Der Spiegel, 1844. január-december (17. évfolyam, 1-104. szám)

1844-08-07 / 63. szám

198 Per Spiegel 1844. erfülle ich meine Pflicht nicht und begehe fast ein Verbrechen. Es bietet sich eine Gelegenheit, wo dieses arme Mädchen, dem ich nur scheinbar daS Leben gegeben, eine Hand findet, wel­che die feinige im tiefen Dunkel aufsucht. Ohne auS diesem Dunkel hervorzugehen, kann fie stch doch glüklich träumen. Mit welchem Recht halte ich sie ab? WaS würde ihre Mutter sagen, wenn sie noch hier wäre?" — Die Blike deS Chevaliers richteten sich noch einmal auf daS Grab, dann nahm er den Arm des OnkelS Giraud, ging etwas bei Seite mit ihm und sagte mit leiser Stimme: »Thut, was Ihr wollt!" — »Bravo!" schrie der Alte; »ich will fie holen, ich will fie herbringen, sie ist in meinem Hause; wir kommen zusammen wieder — in einem Augenblik ..." — »Niemals!" antwortete der Vater. »Suchen wir sie beide glüklich zu machen; aber fie wieder sehen, das kann ich nicht." — Peter und Camilla wurden zu Paris getraut. Der Hofmeister und der Oheim waren die einzigen Zeugen. —- Der Marquis machte ein großes Haus, und aks Camilla nach der Trauung in ihre glänzende Equipage stieg, fühlte sie eine kindliche Neugier. Dcr Pallast, in den man sie führte, war ihr nicht minder ein Gegenstand des Erstaunens. Diese Zimmer, diese Pferde, diese Leute, welche ihr dienen sollten, schienen ihr wie ein Wunder. Uebrigens war man übereingekommen, daß die Heirath ohne Aufsehen gefeiert wurde; ein einfaches Abendessen bildete die ganze Festlichkeit. Camilla wurde Mutter. EineS TageS, als der Chevalier seinen traurigen Spazirgang im Park machte, brachte ihm ein Diener einen Brief, der von unbekanner Hand geschrieben und mit einem sonderbaren Gemisch von Kenntnis; und Unwissenheit abgefaßt war. Er kam von Camillen und enthielt Folgendes: »O, mein Vater, ich spreche! zwar nicht mit dem Munde, aber mit meiner Hand. Meine armen Lippen sind noch immer geschlossen, und doch kann ich sprechen. Derjenige, wel­cher mein Herr ist, hat mich gelehrt, Ihnen schreiben zu können. Er hat mich für sich unterrich­ten laffen durch dieselbe Person, die ihn erzogen hatte, denn Sie wissen, daß er wie ich war, sehr lange Zeit. Ich habe viel Mühe gehabt, es zu lernen. Worin man zuerst unterrichtet, das ist die Fingersprache; nachher lernt man geschriebene Zeichen unterscheiven. ES gibt der­selben von allerhand Art, welche Furcht, Zorn und alles Andere auSdrüken. Man braucht sehr lange, um AlleS zu kennen, und noch mehr, um die Worte zu bilden, aber endlich kommt man doch zum Ziele, wie Sie sehen. Der Abbe de l'Epee ist ein sehr guter und sehr sanfter Mann, eben so wie dcr Vater Vauin. Ich habe ein Kind, daS sehr schön ist; ich wagte nicht, Ihnen davon zu sprechen, bevor ich weiß, ob eS unS gleich fein werde. Allein ich habe nicht dem Vergnügen widerstehen können, das ich habe, an Sie zu schreiben, troz unserer Sorge; denn Sie können wohl denken, daß mein Mann und ich sehr unruhig sind, besonders weil wir nicht hören können. Die Amme kann wohl hören, aber wir haben Furcht, daß sie sich betrüge; deshalb warten wir mit großer Ungeduld, zu sehen, ob das Kind die Lippen offnen und sie bewegen wird, wie Hörend-Sprechenden. Sie können wohl denken, daß wir Aerzte gefragt haben, um zu erfahren, ob eS möglich ist, daß ein Kind von zwei so unglüklichen Personen wie wir nicht auch stumm sei, und sie haben unS gesagt, daß dies mög­lich sei; allein wir wagen nicht, eS zu glauben. Urtheilen Sie, mit welcher Angst wir das arme Kind feit langer Zeit betrachten, und wie wir gespannt sind, wenn es seine kleinen Lip­pen aufschließt, und wir doch nicht wissen können, ob sie Geräusch machen. Seien Sie ver­sichert, mein Vater, daß ich viel an meine Mutter denke; denn sie muß sich eben so beunru­higt haben wie ich. Jezt, da ich lesen und schreiben kann, begreife ich, wie viel meine Mut­ter gelitten haben muß. Wenn Sie mir ganz gut wären, lieber Vater, so würden Sie nach Paris kommen, uns zu besuchen; das sollte eine große Freude sein und Ihnen zu Dank ver­pflichten Ihre ehrerbietige Tochter. Camilla." Nachdem der Chevalier diesen Brief gelesen, blieb er eine lange Zeit unschlüssig. Er hatte Anfangs Mühe gehabt, seinen Augen zu trauen und zu glauben, daß Camilla selbst ihm geschrieben; jedoch die Wirklichkeit überzeugte ihn. Was sollte er thun? Gab er dem Wunsche seiner Tochter nach und ging nach Paris, so fürchtete er, in einem neuen Lelve, das er fand, die Erinnerung an das alte wieder aufgefrischt zu sehen. Ein Kind, das er zwar nicht kannte, welches aber nichts desto weniger der Sohn seiner Tochter war, konnte ihm den Kummer der Vergangenheit wiederbringen; Camilla mochte ihm Cäcilien zurükrufen — und dennoch mußte er zu gleicher Zeit die Unruhe der jungen Mutter, die auf ein Wort ihres Kindes harrte, theilen. — »Ihr müßt hingehen," sagte Onkel Giraud, als der Chevalier ihn um Rath fragte. »Ich bins, der diese Heirath gestiftet hat, und ich halte sie für gut. Wollt Ihr euer Fleisch und Blut in Sorge lassen? Ist eS nicht genug an dem (ohne Vorwurf fei'S gesagt), daß Ihr eure Frau auf dem Balle vergessen habt, wodurch sie ins Wasser ge­fallen ist? Wollt Ihr auch diese Kleine vergessen? Denkt Ihr, daß es genug sei mit der

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