Der Spiegel, 1844. január-december (17. évfolyam, 1-104. szám)

1844-09-11 / 73. szám

878 ptt Spiegel 1844. gesellige Tisch bei Wirschmid war ohne alle Verabredung wie verschwunden, man vermied eS, mit Kästner in irgend eine Berührung zu kommen; Leute, die gestern noch stolz waren, ihn persönlich zu kennen, wichen ihm auS, wie einem Pestkranken. Küstner selbst war zerstreut, wie ein Verstoßner irrte er in den Straßen Wiens herum, ohne Ziel und ohne Rast; mir schnitt eS daS Herz entzwei, wenn ich den großen Künstler, von Allen verlassen und verach­tet, herumirren sah. Daß eben ist der Fluch einer bösen That, daß alle Menschen unS verach­ten, daß Jeder daS Recht zu haben glaubt, sagen zu dürfen: „Herr Gott, ich danke dir, daß ich nicht so bin, wie Jener!" und beim Lichte betrachtet, sind wir Alle, Alle, ohne Ausnah­me, schwache arme Sünder. Der Graf, welchem dieser Streich Kästners einen bedeutenden Schaden zufügte, griff die Sache energisch an, war ja doch ganz Wien überzeugt, daß Küstner unrecht habe.-—Da nun deS Grasen Anwalt leicht beweisen konnte, daß durch die merkwürdige Jntrigue KüstnerS, daS Theater an der Wien nahe daran war, fich insolvent zu erklären, so kam dieser Gegenstand vor daS Forum deS KriminalgerichteS, was der Sache KüstnerS den lezten Stoß gab. Sobald der Prozeß öffent­lich instradirt war, geschah etwas, das Küstner nicht berechnet hatte, und was seine Gesin­nungen dergestalt erschütterte, daß man das Geständniß seiner Schuld auf seinem Gesichte laS. — Die Hoftheater-Jntendanz erklärte den neuen Kontrakt mit Küstner, als einem Indivi­duum dem Kriminal verfallen, als aufgelöst, und sandte den Kontrakt annullirt zurük. — Das hätte doch Küstner die Augen öffnen sollen! — Aber nein, der Arme blieb verstokt, oder, besser gesagt, er war so in die Enge getrieben, daß er nicht mehr wußte, waS er that. — Die Gerichte schritten schnell ein, Zeugen wurden verhört, Demmer und Heurteur mußten körperliche Eide ablegen, und doch mitten in dielen Wirren blieben noch Küstner er­probte Freunde, selbst die, welche bei Gericht saßen, waren seine Freunde und ließen ihn durch Demmer wissen, daß eS nur noch einen schmalen Pfad gebe, der einzige, auf wel­chem er der Schande entrinnen könne, der ist: dem Grafen Alles zu entdeken, und sich die­sem auf Gnade und Ungnade ergeben. — Man muß eS Demmer nachrühmen, daß er uner­­müdet Alles aufbot, um Küstner zu retten. — Küstner hatte eine liebenswürdige Tochter, welche Tag und Nacht an dem Halse ihres BaterS hing; sie wußte freilich nicht, was ge­schehen war, aber daß etwas Großes geschehen sein mußte, daS konnte sie leicht an den Thränen der ganzen Umgebung errathen; die vielen und oft wiederholten Besuche von den Freunden bed HauseS, Alles daS vermehrte die Angst deS guten KindeS. Endlich war der Tag erschienen, an welchem es hieß, Küstner wurde vor'S Kriminalge­richt geladen; da erstarrte die harte Deke um KüstnerS Herz, und — borst. Der arme, arme Mann! Eine Thränenfluth machte dem so lange gepreßten Herzen Luft, aufrichtig zerknirscht, aber wahr schrieb er sein Schuldbekenntniß dem Grafen und flehte um Gnade. — Der Graf, ein wahrhaft edler großmüthiger Mann, vergaß Thränen über die Verirrung seines Lieblings, und ließ ihn schnell vor sich kommen. — Diesen Moment kann keine Feder beschreiben; Küst­­ner, der große Mime, lag, vielleicht zum ersten Mal im ganzen Leben, ungeheuchelt zu deS Grafen Füßen; Beide, der Graf und Küstner, weinten wie Kinder, nicht eine Sylbe des Vorwurfs trat über die Lippen des Grafen, er war selig, weil er nur seinen lieben Küstner wieder gewonnen. Nachdem die erste Aufregung sich gelegt hatte, zog Küstner eine Zustellung deS KriminalgerichteS auS der Tasche und präsentirte sie mit zitternder Hand dem Grafen. — »Um Alles in der Welt, Erzellenz, lassen Sie mich nicht an diesem Orte erscheinen, heute um 4 Uhr Nachmittag, lautet die Vorladung, unausbleiblich zu erscheinen, daS überlebe ich nicht." — „Ruhig, mein Freund, ruhig, ich werde Alles aufbieten, um, wenn eS möglich ist, daS Erscheinen zu suSpendiren, die Zeit ist kurz, mein Freund, sollte eS meinen Bemühungen bis dahin nicht gelingen — zittern Sie doch nicht so. Sie sind gerettet, darauf mein Wort — so müssen Sie, merken Sie wohl auf, Sie müssen dann vor Ge­richt erscheinen.« — „Unmöglich, Erzellenz, eher sterben!" — „Warum nicht gar! Sind Sie nicht kindisch? Genügt es Ihnen nicht, wenn ich Sie auf mein Ehrenwort versichere, daß Sie morgen aller Schuld ledig sind?" — „Ja, ja, Erzellenz, aber haben Sie Mitleid mit mir Unglüklichen, ich kann nicht vor die Schranken der Richter treten, ich wiederhole eS Ihnen, eher sterben.« —- „Sie halten mich nur auf, mein Freund, ich will machen, was ich kann — aber wenn es mir bis dahin doch nicht möglich wäre -— dann, Küstner, v e r­­trauen Sie meinem Worte und gehorchen dem Geseze." — „Erbarmen, Herr Graf, ich habe freilich nicht daS geringste Recht, um dieses zu bitten, aber ich unterläge der T o­desangst, nur nicht persönlich vor die Schranken deS Gerichts!" — „Fassen Sie fich, und hören Sie mir aufmerksam zu. Ich muß jezt bei vielen bedeutenden Männern zusprechen, denn t8 ist keine Kleinigkeit, eine Kriminal-Aktion rükgängig zu machen, die schon so weit vorge­

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