Oedenburger Zeitung, 1877. Juni (Jahrgang 10, nr. 65-77)

1877-06-03 / nr. 66

­ Sonntag, 3. Juni 1877. Oedenb (vormals „Wedenburger Nachrichten“.) Organ für Politik, Handel, Industrie und Landwirthschaft, dann für sociale Interessen überhaupt. Motto: „Tem Fortschritt zur Eher’ — Berrit­tten zur Wehr’ — Der Wahrheit eine Gaffe.“ Das Blatt erscheint jeden Hiltwod, Freitag n. Sonntag­­ram­merations-Preise. Sir Saeco. Gangjährii­ch. Halbjährig.a fl. 50­ fl., Vierteljährig 2 fl. 25 fl., Monatlich 1 fl. Kür Auswärts: Ganzjährig 12 fl., Halbjährig 6 fl., Vierteljährig fl. Alte für das Blatt bestimmte Sendungen, mit Ausnahm­e v.Inseraten, Präum­meratione­ u. Injertions­­gebilpren sind an die Redaction vortofrei einzusenden. | BALLITT ZUTTETER X, Jahrgang. N | 3 = Aminifration, Verlag, Expedition: Grabenrunde Nr. 121. Hotel „Rose“ Nr. 19, 2. Stock. .... Bedartign; Einzelne Nummern, foften LED Kreuzer. U ynigrate vermitteln: die Herren Haarenstein , Vogler Waltfn­ggan­e­to, Wien, Budapest, A. Oppelit, T.Stus­­ benpartei2, Wien, Heinr. Schaler, 1. Singerstrafe 8, Wien. Infertions-Hedüpr: 5 tr. für die einspaltige, 10 fr. für die zweispartine 15 Er. für die dreispaltige und 20 Er. für die durchlaue­rende Petitzeile exklusive der Stempelgebü­hr von 30 Ir. Auskünfte in alten Wichtungen werden bereitwilligiiertbeitt . Die Saat des Boten. Dedenburg, 2. Juni 1877. Der bekannte ezehiische Wortführer Dr. Rieger ein Mann von in der Wolle echter, panslavistischer Färbung, hält sich für verpflichtet, an Stelle des ver­storbenen Palacky als „Vater der Nation“ aufzutreten, und erläßt im Vereine mit den böhmischen Landtags­ und Neichsraths - Abgeordneten eine Adresse an das Moskauer Gomite, in welcher jeder Saß eine Beleidigung für Desterreicherungarn, jedes Wort eine Kniebeugung vor Rußland genannt werden muß. In dieser Adresse sagen die Grechen, daß Bö­hr­men auf den LZod verwundet da stehe, dab­ei aber noch immer aufrecht sei, und seinen Antheil verlange an der großen Arbeit der Zukunft. Die Hauptaufgabe des Slavismus müsse alle­­dings Rußland tösen, der junge N­iese, vor dem heute schon daß greife Europa zittere Das ganze Zeitgeschlecht sei demoralisirt, entchriftlicht, verlottert. Nur Rußland, der „Staat dr Alias­sen“ habe Anspruch auf die Welth­errschaft. Die Nation der Böhmen aber sei bescheiden, sie verlange nur als Vorposten des Panslaviss­mus wirken zu können. — — Das heißt denn doch schon die Unverfrorenheit auf die höcste Potenz erheben ; ja, mehr noch, ent­­würdigend ud Jhmadhvoll ist ed wenn der Führer einer Nation unserd Doppelreiches mit folcher einer ehrenwertheren Sade würdigen Beredsamkeit ein ganzes Volt­­ur Lodreiung von jenem Staatenvere bande harranguirt an den ed durch den Souvrain und die Gesehe gebunden ist. Der, wäre ed etwa denn was andere, als ein kaum dur den Hochverrathepas­tagraphen ded Strafgeieged im Zügel gehaltener Schmerzendichter, wenn Rieger von dem durch die Agression des Nachbarn zum Martivium verurtheilten ezehischen Volke spricht, um sofort­ pathetis aufzurus­sen: „Der Kampf Rußlands für die unterjochten Slaven beginnt­ eine neue große Zeit für das Slar venthum bricht an!“ Und um die Felomie zu frön­nen, verspricht Rieger im Namen des czechischen Volkes, als eines lieder der slavischen Völkerfamilie, Ruf­­land als dem erwählten Leiter der Familie, Hulde und Gehorsam, auf das das Große, das dem Slaventhum zu leisten beschieden ist, durch Uneinigkeit nicht ges­tahbmt werde. Man fabe unsere Bezeichnung der Niegerichen Worte nicht etwa als eine Denunziation dieses Mannes auf. Und liegt nichts ferner als den oft ges­nannten ezehiichen Agitator des Hochverrathd zu bezich­­tigen. Vielleicht kennt der Mann nur einmal die Tragweite seiner Worte und die Wirkung des zers­iegenden Giftes, das er seinen Stammesbrüdern gestreut hat. Wir haben «8 lediglich mit dem M­anlheldenthum in der Politik und nit mit dem juridischen Faktum zu thun. Auch wäre eb unserd Amtes nicht (ein Amt, daß mir nie und nimmer üben möchten) die kriminelle Seite der Angelegenheit zu beleuchten, nein! nur der politische Gehalt der geilen Auslaßungen sind hier Gegenstand unserer Betrachtun­­gen und wahrli­­ch­ fanden gedachte Auslassungen geradezu fluchwürdig, wenn sie nicht nebenbei so un» täglich läcerlich wären. Der lacherliche Beige Samad deöd panflavistischen Aufrufs nimmt ihm viel von seine Gemeinschädlick­eit und wenn Nieger dem böhmischen Volke durch das „russische Schwert der Humanität” zur Freiheit und Bil­dung verhelfen will, so ist das eigentlich eine urfamie milde Spiegelfechterei, deren pathetischer Slang die erheiternde Wirkung nur noch erhöht. Es liegt — wer­nigstend unseren Erachtens — doch offenbar geradezu Pofyk­lides in der Idee, das moprowitische Kris­tenreich als den Träger der civilisatorischen Strebungen zu verherrlichen ; denselben Staat, dessen unterste Klaffen bekanntlich an Inteligenz, Bildungsfähigkeit und Kultur dem so geschmähten Türken weit nachite­ben... eine Nation zu vergöttern, deren intelligenteste Klaffen es weder­ verstanden haben, das jahrhunderte alte noch der absolutistischen Tyrannei von fi abzus­­chütteln, noch die in der Betäubung des Zufeld dahin schmachtenden niederen Bolföklassen aus ihrer unwürdis­gen Lage zu erheben und mit dem Geiste der Bildung und Freiheit zu durchtränzen­. Wenn Freiheit und Bildung für relative Begriffe sind, wenn die Freiheit eines Volkes,­ der Gradmesser für dessen Bildungsstufe ist, dann hat Ladislaus Nieger, indem­ er Nublande Zivilisation und Humanität preist, die Thatsachen in eben demselben­ Maße gefälscht, wie Vater Palacki, die Geschichte zu fälschen versucht hat. Wir fordern trog dem nicht einmal die gewalts­­ame Eindämmung der flavischen Hochfluth; reden mögen, die Herren Gredhen „und ihre politischen Führer was sie wollen, feine Verfolgung der, Gesinnungen, wozu einen Rieger und Consorten zu Märtyrern ihrer­ Mederzeugung machen? Gott bewahre­­ aber endlich einmal bestimmte Stellung stellte Desterreicher Ungarn nehlement «8 sollte sich erklären, jene Politik unverwandt verfolgen zu wollen, welche für ganz Ungarn und ein großer Theil der Desterreicher eingenommen zu­ sehen wünscht, auf dad dem centrifugalen lemente — dem Panfilas­sismus — sein Zweifel darüber gelassen­ werde, das er nach oben hin auf einen Nachhalt nicht rechnen könne. © lüdlicher Weise ist die Riegerische Manis­festation wie kaum­ eine andere geeignet, , Denjenigen die Augen­ zu­ öffnen, die sich, bisher der zwingenden Gewalt der Thatfaden verschlossen. Die Politik, die sich auf seine anderen Elemente zu fragen vermag, ab­ auf diejenigen, welche die Landespreisgebung auf­ ihre Sahne geschrieben, auf Elemente, die nach Außen hin gravieiren, die seit der Moskauer Pilgerfahrt unaufges­­egt ihre Parole von S Petersberg und Moskau erhalten haben, auf Elemente, deren Herz jubelt, „wenn­ der Graf die slavische Fahne entrollt" — eine solche Poli­­tif kann eine slavische, eine russische sein, eine öftee­re . Jeuilleton, Das Loch im Halse. Roman an dem Französischen, frei bearbeitet von Ernst Marbach.­ ­Fortsetzung Sah die Probe hat schon begonnen,dachte Stanoski,indem er die Augen absichtlich geschlossen hielt.Einer oder Etwas ist an meinem Bette,ich glaube eher etwas,denn ein Attungswerkzeug würde ein Geräusch hervorbringen,wie es auch sei,ich habe Luft, die Augen nicht zu öffnen, das gäbe einen guten Spaß bei der Kälte und ein präctiges Gelächter für morgen. “ Der Graf konnte er st aber leider nicht ver­­jagen mit den Augen ein wenig zu blinzeln und er riß sie gleich groß auf vor Erstaunen. Ein Mann stand vor seinem Lager und bliet­ ihn starr an. Sie haben sich gewiß im Gemach geirrt, tief Stanossi dem nächtlichen Besucer zu. Gleichzeitig erkannte aber der Graf, daß der Fremde nicht zur Zahl der Säfte de Schloßes gehöre, so wie ihm überhaupt die starre Unbeweglickeit, die nur lebloser Besen eigen ist, auffiel. Der Graf prüfte nun mit Ruhe und Aufmerksam­­keit die Erscheinung, welche er vor fi hatte: es war ein Mann von mittlerer Größe, einfac aber schwarz gekleidet. Was das Alter des fremden anbelangte so war es schwer zu bestimmen, da die Physiognomie et­­was eigenthümliches fremdes an fi hatte, vollkommen Ich» und ausdruckslos war, und in Sleish und Parbe an die Züge eines todten Kindes erinnerte. Das Gesich war nicht eingefallen, es war im Gegentheil voll, aber die Haut, welche er deckte, war so fein, daß man das ganze Zellengewebe mit feinem "bläulichen Geäder durchs­chimmern sah, der übrige Theil des Gesichts war von einem dichten schwarzen Bart verhült. Die eigenthünliche Weihe, dieses, wie aus Wachs geformten Gesichtes wurde durch zwei blau umränderte Augenhöhlen, in welchen die Augen ganz tief liegend und eingeluufen schienen, wur, erhöht. Dieser Gegenstand war aber ganz und gar nicht angenehm anzusehen und flehte ein Gefühl von Ekel ein. — Gi, ei, hob der Doberst an, indem er si auf den linken Ellbogen fügte. Sie sind also beauftragt mir Zurht einzujagen. Bravo! leider sehen Sie nicht so erschredend aus! Warum sind Sie nit in ein Grabtuc gehüllt und schleppen Ketten hinter ich? Sie meinen wohl, wenn man all aus der andern Welt komme, müsse man in anständiger Kleidung erscheinen ? Sehr gut, mein Herr, Sie kommen aus Ihrem Grabe und machen mir einen Befjuh , haben Sie aber wohl auch die Borsicht gebraucht Ihre Hände in Schnee zu tauchen, ehe Sie herauf famen, das mal mehr Wirkung, reihen Sie mir nun die Hand, wenn Sie fannen, an welcher Beweglichkeit ihr aber sehr zweifle. Der Fremand der vor dem Bette stand, zog den Handschuh aus, und ohne mit den Blicken die Augen des Obersten zu verlassen, reichte er die Hand hin. Die Hand griff sich eifig fast in der That, ein Frost beichlich den Grafen, als er sie befühlte; er rannte diese Kälte, und wer sie ein Mal empfunden, vergibt sie nie mehr, die Todtenwächter rennen sie genau. Wir künnen nicht beschreiben, welches Gefühl Stanosfi bei dieser Berührung empfand, gewiß konnte er si selbst nicht Nedvenschaft davon geben. Es mochte aber Erstaunen sein. Stanosfi hatte ein Geräusch, eine Fantagmagorie erwartet, er meinte, er müsse die Drahtfäden sehen, die diese Puppe in Ber­­egung seßte, aber davon war seine Spur. Der Semand war sein Gliedermann und doc eine leblose Figur, denn sein pulfirendes Dasein verriet­ ei dur eine unwillkürliche Bewegung, durch ein Zuchen der Augen­­wimper; dennoch war er sein Automat, er hatte auf Verlangen die Hand gereicht, stand aber nun wieder mit gekreuzten Armen da, und der Kopf mit­ der Starrheit eines Marmorgebildeds Stanossi zugewendet, blichte ihn unverrüht an. Der Graf fühlte sich unbehaglich unter­ den Blick dieses fahlen, starren Auges. Stanoski hatte bisher vermieden den „Jemand“ starr anzubliden, er b­at es aber nun und — seltsame Sache, er senfte unmwillfürlic die Augenlider, da er den Blid de Andern nicht, er= tragen konnte. Man wußte nicht, ob diese Augen lebend, oder todt seien. Augen von Glas hätten einen­ Nester gehabt, hier­ war der Raum unter den Y­ugenbraunen ‚von zwei schwarzen runden Sieden ausgefült, die in der Mitte Schwärzer schienen als am Rande, aber man hätte sie jechr nahe betrachten müssen, um­ zu erkennen, waß­ er eigentlich­ sei.. Endlich erkannte der Oberst einen uns heimlichen Gast, er war: Slorefian von Se»­mindft, derselbe Seminsst, den er u­mZidher nete lebloß vor. fi hingestrebt sah und der wohl längst begraben worden sein­ mußte.­­ —Ach,da ö fängtam abgeschmackt zu werden, sprach der Graf,mit einem Gesichte,I­iedaöJhre,mein» Herr,mit so Etwas schreckt man die Rögel,aber«mich schrecken­ Sie, nicht, wenn Sie­ übrigens Luft haben, mir, die , ganze Nacht Gesellhaft zu leisten, ‚jegen Sie sid­ wer nigstend, mein Here! Wie? Sie jegen sidy zu­ den Fühen meines Bettes, fer ed, wie ed beliebt. Der Graf wäre wahrscheinlich in seinen Reden forts gefahren, hätte er nicht plögli­che­ Beobachtung ger macht, dab die Erk­einung bei der gemachten Bewer­tung seinen Schatten­ warf. In der Lage, in welcher sic­h der Oberst­ befand, fuhr man das Ungewöhnliche, wo es nicht ist,­ and übersieht die einfachsten Dinge. Die einfache Sache, dab der Mann seinen Schatten warf, fiel den Grafen auf und — wir gestehen, er mochte sein Herz ein wenig hoher Schlagen. Im Medrigen herrschte nichts Schredhaftes im = ,

Next