Die neue Zeitung, Januar-März 1938 (Jahrgang 9, nr. 1387-1399)

1938-01-01 / nr. 1387

Ä é " c | Br. 1387 INMMNNNUNN N *P21954* ER . d A b 3 } [I Schriftleitung u. Verwaltung: Sibiu-fiermannstadt, Postfach 55, Str. Gen. Mosaiu (Kleine Erde) Nr. 4. Lernsprecher Ait. 263. Bezugspreis Lei 40— für 3 Monate, Lei 150 °— für ein Jahr, Ausland R. M. 8— jährlich. Alles §Kranke, Einzelpreis für die jeden Sonntag erscheinende Ausgabe Lei 3 °— (R.M. —­20.) Unverlangte Manuskripte werden auf keinen Fall zurückgeschickt, Postschekkonti : Bucuresti 62.139, Leipzig 8937, Wien 93133,Prag 79629, Budapest 13.620 Zürich V111.24.953, Warschau 190.412, Stockholm 74333, Zagreb 41635, Paris 190.045 's Gravenhage 211.699, Sofia 3103. — Anzeigen übernehmen unsere Verschleißstellen und alle Anzeigenagenturen des In- und Auslandes, für bestimmte Plätze und Termine kann keine Verantwortung übernommen werden. 9. Jahrgang Sibiu-Bermannstadt, Sonnabend, den 1. Januar 1938 | Biblioteca Judeteana ASTRA Silvester- und Denjahransuchen an Bon Börries, Freiheren v-Münchhausen In einem Gedicht erzählt der Dichter, daß ihm in seiner Jugend alle Glocken geklungen hätten wie die Glocken des Sonnabendabend, — ich glaube die Beife beißen: Als Anabe klang mit aller Uhren Stundenschlag Wie der Glokenschlag am Samstagabend Vor des Rıbıns großem Friertag. Und in einem anderen Gedicht desselben finden wir die Worte: . Als ich schläfrig heut ermache — Und es war zur Kirchenzeit —, Hörte uás am Glockenklange, Dab es über Nacht geschnett. Wie ist das seltsam, dak dieselben Glocken so Bere­­hiedenes hörbar, nein: fühlbar machen können! Denn wenn man auf für die zweite Strophe zur Not eine naturwisse: [Hafliche Erklärung ruhen und finden könnte, so verjagt diese doc völlig bei der zuerst angeführten­ Und doc weiß jeder, dach dies wahr Äft: Dieselben Glocken läuten die Freude einer Taufe und den Schmerz einer Beerdigung, läuten den Tadel eines Süges und den Ausbruch eines Brandes, Klagen um ein vielleicht län­­fb­ergangenes Ereignis und feiern das Seil einer Hochzeit. Ta, sogar die mältägliche Betglocke spricht eine andere Sprache als die sonnägliche Ei­­chenglocke. Die Sonnabendabendgloce aber ist mir von allen im­­mer die eindrucksvollste gewesen. Welche Gedanken und Empfindungen von Kindheit an, welche Düfte und Ahnungen, welche E Hoffnungen und Sorgen und Borfreuden ! Ach, Sonnabendabend daheim ! . Der Sonnabend aller Sonnabende des Jahres aber ist der Silvestertag. Der Städter, der Airchenfremde, der Reisende empfinden vielleicht den gewöhnlichen Sonnabend nicht so eindrucksvoll wie wir auf dem Dorfe, aber aen festen Tag des Jahres fühlen alle Men­shen ganz üm­iig. Alle G­­präche dieses Tages haben einen anderen lang,­­ nämlich den der Sonnabend-Abendgroßen. Die Gesandten mögen nur mehr weiter um politische und wirtiaftliche Kleinigkeiten ihren höflichen Zank treiben, sie denken: „Machen wir Schluß! Seder gibt ein bikchen nach), Tragen­­ wir’s nit ins neue Jahr hinein! Wenn wir jeßt zu einem Ergebnis kommen, so können es die Blätter gerade noch als Neujahrsfreude den Bölkern vorseßen.“ Der Kaufmann bündelt die Neujahrsgaben für seine Ange« fi:Men — (Statfikation nominiert das der gebüldete­n Germane!)—, und er schmunzelt dabei, wie er dem alten Buchhalter einen Smanzigmarkschein über die übliche Zahl in den Umschlag flieht. Der Adler zögert einen Augenblick, und ehe er „Gefängnis“ jagt, fällt ihm ein, das morgen Neujahr !í; mit dem erleichterten „Na — noch einmal . . .!" beläßt er es bei einer milden Geld­­strafe. Auch der Herr Hauptmann denkt daran, daß dieser Tag ja doch nur einmal im Jahr vorkommt, und unter» Ihreibt willig den Neujahrs: Urlaub für Arawullcike, den alten Sünder und Sopfenstreicher seiner Kompagnie, ob glei­ er noch gestern beim Schießen — — na, lac­en wir die Einzelheiten! Ach, aber erst bei den Schüßen drüben im Mannschaftszimmer! Was wird da nicht ge­redet und geprahlt und gelacht und gekalbert und ge­blü­ffet und gefummelt für den kommenden fesllichen neuen Tag! M Währenddem figen die nachdenklichen Renfe und lauf­en in die Glocenklänge ihrer Vergangenheit, in die Glocken­­ des abgelaufenen Jahres, hinein. Es ist für manchen nit leiht, eine Bilanz zu ziehen und mit dickem fidelen St­örkel ein. „Finis* unter den Ubihluk au sehen, das willen wir alle­ Und es ti merkwürdig, daß immer auf der Sollseite die g-wihligere Zahl feht, daß immer auf dem Haben-Blau­e so vieles fehlt, was da eigentlich hin" gehörte. Aber einmal muß doch unter jedes Jahr wie in dem dicken Hauptbuch unter die rechte Seite ein Rech­nungsabschluß gemacht werden, und wäre er auch nur, um endlich einmal die vielen bösen Selbstvorwürfe und Klagen abzugleichen und mit lauter guten D Vorfäßen auf die­­ höre­r eine neue Seite des Bedens, in das neue Jahr hinüber zu freien. Jedes neue Jahr hat es an sich, wichtiger au sein als das alte. Mir ist es freilich immer herzlos, ja, gemein vorgekommen, wenn auf den Tagweilern und Neujahrg« kam­en das jugendliche kommende Jahr, — (das seltsamers­weise wie Quis Trenker im Schi-Anzug aussiebt) — das greife vergangene Jahr mit Hohn und Schlägen aus der Türe weil. Denn schließlich hat doc jedes ehrlich durche gelebte Jahr vor allen kommenden etwas voraus, das seinen Wert und eine Würde ausmacht: Es ist geschichte ich geworden. — Und doch kann auch ich mich nit von dem alten törichten Aberglamban der Menschheit schen, jedes neue Sahr als die endliche Erfüllung und jedes vergangene nur als eine Art Vorbereitung auf das neue Jahr anzusehen. Werden wir alten Toren nicht einmal weise werden, werden wir nie lernen, daß jedes Jahr eine Barstufe sein wird, so wie jedes Jahr eine Erfüllung war ! Aber die Silvesterglocken läuten, und da willen wir glih: Mein, das geht nicht! Die Glocken klingen ja heute abend auch anders, als sie morgen vormittag läuten werden mag zehnmal ein dürrer Physikprofessor die Hand heben und uns einen akuflichh psychologischen Irrtum vor"­dozieren. Und die Glocken klagen" Borbei, vorbei, und die Glocken rufen: Friede, Friede, und die Glocken trösten : hinauf, binan in das helle Neujahr der Hoffnungen, in den prangenden glißernden Sonntag der E­ff­llung ! Und das alte Herz denkt der Worte des Dichters: N­­ As [/ Und wimmert einmal and das Herz: Stoß an und laß es klingen, Wir wissen’s da, ein­ rechtes Herz If gar nicht umzubringen ! Und das alte Herz Klingt wie die Silvestergloken Anders als es das ganze Jahr lang Über klang, reicher, voller bofi­nder . . . Silvefterglocken ! . Und dann die Neujahrsgloken! — Sa, die klingen auf einmal hell und sieghaft durch die dunkle Brust einer Strahl Freude — Vorfreude, die das befíz im Leben ist. Nun ist das neue Konto aufgeschlagen, und wir hoffen alle, daß es das halten wird, was das alte Jahr ung versprach und nicht hielt, vielleicht nicht halten konnte. Beim Kirchgang früh ruft auch der Grämliche ein lautes „Glück­hes Neujahr !* jedem anderen zu, drück! auch der Rübhle in plößlicher Aufwallung die Hände der Freunde — vielleicht all der Feinde. Denn das haben der gestrige Tag und der b­eutige gemeinsam, dab sie versöhnen und eine Welle Weichheit und Gille Über die kalte Welt schicken. Und aus allen Haustüren ftrömt es heraus, die Frauen haben rob­en Rise Anderdajs in Drake Männer freuen sich auf die [illen Tagy,­­ am ausge­­taffe­sten aber sind die Rinder. Schon lange vor dem ersten Lied drängen sie alle vor der Orgel zusammen, wilpern von den Weihnachtsgeschenken, von den bevpnägenden Freuden des Festtages, von den herrlichen Aufführungen mit dem Nikolaus und den Engeln auf dem Felde — Irmgard hat noch die gebrannten Locken um das runde Gefihihen und bedauert beinahe, daß sie nicht auch in ihrem höflichen engelhafter Hemden zur Alche kommen durfte. Und die Neujahrsglocken verklingen, und die Orgel hebt an zu dröhnen, und das heute so volle Gotteshaus nimmt mächlig ein in das uralte Lied: Das alte Jahr vergangen Ist, Wir dank­n dir, Herr Su Chrisl­­e 21 95 h hez Bum neuen Jahr Bon W Beißer Stöhli rundet sich das Jahr dir und allen, die wir leben, immer neu. Biel ist geblieben, was von je uns feuer war. Manches fiel und wird noch fallen, Halt es nit im Skurze auf; denn aus diesen Dingen allen rundet sich des Lebens Lauf, Luft und Leiden und Ertragen, Baden und am Ende jagen: _ Wie es war, so trug ichs gern — Hi der Weisheit bester Kern, . Jahrhundertwende Eine Kindheiterinnerung von Alfred Hein. Ende des Jahres 1899 hatte ich gerade meinen fünften Geburtstag hinter mir­ der Gedanke: „Ich bin ich, von Gott g­ehaffen” begann mich zu erschrek­n und fiellte mich als eben dieses seltfsam von einer Schant und einem Sch­merz begrenzte Wesen in die immer weiter und wirrer werdend Welt. Für diese Welt fand nun am Neujahrstage 1900 der Untergang b:vor. Die Anna sagte es. Sie war unter Dienstmädchen, eine Häuslertochter aus dem L­eobihigifhen, jener oberilefischen Grenzgegend, in der allf meine C Voreltern Schuffer und Häusler gewesen waren, bis schließlich der Großvater als königlich preußis­­­cher Gendarm in die aufblühende Industriestadt verseht wurde. Und mein Baler war Ingenieur auf der Karsten- Centrum Grube. „Schlag zwelwe geht sie unter, kannst merch gleeben“, sagte die Anna immer wieder. Ich fragte den Vater, ob er auch den Weltuntergang erwarte, der lachte bloß. Und dann sprach er etwas zur Mutter, sie möge der Anne den Überglauben austreiben, dann etwas von einer neuen Bahn, die er Straßenbahn nannte und die, von selbst fahrend, ganz ohne Pferde zum ersten Mal hier vor unserem Hause auf dem Bahnhofsvorplan ins neue Jahr­­hundert abfahren würde. Denn unsere Stadt sei „eine sehr aufstrebende und moderne“, „Zur Hölle werden sie alle fahren mit ihrem Teufelge­dreck von Bahr, da mach­t nie und nimmermehr mitte,“ fagte die Anna zornig und traurig zusleich. Und ich glaubte der Anna mehr als den Eltern. Wir beisten jeden Abend zwischen Weihnachten und Neujahr, daß sich nicht ausgerechnet hier am Bahndhofsvorplaß der Höllenfchlund auftun möge, um uns zu verschlingen. Mein Golf, die Anna war ganze jehzrhn Sabre, ein Landmädel, kashaf­­te Frömmigkeit im Blut, von vierzehn Kindern das dreizehnte — „ja, ja, das ts shon a ju — nu aing’s einem zu gulle — nee, nee, nee — das muß ja ein bestes Ende nehme", sinnierte sie vor sich hin; auch diese Motte fraßen sich in mein banges Rindergemüt, Das waren alle die lechten Tage der Welt, Wir sprechen viel vom Himel, wenn in der Dämmerung der Orion vor unserem Alchenfenster fand, während die Anna den „Aufseih“ machte, Aber wie heimelig — noch zu leben! Die Teller und Toffen in der Wanne klappen zubdren— Annas erbißle Hast zu ziehen — die Küchenuhr lichen zu hören — und­ dann wurde es flummeig — —­­ a A Dar u u P­ei;

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