Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1921. Januar (Jahrgang 48, nr. 14313-14332)
1921-01-22 / nr. 14325
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Der Bundeskanzler Dr. Mayr hat vor wenigen Tagen den Vertretern der verbündeten Großmächte in aller Form die Erklärung abgegeben, daß Desterreich am Ende seiner Kräfte angelangt sei und höchstens noch drei Monate weiter wirtschaften könne, sofern sich die Verhältnisse nicht wesentlich ändern sollten. Eine Aenderung hänge jedoch von den verbündeten Großmächten ab, die den Staat Oesterreich gegen seinen Willen geschaffen haben und ihm nun die Lebensbedingungen nicht bieten wollen oder können. Oesterreichs Schikra i it damit im ein entscheidendes Stadium getreten, und e3 bleibt abzuwarten, wie jene Faktoren, die der Bundes-kanzler angerufen hat, der hundertmal vorausgesagten Lage Rechnung tragen werden. Sie können es tun, indem sie die am die obige Festselung angeschlossene Bitte des Bundeskanzlers um sofortige Gewährung der von der Österreichischen Regierung erbetenen und von der Wiener Wiederherstelungskommission der Entente befürworteten größeren Siedite erfüllen. Diese Kredite sollen auf den gegenwärtig so niedrig wie noch nie stehenden Kurs der Österreichischen Krone, die heute in Zürich gerade noch 1 Eentime gilt, günstigen Einfluß ausüben und der Wiener Regierung Helfen, ohne eine weitere Vermehrung des Notenberg ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu wen. . Ob der Kanzler, der dieses Rettungsmittel allein vor Teglägt, wohl der Mederzeugung ist, daß er auch wirklich die Loge Desterreichs eıntlich zu beeinflußen vermag? Gewiß nicht. Er weiß es so gut wie die ganze Welt, daß Desterreichs Rettung nicht in der Gewährung von Krediten besteht, die ja wieder zurücgezahlt werden müssen und überhaupt nur unter 1 zu Sachen sind, daß daß ohnehin [chon malt. Als ‚ verantwortlicher: Staatsmann wollte er jedoch wohl mit Absicht nicht an die Entente die Forderung stellen, sie möge Oesterreich den allein zum Heile führenden Weg beschreiten lassen und ihm den Anschluß an das deutsche Mutterland gestatten.. Man mag dies verstehen, da der Kanzler offenbar aufreich, das sie befamtlich allein dem Anschlusse wider‚nicht aufbringen wollte, um die Lage nicht noch mehr zu verschlimmern. Trogdem ist es nicht recht verständlich, warum die Österreichische Regierung, bei aller Zurückaltun vor der awi in ihrem Lande die den Anschlu anstrebende Bewegung nicht mit allen Mitteln fördert. Es ist doch Tatsache, daß Frankreich, dem zuliebe Desterreich selbständig gemacht worden ist, für dieses von allen Hilfemitteln entblößte Land noch fast gar nichts getan, sondern die Hilfeleistung den Engländern, Amerikanern, Italienern und Neutralen überlassen hat. Wenn er aber auch wirklich etwas tun wollte, so könnte Oesterreich doch nicht so aufeholfen werden, daß es ein geordnetes Wirtschaftsleben führen könnte. Dazu ist es von seinen übelmollenden Nachbarn in wirtschaftlicher Hinfigt zu abhängig. Das sehen "= auch die fachlich urteilenden Männer der Entente ein , ohne aber darnach zu handeln. Wie Deutschland trog der besseren Einsicht der italienischen, amerikanischen und englischen Staatsmänner und Volfswirtschaftler von Frankreich auf Himmelschreiende Weise ausgebeutet und gedemütigt wird, so ist auch Oesterreich- Schiesal ganz diesem Staate in die Hände gegeben, der heute Europa vergewaltigt. Das ist eben der Fluch der heutigen Zeit, daß die Unvernunft in einer Weise herrscht, wie es nicht oft in der Geschichte vorgenommen is.t Und doch könnte in der Österreichischen Frage etwas geschehen, daß den Dingen unter ‚Umständen eine günstige Wendung zu geben vermöchte. Es ist nämlich auffallend, wie der Anschlußwille des österreichischen Volkes nur stellenweise und oft in schwächlicher Weise zum Ausdruck kommt, obwohl es ihm die Rettung aus dem Elend und vor der Versllavung und um eine menschenwürdige Zukunft handelt. Die Österreichischen Regierungen haben bisher fast nichts getan, um den Anschlagwillen zu stärken und eindringliche Voltfundgebungen zum Ausdruck kommen zu lassen, die ohne Zweifel auf das Ausland eingewirkt hätten. Wenn das Österreichische Volk, wenigstens in dieser Daseinsfrage geeinigt, einige Male in die Welt schriee, daß es endlich seine Zukunft siltern will, ehe es an Leib und Seele ganz verdirbt, dann würde ohne Zweifel in der ganzen Welt eine solche Stimmung entstehen, daß Frankreich nicht mehr wagen würde, in dem Anschlusse noch weiter zu widerlegen. Es gibt kaum ein anderes Volk, das diesen einzigen und sehr Hoffnungsvollen Weg nicht schon Längst eingeschlagen hätte. Nur die Deutschen wissen in solchen Lagen nie, was ihnen frommt, und gehen dabei auch demütig zu Grunde. Denn die Hilfe, die Frankreich auf die eindringliche Bitte de Bundeskanzlers mit Oesterreich gewähren wird, um einen Zusammenbruch, der laut einer englischen Ansicht die Besignahme österreichischer Gebiete durch die Nachbarn zur Folge haben würde, zu verhindern, kann, wie schon gesagt nur ein Hinausschieben de Zusammenbruches bedeuten, nicht aber zur ständigen Befseiung der Lage führen. Und es bleibt nur abzuwarten, ob die Vernunft bei den Großmächten wenigstens in der österreichischen Frage nicht doch die Ueberhand gewinnt, ehe das sonst Unvermeidliche mit seinen schweren Folgen eintritt. * Unsere heutigen Nachricten melden über die Lage Oesterreichs folgendes: « Ein Hilferuf an Amerika. Das Ausbleiben der erwarteten Kredithilfe und die ‚immer deutlicheren Hinweise der Entente, daß sie ohne Stellungnahme Amerikas seine Entscheidung über die österreichischen Lebensfragen treffen könne, veranlaßt die österreichische Negierung zu einem fegten Versuch: Sie wird in den Sg Tagen den ehemaligen Finanzminister Brofessor Dr. Josef Redlich, nach Washington entsenden, damit er dort den Präsidenten Harding sorwie die politischen und finanziellen Kreise Amerikas über Desterreich informiere.. Redlich sol dazu etwa 6 Wochen in Amerika verweilen. Die österreichische Regierung jeht auf die Reise Nedlichs die Hoffnung, daß man in Amerika zugunsten Desterreichs Stellung nehmen werde. Damit ist zunächst wieder einem Öffnung sich immer Raum gegeben, ohne daß zu voreiligen Öffnungen Anlaß gegeben wäre. Nedlich hat seinerzeit als Austauschprofessor an der Harvard-Universität viele Beziehungen angeknüpft und ist nicht nur mit dem österreichischen, und auch den internationalen politischen und wirtschaftlichen Fragen vertraut wie kaum ein zweiter öfter- Eis-— die ·«’.. aratioiksommission wieder übersiesLaige OesterreichSeraten und eine Vollsitzung in Gegenwart des Finanz- und Ernährungsminister abgehalten, um ihre Wünsche zu hören. Der Finanzminister braucht fast 5 Milliarden Kronen zur Decung neuer Gehaltsforderungen der Öffentlichen Beamten, und nachdem der Notenumlauf, wie heute amtlich mitgeteilt wird, am 23. Dezember bereits 2948 Milliarden erreicht hatte, muß durch neue Steuern und Steuererhöhungen Deckung gesucht werden. Im Steuerprogramm der Regierung ist eine Erhöhung der Preise für Staatsmonopolartikel, vor allem Salz und Tabak, ferner eine Erhöhung der Eisenbahntarife und anderer Steuern vorgesehen sowie die Einführung einer Warenumfahrteuer der amerikanischen Regierung darauf gelegkt wurde, daß Deutschland die ihm im Friedensvertrage auferlegten Verpflichtungen nicht einhalte und Frankreich infolgedessen an Repressalien diente, worunter die Bewegung des Nuhrgebietes zu verstehen ist auf anderem Wege Hatte die Washingtoner Regierung erfahren, dass Braufreich die Angliederung der bejegten Rheinprovinzen plane. Dies und eine Mede Zardiens, worin Frankreichs Vorgehen damit begründet wird, daß es infolge der Weigerung Amerikas, den englisch französlichen Schulvertrag mit zu unterzeichnen, gezwungen sei, fs neue Sicherheiten zu verlassen, Haben Washington zur Rückerufung des Botschafters Wallace von der Botlafterkonferenz veranlagt. Der Ansinn für auswärtige Angelegenheiten erklärte, keinerlei Strafakton gegen Dentraland ‚zuzuslimmen, denn die von den Deutschen nicht erfülten Verpflichtungen seien überhaupt unerfüllter. _ s. reichischjerPoisi».ee Min - Die Vereinigten Staaten und Europa. Harding über das Verhältnis Amerikas zu Europa. „Motin” veröffentlict einem Writtel des Präsidenten der Columbian Universität, Murray Butler, der fs nach Konferenzen mit Harding über dessen Programm folgendermaßen äußert: für die Vereinigten Staaten bilden die inneren und internationalen Probleme eine einzige Frage, denn es würde zu nichts führen, aashilfsmittel zur Behebung der frisenhaften Lage der amerikanischen Landwirte und Industriellen zu suchen, solange die wirtschaftliche Lage Europas die gleiche bleibt wie gegenwärtig Solange in dem weiten Gebiet zwischen Rhein und Weidbsel und auf dem Balkan ein Chaos berrrät, solange Europa nicht das wirtsaftliche Gleichgewicht wiedergefunden hat, kann Amerika nicht erwarten, Käufer für seine Rohsoffe zu finden. 88 ms$ langfristige Kredite einräumen. Sobald die deutsche Wiedergutmachung schuld festgefegt ist, und wenn die Summe vom deutschen Wolfe in einer gewissen Zahl von Jahren abgetragen werden kann, wird sich die wirsshaftliche Maschine der Welt wieder in Gang seßen lassen. Was das internationale Zusammenwirken zur Aufrechterhaltung des Friedens anlangt, sind die Vereinigten Staaten bereit, an der Durchlegung internationaler Gesete im Wege eines Schiedsgerichtes mitzuwirken, so nicht an einem politischen Böllerbunde teilzunehmen. Der amerikanisch-französische Gegenzag. Washington, 18. Januar. Die amerikanige Breite teilt jegt erst mit, welche Vorgänge dem Bruch der Vereinigten Staaten mit Frankreich vorangegangen sind. In der vorigen Woche war an den Ausschuß für äußere Angelegenheiten des Washingtoner Parlaments eine Note der französischen Regierung gelangt, worin die Aufmerksamkeit ‚Borderasien in Aufruhr. Samt Meldungen aus Konstantinopel . Haben die englischen und französischen Truppen unter dem Druck der aufländischen persischen Bevölkerung, die mit den Boljewiten im Einvernehmen fleht und zum Teil selbst bolschewistisch gesinnt ist Teheran verlassen. Mit den fremden Truppen find an alle englischen und französisen Zivilpersonen geflüchtet. Es scheint, al ob die Bevölkerung ganz sein offens vom Skarpischen Meer bis zum Indischen Ozean infolge nationaler, religiöser und gesellaftliger Umfriedenheit, fs in hellem Aufruhr befinde, woraus für die Welt größere Ueberrastungen fr eigeben könnten. . In Persien gibt es keine Regierungsariosität mehr und der Shah Hat fi infolgedessen veranlaßt gesehen, unter dem Schuge der englissen Truppen seine Zesaren ebenfalls zu verlassen. Gegenüber dieser ernsten Bewegung der rein asiatischen Bevölkerung fiehen den Westmächten die erforderlien Zwangsmittel nicht zur Verfügung. —_ Politische Nachrichten. Bintila Breatianu Kandidat für den Gen. Bukarest, 20. Januar. Bei den Eriegwahlen für das Parlament, die Ende dieses Monatstatt finden, wird Bintila Bratianu im Zube Ilfoy für den Senat kansidieren. Die Vorgänge an der russischen Oftfront aus Berlin wird berichtet: Ben Trogli ist demonsrativ eine Demobilisation der roten russischen Armee verkündet worden. Die Deutsche Telegraphen-Information hat ihren Vertretern desfifonderdienstes beauftragt, über diese Frage zuverlässig zu beobachten und Informationen einzuziehen. Der DOftfonderdient meldet, daß diese demonstrativ verfündete Demobilisation nichts anderes bedeute, als Europa Land in die Augen zu ftreuen. Es handelt es in Wirklichkeit um eine Umorganisation verschiedener Meutereien, die durch die im der roten Armee besoldeten Chinesen niedergeschlagen wurde Die Demobilisation besteht in Wirklichkeit im folgendem:innge Jahrgänge wurden beurlaubt, um eine „Miliz“ zu schaffen. Die Untauglichen fehden aus. ingelne Armeen werden wieder in Arbeitsarmeen umgewandelt. Die Truppen sollen durch Bentende wieder eingekleidet werden. Aus dieser Umorganisation geht hervor, daß der Kampfwert der roten Armee erhöht werden sol. Zu der lettischen und estnischen Armee berrsche eine biedentliche Stimmung In Lettland sind die Divisionen nicht mehr in der Hand ihrer Führer. Zahlreiche Lettische Bolschewisten befinden si als Kommissäre in Rußland, wo sie eine große Rolle spielen und die Besiegung und Beeinhaltung ihres Heimatlandes fördern. In Rewal ist Lirtwinoff Gesandter geworden. Seine Aufgabe is es, Weltpropaganda zu betreiben. Die Lerien räumen bereits langsam Leitgalla einschlichlich Dünaburg und konzentrieren ihre Truppen weiter westlich in Aufnahmestellung. Bei Plestan wird eine rote Armee konzentriert. Die neue französische Regierung. Im Anschluß an die Regierungsbildung in Frankreich veröffentlichen wir einige Daten über die einzelnen Minister. Ministerpräsident Aristide Briand wurde am 28. Mai 1862 in Nantes geboren. Er steht also im 59. Lebensjahre. In politischer Beziehung gehörte Briand zuerst der sozialistischen Partei an, von der er sich aber im Jahre 1907 loslöste. Den großen Eisenbahneraufstand in Frankreich im Jahre 1910 unterdrückte er energisch zur Mobilisierung der Eisenbahnangestellten, sodaß der Streik in einem „BEA