Pester Lloyd - Abendblatt, Februar 1855 (Jahrgang 2, nr. 28-50)

1855-02-14 / nr. 38

, Zwei Artikel der „Times“ über Ministerverantwortlichkeit und über die Belagerung von Sebastopel, englischen Staatsleben zu Leibe geht, und unliebsam vorkommen, aber wir müssen sie aufrichtig fragen . Haben sie Schon je daran gedacht, ob die Verantwortlichkeit, das Grundprinzip, der Schlußstein, die Seele unseres Gemeinwesens, eine Wahrheit oder eine Dichtung, ob sie nicht zu einem todten Buchstaben herabgefunden ist ? So ungefähr beginnt die „Times“ heute ihren ersten Leader, Al Mr. Oliphant, fährt sie fort, kurz nachdem Kaiser Nikolaus Sebastopol besichtigt, diese Festung zum der frühere Gouverneur zur Strafe für seine Pflichtvergessenheit im Reich und Glied mit ven andern Züchtlingen die Straßen Fehrte. Eine solche Gerechtigkeits­­pflege riecht ohne Zweifel nach asiatischer Barbarei, aber die Haltung Rußlands in diesem Kriege beweist jedenfalls, daß die Diener des Grafen in ihrer Thätigkeit durch zwei mächtige Triebfeuer auf Belohnung. Mit andern Worten: in Rußland herrscht mehr Autorität und eriftirt mehr V­erantwortlichkeit ald mir bei ung­frie­den. Die Regierung hat so viel Autorität wie ver­einfac­hfte Ge­­schäftsmann ; denn die erste Bedingung des permanenten bürgerlichen Staatsdien­­stes ist, daß Niemand für etwas Geringeres als­­en entlassen werden sol. Die Nation ist, wie gesagt, fehl immer daran als irgend ein Sanfter oder Krämer ; jever Schofel im Lande, den sie einmal im Dienst ge­­nommen, bleibt ihr lebenlang aufgehalft. Einen unfähigen Staatsdiener in Ruhes­­tand zu fegen, gilt, obgleich damit ein Nuhegehalt verbunden ist, für etwas so Ge­häffiges und Peinliches, daß Niemand außer im ärgsten Nothfalle daran ge­­ben will. Und doch gibt es­ in jenem Departement so unfähige Personen, daß es eine gute Desonomie műre, sie um den Preis ihres vollen Gehalts aufzulaufen, um nur tüchtigere Männer an ihrer Stelle verwenden zu dürfen. Diese Thatsache allein bemweist, welchen eigentlichen Werth die „V­erantwortlichkeit" hat, so weit was Wort vom permanenten Staatsdienst gebraucht wird. ‘So lange es seine Autorität gibt, welche tie Dracht zu fira’en oder wenigfiend abzufegen der bürgerliche Staatsdienst das Schlaraffenland bleiben, in welchem der beste Mann wenig zu hoffen, unt die faulste Schlafmüse nichtd zu fürchten hat. Selbst bei der Armee macht wer wer­fällt, Gut, bare Widerstand Eebastopols ein Beweis dafür ist, daß die Alliirten ed um jeren Preis zerstören, daß sie zu diesem Zweck Himmel und Erde aufbieten müssen. Die „Times“ will der „Verantwortlichkeit für den Rath, wen sie gab, nicht aus dem Wege gehen." Sie erinnert aber, daß ihr Rath an entscheidenden Orten zu spät bes­herzigt und zu schlecht befolgt wurde. Sie habe auf der Expepition bestanden, als man noch­ volle Zeit hatte, jene mögliche Vorbereitung dafür zu treffen, — im Frühling; sie hob die Nothwendigkeit hervor, einen Randtransportdienst für die Les­vante zu organisiren, und dem Orient, Aussicht bei und nicht die, wie man jegt fdűb mit, anderseits gab 2. Mal besuchte, hörte er, in Athem gehalten sind — durch die Furcht vor ein fehmwered moralisches Berge­ befigt und ausübt, wird Stellenlauf nebst der Regel­tes Avancements nach der Altersflaffe aus jedem Regiment eine Art Privatfund. Glücklicher Weise dient im Militärs wie im Zivildienst dad point d’honneur als erregendes Element. Meinen wir diese Bemerkungen Gegen von Hocfammer entschlossen sich vie Aliirten diese Expedien gegen Sebastopol zu richten und sande­ten die betreffnden Befehle ab. Die Jahreszeit war ziemlich weit vorgerückt für ein Unternehmen, welches, da man l­ber den Gegenstand versehlen nicht genau unterrichtet, eben­so gut ein gewagtes wie leichtes Spiel werben konnte. Aber, spät noch irgend­eine Vorbereitung zum Feldzug im Innern, aber den großen Prozeß an, in diesem Augenblick das­ ganze Interesse der Nation verschlingt. Schwere Mißbräuche sind entwedt, große Fehler begangen, arger Schaden is dem Ansehen und ver Magtítegang Englands zugefügt worden. Wer ist Schuld daran? Man sagt uns wahrscheinlich, daß die Verantwortlichen­ vor Allem auf die Mini­ster aber das Unterhaus hat sie [von verurtheilt — d. h. der Herzog "9. Newcastle tritt aus, Mr. ©. Herbert wird zu einem wichtigern Posten erhöht, und die andern behalten ihre Stellen ; daß nennen wir eine Verantwortlichkeit in milderter Form. Das Land hat das Recht zu fordern, nicht nur daß die Fehler der einen Partei durch die andere geprüft, sondern tag die Schuldigen wenigstens en­taffen und nicht von dem verdrammenden Urtheil der öffentlichen Meinung geschirmt werden. Dies ist auf seine besondere Persönlichkeit gemünzt, wir sprechen nur ein Prinzip aus. Aber nach don unerhörten und unerwarteten Unfällen ver­legten 3 Monate und nachdem so zahlreiche Beispiele von Nachlässigkeit und schlechter Auf­­führung ans Licht gekommen sind, halten wir dafür, das die Regierung selbst viele Schweren Vergehen zu untersuchen und zu strafen verpflichtet ist. Was sollen wir von der Verantwortlichkeit eines ärztlichen Beamten wenfen, der in einer Depesche wegen Bernadpläffigung der Kranken einen Berweid, und in der nächsten Depesche die Beförderung zum Spitalinspektor in Stutart erhält? Dag heißt doch mit den erst­en Grundlagen der Autorität sein Spiel treiben, und gewiß wären weniger Pflichtvergessenheiten vorgenommen, wenn man in jedem Falle von Angeklagten heimgefhiet und vor ein Kriegegericht­ gestellt hätte, Untersagungen an Ort und Stelle von Kollegen und Standeögenossen eingeleitet, sind ein bloßes Possenspiel. Das Haus der Gemeinen mag ein ungelegenes Tribunal für solche Untersuchungen sein, aber es ist jenenfalls ein unabhängiges Gericht. Mit dem edlen Lord Malmesbury hat die "Limes" wegen seiner legten Rebe im Oberhause ein Hühnchen zu pflüden. Der edle Lord schob alles Krimm’iche­­n glüc ihr in die Schuhe; sie habe von verhängnißvollen Plan gegen Sebastopol zu ziehen, zuerst gehedt und ausgebrütet; sie habe die Nation dafür begeistert und die Regierung dazu getrieben. Das Kompliment, welches in der Anklage liegt, nimmt das große Blatt gerne an, obgleich Lord Malmesbury sehwerlich werde behaupten wollen, daß die „Limes“ Frankreich regiere, so wie sie nach seiner Meinung Eng­­land beherrscht: Der kaiserliche Jugendfreund des edlen Lords habe ja auch eine Stimme vabri gehabt; und sein militärischer Kritiker in Frankreich habe jemals die Politik des Unternehmens getadelt, so sehr man theilweise die Ausführung ver­­dammte. Im Gegentheil, auch in Stankreich wurde erkannt, daß gerade der furcht­­als sie im Herbste von von Slanellhemden, Pelzstiefeln und Mänteln sprach, welche die Armee im Winter brauchen dürfte, machte sie das Organ der Peeliten über solche militärische und phantastische Projekte lustig. Alle physischen und strategischen Bedingungen habe sie richtig berechnet,­­ nur in einem Punkte habe sie ohne den Wirth gerechnet; sie „nannte das Kaliber der englischen Generale nicht." Wenn man in späteren Zeiten die Geschichte ver Krimmfahrt liest, würden die Gründe, warum sie scheitern mußte, dem Leser von selbst einleuchten. Im Frühling von 1854 sandten die Alliirten eine große Expedition und sielet, für irgend einen andern Zwed oder andere Zwede, aber nicht zur Belagerung einer großen Bettung bestimmt war. Wozu sie sich eignete kann­ Niemand fagen, denn einerseits führte sie sein Belagerungsge­­né bei der brittsschen Armee seine Landtransportmittel mie der Befehl ergangen war, so traten an dieser Ursache noch weitere Verzöger­­ungen ein, so daß beinahe 3 Monate vergingen, ehe die Alliirten ihre Landung bewerfstelligten, und genau 3 Monate verstrichen zwischen Absendung der Befehle von England und dem Tag an dem die Arme­e vor Sebastopol ankam. In einem Bande, über dessen Klima sie nichts Zuverlässiges wußten, und vor einer Festung, deren Stärke oder Schwäche in geheimunsvollem Dunkel gehüllt war, begannen die Alliirten ihre Operationen im Herbst. Nachdem sie einen foreirhen Stanfenmarsch ausgeführt, um ein angeblich unvertheidigtes Startviertel zu überrumpeln, und obgleich sie zu viefem Zmed Zelte, Wagen, Ambulanz , selbst die Tornister der gemeinen Soldaten,, kurz Alles außer Pulver und Blei zurücgei­ ffen hatten, und zu nichte als einer Mederrum­­pelung gerüstet waren, gaben sie diese eine See im Nu wieder auf, und fegten sie ruhig hin, um eine regelmäßige ordentliche Belagerung zu versuchen. Auch dieses erwies sich bald unmöglich, weil sie nicht genug Truppen hatten, um die Stadt einzuschließen. Trogpem schickten sie si an sie zu bombardiren und Bresche zu schießen mit Mörsern und Kanonen, denen die russische Artilerie überlegen war — Gesichtge die in der That nur zu den etwaigen Operationen im Innern der Türkei bestimmt waren. Sie ziehen Laufgräben und errichten Batterien , die, wie man fest gesteht , in jeder Beziehung lächerlich schmach waren, und gehen am 17. Oktober an die Arbeit, welche sie bald wieder aufgeben müssen. Dann endlich fájlaz­gen sie einen Weg ein, der weder ganz offensiv noch ganz defensiv zu nennen, denn es ist gewiß, daß sie weder die eigene Position gehörig befestigten noch die des Feindes ganz einzuschließen versuchten. Es war weder eine Belagerung , noch eine Blodave, noch eine wohl geleitete Vertheidigung zum Zweck fünftige Operationen möglich zu machen; noch weniger aber war es auf eine Kampagne im offenen Selbe berechnet. Während die Alliirten nicht wußten was fit wollten, war ficy der Feind seiner Absicht wohl bewußt, und wie es in solchen Fällen gewöhnlich geht, bestimmte er den Gang der Ereignisse, welche wohin führten , waß wir eine Feldschlacht gegen eine Ueberzahl zu bestehen hatten und eine Blodave unter den ungünstigsten Verz­hältnissen auszuhalten haben." Lord 3. Ruffel kam neulich ver Regierung zu Hilfe und erklärte den Wider­­spruch zwischen ver­amtlichen und ver Privatstatistik ficher­ten Effektivstand der Armee in­ der Krimm, indem er annahm, jene rechne Offiziere und Sergeanten mit und bringe daher 28.000 Mann zusammen, diese zähle bIoß die Bajonnete und gemeinen Soldaten und entwede deshalb nur 11,000 oder 12,000 Mann. Aber der ganze Untersepien zwischen der Zahl der Bajonnete und der Be­sammtzahl eines Regiments macht in der Regel 12 oder höchstens 15 Perzent, so daß ein Korps von 1000 Bajonneten mit den höhern Chargen etwa 1300—1400 Mann starf if. Rppirt man daher die durchschnittliche Differenz zu den 12,000 Mann, auf­ welche alle Korrespondenzen übereinstimmend die Stärke der dienst­­fähigen Infanterie­­ háben, so erhält man doch erst 13,800 Mann und nicht 28,000; außer man wollte annehmen , daß die englische Artillerie und Kavallerie zahlreicher als das Fußvoll vertreten und 14.000 Mann start ist. Turin, 11. Geber. Die Deputirtenkammer hat den Allianzvertrag mit 101 gegen’60 Stimmen adoptirt. 7 Paris, 11. Geber. Der Zuprang bei dem Tuilerienball von ver­gangenem Donnerslage, der ersten großen offiziellen Settlichkeit in dieser Saison, war enorm. Die Feier unterschien sich von früheren dadurch, daß das diplomatische Corps nicht besonders empfangen wurde und überhaupt keine Vorflelungen vor dem Balle stattfanden ; nur für den päpstlichen Nuntius hatte man eine Ausnahme gemacht; er war in einen anstoßenden Salon zur Präsentation geführt worden. Alle übrigen Gesandten, fammiliche Groß­würdenträger u. |. w. waren im mare Schallssaale versammelt, wo ihre Maj. um 9 Uhr eintraten, während das Orche­­ster, wie gewöhnlich bag „partant pour la Syrie"" spielte. Grippe, Husten und Schnupfen hatten die Reihen der eingeladenen Säfte ein wenig gelichtet, so fehlte die Frau deg preußischen Gesandten , der belgische Gesandte, Herr Mogier, die nordamerikanische Gesandtscha­t und mehrere Andere. Al Grund für Rogier’s Abwesenheit gaben einige feine Eifersucht auf den Prinzen von Chimay an. Auf der Estrade nahmen der Prinz Jerome mit seinem Sohne Map , dessen Aussehen übrigens nicht nur durch feine Abmagerung, sondern auch durch feinen Zuavenbart sehr verändert ist, die Prinzessin Drathilve, die Familie Murat, die Königin Christine, welche der Kaiser über die Heirath ihrer zeigenden Tochter ber glückwünschte, mit ihren beiden Töchtern und dem Herzoge von Rianzares ; später auch noch Lady Comwb­ey und die, von Diamanten beredte Prinzessin Chimay. Un­ter den hohen Würdenträgern bemerkte man auch Admiral Hamelin : mit General Bren­neville unterhielt sich der Kaiser längere Zeit in deutscher Sprache ; auch mit Herrn von Hübner und Bely­pardja sprag Napoleon eine geraume Weile. General Wedel war ebenfalls zugegen. Soph­t wurde 121­, Uhr : der Kaiser führte die Königin Christine, Prinz Sérôme die Kaiserin zur Tafel. Um 1 Úr erschienen ihre Majestäten noch auf ein halbes Stün­chen wieder im Marschallöinale. Der Kaiser tanzte den ganzen Abend gar nicht, die Kaiserin nur Die offizielle Duaprille mit dem Prinzen Nas­poleon als Partner : Ihr Gesandter figurirte in verselben mit Madame Ducos. Zur Erbauung ihrer Leserinen füge ich noch die eben­so geschmackvolle als einfache Toilette der Kaiserin hinzu: weißes gestichtes TÜNfleto mit unzähligen Bolante ; in den Haaren eine weiße Zitternadel, die auf jeder Seite durch eine Note mit ihrem Stengel und ihren Blättern getragen ward. Alles in Brillanten, ein Halsband von blendenden Smarag­den und­ Diamanten. Der Kaiser war im Uniform und weißem Beinkleide erschienen. N­ieberhaupt ist, trug Sebastopol, die Tanzluft im beten Zuge. Um Einla­­dungskarten zu dem Bale, der am 17. im Stadthause stattfindet, haben sich mehr als 15.000 Personen beworben. Der „Moniteur“ zeigt an, daß die Einladungs­­liste getroffen ist und daß 6 bis 7000 Geruchsteller unberücksichtigt bleiben mußten. * MPest, 14. Teber. Se. Kaiserl. Hoheit, Erzherzog Karl Ferdinand tí heute Morgens mit dem Eisenbahnzuge aus Krakau hier angelangt. " Mehrerer Ballfeste wegen beginnt Heute die Vorstellung­ der Oper „Ernani“ ausnahmsweise um­­ ihr. Charakteristisch für die Stimmung ist, daß die „Times“ Strafe es reicht und die nicht ganz aus. ES mag den „Siktionen" auf in einer Unzahl: unserer Xefer neu daß Buchbruderei von Gustauv Em­th. — Berlag der Pefter Stopp-Gesellschaft. Wieser Börse am 13. Feber. Sortgefegte starke Berfeufe in Nordbahnaktien wirkten ungünstig auf den Effet­­tenmarkt ein und die meisten Gonds und Aktien waren in­folge dessen gedrückt, ohne daß jedoch — außer in Nordbahnaktien, die um 30], und in 1854-er Lotteriean­­sehenslosen, die um 30,0 t, zurüsfgingen — bedeutende Kursschwankungen eingetreten wären, Devisen und Metalle stellten sich Anfangs um 1­,0­, höher, ermäßigten ich aber zum Schluße wieder. Gold 3214, Silber 2714. Verantwortlicher Nedatient : Karl Weisskircher,

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