Pester Lloyd, Oktober 1910 (Jahrgang 57, nr. 246-258)
1910-10-16 / nr. 246
. ‘ .stt.ssMM-4t..hs1hjshsks fixviokteuwkjusthonsxxiohgx .JsxjfglahmstknyahkigxskJab «MAK.,vjokt«-Uähkig121c»mmktiess 4 K. 40 h. Mit separater Postversendung des Abendblattes vierteljährig 2 K. mehr, Für Wien auch durch Herm. Goldschmidt, Für das Ausland mit direkter Kree=bandsendung vierteljährig : Für Deutscheland 18 K., für alle übrigen Staaten 21 K. Abonnements werden auch bei sämtlichen ausländischen Postämtern entgegengenommen. Für Amerika, England, Frankreich, Spanien und Portugal besteht die Vermittlung der Postämter nicht und das Abonnement muss direkt in unseren Administration erfolgen. Vertretung für Deutschland, Frankreich, England und Italien bei der Zeitungsfirma “News Exchange in Balnz. . 57. Jahrgang a . » su TE A MORGENBLATT 7 Bunapest, Sonntag, 16. Oktober 1910 In Wien: bei Ed. Braun, J. Danneberg, IL Dukes, Haasenstein , Vogler, Rud. Massa, 71. Rafael, H. Jo Pauls Auslande: Berlin: Rudolf Mosss, Daube & Co.; Paris : John F. Jones & Co, Einzeln : Morgenblatt in Ba 12 Heller, in der Frau 14 Heller. Abendblatt in Budapest 6 Heller, in der Provinz 8 Heller, Redaktion und Administration: V., Mária Valerie-uteza1%. — Manuskripte werden in keinem Falle zurückgestellt. — Unfranckierte Briefe werden nicht angenommen. Nr. 246. . . . 4 Eu 2 . Budapeft, 15. Oktober. Die Cineme-Theorie in der biologischen Wissenschaft schreibt den allerkleinsten Teilchen , der, lebenden Deuterie ‚ein ihnen inhärentes Erinnerungsvermögen zu, und will die ‚Vererbungserscheinungen, janz und soliders auf. Diese Fähigkeit zurückführen. Wenn in unserem öffentlichen Leben, seit einiger Zeit ein, dem Naturgeweb der Bererbung hohhsprechendes Abwärtsgleiten, von den, Mederfiefe ‚zungen ‚des. Haffiichen, Beitalters ungarischer Staatskunst wahrnehmbar ist, so legt Diese Wahrnehmung die Frage nahe, :ob. ‚den. Elementen unnserer öffentlichen Meinung mist etwa. die. Mineme, Ddiese Trägerin der: Vererbung, tegendiie abhanden gelommen sei? Die leidige Tatsache, hab. es Der politischen Binde unseres Bottes, an genügend scharfer Gedächtniskraft gebricht, tritt jedenfalls sinnfällig genug zutage und "zeitigt "der schlimmen Folge erscheinungen genug, ‚um die publizisftische Tritt anzuregen. Politisches Somvertitentum it fon an fid eine unerfreuliche Erscheinung. meinzelfatte bisweien 9areiflich, ab und zu einmal vielleicht auch Löblichen: Motiven entsprungen, muß das Neophytennwesen auf politischemte Gebiete, wenn es sich irgendwo als Mode einnistet, als epidemischer Charakterbereit beurteilt werden. Und avat in zweifacher Richtung: einmal als sittliche Berafung derer, Die Die Unbegrenztheit ihrer politischen Wandlungsfähigkeit als Tugend auftuhen, in nicht geringerem Maße, aber auch als ethisches Gebrechen derjenigen, Die sich Den sdalen Opportunismus solcher Neophyten als der dienstliche Cache infinuieren lassen. Den Männern, Die in unserem öffentlichen Leben, ihre ‚politischen Glaubensbefenntnisse wie ihre Leibwäsche wechseln, ‚ins Gewillen zu reden, durfte ziemlich unangebracht sein. Im Grunde ihres Herzens fühlen sie wohl selbst das Unzuträgliche ihrer häufigen und unvermittelten Metamorphosen, und je lauter sich ihr Konvertiteneifer gebärdet, desto näherliegend ist. der Verdacht, daß dadurch nur ihr igenes Gewissen betäubt werden sol. Wahl, aber küntt es uns eine Dankbare Aufgabe, auf den sranfhaften Gedächtnis ihw und der öffentlichen Meinung hinzutreffen, in der allgemeinen Leichtgläubigkeit entgegenzuarbeiten, die den politischen Verrumblungstitgäisern bei uns harte Haft gar zu sehr erleichtert Hat er Schon in der Eröffnungsphase der Tätigkeit unserer Delegation bieten sich der Kritik geeignete Antriffspunkte dar.‘ Da ist beispielsweise der taktisch einheitliche AMujmarjáj der sonst Durch tiefe Klüfte persünlicher und geumdjüblicher Natur getrennten staatsrechtlichen Opposition gegen das Institut der Delegation überhaupt. Die feindlichen Brüder vergaßen allen Zank und jeglichen " Gegenfaß, der sie voneinander "sondert, und reihten sich in eine einzige Phalanz, um diese grundlegende Einrichtung des siebenundsechziger Ausgleichs über den Haufen zu rennen. Mit den Proteste des Grafen, Theodor Batthyany, in der Eröffnungslisung der Delegation ging die Kampagne los, in einen heute veröffentlichten Artikel des Herrn Franz Kossuth klingt der Angriff weiter. Was den erstgenannten Paladin der Justizpartei betrifft, so verkörpert er in seiner spütbaren Persönlichkeit gewissermaßen ein‘ Elaffisches Schulerempel des politischen Souvertitentums.. In seinen politischen Anfängen lernte man ihn als Adepten der liberalen Partei kennen. Mit seinen unverhohlenen feudalen Neigungen, und dem konnservativen Grundzuge seines gesamten,auch seines staatsrechtlichen Denkens irrte er in dieser Partei wie ein Fremdkörper umher, der weder seiner Umgebung sich anzurasen, noch in der letteren andere sich zu afsimilieren wußte Man weiß, was solche Fremdkörper im lebendigen Organismus beiwirfen:. Störungen des Blutumlaufes und in deren Gefolge MEN. Die erste Metamorphose des Heren Grafen war sein Anschluß an den Grafen Apponyi, als Dieser die liberale Partei verließ und sich wieder einmal rale nationale Opposition auf siebenundsechziger Grundlage etablierte. Der ersten Metamorphose folgte Die zweite, der Eintritt in die damals noch einheitliche Unabhängigkeit spartei, und Zimar gleichfalls im Anschlusse an den Grafen Apponyi, auf dem Fuße. Unter dem neuen Obdad biederte sich dann der eheden feudale Graf Batthyány dem nationalistischen Demagogentum des Herrn. Sofius Futan, überbot an staatsrechtlichem Radikalismus selbst Stanz Koffuth, an nationalem Meberihivang selbst den Grafen Apponyi, wäre vom Auftgischen Lager deshalb als ministrabler crönlichkeit gefördert und gefeiert, und als es zum Bruce innerhalb "Der staatsrechtlichen Opposition kam, da hatte er bereits seine Schwendung vom rechtenlügel der Liberalen Partei auf den ertrenjten Flügel Der außersten Linken vollzogen und gehabte sich fortab als Boltsapostel, der das radikalste Wahlrecht und die Personalunion als das Minimum seiner Forderungen "vers fündet. Und man landet dieser Politiker in dieser „Teiteren Eigenschaft als Generalredner der Justhnartei in der Delegation und lügt dort seine Kolophoniumblige und feinen Blechdonner gegen das Ausgleichswerk Franz Deáts, dem er nachzustreben einst feierlich gelobt, in sinnbetäubender Weise spielen. Wir haben es uns nicht versagen wollen, auf die wechselvollen und einander grell widersprechenden Beripetlen seiner politischen, Laufbahn Hinzuweisen, denn uns lag daran, Die erzejfich opportunistische Wandlungsfähigkeit, wie «sie bei uns "gang und gäbett, an fold Draftiichen: "Beispiel vorzuführen, um im Anschlusfe daran die Frage aufzuwerfen, wie es wohl kommen wag, daß gewerbsmäßiges Sonvertitentum , solcher Art von inserer öffentlichen Meinung, statt rücksichtslos gebrandmarkt zu werden, stillschweigend geduldet wird? · re Ein noch betrübenderes Beifallsssymptom vielleicht offenbart sich in der Tatsache, daß Franz Kossuth, es als angemessen betrachtet, dem staatsrechtlich extremen Hodhatte des ‚Grafen Batthyany in seinem bereits erwähnten Artikel si heute als Ministrant beizugesellen. Neidete er diesem Neophyten der Unabhängigkeitsphrase den Lorbeer, oder war ihm bange, daß, wenn er nicht in d dasselbe Horn stößt, solches Versäumnis ihm als Einbekenntnis seines völligen Abfalls vom einstigen Ideal angerechne würde, in jeglichen Falle macht die sonst distinguiert Persönlichkeit Franz Kossuths im diesem Stonvertitenbwettsbewerbe eine gar klägliche Figur. Ergeht sich der Delegationsalter ego des Herrn Zufth in wehmütiger Klage darüber, daß die Aeußerlichkeiten der Delegationstagungen den gefährlien Anschein eines zentralen Reichsparlaments vortäuschen und hiedurch der staatlichen Selbstständigkeit Ungarns Eintrag tun, so mag das als Survival einer längst vermoderten Ideologie höchstens zum Lächeln stimmen. Daß aber an Franz Koffuth in eigener Person dieselben Albernheiten mit noch feierlicherer Emphaserung beiten gibt, das Figelt wahrlich schon zum lauten Auflachen. Wie, hat Erzellenz Koffuth als leitendes Mitglied der Koalitionsregierung nicht vier Jahre hindurch all jene Heuferlichkeiten anläßlich der Delegationen » mitgemacht, die er jet als schwere Schädigungen imferer staatlichen Sonderfieling befragt? War dieses Gepränge damals vereinbar mit Ungarns staatlicher Würde, weil " Herr Kofjuth damals Minister war, und it das althergebrachte Zeremoniell: erst set wieder, da Herr Kofjuth zu seinem größten Zeichwesen aus der verantwortlichen Stellung scheiden mußte, eine Beschimpfung und Berleugnung unserer staatlichen Selbständigkeit geworden? "Vier Jahre hindurch war Here Kofjuih Minister, folglich in der angenehmen Lage, dem König über Die beste Art, des Königereichs Ungarn Staatliche Würde unversehrt zu bewahren, Ratsejlage zu erteilen. Hat er in diesen vier Jahren Gelegenheit, die nicht so baldwiederkehren dürfte, bewußt, um die Krone für eine solche Behandlung der Delegation zu gewinnen, die er sinnfällig machen würde, . Daß Die Störperschaft nichts weiter als, wie er sich jecht ausdrückt, ein bloßer Ausschuß des ungarischen Reichstages: sei, Det demnach ‚die „lediglich dem legteren gebührenden Reuflichkeiten seineswegs usurpieren dürfe? Die öffentliche Meidung hat das Nect, sich mit dieser Frage an den früheren Landelsminister zu wenden und, von der Antwort auf Diese Frage wird sie ihr Urteil Darüber abhängig machen, obneten Franz Koffuth, Die" Berechtigung zustehe, an einer Sache zu mäfeln, gegen die er als Minister wenigstens vor der Deffentlichkeit, nichts einzuwenden funden Hatte... «Auges-ists dieseskkussen Widekspruchsivixcesmi schiedlarnikos b«ediikike1t,wenn Herr Kossuth in der königx lichett Ansprache an die Delegation deki.Hijt weise darauf daß die Wahrung des Friedens in erstecishe dpk Schlagfertigkeit unserer Wehrmacht zu dankenseits bemängelt und gewünscht hätte,daß dieses VerdienstHn geygischexx Einschreiten unseres mächtigen und getreuenV bündeten«zugeschriebent worden wäre.In der Tat,harzix bis zur Naivität ist solche Stellungnahme eines Mannes der in jenen Tagen der imminenten Kriegsgefahris, der Krone der Verausgabung jeIer schive FeinLlliqn pflichtgemäß beigestimmt hat,durch die uniserer Wehrgnacht die letzten Bedingungen der absoluiert Kriegstüchtig beschafft werden mußten War die Verhütung des Krege . Feuilleton, Flores. — Kinderjug. — Bon Baolo Zendrini. In Florenz studierte ich um die Wende des Jahrhunderts im glücklichsten Alter von zwanzig Jahren bei meinem Mnister Senator Pasquale Villari, dem Nestor der italienischen Historiker, der vor drei Jahren unter den Ehrenbezeigungen aller europäischen Genossen seinen achtzigsten Geburtstag beging und vor wenigen Monaten von Riktor Emanuel III. als erster Gelehrter seit Gründung des Königreiches mit der höchsten Auszeichnung, dem Annunziaten- Orden bedacht wurde. Es war eine unvergeßliche Zeit, die " herrlichste meiner Jugend. Wie manches Seelenbündnis " fürs Leben, habe ich dort geschlossen! Sowohl bei der Geisteskönigin der Aenostadt, Marchesa Ernestina di Diontagliari, wie bei meiner innig geliebten, seitdem allzu früh heimgegangenen mütterlichen Freundin, der Edeldame Mary Gallenga Prontgomery Stuart, und bei meinem verehrten ungarischen Gönner Baron v. Landau in seinem Mäzenenfit vor der Porta San Gallo — dem fünften Privathaufe, das ich jemals betreten — wurde mir wiederholt die " Herzlichste Gastfreundschaft zuteil. » « « Seitdem ist mir der Geburtsott Dante-Zund-Bärbelangeloc fast zurztveit an einst geworden.In«der Vereinigung von großen Erinnerungen der Vergangenheit und mächtigen Netzen der Gegenwart,von Schönheiten der Natur und Kunst ist Florenz unvergleichlich.Die Italiener haben fast jeder ihrer bedeutenderen Städte einen besonderen Beinamen geschenkt:das alte Venedig(l’antica),das starke Brescia(la forte),das reiche Maibild(lakicca), das hehre Turin (laugusta), das gelehrte Bologna (la dotta, im Dolfe auch la grassa oder ‚die fette Stadt“ genannt), das freige Genua (la superba), das patriotische Palermo (la patriottica), das große Neapel "(a grande), die ‚ewige Stadt Rom (la citta eterna). Eine aber haben sie einstimmig mit dem höchsten Kranze geschmüct : Firenze la bella, das schöne. Florenz. Die Verfasser der Haffischen italienischen Reisebeschreibungen, denen wir bald an dieser Stelle einen besonderen Auffaß widmen werden, haben schon seit Diontaigne ihre Aufmerkssamkeit auf Nom konzentriert und darüber die so viel harmonischere und hübschere, wenn auch bescheidenere „ille Königin“, wie sie von Isolde Kurz genannt wird, stark vernachlässigt. Dies gilt namentlich, für Goethe, der sich in seiner italienischen Reife, von fieberhafter Sehnsucht nach Rom getrieben, wenige Stunden in der Nenostadt aufhält und ihr Raum einige Zeilen widmet. Merkwürdig, wie er den unvergleichlichen Abstieg vom Apennin nach Bistoia und Florenz, wo man erst den eigentlichen, Hafiischen Boden Italiens betritt, den Zauber der toskanischen Landschaft kaum bemerkt. Wohl hat er sich auf der Heimreise mehrere Tage aufgehalten und im Boboligarten einen großen Teil seines Tao gedichtet, sonst aber die Stadt mit seinem Morte erwähnt. Die bedeutendste Schilderung des florentiner Meilieus in deutscher Sprache gibt A. v. Neumont in seinem Hauptwerk über Lorenzo den Prächtigen. Der Auffall, den Slelde Kurz unter dem genannten Titel in der „Deutschen Rundschau“ vom August und September 1999 herausgegeben, trägt den Stempel schwülstiger Belletristit. Neben mancher recht gelungenen Bemerkung (v. a., daß weder Dante noch Michelangelo, wohl aber Machiavelli als typischer Vertreter des florentiner Charakters zu betrachten sei) finden sich viele paradoxe Behauptungen. Die Meinung, daß die Sstaliener über ihrem fanatischen Dantefultus alle, anderen Größen, einen Homer, ‚Shakespeare und Goethe unbeachtet ließen, beruht auf totaler Unkenntnis der italienischen Literaturgeschichte, namentlich der romantischen Berirde. Auch ignoriert die Verfasserin, daß es eine‘ Zeit gegeben — das 18. Jahrhundert —, in der Die Italiener selbst ihren Dichterfürsten verleugneten und Baretti ihn mühlen, verteidigen mußte. Unbegreiflich it die Behauptung, daß die Tosfana keine fettgeprägten Sprichwörter besiße. Die tosfanischen Sprich: ‚wörter, sind berühmt und bilden von jeher eines der Fortbarsten Clemente der italienischen Schriftsprache,. Wer‘ fennt nicht die Sammlung von Giusti „Proverbi toscani“ ?. Auch Abiuliani und mein verstorbener Vater,dessen wie erP· Heineübersetzung selbst von seinem eifersüchtigsten Rivale Carducci als stilistisches Muster bezeichnet wurde (man vergleiche im übrigen die Artikel über Bernardino Zendrini in Brodhaus’ und Meyers Konversationsserifa und die dort" angegebene Literatur), haben bei wiederholten Auffenthalt unter dem toskanischen Landwolfe ähnliches Diaterial gesammelt. « »» Die weitaus hervorragendste Schilderung des Terentiner Milieus in der Literatur überhaupt gibt der größt nicht umsonst hat dieser so viel von jenem gelehnt,als glänzenden Rhetor im etymologischen Sinne deszrtgoJsk( wie es Frankreichs Bewohner seit Julius Cäsar immer gewesen., ebensowenig habe ich einen dritten deutschen Meister, Heinrich v. Treitichse, neben den beiden anderen genannt, da die ffulptorische Rhetorik dieses Feuerkopfes der französischen Art viel näher steht, als die zarte, vornehme Nähe des Thüringer Patriarchen und die praktische Trockenheit des Schweizers. Auch der dichterisch begabte "Gregorovius besigt seine Eigenschaften, die ihn in direkten Z