Kornis Gyula: Ungarn in der europäischen Kultur (Budapest, 1938)

UNGARN IN DER EUROPÄISCHEN KULTUR von Prof. JULIUS KORNIS Zu Beginn des 19. Jh.-s erblicken die Vertreter des deutschen Idealismus, besonders Fichte, die Bestimmung und die Aufgabe der Menschheit in dem Streben nach einer vollkommenen Ent­faltung der in ihr ruhenden Geisteskräfte. Nach der ewig göttli­chen Weltordnung erscheint jedoch die Menschheit stets in einzelne Nationen gegliedert; diese aber vermögen die Sache der Mensch­heit nur so fördern, wenn sie ihre individuelle Eigenart möglichst entwickeln. So wird die universalistische, weltbürgerliche Auffas­sung der Aufklärung des 18. Jh.-s, die für das Ideal des Allgemein­menschlichen schwärmt, durch den Nationalismus der Romantik vom Beginn des 19. Jh.-s ergänzt, Der nationale Gedanke wider­spricht nicht der Idee des Allgemein-Menschlichen, dem Fort­schritte der Gesamtmenschheit. Nach der bisherigen Zeugenschaft der Geschichte ist nämlich jede Kultur ihrem Wesen nach nationale Kultur, das Werk eines jeweilig eigenartigen nationalen Geistes, dessen übernationale Elemente von allgemeinem Werte sich jedoch zum Gemeingut der ganzen Menschheit verdichten. Jede Nation hat als besondere Volksindividualität und als besonderer Staat nur in dem Masse Daseinsberechtigung, in welchem sie die Kultur­güter der ganzen Menschheit bereichert, beschützt oder weiter­entwickelt. Nur auf diese Weise wird eine Nation in der langen Reihe der Völker für den Gang der Menschengeschichte unentbehr­lich; nur diese geschichtliche Sendung verleiht ihr das Recht zum Leben. Vor etwa zweitausend Jahren trennt sich vom Stamme der finnisch-ugrischen Voiksfamilie der eine Zweig; die Flut der von der Hochebene Asiens gegen Westen vordringenden Reiter­völker türkischer Rasse reisst ihn gegen Süden mit sich. Dieses finnisch-ugrische Fischer-Jägervolk verschmilzt mit dem Ogur- Zweig des Viehzucht und Landwirtschaft treibenden westlichen 1*

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