Neue Literatur, 1973 (Jahrgang 24, nr. 1-12)

1973-04-01 / nr. 4

In der Markthalle schlendern wir durch das singende Händler- Spalier; ein Empfang wie am Palmsonntag. Sie schwenken goldbestickte Tücher, bunte Seidenwolken, Kuhglocken, trommeln auf Gold- und Silberschalen, Schmuck klirrt, sie berühren meine. Schulter, meinen Arm, laden mich zu vertraulichem Feilschen ein, zu Tee und Gebäck neben dampfenden Samowars. Zwischendurch arbeiten sie; vor unseren Augen hämmern die Goldschmiede ihre winzigen Blumenmotive; Perserteppiche auf dem Boden, aber bitte, Meister, drauftreten ohne weiteres, drüber­gehen, je mehr Füße drauftreten, umso wertvoller ist er, nicht wie der Mensch. Wenn kein Teppich gefällt, geruhen Sie, das Gold und Silber zu betrachten — es ist alles Gold, was glänzt. Seide, Brokat, Samt, Kristall, Leuchter, Elfenbein, Ebenholzkrücken, Wasserpfeifen, Diamanten, Spieluhren, Porzellan, Mäntel und Strumpfbänder. Scharenweise springen sie bei meiner kleinsten Bewegung von ihren niedrigen Hockern auf und preisen mit hoher, singender Stimme ihre Ware. Oder nicht die Ware? Nur die Freude, daß wir einander sehen können. Beinahe fühle ich: ich bin ein bedeutendes Ereignis, ein Jubiläum, ein historisches Datum; nur eben Blumen werden mir nicht an den Kopf geworfen. Beziehungsweise an meine Tasche. Jeder meiner Blicke ist Gold wert. Ein kurzer Blick, und schon fliegen Tücher und Krüge vom Nagel. Unter hundert genau das, was mir am besten gefällt. Gedankenlesen sozusagen. Ich befürchte: sie werden mich steinigen, wenn ich mein Tagesgeld nicht dalasse. Wenn sich herausstellt, daß sie ihren Enthusias­mus an einen Unwürdigen verschwendet haben. Von Groll hingegen keine Spur, überschlafen Sie es, mein Herr. Und kommen Sie morgen wieder. Oder auch später. Am Ende meines Lebens würde ich es einsehen: ohne Wasserpfeife kann ich nicht leben. Shakrollah Sanizade heißt der Kleinunternehmer, in dessen Isfahaner Werkstatt wir uns plötzlich befinden. Eine gewissermaßen schwierige Melodie für mein auf János abgestimmtes Ohr. Umso einfa­cher das Kennenlernen. Der Hausherr sitzt — anläßlich irgendeines religiösen Festes — im Kreise seiner Gäste. Man trinkt Tee und knab­bert Gebäck. Allen Anzeichen nach ist auch hier der Teenachmittag die gottgefälligste Art von Geselligkeit; und eine Fleiligung der Arbeit, man hat sich hier versammelt, in Gesellschaft der Werkzeuge. Der Empfang ist so herzlich, daß sich daraus schließen ließe: man hat nur noch auf unser Erscheinen gewartet. Die Handwerker springen auf, begrüßen uns mit tiefer Verbeugung — ohne eine Spur von Demut —, dann schlagen sie uns vor, sofern unsere Laune es gestattet, mit ihnen zu feiern. Wir danken, auch bei uns gibt es so viel zu feiern, daß wir nicht wissen, wie damit fertig werden. Dann schon lieber zu den Goldschmiedearbeiten des Meisters. Das könnten vsir erst, wenn wir den aromatischen Tee geschlürft hätten. Also trin­ken wir Tee, dann beginnt der Rundgang. Herrliche Becher, Platten, Tafelgeschirr und Trinkservice, Pokale, Kelche. Alles, was ich selber für gewöhnlich in Form von Koronder Keramik benütze. Doch ist hier etwas, worauf ich bereits verzichtet habe, das in meinen Überlegungen keine Rolle mehr spielt: ein goldenes Kirchenportal. Im Augenblick, wo es hinter der weißen Hülle zum Vorschein kommt, versinken die Mei­ster in ehrfürchtiges Schweigen. Ihre Gesichter sind wie vergoldet. Denn

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