Neues Pester Journal, Februar 1878 (Jahrgang 7, nr. 32-59)

1878-02-14 / nr. 45

Abonnementz Ganzj.fl.14.,halbj.«fx.7, viertelj.fl.3.50,monatlich fl.1·20. Das „Neue PVeiter Journal“ erscheint täglich, auch an Montagen Redaktion und Administration: Leopoldit. Kirchenplat Nr. 2. Einzelne Nummern 4 b­. Luferate und­ anfliegendem Tarif. Ds Die Macht Rußlands. Budapeft, 13. Februar. Die russischen Legionen stehen vor ihrem Kolchis mit dem goldenen Vließe. Sie stehen vor der Schaßlammer und dem innersten­­ Heiligthum der Türkei. Sie können mit mäßigen Fernrohren die goldenen Kuppeln der Aja-Sophia sehen. Sie befinden sich nahe dem russischen Botschafts-Balais in Pera, das Ygnatieff vor einem Jahre verlassen. Sie genießen Die srete Genugthuung, daß sie auf dem Umweg zu Lande früher in Konstantinopel eintreffen können, als die mächtige englische Flotte, welche seit beinahe zwei Jahren in der Befifa-Bar pra­ft. Sie fühlen sich mit Recht als die Herren Konstantinopels, denn der türkische Divan it eine Unterbehörde des Großfürsten Nikolaus gemorden und von desssen Erlaubniß hängt es ab, welches fremde Kriegsschiff in die Dardanellen einlaufen darf oder nicht. Eine neue bilendende Szenerie hat sich für das Auge und den Ehrgeiz der Nufsen geöffnet. An dem Bereiche ihrer Macht liegt das gol­dene Horn, der wunderbare Naturhafen, der be­­sti­mmt scheint, die Wiege einer­ weltbeherrschenden Seanacht zu werden. Bon Bojuk-Tihelmedjhe zum Greifen nahe steigen die­ häuserbewegten und waldreichen Küsten Anatoliens auf, die gleichsam den Brautshub der Metropole bilden. Wir brauchen kaum hervorzuheben, daß für die Ladung, welche die Auffen bewegen konnten, troß des Versprechens ihres Czaren und ohne irgendwelche militärische Nothwendigkeit Konstantinopel zu befegen, Hundert Ladungen vorhanden wären, um Diesen Fostbaren Delis, der 10 gut gesperrt werden kann und viel­­leicht für die Ewigkeit verloren wäre, m­it wieder zu räumen, sondern unter allen Vorwänden und um jeden Preis zu behaupten. Der­­ Werth Kon­­­stantinopels spottet jeder Schäbung. Es ist eine Meltstadt, es ist eine­ Seestadt,­es ist die bei Wei­­ten größte Stadt der Balkanhalbinsel, Kleinasiens und Egyptens, es ist der Mittelpunk­t und die na­­türliche Hauptstadt dieser großartigen und welten­­verbindenden Ländergruppe. In K­onstantinopel liegen förmlich die drei Grdtheile der alten Welt­­ vor Anker. Es erscheint fast als eine Unmöglich­­keit, daß der Eroberer Konstantinopels sich auf den Resit dieser Stadt beihränzen sollte und nicht vielmehr früher oder später seine Hand nach allen Theilen des Erbes seines Vorgängers au­ftreben und diese Theile als seinen Besit von Nechts wegen teflammren würde. Diese ungeheure Bedeutung Konstantinopels, welche alle Welt anerkennt, hält die Rufen in ihrem Bormarsce auf. Sie wissen, daß im Falle des Einrückens in Konstantinopel Feine Lüge, sein Schleier ihre Absichten verhüllen könnte. Sie willen, daß dann Fein Stehenbleiben ohne Weltkrieg und sein Rüczug ohne Niederlage möglich sei. Sie mei­­den diesen legten Schritt, weil sie jeden Moment in der Lage sind, ihn zu thun. Es ist Feine tür­­kische Herrschaft in Konstantinopel möglich, wenn die Rufen in Tihataldja und Bojuk-Tihekmediche, ja nur einmal, wenn sie in Adrianopel stehen. Die Nufsen find­­et schon die Herrscher in Konstan­­tinopel und es kann ihnen­ nur angenehm sein, daß sie diese Herrschaft durch "Die" türkischen Behörden ausüben lassen können. Dabei haben sie noch den Vortheil, was die Pforte, um die Hauptstadt zu retten, ich zu dem treuen Diener Rußlands Federn läßt und daß England, ebenfalls besorgt um das Schidjal Konstantinopels, noch immer vermittelnde Wege sucht. Der Türkei in­ ihrem Elend und Unglück bleibt allerdings nichts anderes übrig, als sich blindlings den Befehlen Rußlands zu fügen. Der zu Tode gehießten Türkei mag Rußland fett wie eine Elementargewalt, wie ein Verhängniß vor­­kommen, gegen das jeder Widerstand vergeblich wäre. Allein haben die anderen Mächte oder nur eine einzelne, derselben Ursache, eine solche Scheu vor Rußland zu hegen? Nußland hat den Höhe­­punkt seines Strebens erreicht. Aber ist es Die eigene Größe, Die es so groß erscheinen läßt, oder nur der Hohe Sodel, auf den es augenblick­­lich gelangt ist? Die Antwort kann kaum zweifelhaft sein. Wir wühten nichts anzuführen, wodurch die Macht Rußland’ plöglich so riesengroß gewachsen sein könnte. Wohl, es hat die Türkei besiegt, aber Die­­ser­ Sieg bedeutet für den Moment doch seinen Machtzuwachs, son­dern im Gegentheil, eine Macht­­abnahme, indem es dabei 100.000 Soldaten e in­­diesem Manne lebte. Eine Weile, aber an nur einen Augenblick, herrschte tiefe Stille im Saale, dann blag der Sturm 108 in dem vielhundertstimmigen Nuse : Rivat Jordan­­ia wohl. Der kraftstragende Mann, der sich er­­hob, um zu den Studenten zu sprechen, war der deutsche Dichter und Rhapsode Wilhelm Jordan, welcher seit zwei Tagen als Gast in unserer Stadt meilt und demnächst in­ mehreren seiner Vorlesungen vor das hie­­sige Publikum treten wird. Fat möchte ich wünschen, noch keine seiner rhapsodischen Vorträge gehört zu haben, um noch einmal des unmittelbaren Genusses theilhaftig zu werden, den jeder seiner Zuhörer em­­pfinden muß. Denn noch jebt, nach einem siebenjähri­­gen Intervall, tönt mir seine wohlklingende Stimme, sein Geist und Herz fesselnder Vortrag ım Ohre nach ; aber diesed Nachempfinden des Gehörten ist nicht zu vergleichen mit der elementaren Wirkung feiner Nede im Augenblice des Hörens. Jordan begicht alle äußeren Mittel, um ein glänzender Necitator zu sein. Seine Ercheinung habe ich bereits flüchtig geschildert. Seine Stimme ist jener bei Stentor vergleichbar, von Der uns Homer erzählt, daß sie die Stimme fünfzig ander­­er Männer übertönte. Und dieses Organ it Schmieg­­und biegsam, wie geschaffen zur V­ersinmlichung der Schönheit des Wortes. Wilhelm Jordan verzichtet auf die Mittel und NKniffe des Schauspielers, er findet reichliches Genügen in der ihm verfügbaren Gewalt des Nhetors. Sein Gestus it einfach und ungezwun­­gen, selbst im Affekt von künstlern­ der Maßhal­­tigkeit. Wie anders auchh Sit ja 004 Wilhelm Jordan sein fahrender Komödiant, sondern ein deutscher Dich­­ter, dazu ein Dichter von Beruf und Auserwähltheit, der nicht um die Gunst der Menge wirbt, sondern diese Gunst als den wehlverdienten Lohn seiner Musen­­arbeit genießt. Arbeit, das ist das richtige Wort. Seine Merse sind sein flüchtiges Spiel mit Worten um Bil­­dern, mit geistweichen Aphorismen und Antithesen, sie enthalten den Niederschlag einer gereiften und doch poetischen Weltanschauung , eines tiefen historischen gebüßt hat. Dver waren die Leistungen N Rußlands so­ erstaunlicher Art, daß man fest exit seine Stärke erkennt? Nun, Rußland hat beinahe ein Jahr mit der verhältnismäßig schwachen Türkei gelungen, bevor es derselben Herr geworden ist. In dieser Zeit hat es furchtbare Niederlagen­­ erlit­­ten, ja, war in Gefahr, ganz zu unterliegen. Und diese Gefahr wurde nur abgewendet durc Die Hilfe der Rumänen, durch das Aufgebot der ganz­­en Macht Neußlands und dur­ die Zerfahrenheit der türkischen S Kriegführung. Der Jüngling, der auf dem Throne in Konstantinopel litt, von Angst, Leidenschaften, Intriguen gehebt, arbeitete durc­h Beru­­fung oder Abberufung ver Feldherrn, und überhaupt durch fortwährende Einmischung in die Kriegführung den Rufen förmlich in die Hände. Troß dieser Hilfe von Freund und Feind haben die Ruffen ihre lesten großen Erfolge hauptsächlich ihrer Falschheit und Hinterlist zu verdanken. Durc ihre Zweideutig­­keit in­ den­ Waffenstillstandeverhandlungen sind ihnen ‚offenbar die Thore Adrianopels geöffnet und die Nedouten der Vertheidigungslinie Konstantino­­pel’s geräumt worden, ja, es liegen Beweise vor, daß auch die Ueberrumpelung der Beratung des Schipfapasses theilweise durch Dieses falsche Spiel herbeigeführt w­­rde. In der That ist die Macht, die Rußland für einen weiteren Krieg zur Verfügung hätte, durchaus keine furchtbare. Wenn wir die Anzahl der noch vorhandenen russischen Sombattanten in Bulgarien auf­ 200000 Wann veranschlagen, so werden wir eher zu hoch, als zu niedrig gegriffen haben. Von dieser Armee­ muß wenigstens der vierte Theil zur­­ Bejagung wichtiger Positionen zurückgelassen werden, so daß nur etwa 150,000 Mann zum Kampfe gegen eine dritte Macht übrig blieben. Die Neserven, welche Nußland in der Höhe von 100,000 M­ann außerdem stellen könnte, wu­rden zur Vert­eidigung der eigenen Grenzen nothwendig sein, oder könnten überhaupt nicht mehr auf das Schlachtfeld gelangen.­­ Nun­ mit der russischen Armee von 150,000 oder 200,000 Mann würde wohl jede Großmacht fertig werden. In­ Jahr und Tag werden die Verhältnisse allerdings anders stehen. Dann wird Nukland Ein deutscher WBhapfade, Original-Funiffeton des „Neuen Pester Journal”) Budapest, 13. Februar. Halb jagend min, Haló singend tönt, von feldem Spiel Seftiüist, geführt, Die Stim­­e, des Nhadpfoden and. Die feinen Haupt verkörpert sich die Wunderwelt Der Lieder, die sein großer Alt und Meister schuf. Aus Wilden Jordan „Andachten”. Es war auf dem Kommerd einer Studenten­­verbindung im großen Kriegsjahre 1871. Die Wiener Studentenschaft war in zwei Lager getheilt, in deren einem das böse Schlagwort von der „Gravitation nach Auen” starfe Verwüstungen ‚angerichtet, beflagen,­­welche Verirrungen hervorgerufen hatte. Die Kom­­merse mit grünen, großmäuligen Sprechern waren an der Tagesordnung und es kam so weit, Daß solche Studenten, welche ihr Schwarz-Noth-Gold stolz um die Brust gewunden trugen, von ihren preußisch angefrän­­telten Kommilitonen verunglimpft wurden. Der Kom­mers, von welchem zu erzählen ich im Begriffe stehe, war von einer großdeutschen Verbindung veranstaltet. An langgestrebten Tafeln sahen die Studenten in vollem Ichs, mit Roller und Kanonen, Cerevis und Schlägern, bei schäumendem Bier und schäumender Nede. Obenan sahen einige Professoren und ungefähr ein Dubend bemooster Häupter der Verbindung. Man hatte gerade einen donnernden Salamander auf die beliebtesten Professoren der juristischen Fakultät, auf Joseph Un­­ger und Rudolph Schering gerieben, nicht ahnend, da b­­eide schon nach wenigen Wochen der Hochschule ent­­wissen werden sollten; der erste wurde österreichischer Minister. Der zweite wanderte an die Georgia Augusta zu Göttingen. Das Klirren der Gräser, der Sturm , der Vivats zitterte noch eine Weile nach, bis sich ein Mann am oberen Ende der Tafel erhob, ein Hüne im Der Grfdeirung, ein Steche im Gehalten. Und auf die­­ser fregen Gestalt ruhte ein merkwürdiger, starrer Kopf, von wallendem, schwarzem, nur frischweise grün gesprenkeltem Haar umgeben. Das Auge, gleichfalls Dunkel, sprühte von dem Feuer der Seele, melche in sich in Bulgarien eingenistet­ haben, dann wird es Wissens und einer künstlerisch gestaltenden Kraft. Und Arbeit war es auch, werkthätige Arbeit, welche Jordan aufwenden mußte, um den Ruhm zu erlangen, der heute seinen Namen in zwei Welten umgibt. Nemo propheta in patria! das Wort ist leider ein Gemein­­plat geworden, wie jede Formel einer allgemein an­erkannten Wahrheit, aber ich stehe dennoch nicht an, e5 zu gebrauchen, da es auf die Schicsale des Dich­­ters buchstäblich paßt. F3ordan­a Werke, namentlich seine freie Nachdichtung der Gigfrid. Sage und sein De­­miurgos waren längst bekannt und hatten ihn lange schon in die Reihe der beften Deutschen Dichter gestellt, als er sich dazu entschloß, das erstgenannte Werk in freien Vorträ­­gen dem deutschen Bolte näher zu bringen. In Berlin, in der Faltkritischen Metropole­ deutscher Intelligenz, rümpfte man über Dieses Beginnen die Nase und Jordan sprach seine Dichtung vor einem spärlichen P­ublik­um,. Als er aber später hin überzog zu seinen deutschen Sprachgenossen jenseits des Weltmeeres und seine N­apfjodenfahrt der Amerika sich zu einem­ Triumphzug gestaltete, da begann man in Berlin sich zu schämen. Jordan kührte noch einmal dort ein und die legitimen Sprößlinge der reinen Vernunft jubelten ihm zu. In Großdeutschland, namentlich aber Oesterreich, wo Der poetische Herzschlag des deutscher Volkes der veinste und unwärmste i­, fand Jordan von allem Anbeginne die ihm gebührende Anerkennung. „B13 zum Stillenmeeresraume Siegreich durch die Welt, geflogen, hatt’ ich ruhmfatt unter'm Baume, Den ich aus dem Kern gezogen.” Das sind die Worte, mit welchen Jordan in jenem erst vor wenigen Wochen erschienenen Werse , Andachten", von dem hier noch die Rede sein wird, der zurück­­gelegten Rhapsoden-Laufbahn gedenkt, das Darin sich ausprägender Selbstbemwußtsein entspricht, volkommen seiner starren Natur, der Die Ziererei völlig fremd ist; es entsprnt aber auch seinem Dichterrufm, seinen Triumphen als Rhapsode. Seine Anwesenheit in unserer Mitte it übrigens ein erfreulicher­ Beweis Defür, dag ET Die benlige Nummer umfügt zwölf Seiten. in. .

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