjungen seine Lehrjahre stiehlt und die Kreisausschüsse würden sich ein Verdienst erwerben, diese Meister unmöglich zu machen. Dabei braucht es wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß eben das Endziel immer zu beachten ist, einen tüchtigen deutschen und evange­­­lischen Nachwuchs im Gewerbe zu erziehen. Dazu sol­­lu die Schaffung von Stipendien für Lehrlinge dienen. Bekanntlich verfü­gt die sächslsche Universität über einige wenige, die jährlich zur Verleihung kommen. Sie verdienen sehr, daß sie gemehrt würden. Für minderreiche arme Familien auf dem Land würde das große Erleichterung gewähren und mit zur Anregung dienen, einen oder den anderen der Knaben dem Gewerbe zuzuführen. In erster Reife muß die allgemeine und fachliche, sowie die sittliche Bildung des heranwachsenden Gewerbes im Auge behalten werden. Zur Förderung der ersten wäre es von größter Wichtigkeit, wenn weichd­­­täglich doch ein Geseh festgestellt würde, daß sein Lehrling aufgenommen werden dürfte, bevor er die Volfzschule absolvierte. Bis solches geschieht, künnten die Kreisausschüsse darauf Hinwirken, daß es in fächsiichen Häusern als Ehren­­­sache angesehen werde, seinen Knaben auf ein Handwerk zu geben, der nicht mindestens die V­olksschule absolviert hat, und seinen zu nehmen, dem diese Vorbildung fehlt. Daß es sächsliche Meister giebt, die dem Lehrjungen den Besuch der Gewerbeschulen unmöglich machen, das sollte undenkbar sein. Nicht weniger bedeutsam aber ist die Sorge für sittliche Hebung dieser Wolfskreise. Vielleicht auf seinem Gebiet hat sich das Zerschlagen der alten Ordnungen in so trauriger Weise gezeigt als Hier. Ehemals war der Lehrling ein­ Teil des Hauses, all die sittlichen Mächte, die um das Herdfeuer warten, die vom Hausvater und der Hausmutter ausgehen, nahmen auch ihn in ihren Bann und das beste, eine sittliche Weltanschauung, ein Sinn für Ehrlichkeit und Redlichkeit, für treue Arbeit und Genügsamkeit, hatte er mit im Ränzchen gepackt, wenn er auf die Wanderschaft ging. Das alles ist im selben Augenblick verloren gegangen, so der Lehrling aufhörte, Genosse und Glied des Hauses zu sein — und heute sehen wir schmerzlich ergriffen die Verrohung dieser Kreise. Wie dem abzuhelfen ist? Stadtpfarrer Obert möchte ein Lehrlingsheim, in dem an dem freien Sonntags-Nachmittagen durch edle Vergnügen und geistige Anregung (Rektüre, Belehrung) die jungen Scerlen zum­­uten angeleitet würden; in Schäßburg ist im Sommer schon der Lobenswerte Versuch gemacht worden, die Lehrlinge in der Turnhalle der Bürgerschule und im Freien mit Turnen, Singen, Spielen zu beschäftigen ; in Broog hat sich Stadtpfarrer Fr. W. Schuster bereit erklärt, den Lehrlingen an Sonntagen Religionsunterricht zu erteilen; überall dringt die Universität darauf, den Sonntag von Schulen frei zu halten, um den Kirhgang den Schülern nicht unmöglich zu machen. Das ist ein trauriges Kapitel. An manchem unserer Orte gehen die Knaben der Unterflaffen nicht in die Kirche. Nun tritt der Knabe, der zum Handwerk geht, nach 5 bis 6 Schuljahren aus; was Kirche ist, weiß er nicht. Um Lehrling­­ann er nit in die Kirche gehen, denn Meister und Schule hindern ihn in gleicher Weise. Er kommt zum ersten Mal in die Kirche — bei der Konfirmation; man kann si denken, mit welchem Exnst. Dann sieht er sie wieder nur von außen, biß er heiratet — und dann ist’s bei vielen wieder zu Ende. Wo soll da ein religiös-sittliches Leben gedeihen ? Sorgen wir, daß die kirchliche Entfremdung in diesen Szen­en nicht zum­­­ Ansegen für sie und unser Volk werde! Daneben sind jene Versuche, die durch edle Geselligkeit und Vergnügen die Herzen heben wollen, nicht minder anerkennensnwert, wo die Mittel für ein Lehrlingsheim vorhanden sind, da möge es erprobt werden; vielleicht Lassen sie sich in Verbindung mit Gesellen- und Ge­werbevereinen bringen. Unseren Kreisausschüssen liegt hier ein weites Arbeitsfeld offen. Mag es ihnen und allen Volksfreunden zu reger Bethätigung empfohlen sein! Benilleten, unter der Königstanne, Preisgefrönter Roman von Varia Theresia May. (95. Fortlegung.) „Rein, Paul, ich bin nicht müde und werde noch hier bleiben. Sie­­­ können Schlafen gehen, wenn Sie wollen.” „Sei schlafe ich sicher nicht mehr ein­ gnädiges Fräulein. Und wenn nicht irgend etwas in den Wein gemischt gewesen wäre, so würde mich auch vor Ihrer Ankunft kaum eine so seltsame Müdigkeit überwältigt haben. Ich trank ja nur einmal zwei Gläser aus.“ „Wer gab Ihnen den Wein?“ „Das blonde Hannc­hen , die ist aber seit neuester Zeit sehr gut mit dem Monsieur Louis ge­wesen.“ „Nun, wir werden ja morgen erfahren, wie er sich dabei verhält. Gehen Sie jegt ins Vorzimmer; ich werde Sie rufen, wenn ich fortgehe.” Paul entfernte sich, nachdem er die Lampe so gestellt hatte, daß sie den Kranken nicht belästigte, und schloß die Thür Hinter sich. Yela nahm ihren vorigen Plab wieder ein. Kein Laut, als das gleich­­­mäßige Tiefen der Uhr, unterbrach die tiefe Stille, die in dem Gemach herrschte, und in dieser Ruhe, in dieser Stille sänftigte sich allmählich der Sturm, den die Vorgänge der legten Minuten in Yellas Seele entfesselt hatten. Was war alles in diesen kurzen Minuten vorgegangen, zwa8 hatte sie gesehen und er­­­fahren? Ein Verbrechen war unmittelbar vor ihren Augen von dem Manne vorbereitet worden, dem sie einst gewillt war, ihre Hand für das ganze Leben zu reichen! Und Rolf Siegfried hatte dem Frevler zur Flucht verholfen. Wie gleichmütig und gelassen Siegfried auch in dem furchtbarsten Momente geblieben war! Er hielt das Gift schon an den Lippen und verlor bei ihrem angstvollen BZurufe seine Besinnung nicht. Warum flößte ihr diese unerschütterliche Ruhe geradezu Ehrfurcht ein? Warum entdeckte sie nicht an ihm Fehler wie an anderen? Warum konnte er im Gefühl seines Wertes so stolz auf alle übrigen herabsehen — doch nein, das that er ja nicht! Nur sie, die schöne Yella von Rotheim, ließ er es fühlen, daß sie an sittlichem Werte tief unter ihm stand, daß sie „n edrigen Mitteln gegriffen hatte, um ihren schmählichen Verdacht betätigt zu hören. Das freilich konnte er nicht vergessen, nicht verzeihen ! Aber war er in seiner Unversöhnlichkeit nicht doch nur ein Mensch mit einem heißen, verwundbaren Herzen? Ach, sie hatte es ja doch geahnt, daß Rolf Siegfried nicht teilnahmslos um­ ihr vorübergeschritten war. Einmal fon Hatte sie sein Arm umfaßt gehalten und sein Bli fih in den ihren versenft, und in diesem Blide Hatte sie eine süße, beglühende Runde von dem Märchenschaße gelesen, der in der Tiefe seiner Seele schlummerte. Der Schab war längst wieder verjunfen, sie fand das Wort nicht mehr, das die Pforte eischloß, und den Schlüssel Hatte sie selbst frevelnd ins Meer geworfen. Zu schwer hatte sie an Rolf Siegfried gekündigt ! Und nun? Ach, er durfte nicht sterben, nein, er durfte nicht. Was sollte aus ihr werden, wenn sie zurückblieb, ohne daß seine Augen ihr wieder entgegen leuchteten, Zeitsterne, denen sie vertrauensvoll folgen durfte, von un widerstehlicher Macht dazu getrieben? Wie er so frank dort lag! — Die Aufregung der heutigen Nahht hatte ihm sicher sch­wer geschadet, vielleicht so sehr, daß jede Hoffnung auf eine Genesung zu­­nichte geworden war. Hellas Blid streifte das Trinkglas auf dem Tischchen, und mit einem Male erfaßte sie ein entjeglicher Gedanke. Hatte Siegfried nicht das Glas mit dem Gifte vorhin an den Mund gefegt? Wenn er doch fon getrunken hätte, ehe sie rief! Mit furchtbarster Deutlichkeit bemächtigte sich diese Vor­­­stellung der Seele des erregten Mädchens, welches in diesem Momente einer ruhigen Ueberlegung, einer vernünftigen Erwägung unfähig war. Eine mahn­­­sinnige Angst kam über sie; sie beugte sich vor, sie lauschte um G Siegfrieds Atenzüge zu hören. Sie vernahm nichts! Hitternd erhob sie sich und näherte si seinem Lager. Regungslos lag der Mann da, so bleich, so starr. Yella schien es, als hebe sich seine Brust nicht, als Klopfe sein Herz nicht mehr. „Rolf!” schrie sie außer sich, „Rolf!“ Da hoben si die Wimpern, und Siegfried schaute sie an. „Sie sind wo hier, Baronesse?” fragte er. „Wo ist Paul?“ „Paul ist im Nebenzimmer. Berzeihen Sie, daß ich Sie wehte. Mi ergriff eine so bhörichte Angst, daß Sie vorhin doch schon aus dem Glase ge­­­trunfen hätten, ehe ich Sie warnte.” Siegfried lächelte: „Beruhigen Sie sich; ich habe nichts von dem Gifte gewossen. Aber warum sind Sie hier? Wollen Sie Frau dr. Balte­r vertreten ? Sie sind Nachtwachen gewiß nicht gewöhnt.” „Ach, Tasfen Sie mich­ doch“ verlegte Yella beinahe bitter. „“Wom Krankenwachen macht man immer großes Aufheben, aber niemandem fällt es ein, und wegen einer durchtanzten Nacht zu beklagen. Lassen Sie mich deuken, daß ich ein wenig eine Pflicht der Dankbarkeit abtrage. Sie haben mir einst das Leben gerettet.“ „Und nun retten Sie das meine. Wir sind also quitt, Baronesse. Ich habe nicht vergessen, daß ich dafür noch danken muß, nur wollte ich dazu eine schiedlichere Gelegenheit abwarten.” „Um Gottes willen nicht diese Ironie,“ bat Yella biebend. „Sie willen selbst am besten, wie viel ich ihnen schulde" — Yella brach ab, die Stimme versagte ihr. „Das Fräulein dr. Rotheim s­chuldet mir gar nichts. Wir sind uns fremd geblieben, wir scheiden als Fremde,“ entgegnete Rolf, indem er an dem schönen Mädchen, das so flehend die dunkeln Augen auf ihn richtete, vorüber die Wand ansah. Aber dort hing ein kleines Aquarelbild: die Königstanne am N­otheimpaffe. Yella folgte diesem Blicke, und unfähig, ihre Bewegung zu beherrschen, fant sie auf die Snnee, „Rolf,“ flüsterte sie mit heißen, trockenen Lippen, „warum sind Sie so grausam? ch weiß ed ja doch, ja, ich weiß es, daß ich Ihnen nicht fremd bin, daß Ihr Herz mich niemals ‚vergessen wird. “, so verzeihen Sie auch, verzeihen Sie, was ich im Hochmut, in wahnsinniger­­­ Verblendung gefrevelt. Ich demütige mich wie jene unglückliche Magdalena, und ich — ach, machen Sie es mir doch nicht so unsäglich schwer, Ralf!" Der schöne Kopf mit den herrlichen, goldenen Haaren fanf tief auf die gefalteten Hände, und sanft legte Siegfried seine Hand auf das meiche Gelod. „Berzeihen fan man bald, Yella,“ fragte er, und auch seine Stimme liebte, „aber vergessen fann man nicht. Sie haben Recht; mein Herz wird ihr Bild für ewig bewahren, aber fremd — fremd werden wir uns doc unser ganzes Leben lang bleiben. Stehen Sie auf, Baronesse, Sie sind durch die Vorfälle des heutigen Abends sehr aufgeregt und Handeln und sprechen unter diesem Eindruck.” Yella erhob sich gehorsam, fragte sie stohend. „Weil wir und niemals verstehen werden, weil unsere Anschauungen und Empfindungen einander so entgegengefegt sind, wie Wasser und Feuer.“ „Anschauungen und Empfindungen können sich ändern.“ „Die meinen nicht, Yella,“ entgegnete Siegfried lebhaft, „und die Fhrigen auch nit. Wenn Sie heute vielleicht glauben, jedes Vorurteil überwunden zu haben, so ersteht er morgen doppelt so statt. Wohl hat e3 einige kurze Augenblick gegeben, in denen ich hoffte, ein allmächtiges Gefühl könnte sie die Nichtigkeit des Vorurteils erkennen lehren, könnte die Stimmen des Hochmuts und der Selbstsucht in ihrer Seele verstummen machen. Ich habe mich getäuscht. Meine Hoffnung ist erloschen, wie ein Licht im Sturme!” Yela trug den Kopf stolz wie sonft, aber jedes Leben war aus dem wunderschönen Antlig gewichen. „Gute Nacht“, jagte sie tonlos und verließ das Gemach. Noch einm­al Hang ihr Name doch den Raum, aber sie hörte es nicht mehr. (Fortsetzung folgt:) # »Warum müssen wir uns fremd bleiben?« € -

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