Pester Lloyd, Oktober 1908 (Jahrgang 55, nr. 237-247)

1908-10-03 / nr. 237

Budapest, Samstag, den 3. Oktober 1908 Inseratena In Budapest, in der „Pester Lloyd“ V., D Nr. 12 und in den 4. Blockner, B. Eckstei­n. V. Goldberger, Győri & 00., Jul. Leopold, Ant. Jul. Tenzer, Jos. in Wien , bei Ed. Braun, J. Dukes,­­Hauzenstein , Vogler, Rafael­­ Witzek, H. Sc. Um Auslande: Berlin: Rudolf M. & Co, ; Paris : John F. Jonest Einzeln : Rorgenblatt in Kae­­­­ter, in der Provinz 14 Koller. At! Budapest 6 Hof „in der Provin: Bedauern and Administration : aer­a­ utera 12. — Manuskripte keinem­ Falle zurückgestellt. — liierte Briefe werden nicht ange­­­­mez >. Jahrgang dien umu 78­­ Oo BR in unserer .­­ Veran für­­ Frankreich, England und i­ . Zeitungsfirms Saarbach, 8 Exchange in Mainz. Nr. 237. == Budapest, 2. Oktober. Der erste Eindruck, den die Lektüre der Heute in der Diner Königsburg gewechselten Trinksprüche vermittelt, ie ganz ungewöhnliche Innigkeit, die die­ Aeußerun­­gen der beiden Herrscher durchströmt. Es war der­ ehr­­würdige Nestor der Familie Habsburg, der zu­ dem jugendlichen Sprossen des in die­ses Zweiges sprach. Es war Der Ruf des BAun3, ‚der diesen beiden Trinksprüchen ihre zu den Herzen­ dringende in­üime Note gab. Und aus der in m­­inen Beziehun­­­gen gemeinsamen Vergangenheit Der Beiden Dynastien mußten sich zwanglos wie selbstverständlich die historischen Reminiszenzen ergeben, die besonders in Dem Herzen des­­ jungen Königs, von Spanien, in­ frischer Lebendigkeit wirfen und die Erinnerung an vergangene Ruhmestaten erweckten, die umso­­ williger auftauchten,­­­als ,die „hohen militärischen Würden, die die beiden Herrscher einander verliehen, an die Geschichte gemeinsamer­­ Heldentaten der österreichischen und spanischen Armeen gemahnten. Sonst aber war jedes Wort der beiden Könige lebendige Gegen­­wart. Vornehmlich die jedes Höfische Zeremoniell ban­­­­nenden, personlichen Akkorde, die dort, wo von der Krankheit unseres Königs, von seiner Freude, die Gäste „bei sich zu sehen und von deren Verehrung für ihn die­­ Rede war, aus der Tiefe aufrichtigen Empfinden empor­­kamen ,s­ ist aber von beiden­­ Herrschern Gewicht darauf gelegt worden, zu betonen, daß die intimen Bande, welche die beiden­ Dynastien umschlingen, es nicht allein­e sind, die Alfonso XIII. und seine vom Zauber einer sieghaften­­­­ Schönheit umflossene Gemahlin als Ueberbringer von Glad­­­wünschen in die ungarische Residenz unseres Königs brachten. Beide Könige legten Nachdrug auf die politisch bedeutsame Stelle, daß die „ausgezeichneten Beziehungen, die zwischen Oesterreich-Ungarn und­­ Spanien bestehen“, „unabhängig sind von den­ engen­­ Beziehungen,­­ die durch die Bande der Verwandtschaft gegeben sind“. Und diese­­ Aeußerung erfuhr eine in diesem Augen­­bliche doppelt bemerkenswerte Ergänzung durch die Worte Alfonsos: XIII. : „Und ich werde jeden­ Anlaß­ benügen, um Sm. Majestät davon Beweise zu bieten.” Span­ien nimmt heute im Zusam­menschlusse­ der­ Westmächte einen hervor­­ragenden Pla ein. Seine­­ guten Dienste können in diesen Tagen, wo Mißverständnisse­ oder tendenzerfüllte Aus­­streuungen unsere sonst ausgezeichneten Beziehungen zu dex einen oder­ der anderen Europamacht ungünstig zu " beein­­durhglüh a 449% ungarisce Nation­al­m tapferen Meberwinder schwerer Geschide auch bisher ih­n entgegengebracht hat. Alfonso XIII. war­­ den Ungarn, die Jeinem­ mannhaften Ringen um­ die Festigkeit­­ seines Throptes "mit­ aufrichtiger Bewunderung , auch bislang­ sein Fremder. Seine freiheitlichen Anschauungen aber und vornehmlich die Wärme des Gefühls, die er unserem König zäußerte, werden seinen­­ Aufenthalt in Ungarns Hauptstadt­ zu einem denkwürdigen und für die Freundschaft von ‚Volk­­ zu Volk außbringenden gestalten. Di­e Trinksprüche. Bei dem Heutigen Galadiner brachte Kaiser und König Franz Jose­f folgenden Trinkspruch aus: Der Tohit unseres Königs. Als Mein­­ Gesuundheitszustand im vorigen Jahre Mir das Opfer auferlegte, auf den Besuch Ew. Ma­jestät verzichten zu m­üssen, wurde der Schmerz, den ich darob empfunden, Wir durch die Hoffnung ge­­lindert, daß Ihr liebenswürdiges Vorhaben . im Laufe dieses Jahres ausgeführt werden wird. Ew.­­ Majestäten Haben : Anspruch, auf Meine volle Dankbarkeit, daß Sie Meinen Wunsch erfüllt haben. Daß 'Vergnügen? Ihre erhabene Gemahlin­­ end­­lich kennen zu lernen, Site, erhöht die Freude, Sie in der Hauptstadt Meines Königreiches Ungarn­­ zu empfangen. "Andererseits wird Meine Dankbarkeit gegen Ew. Majestäten noch dadurch vermehrt, daß Sie so gütig gewesen " sind, Mir Ihre Glüh­­wünsche,aus Anlaß­ Meines sechzig­­jährigen R­egierungsjubiläums dar­zubringen. Auch gibt die­­ hohe militäri­­sche Auszeic­hnung, Sire, die Sie Mir. ver­­ließen und die Mich durch ein neues Band mit der tapferen spanischen Armee vert­nüpft, der ich stolz­ bin, schon anzugehören, Ihnen einen neuen Anspruch auf Meine Dank­­barkeit. Angesichts dieser kostbaren Beweise der Gefühle, welche Ew. Majestät: für Mich hegen, sei "es Mir "gestattet, in Ihrem Aufenthalt in unserer Mitte eine ne­ue Kun­d­­­gebung der Freundschaft zu erbli>en, welche, unabhängig von den engen Beziehungen, die dur; die Bande der nahen Verwandtschaft gegeben sind, niemals‘ aufgehört 'hat,­ unsere Häuser zu vereinen, und. Ich muß Mir zu diesen Freundschafts­­beireifen Glüh wünschen im Interesse der aus­­­gezeichneten»Begziehungen,­­Die zwi­­Sehr glück­ch, Ew. Majestäten bewillk­ommnen und" Sie mündlich Meiner innigen Freund­­schaft versichern zu können, trinke I<, Sire, auf Ihre Gesundheit, auf die der Königin und der ganzen königlichen Familie. Der Toast Alfonsos XIII. Alfonso XIII, König von Spanien, diesen Toast mit folgendem Trinkspruche: Eh­e ! Mit tiefster Rührung bringe ich Ew. kai­­serlichen und apostolisch königlichen Majestät Meine Glühwünsche und die Ihrer Majestät der Königin zu Ihrem­ Jubiläum dar. Bei diesem denkwürdigen Anlasse handelt es sich für Mich nicht bloß um ein­ Datum,­­ das in der Geschichte der Monarchie Epoche macht, indem das Beispiel eines Souveräns geboten wird, der nac­h sechzigjähriger Regierungszeit i der ganzen Welt ebenso geliebt w­ie eCH­LE wird, wie UND EH CHEN Staaten. Nicht um das allein handelt es für Mich. Aber in Meinen Adern flie­ß das Blut’der Habsburger E31 natürlich, daß IH in tiefster Seele den St darob empfinde daß Mich Famili bande mit Ew. Majestät vereinen. "Die Königin und Ich haben mit groß Besorgnis den Verlauf der Krankheit verfo an Der Cw. kaiserliche und königliche Majestät lezten Jahre gelitten " haben, und Wir empfin eine unsägliche Freude, daß Wir den schobenen Besuch nunmehr abstatten konnten, Meiner Gemahlin gestattet, Ihnen persönlich­e Liebe­ und Verehrung, gleichgroß wie die Meinig bezeigen, zu können. Möge Gott noch lange Jahr hindurch die kostbare Gesundheit Ew. Majestät zum Rauhme Ihrer Herrschaft erhalten ! ja Sire ! Indem Ich Ihnen den höchsten Grad der spanischen Armee verleihe, schoße all­es dieser zur hohen Ehre, den illustren­ Namen Ew. Majestät an der Spitze Ihres Kaders, figurieren zu sehen. I< Meinerseits danke Em. Maje­­tät für Meine neue Beförderung“ur der österreichisch-ungarischen Armee, der Ich glücklich bin, schon als Oberst seines Ihrer schönsten Regi­­menter anzugehören. Dessen Heldenmütige. Annalen die unvergängliche Erinnerung an die Ruhmertaten Karls V. und Don Juan d'Austrias­ wachrufen, die ewig im­ Herzen des spanischen Volkes leben. Die enge’ Sreundschaft die,,abge­­sehen von unserer nahen Verwandt­schaft, Unsere Häuser seis vereint hat, und die ausgezeichneten Beziehun­gen, die zwischen Spanien und Oester­­erwiderte fe verpflanzten j, folgten,­­ terreig-Ungarn und dessen: Wohlergehen iden nen a De­­­nf bestehen, Spa: SH Die Von Dr. Abel v. Barabás. Gibt es wirklich nichts Neues unter der Sonne? Und wenn einer käme, der die Tatsache nachwiese, daß Merander Betöfi, der größte ungarische Dichter, ungewöhnlich starken Einfluß auf den jungen Nießsche ausgeübt hat?! Petöfi und Nietsche! Ein sonderbares Zusammentreffen zweier amen. Und dennoch : Wie war ich überrascht" zu erfahren, daß Nießsche unseren Petöfi "gründli< kannte und­ weiter, daß er sich mit Petöfis Dichtungen des öfteren beschäftigte.­­3 ich in Weimar Frau Förster-Niepsc­he besuchte, dachte ich gar nicht daran, daß es einen so interessanten ‚Bus­sammenhang 'geben könne. Denn er ist in der Tat interessant und läßt uns einen tieferen Blick in die Seele des jungen Jesiche werfen. Petöfi, der auch einer­­ der größten philo­­ophischen Dichter war, gehörte unzweifelhaft zu­ Niegidddes eiten Lehrmeistern auf dem Gebiete der Philosophie. Wie kommt es" aber, daß Schriftsteller von großem Ruf, Die über Niebjche schrieben, gar kein Interesse für Hejes Moment Hatten? Daß Niescke sich mit Petöfi bes­­chäftigt hatte, dürfte ihnen doch nicht­ unbekannt ge­liehen sein. Man kann doch nicht sagen, daß der Name Betöfi in Der­ Weltliteratur unbekannt­ sei. Seine Werie sind in mehr als fünfzig Sprachen erschienen, und de "Deutschen zählen seit 1849, dem Todesjahre des Lichters, mehr als zwanzig Petöfi-Ueberseßer. Leider ist­­ jedoch wahr, daß die ungarische Literatur, wenn auch ih­r dem­ deutigen Publikum, so doch den deutschen Beraten beinahe so viel wie unbekannt ist. Nur so­n man­­ es verstehen,­­ daß die Herren, vom­ Bau ein so wichtigen Gegenstande kein Interesse zuwandten. Im Niebsche-Archiv zu Weimar zeigte mit­­ Fran­kter-Niebsche ein Notenblatt mit dem Titel: „Na <­­tel. Gedicht von Alexander Petöfi. Für­ eine hngstimme mit Pianofortebegleitung komponiert­en Friedrich Nießbsche.“ Als ich das Gedicht treu gelesen Hatte, sah ich, daß es ein Grad aus Petöfis nilosophischen­­ Dichtungen war, und zwar aus den offen“ Frau Förster-Nießs<e bemerkte, es­­ seien ob mehrere Lieher von ihrey­­­er­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­mutete, daß. Hier mehr als ein "Zufall obwalten " müsse, fragte ich, ob sie nicht etwa von der Entstehung dieser Kompositionen etwas Näheres zu erzählen wüßte. Frau Förster-Niebsche­ gab mir * interessante : Auf­­schlüsse* über­ die Entstehung dieser Kompositionen. Der junge Nietsche studierte in seinem zwanzigsten­ Jahre in Bonn. Dort­ hatte er die Gedichte Petöfis kennen gelernt und sie übten auf­ ihn eine mächtige Wirkung aus. Von dieser Zeit an beschäftigte er sich, mehr und mehr mit dem ungarischen Dichter, so sehr, daß er das Bändchen oft in der Tasche mit sich herumtrug und viel von­ ihm erzählte. In ihm erwachte eine aufrichtige Sympathie für die ungarische Nation, ja er verfaßte einm­al ein Genre­­bild in­­ Versen mit Dent. Titel „Der alte Ungar“. Gleichzeitig fing er an, Lieder zu komponieren. Als er gegen Weihnachten nach Hause ging, überraschte­­ er die Familie mit einem Seite, das mehrere Kompositionen enthielt. Frau Förster Niebide besitzt das Heft noch ;­ sie hat es wohl verwahrt: Wie groß war mein Erstaunen beim Durch­blättern des Manuskripts, daß die Texte der Kompositionen zumeist Petöfischen Gedichten entnommen sind. Ich fand darin folgende Gedichte von Petöfi: „Nachspiel“, „Unendlich“, „Verwelkt“, „Es winkt und neigt sich“, „Ständen“. Die Kompositionen sind noch ungedruckt. 30 gab mir Mühe, in den Geist dieser Tongestaltungen tiefer einzudringen, denn ich vermutete, daß die M­elodien uns darüber Aufschluß geben­ könnten, wie Nietzsches diese Gedichte aufgefaßt hat. Schon die Textwahl ist hier äußerst wichtig. Noch wichtiger indes zu sehen, welche innersten Saiten: die Gedichte in der Seele des jungen­­ Nietjche erklingen ließen. Der Text zeigt nur­ die allgemeine Ideen­­welt; die Komposition läßt aber einen tieferen Blick in sein innerstes Wesen werfen. Diese frühzeitige Offenbarung kann uns vielleicht eine Antwort geben auf die Frage: in welchem Maße wurzelt Niesse des Pessimismus in­­ ererbter Zuneigung ? Wir wollen uns daraufhin einige Gedichte anschauen. Ach möchte lassen diess glanzumspielte Welt, Zit Der Lust und­ Wehe rings umsponnen hält, Im­mer fortziehn, fort von den Menschen weit, = In eine wilde, schöne Waldeinsamkeit. Dort würde ich dem­ Laubgeflüster lauschen, Und horchen auf des hellen Bächleins Rauschen, Und auf den Vogelsang. Sehen der Sonne Untergang, Und endlich selber mit ihr untergehn s , « Sonderbar, als ob er­­ sein Ende schon in jungen Jahren empfunden hätte. Dieses Gedicht liebte er am meisten. CS ist eigentlich seine Tragödie. Der Philosoph hat alle Felder des Denkens durchmessen, er hat alle Geiege der Moral über den Haufen geworfen, nun ist er mit sich, und der Welt entzweit, nun steht er an der Grenze, wo das blendende Licht des Genies und die dunkle Nacht des Wahnsinns zusammentreffen. Er weiß nichts mehr von der Welt, er erhebt sich nur aus seinem Bette, wenn er den herrlichen Sonnenuntergang. Hinter den thüringischen Bergen noch einmal­­ vor seinem Ende genießen will. Das ist Niekssches­ Ausgang. Und doch steht auf dem Manuskripte mit Bleistift: : „Komponiert 1864 in Bonn“.­­ Er wurde im Jahre 1844 geboren. Also zählte er erst zwanzig Jahre, als er das Gedicht­ in Musik lebte. Und doch ist die Komposition » gleichsam­ das Schwanenlied eines Sterbenden. Der Text selbst drückt eine gewisse Schwermut aus. Und diese Schwermut findet ihren vollen Ausdruck in den Tönen. &3 ist ein düsteres, trostloses Bild, ohne eine Spur hellen Lorgnenscheines. Schon die Illustration der ersten Zeile beginnt so, als ob ein todmüder Geist­ sich nur einmal erhebn wollte, da er kann nicht, er muß wieder herabsin! denn seine Flügel sind gebrochen. Die zweite­­ Zeil selben Zug. „So möchte fort ziehn, fort vm schen weit‘, sagt der Text, und die Musik­­ mit einem wehntütigen Aufschrer, in­ dem den Ausdruch der­ Verzweiflung vernehmen, ertönt das erste Motiv, hierauf noch ein Klan unser Herz ergreift, und wir sehen, dann: das flammen des Geistes am Ende, wie 1 Wort auf den Lippen erstürbe. Hier lie zwanzigjährigen Jüngling die Reime er "Bhilosophie, Wir sehen hier eine Ende­ in Tonschöpfungen schon in­ prophezeit ! 74 54

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