Ungarische Rundschau für Historische und Soziale Wissenschaften 4. (1915)

1915 / 1. szám - Bischof Wilhelm Fraknói: König Matthias Corvinus und der deutschen Kaiserthron

König Matthias Corvinus und der deutsche Kaiserthron. Von Bischof Wilhelm Fraknói. : [IE ungarische Nation vermochte es jederzeit, die Be­­j Strebungen des auf dem Boden unserer heutigen Heimat I geschaffenen Staates, welche auf die Sicherung der Unab­..........i hängigkeit und des nationalen Charakters abzielen, mit den Anforderungen der eigentümlichen Situation in Einklang zu bringen, welche im europäischen Staatensystem, in der Einkeilung zwischen zwei kraftvollen Völkerrassen und zwei großen Reichen, gegeben sind. Dieser doppelte Gesichtspunkt leitete die Könige aus dem Hause der Árpádén in der Schließung politischer — und Ehebündnisse, durch welche sie mit anderen Dynastien in Interessengemeinschaft traten; und veranlaßte die Nation, nach dem Erlöschen des Mannes­stammes der ungarischen Dynastie, durch anderthalb Jahrhunderte fremde Fürsten auf den Thron zu erheben. Die Überzeugung, daß Ungarn allein und isoliert, seiner Be­stimmung nicht gerecht werden könne, offenbarte sich gerade damals am auffallendsten, als in der einstimmigen Wahl Matthias Hunyadis zum König von Ungarn die Wiederherstellung des nationalen König­­tumes in Erfüllung ging. Die Führer der sieghaften Partei, — erbittert durch die Fehler und Verbrechen der deutschen Herrschaft — drohten mit brutalem Ernst, daß «bevor noch ein Jahr seinen Lauf erfüllt hätte, die Pferde ungarischer Helden bis zu den Knien in deutschem Blute waten wür­den»1). Und dennoch war kein Jahr vergangen, als eine mächtige Partei den deutschen Kaiser zum ungarischen König proklamierte. Matthias aber, anstatt mit Waffen seinen Gegner zu bezwingen, schloß mit diesem ein Bündnis, ließ sich von ihm an Sohnes statt annehmen und versprach, ihm Gefühle kindlicher Liebe entgegenzu­bringen; ja, in kürzester Frist bat er den Kaiser als gehorsamer Sohn, er möge für ihn, nach eigenem Ermessen eine Gattin wählen 2). D !) In dem am 18. Februar 1458 an seinen Fürsten gerichteten Bericht des Ge­sandten von Mailand am kaiserlichen Hofe wird dieser Ausspruch der Mutter König Matthias’ zugeschrieben. Fraknói: Matthias Corvinus, König von Ungarn. (Frei­burg 1891), 67. 2) Vergleiche die Abhandlungen des Verfassers vorliegender Zeilen «Die Adop­tierung König Matthias’ durch Kaiser Friedrich», erschienen in der «Budapesti Szemle», Jahrgang 1910, Band 141.

Next