Neuer Weg, 1972. augusztus (24. évfolyam, 7228-7253. szám)

1972-08-05 / 7232. szám

Seite 4 - r ^ ^ D eutsches Theater hat es im mittel­alterlichen Hermannstadt wahr­scheinlich schon vor einem halben Jahrtausend gegeben. Denn das Fortleben von Relikten alten Theatergutes, des „Herodesspiels" und des „Spiels vom Kö­nig und dem Tod", in vielen Dörfern Siebenbürgens bis tief ins vorige Jahr­hundert setzt wohl die Pflege von My­sterienspielen, wie sie im späten Mittel­­alter üblich waren, auf dem Marktplatz der Städte voraus, selbst wenn sich kein urkundlicher Beleg dafür erhalten hat. Doch .wir haben die zeitgenössische Schilderung eines anderen öffentlichen Schauspiels, das am 15. Februar 1582 auf dem Grossen Ring auf Anordnung des Sachsengrafen Albert Huet agiert wurde : der Frieden, den Stefan Bathori, Polen­könig und siebenbürgischer Fürst eben mit dem Moskauer Grossfürsten Iwan III. geschlossen hatte, wurde durch szenische Darstellung der vorangegangenen politi­schen Vorgänge gefeiert. Da sassen in den vier Ecken des Marktplatzes auf ih­ren Thronen die Hauptakteure: Polen­könig, Moskauer Grossfürst, Papst und Sultan, umgeben von den Stützen ihrer Macht, und in Rede und Gegenrede, in Boten- und Gesandtschaftsgängen entfal­tete sich das diplomatische Spiel, das endlich zum Friedensschluss führte. So ist diese Haupt- und Staatsaktion Frie­densfeier, patriotisches Festspiel, Mittel politischer Information und Willensbil­dung, den Trionfi vergleichbar, die in der Renaissancezeit von den Fürsten italie­nischer Stadtstaaten veranstaltet wurden. Eine solche Aufführung, in kürzester Frist zustandegebracht, setzt eine gewis­se Übung in schauspielerischer Darstel­lung, im Rollensprechen voraus. Man darf annehmen, dass dazu Schüler eingesetzt wurden, die darin ausgebildet waren. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte das Schultheater auch in unserer Stadt schon Fuss gefasst. Mag es hier auch nicht mit so strenger Regelmässigkeit gepflegt wor­den sein wie in Kronstadt, wo Honterus 1543 in seiner berühmten Schulordnung den Schülern alljährlich zwei Auffüh­rungen zur Pflicht gemacht hatte —, die humanistische Schulkomödie, 1573 zum er­stenmal bezeugt, ist auch hier, von der Bürgerschaft eilfertig gefördert, heimisch gewesen. Ihr verdanken wir übrigens auch den ältesten überlieferten Hermann­städter Theaterskandal. Als Rector Mi­chael Pankratius 1669, anlässlich einer Hochzeit im Hause des Sachsengrafen Andreas Fleischer, ein ad hoc verfasstes Festspiel „Die Hochzeit Adams und Evas“ aufführte, liess er seiner theologischen Streitlust so die Zügel schiessen, dass die calvinischen, unitarischen, katholischen Hochzeitsgäste nacheinander unter Pro­test den Saal verhessen. Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts an den sächsischen Schulen der lange ge­übte Brauch erlosch, flammte er um so prunkvoller im Theater der Jesuiten noch einmal auf, die nach dem Sieg Öster­reichs über die Türken und der Erhe­bung Hermannstadts zur Landeshaupt­stadt, zum Sitz des österreichischen Gu­­berniums, hier eine Schule gegründet hatten. Ihre Aufführung von 1721 „Die Hochzeit des siebenbürgischen Genius mit dem goldenen Zeitalter“, eine mytholo­gisch verbrämte Verherrlichung der neuen Staatsmacht, ist deswegen denkwürdig, weil sie die Theaterleidenschaft bei einem der mitwirkenden Schüler weckte, der später für den Aufstieg des Theaters in dieser Stadt wichtig werden sollte : Lam­bert von Möringer. Anfänge des Berufstheaters D eutsches Berufstheater entsteht in Siebenbürgen nicht aus lokalen Volksüberlieferungen. Es kommt als fremder Import ins Land. Schauspieler­truppen, die meist aus dem theaterfreu­digen Wien ausschwärmend die grösse­ren Städte mit deutscher Bevölkerung aufsuchten, haben es hierher verpflanzt. Auch sein Publikum bestand zunächst vorwiegend aus dem österreichischen Of­fizierskorps und der Beamtenschaft des Guberniums ; das konservative sächsische Bürgertum stand diesen Aufführungen zunächst mit sittlichen und wirtschaftli­chen Bedenken gegenüber. 1747 taucht der Hanswurst, die komi­sche Figur des Improvisationstheaters — soweit unsere Informationen reichen, zum erstenmal — auf, 1752 und 1753 sind es schon Komödiantengesellschaften, wohl aber immer noch improvisierende Pos­­senreisser. Bald aber sollte der Kampf des deutschen Theaters der Aufklärung gegen Hanswurst und Improvisation, für ein literarisches Theater mit regelmässi­gen, einstudierten Stücken auch hier auf­genommen werden, den in Leipzig Gott­sched und die Neuberin, in Wien Son­nenfels zum Siege geführt hatten. Die Anfänge des regelmässigen Schauspiels sind in Siebenbürgen an die Wirksam­keit einer tapferen Frau gebunden, der Gertraud Bodenburgin, der man mit Recht den Ehrennamen einer siebenbür­gischen Neuberin gegeben hat. Mit be­wusstem Reformwillen kämpft sie zu­gleich auch um die soziale Geltung des Schauspielers in der bürgerlichen Gesell­schaft. Als Prinzipalin einer kleinen, aber ernst arbeitenden Truppe, der u. a. auch J. H. Brockmann, nachmals ein Hamlet­darsteller von europäischem Rang und Leiter des Burgtheaters, angehörte, spiel­te sie von 1762 bis 1768 alljährlich in un­serer Stadt, zuerst in eigens dazu erbau­ten Bretterbuden, die wegen Feuergefahr Unwillen und Abwehr der Bürger erreg­ten, bis es der Kommandierende Gene­ral erwirkte, dass sie im Winter in einem bisher als Hafermagazin verwendeten Saal über den Fleischbänken spielen durf­te — es ist der heutige Ausstellungssaal im „Haus der Kunst“ auf dem Kleinen Ring. Bald sollte dieser erste ^ Theatersaal durch einen anderen, besser ausgestatte­ten abgelöst werden. Lambert von Mö­ringer, nun Gubernialrat, stellte in sei­nem Haus auf dem Grossen Ring, im so­genannten Blauen Stadthaus einen Saal zur Verfügung, und hier wirkte der ei­gentliche Nachfolger und Willensvoll­strecker der Bodenburgin, der aus einer alten Wiener Schauspielerfamilie hervor­gegangene Josef Hülverding. Im Sinne der Aufklärung ist ihm die Bühne mo­ralische Anstalt, das Schauspiel Schule guter Sitten. Dafür tritt er auch im „Theatral-Wochenblatt“ ein, der ersten deutschen Theaterzeitung östlich von Wien, die er 1778 herausgab. Sein Spiel­plan stand im Banne des „bürgerlichen Dramas der Aufklärung. Lessings „Emi­lia Galotti“ wird erstaufgeführt, dazu Beaumarchais’ „Barbier von Sevilla“, Voltaire usw. Leider war Hülverdings Hermannstädter Wirksamkeit nur von kurzer Dauer. Seine ideale Zielsetzung aber wurde einige Jahre später von Christoph Lud­wig Seipp auf fortgeschrittener Stufe wie­deraufgenommen. Strassburger Gefährte des jungen Goethe, durch die erste deut­sche Bühnenbearbeitung des „König Lear“ an der Durchsetzung Shakespeares auf der deutschen Bühne mitbeteiligt, dabei ein Freigeist mit gründlicher literarischer Bildung, teilte er 1782 und 1783 seine Tä­tigkeit zwischen Hermannstadt und Te­mesvár. Dann aber trat eine grundlegende Wen­dung ein. Die Forderung nach Errich­tung eines Schauspielhauses nimmt ein fortschrittlicher Bürger der Stadt, der Buchdrucker Martin Hochmeister, auf, der schon 1778 die erste Buchhandlung, 1784 die erste allgemeine Zeitung Siebenbür­gens ins Leben gerufen hatte. Er erwirbt den Runden Turm, eine Bastei der alten Stadtbefestigung, und baut ihn aus eige­nen Mitteln zum ersten Schauspielhaus unseres Landes aus, das nach einer zeit­genössischen Quelle den Vergleich mit den „vorzüglichsten Schauspielhäusern Deutschlands“ aufnehmen konnte. An die­ses wurde nun 1788 Seipp mit seiner Truppe berufen und führte darin im er­sten Halbjahr einen Spielplan durch, wie er anspruchsvoller nicht gedacht werden kann : neben drei Shakespeare-Dramen, zwei Moliére-Komödien, Goldoni und Hol­berg wurden Goethes „Clavigo“, Schillers „Räuber“, „Kabale und Liebe“ und „Don Carlos“ sowie Dramen der übrigen Stür­mer und Dränger aufgeführt. Leider ver­hess Seipp 1790 unsere Stadt, um bald darauf zu sterben. Sein Souffleur Peter Kriegsch aber ist mit seinen „Nachrich­ten vom Zustand der Schaubühne zu Her­mannstadt“ (1789) deren erster Ge­schichtsschreiber geworden. Soziale Umschichtung des Publikums A uf zwei charakteristische Züge die­ses Theaterlebens haben wir bis­her versäumt hinzuweisen, die bei­de schon sehr früh in Erscheinung tre­ten. Schon die Bodenburgin wurde für kurze Zeit von einer italienischen Opern­gesellschaft unter dem Impresario Livio Cinti abgelöst. Hinfort haben fast alle Truppen, die hier spielten, auch Oper, Singspiel und Operette mit mehr oder weniger guten Kräften, aber unter wach­sendem Zulauf des Publikums gepflegt. So war schon kurz nach Mozarts Tod „Die Entführung aus dem Serail“ und „Die Zauberflöte“ zu hören, und der Her­mannstädter Musiker Anton Hubatschek, der die denkwürdige Erstaufführung der „Zauberflöte“ dirigierte, konnte zwei eigene Opern zur Uraufführung bringen. Eine ebenso fortdauernde Eigentüm­lichkeit ist der enge Kontakt, der damals schon zwischen den beiden Theaterstäd­ten an der Bega und am Zibin bestand. Die Wandertruppen, die hierher kamen, hatten vorher dort gastiert oder umge­kehrt. Nach Seipps Abgang, der mit der Verlegung der siebenbürgischen Guber­­nialbehördeö nach Cluj und infolgedes­sen mit der Abwanderung der fleissig­­sten Theaterbesucher zusammenfiel, übri­gens auch mit einem Absinken des künst­lerischen Niveaus, führte sein Nachfolger Kunz jene Verbindung herbei, die wei­terhin immer wieder aufgenommen wer­den sollte : Im Sommer spielte man im grossen Hochmeister’schen Bau, der je­doch im Winter nicht zu erheizen war, im Winter dagegen im „Raitzischen Rat­haus“ in Temesvár, das schliesslich zum Theater umgebaut wurde. Der Tiefstand unter der Vorherrschaft der flachen, rührseligen Stücke Kotzebues und Ifflands dauert über die Jahrhun­dertwende an. Die Verödung und Erstar­rung des geistigen Lebens unter dem Druck des Absolutismus und seiner Zen­sur, die selbst das Burgtheater zur Be­deutungslosigkeit herabdrückte, machte sich auch im Spielplan der Provinzbüh­nen bemerkbar. Dafür vollzieht sich in dieser Zeit eine soziale Umschichtung des Publikums. Von Politik und öffentlichem Leben durch den absolutistischen Staat ferngehalten, sucht das Bürgertum mit zunehmender Theaterlust in der Schein­welt der Bühne einen Ersatz. Bezeich­nend, dass jetzt erst einheimische Kräf­te in den Spieltruppen auftauchen und mit dem Kronstädter Johann Gerger, der von 1807 bis 1821 die Bühne leitete, der erste einheimische Theaterdirektor er­scheint. Übrigens pflegte er vorwiegend die Oper, für die ihm in Christine Mare­­schalchi-Rothenfels, einer in ihre Vater­stadt zurückgekehrten Sächsin, die in Ita­lien und Paris und dann auf allen gro­ssen Bühnen Europas Karriere gemacht hatte, eine hervorragende Darstellerin zur Verfügung stand. Bemerkenswert ist auch sein Bestreben, durch Aufführung eines Kotzebueschen Lustspiels in rumänischer Übersetzung die rumänische Bevölkerung ans Theater heranzuziehen, ein Versuch, der auch später gelegentlich wiederholt wurde. Sein Nachfolger Karl Slavik, der sich um klassische Dramen bemühte, aber auch das langlebigste Stück eines heimi­schen Autors, Christian Heysers Schauer­drama „Hans Benkner oder die leben­dig Begrabene“, uraufgeführt hat, wurde durch den grossen Theaterbrand von 1826 aus Hermannstadt vertrieben. Martin Hochmeisters gleichnamiger Sohn, damals Bürgermeister, hat aus eigener Kraft den Theaterbau seines Vaters wiederherge­stellt. Christian Maurer und Siegfried Zacharias in der Aufführung von Al. Voitins „Por­trät" an der deutschen Abteilung des Staatstheaters in Sibiu Foto : Otto Schmidt Carl Philipp Nötzl, der schon in den dreissiger Jahren als Schauspieler und Regisseur, zeitweilig als Bühnenleiter in Erscheinung tritt und schliesslich 1843 gemeinsam mit Eduard Kreibig in den letzten fünf Jahren vor dem Ausbruch der Revolution an der Spitze der Bühne stand, hat ihr wieder einen künstleri­schen Ruf in der gesamten Theaterwelt eingebracht. Welche lebendigen Impulse damals vom Theater ausgingen, mag man in Josef Marlins Jugenderinnerungen nachlesen. Die neu erwachende deutsche Dichtung des siebenbürgischen Vormärz war in seinem Repertoire durch Daniel Roths Dramen „Der Königsrichter von Hermannstadt“ und „Amalasontha“ ver­treten. Die Leistungshöhe wurde auch nach der Revolutionszeit unter Kreibigs Leitung beibehalten. Die Bühne erlebte wieder eine Blüte, diesmal unter stärk­ster Anteilnahme eines bürgerlichen Pu­blikums, dessen Begeisterung bei den Gastspielen des Burgschauspielers Ludwig Löwe oder angesichts der Leistungen des jungen Adolf Sonnenthal, der, bald nach Wien verpflanzt, selbst einer der leuch­tendsten Sterne des Burgtheaters werden sollte, bis dahin unvorstellbar tempera­mentvolle Formen annahm. In den sechziger Jahren drängen Spiel­oper und Operette in den Vordergrund, vor allem dank den ausserordentlichen Leistungen der Josefine Gallmeyer, die bald, zum Wiener Star aufgestiegen, eu­ropäischen Ruhm erwirbt. Aber selbst so anspruchsvolle musikdramatische Werke wie Wagners „Tannhäuser“ konnten erst­aufgeführt werden. Goethes „Faust" zum hundertjährigen Bestehen I nzwischen hatte 1865 die Stadt das Theater samt den Nebengebäuden von den Hochmeister’schen Erben erworben, so dass es hinfort „Stadtthea­ter“ genannt wurde. Längst war es aus einer Saisonbühne, die in der kalten Jah­reszeit pausieren musste, zu einem stän­digen, auch im Winter bespielten Schau­spielhaus geworden. Heimische Elemente kamen immer mehr zur Geltung. Sie­­benbürgische Darsteller, die es auf den grossen Bühnen Europas zu Rang und Ansehen gebracht hatten, erschienen in Gastrollen, so die Burgschauspieler Louis von Ernest (von Baussnern) und Adolf Klein, Marie Bacon-Stritt, die Koloratur­sängerin der Prager Oper Jenny Brenner und der Opernsänger Emil Krauss, aber auch die grosse rumänische Tragödin und Burgschauspielerin Agathe Bärzescu. Hei­mische Dramen, wohl von den Leistun­gen der Bühne, die auch in den übrigen Städten Gastspiele gab. angeregt, wurden aus den Schreibtischladen geholt und tra­ten ins Rampenlicht : Wilhelm Hufnagels „Die Hexe“, bemerkenswert als erster Versuch, einen Stoff aus dem rumäni­schen Dorfleben zu gestalten, Traugott Teutschs „Harteneck“ und „Johannes Honterus“, Michael Alberts „Flanderer am Alt“, Friedrich Wilhelm Schusters „Alboin und Rosimund“, Johann Leon­hardts „Johanna Balk“, Ernst Kühl­brandts Lustspiele und — wir greifen ins erste Jahrzehnt nach der Jahrhun­dertwende vor — Michael Königes’ „Ge­walt und Recht“. 1887 konnte im neu hergerichteten, in den traditionellen Farben Weiss, Gold und Rot prangenden Haus die Feier des hundertjährigen_Bestandes mit einer Fest­vorstellung von Goethes „Faust“ began­gen werden. 1893 übernahm die Leitung der Bühne ein Mann, dem in unserer Theaterge­schichte ein Ehrenplatz zukommt : der Wiener Leo Bauer. In fast dreissigjähri­­ger Wirksamkeit hat er in einer Zeit grösster politischer und literarischer Wandlungen seine Bühne durch alle Fährnisse hindurchgesteuert und in eine neue Epoche dramatischer und szenischer Gestaltung hinüberzu führen vermocht. Seine Anfänge fallen etwa mit der na­turalistischen Literaturrevolution und dem damit verbundenen theatergeschicht­lichen Umbruch zusammen. Schon in den neunziger Jahren hat er diese Impulse aufgenommen : Ibsen, Sudermann, Ger­­hart Hauptmann, Schnitzler erscheinen in zunehmendem Masse auf seinen Thea­terzetteln. Damit geht Hand in Hand je­ne Erneuerung des Darstellungsstils, die damals vor allem von Berlin ausging. Gleichzeitig drohte dem Theater gröss­te Gefahr. Die Magyarisierungsbestrebun­­gen der damaligen ungarischen Regie­rung, denen die deutschen Theater des Landes, darunter 1898 auch das Temes­­varer Schwesterinstitut, zum Opfer fie­len, richten sich auch gegen unsere Büh­ne. Zufällige persönliche Beziehungen Bauers zu dem in Budapest residieren­den Erzherzog Josef haben damals we­sentlich zur Rettung unseres deutsch­sprachigen Theaters beigetragen. Die ersten anderthalb Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts bieten das Bild eines vollentfalteten Theaterlebens. Das Schauspiel blühte, die Oper konnte 1908 sogar Richard Wagners „Siegfried“ brin­gen. Die, Bühnenwerke des Hermannstäd­ter Musikdirektors Hermann Kirchner wurden aufgeführt. Neben dem Berufs­theater trat der Musikverein Hermani« mit Opernaufführungen hervor, die vor ernstesten Aufgaben wie Wagners „Flie­gendem Holländer" und „Tannhäuser" oder Beethovens „Fidelio“ nicht zurück­schreckten und gelegentlich überdilletan­­tisches Niveau erreichten. Der erste Welt­krieg griff lähmend in dieses üppige Kul­turleben hinein. Sein Ende schuf eine neue Wirklichkeit. Das „Deutsche Landestheater in Rumänien" N och vermochte Bauer eine Zeitlang sein Theater zusammenzuhalten. Anlässlich der Ferienhochschulkur­se 1921 konnten zwe' Dramen siebenbür­gischer Verfasser, Bernhard Capesius’ Brandung“ und Adolf Meschendörfers „Michael Weiss, Stadtrichter von Kron­stadt“ uraufgeführt werden. Bald darauf musste der greise Direktor sein Amt nie­derlegen. Er war den gehäuften Schwie­rigkeiten, dem Zerfall seiner Truppe und dem dadurch herbeigeführten Rückgang der Leistungen nicht mehr gewachsen. Es folgen Jahre des Experimentierens. Der 1919 gegründete Theaterverein über­nahm auch die Belange des Berufsthea­ters. So verpflichtete er 1923/24 eine Ber­liner Schauspielgesellschaft unter dem Spielleiter Piinther und eine Wiener Ope­­rettengesellschaft unter dem Komiker Stadler. Die Bühne wurde modernisiert, das Dekorationsmaterial erneuert, das künstlerische Niveau des Spielplans zeit­­gemäss gehoben. Man sah nun auch Stük­­ke der jungen expressionistischen Dra­matiker und Strindbergs, expressioni­stisch auch in Aufführungsstil und Aus­stattung, zumal als für das folgende Spieljahr der hervorragende Schweizer Schauspieler Max Werner Lenz die künst­lerische Leitung in den Händen hatte. Ein neues Theatergesetz, das für eine Be­rufsbühne nicht mehr als drei ausländi­sche Schauspieler zuliess, führte zur Ein­stellung des Theaterbetriebs. Der Thea­terverein sprang mit Liebhaberaufführun­gen in die Bresche. Nun entschloss man sich, durch Spen­den die Mittel zur Erhaltung einer eige­nen, bodenständigen deutschen Berufs­bühne aufzubringen. So kam es zur Grün­dung der „Deutschen Theatergemein­schaft in Rumänien“, die das „Deutsche Landestheater in Rumänien“ unter der Leitung von Gust Ongyerth ins Leben rief. Rumäniendeutsche Schauspieler, die an ausländischen Bühnen wirkten, wur­den zur Heimkehr bewogen. So glieder­ten sich Hermann Czell, Manna Copony, Karlfritz Eitel, Carmen Marschall, Fritz Hintz-Fabritius u. a. dem neugegründe­ten Ensemble ein. Im Oktober 1933 konn­te das Landestheater mit „Wilhelm Teil“ ins alte Stadttheater einziehen. Schu­lungskurse für den Nachwuchs, Gast­spielreisen in alle deutschen Siedlungsge­biete des Landes wurden organisiert. Aus seiner reichen Tätigkeit ist hervorzuhe­ben, dass die beiden bedeutendsten dra­matischen Begabungen, die die Sieben­bürger Sachsen bisher hervorgebracht ha­ben, hier zu Wort kamen; der Wiener Bur'gtheaterautor Franz Karl Franchy mit „Der junge Wolf“, „Summa cum laude“, „Vroni Mareiter“ und „Einbruch der Wirklichkeit“ und der Musikdramatiker Rudolf Wagner-Régeny, dessen Oper „Der Günstling“ wenige Wochen nach der Dresdener Uraufführung zur Eröffnung der ersten Freilichtbühne unseres Landes unter den Erlen 1936 gespielt wurde. Auch der Mittlerrolle zwischen der ru­mänischen Bühnendichtung und dem deutschen Publikum leistete man Genü­ge, Es sei nur an die Aufführung von Lucian Blagas „Meister Manole“ und mehrerer Stücke von Tudor Muşatescu und- Victor Ion Popa erinnert. Freilich war es unvermeidlich, dass das Landes­theater immer mehr in den Sog faschi­stischer Kulturpolitik geriet, der damals das gesamte öffentliche Leben unterwor­fen war und mit deren Zusammenbruch auch seiner Wirksamkeit ein Ende gesetzt war. D ie nun einsetzende Pause dauerte zwölf Jahre. Die alte Konkurren­tin Temesvár kam früher zum Zug und zog die einheimischen Darsteller an sich. In der alten Theaterstadt am Zibin aber regten sich Kräfte, die bemüht wa­ren, ihr ihre deutsche Bühne wiederzu­geben. Jene denkwürdige Aufführung von Bert Brechts „Mutter Courage“ im Klo­stergarten im Jahre 1956 hat das Eis ge­brochen. Sie konnte wenige Monate spä­ter als Eröffnungsvorstellung einer deut­schen Abteilung des Staatstheaters wie­derholt werden. Das geschah in einem neuen Haus, denn die alte Bühne im dicken Turm, die mehr als anderthalb Jahrhunderte Theatergeschichte beher­bergt hatte, war 1947 einem Brand zum Opfer gefallen. Was nun folgt, ist nicht mehr Ge­schichte. sondern lebendige, in unseren Ta­gen wirkende Gegenwart. Zum erstenmal in der Geschichte gibt es bei uns deut­sches Theater, das vom Staat selbst sub­ventioniert wird. Es rekrutiert sich aus­schliesslich aus einheimischen Kräften, die zum Teil sogar an einem deutsch­sprachigen Kursus der Bukarester Thea­terhochschule herangebildet sind. Alte Traditionen wirken fort. Eine Reihe äl­terer bewährter Schauspieler schlägt die Brücke vom Landestheater herüber. Auch der alte Wettbewerb mit einer deutschen Schwesterbühne in Temesvár ist da wie schon im 18. Jahrhundert. Es ist Aufgabe der jungen Kräfte, ihn ehrenvoll zu be­stehen. Auch Siebenbürgen hatte eine Neuberin Kurze Geschichte des deutschen Theaters in der Stadt am Zibin / Von Harald Krasser Kultur NEUER WEG / 5. August 1972 Max-Reinhardt- Ausstellung 1972 Die diesjährige Ausstellung in der Salzburger Max-Reinhardt-Forschungs­­und -Gedenkstätte (Schloss Arenberg) ist dem Thema „Bühnenbild und Raumge­staltung in Max Reinhardt Inszenierun­gen“ gewidmet. Anhand zahlreicher Ori­ginalentwürfe der von Reinhardt heran­gezogenen grossen Maler und Architekten wird „Spiel mit dem Raum“, die Va­riationsfähigkeit seiner Inszenierungs­kunst in der Zusammenarbeit mit den Bühnenbildnern gezeigt. Schuyler Chapin neuer „Met‘‘-Direktor Zum neuen Direktor der Metropolitan Opera wurde der 49 Jahre alte Schuyler Chapin vom Verwaltungsrat des führen­den amerikanischen Opernhauses er­nannt. Chapin ersetzt den kürzlich auf seinem Urlaub in Sardinien bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Go­rán Gentele, dessen Assistent er seit Juni vorigen Jahres war. Vorher war Chapin Vizepräsident der New-Yorker Kultur­agentur „Lincoln Center“ sowie stellver­tretender Leiter der grossen Plattenfirma „Columbia Records“. Das Ableben des bisherigen Direktors wird nach Mittei­lungen des Verwaltungsrates nichts an dem bereits fixierten Opernspielplan der Saison 1972/73 ändern. Sämtliche Zeichnungen Goethes Die Gesamtausgabe aller Zeichnungen Goethes in neun Bildbänden wird im September mit dem Erscheinen eines zehnten Bandes abgeschlossen, der den wissenschaftlichen Apparat mit Anmer­kungen und Register enthält. Mit diesem „Corpus der Goethezeichnungen“, er­schienen im Leipziger E. A. Seemann Verlag, sind erstmals sämtliche, nahezu 300 Zeichnungen Goethes veröffentlicht Nach dem „Corpus“, der von den na­tionalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar herausgegeben wurde, sollen in den nächsten Jahren auch Goethes Sammlungen zu Kunst, Literatur und Naturwissenschaft veröffentlicht werden. Filmnachrichten Tschingis Aitmatows Erzählung „Du meine Pappel im roten Kopftuch“ wurde von Irina Poplawskaja in der Sowjet­union verfilmt. „Als der Clown weinte“ nennt der amerikanische Schauspieler und Regisseur Jerry Lewis seinen neuen Film, in dem auch Pierre Etaix mitwirkt. Marcel Carné, einer der Altmeister des französischen Films, bereitet einen Film nach einer Erzählung von H. C. Wells vor. Titel : „Der wunderbare Be­such oder die Johannisnacht“. An einem Film über die Rolle der Arbeiterklasse und der kommunistischen Partei bei der Bekämpfung der Faschi­sten im zweiten Weltkrieg arbeitet der sowjetische Regisseur Juri Oserow. Eine Atlantiküberquerung steht im Mittelpunkt von Claude Lelouchs neuem Film „Ein Mann und ein Schiff“. Die Hauptrolle spielt Yves Therlain. Anton Tschechows Novelle „Das Duell“ wird von Jossif Cheifiz, der zuletzt den Film „Salut Maria“ drehte, verfilmt. Sein Debüt als Regisseur gibt der ame­rikanische Schauspieler Kirk Douglas mit dem Abenteuerfilm „Scalawag“, in dem er auch gleichzeitig die Hauptrolle spielen wird. Einen neuen Wallace-Film, „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“, drehte der Westberliner Produzent Wendlaundt. Hauptrollen spielen neben dem Italiener Antonio Sabato Uschi Glas und Marisa Mell. „Dämmerung an der Drava", ein bul­garischer Film des Regisseurs Zacco Cheskya, schildert die Endphase des zweiten Weltkrieges und den Kampf bulgarischer Truppen an der Seite der Roten Armee. Der französische Eilzug „Mistral" ist seit einiger Zeit ein „Zug der Künste“. In einem Spezialwaggon, der seit Mitte Mai auf der Strecke Paris—Nizza ver­kehrt, können die Reisenden eine Bilder­galerie mit Gemälden französischer Zeit­genossen besichtigen. § Der junge Leser ist anspruchsvoll (Fortsetzung von Seite 3) ich, entspricht. Auch in ungarischer und deutscher Sprache sind wird um Vielsei­tigkeit bemüht, wir wollen nicht nur Bel­letristik herausbringen, sondern auch Sachbücher, essayistische Betrachtungen zu verschiedenen Themen. Dabei gehen wir von der Überlegung aus, dass in un­serer Epoche der Dialog, die geistige Aus­einandersetzung von erstrangiger Notwen­digkeit ist. Freilich sind wir uns dar­über im klaren, dass es im Falle der ungarischen und deutschen Autoren viel­leicht schwieriger ist, solche Bücher an­zuregen als im Falle der rumänischen, allein schon, weil da die Auswahl grö­sser ist. Darum rechnen wir dieses Vor­haben zu den Zielen auf grössere Sicht. Zunächst wollen wir unsere besten ru­mänischen Bücher auch ins Ungarische und Deutsche übersetzen. Als nächstes wird ein Buch, das wir zum VKJ-Ju­­biläum herausgebracht haben und das sehr gut angekommen ist, ins Ungari­sche übersetzt — Ecaterina Lazär, ,Aveam optsprezece ani’, und dann .Principele’ von Eugen Barbu.“ „Der Albatros Verlag hat mit der Rei­he ,Die schönsten Gedichte’ auch in deut­scher Sprache eine pute Tradition. Was wird hier folgen ?“ „Wir wollen diese Tradition mit einer anderen verbinden — mit zweisprachi­gen Ausgaben von Gadichtbänden. Für das nächste Jahr sind zwei geplant : ein Band Lucian Blaga (Übersetzung und Vorwort : Wolf Aichelburg) und ein Voi-culescu-Band (deutsch von Immanuel Weissglass). Mit Wolf Aichelburg haben wir ein weiteres Projekt : die Überset­zung einer Auswahl aus den Gedichten Giuseppe Ungarettis. Zu diesem Band soll Florian Pótra das Vorwort schrei­ben. Und damit sind wir bei einem wei­teren Vorhaben angelangt. Wir wollen versuchen, eine Zusammenarbeit der namhaftesten deutschen und rumänischen Autoren anzuregen und so zur Vermitt­lung zwischen der rumänischen und deut­schen Kultur beitragen. Sa wird Petre Stoica das Vorwort zu einem Trakl-Band schreiben, und von Akad. Al. Philippide hoffen wir, dass er uns ein Vorwort zu einer Auswahl aus den Gedichten Alfred Margul-Sperbers schreiben wird, die Al­fred Kittner besorgt hat. Das sind nun einige Beispiele, um unsere Absichten zu belegen. Andererseits wollen wir diese Bemühungen zur Vermittlung geistiger Werte auch in umgekehrter Richtung un­ternehmen, durch Übersetzung der be­sten Leistungen deutscher Autoren aus Rumänien ins Rumänische. Als nächstes wird der Auswahlband aus den Erzäh­lungen Hans Liebhardts, den Peter Mot­­zan für den Dacia Verlag vorbereitet hat, ins Rumänische übersetzt. Wir wären sehr froh, wenn es uns gelingen sollte, einen rumänischen Lyriker (vielleicht Şt. Aug. Doinaş) für die Übersetzung der Ge­dichte Wolf Aichelburgs zu gewinnen.“ „Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg zu Ihren Vorhaben" (Das Gespräch führte Emmerich R e i c h r a t h)

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