Pester Lloyd, August 1911 (Jahrgang 58, nr. 193-204)
1911-08-16 / nr. 193
. N EEE « N Cr Abonnements — Für Budapest: Ganzjährig 44 K., halbjährig 22 K., vierteljährig 11 K., monatlich 4 K. Für das Inland: Ganzjährig 48 K., halbjährig 4 K., vierteljährig 12 K., monatlich 4 K. 40 K. Mit separater Postversendung des Abendblattes vierteljährig 2 K. mehr. Für Wien auch durch Herm. Goldschmidt, Für das Ausland mit direkter Kreuzbandsendung vierteljährig : Für Deutschland 18 K., für alle übrigen Staaten 21 K. Abonnements werden auch bei sämtlichen ausländischen Postämtern entgegengenommen. Für Amerika, England, Frankreich, Spanien und Portugal besteht die Vermittlung der Postämter nicht und das Abonnement muss direkt in unserer Administration erfolgen. Vertretung für Deutschland, Frankreich, England und Italien bei der Zeitungsfirma Saarbach, News Exchange in Mainz. 58. Jahrauug MORGENBLATT — atment ——— Budapest, Altttwod, 16. August 1911 Inseratenaufnahme: sse, Jul. Tenzer, Jos. Schwarz, J. Danneberg, M. Dukes, Haasenstein , Vogler, In Budapest, in der Administration des „Pester Lloyd" V., Mária Valeria utera Nr. 12 und in den Annoncen-Bureaus : ]. Blockner, B. Eckstein, @yöri & Nagy, Jaulus & Co., Sigm. Lenker, Jul. Leopold, Ant. Mezei, Rud. Mo In Wien: bei Bock +Herzfeld, Ed. Braun, Rud. Mosse, J. Rafael, H. Schalek, Im Auslande: Berlin : Rudolf Mosse; Dresden : Invalidendank ; Paris : John F. Jones & Co. Einzeln : Morgenbrett in Budapest 12 Heller, in der Provinz 14 Heller. Abendblatt in Budapest 6 Heller, in der Provinz 8 Heller. Redaktion und Administration : V., Mária Valeria-uteza 1%. — Manuskripte werden in keinem Falle zurückgestellt. — Unfrankierte Briefe werden nicht angenommen Nr. 193. Die Das Proportional wahrregt. Bon Dr. Andreas v. Máday, Professor an der Universität Neuenburg, Ar Budapest, 15. August. Der im Zuge befindliche Kampf um das allgemeine Wahlrecht in Ungarn gab man dem Gegner dieser Reform Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß das allgemeine Wahlrecht dort, too es eingeführt wurde, sich nicht bewährt hat. Die Tatsache, daß man zurzeit im französischen Parlament über die Einführung des B Verhältniswahlsystens verhandelt, und daß das Prinzip der Minderheitsvertretung von der Volksvertretung bereits angenommen ist, wird alae Bestätigung dieser Behauptung übel, Ohne in diese Stage de lege ferenda einzugehen, möchte ich hier das Verhältnis zwischen allgemeinem Wahlrecht und proportionalsystem rein auf die Tatsachen hin prüfen und hiebei die Vor- und Nachteile des Iebteren kurz aufzählen. Die erste Tatsache, die ich feststellen muß, ist diejenige, daß es ein Irrtum ist, das allgemeine Wahltet und das Proportionalwahlrecht auf dieselbe Weise einander gegenübherzustellen, wie zum Beispiel daz allgemeine und das duch einen Zensus beschränkte Wahlrecht. Allgemeines Wahlrecht und Proportionalwahlrecht Schließen sich nit aus. Die Allgemeinheit des Wahlrechtes bezieht sich auf die Wahl der Wähler, indem sie womöglich allen mündigen, Ratsbürgern den Zutritt zur Wahlurne gestattet. Das Proportionalwahlrecht hingegen, als Reform aufgefacht, hat gar nicht3 mit der Zahl der Wähler, zu tun. Für die „ Proportionalisten“ handelt es sich darum, die Zahl der Gewählten und nicht Die der Wähler abzuändern. ‚Das Wahlsysten, welches die Proportionalisten bekämpfen, ist nicht das allgemeine Wahlrecht, fordern da Majoritätssystem, welches in der überieenden Mehrzahl der Länder, ob sie allgemeines oden be Corämftes Wahlrecht befiten, heute besteht. Die Proportionaliste gehen von dem Standpunkte aus, daß das Majoritätssysten, bei welchen, wie bekannt, jeder Wähler nur, einen Abgeordneten zu wählen hat, ungerecht it, indem er der Minorität entweder zu wenig Sibe gewährt oder aber dieser gelegentlich, zura ej áazats ber ‚hilft. Der Genfer Philosoph Ernest Naville, einer der eifrigsten Bokämpfer der Verhältniswahl, erklärte in einer Agitationsschrift Die Frage durch einen Dialog, den wir etwas verkürzt, hier wiedergeben: ««" ,,10;0()0-Wähler haben zehn Angeordnete zuwähler1. Wieviel Abgeordnete gebühren einer Partei"vo116000? Mitgliedern?«—Sechs.s Und 3000 Wählern? — Drei. Und tausend? — Eimer. theoretisch jedenfalls möglich ist, daß Die Minorität der Wähler durch eine Majorität im Parlament vertreten sei, und dies sogar in jenem Falle, wo die Wahlbezirke eine gleiche Anzahl von Wählern umfassen. Seen wir den Fall, daß ein Land aus hundert Wahlbezirken & 10.000 Wählern besteht. Nehmen wir nun an, daß 40 Wahlbezirte ausschließlich aus Fortschrittlichen Wählern bestehen, Hingegen jeder der anderen 60 Wahlbezirte zu dreiviertel Teilen konservativ und zu einem Viertel fortschrittlich gesinnt ist. Das Majoritätsprinzip, nämlich die Wahl je eines Abgeordneten im jeden Bezirke wird die Wahl von 60 Konservativen und 40 Fortschrittlichen zur Folge haben. Tatsächlich sind aber die fortschrittlichen Wähler in Mehrheit, da diese Partei in den rein fortschrittlichen Bezirken 400.000, in den sogenannten konservativen Bezirken 150.000, , folglich insgesamt 550.000 Wähler gegenüber 450.000 konservativen Wählern zählt. Die Proportionalisten verlangen, daß, in diesem Falle die Kernschrittlichen 55 und die Sonservativen 45 Abgeordnete erhalten sollen, d. h. daß die Vertretung der Wähler mit der größtmöglichen mathematischen Genauigkeit durchgeführt werde. Theoretisch ist dieser Wunsch ohne Zweifel berechtigt. Auch die verschiedenen Verhältniswahlsysteme, durch welche das Prinzip des Proportionalwahlsystems ins politische Leben eingeführt werden soll, sind in ihrem und- gedanken unanfechtbar. Sie verlangen die Bereinigung mehrerer Wahlberufe zu einem, um dann vermittels Kilten duch jeden Wähler mehrere Kandidaten wählen zu lassen und die Abgeordneten unter den Parteien der abgegebenen Stimmenzahl proportionell zu verteilen. Wenn wir das von Naville angeführte Beispiel fortlegen, so müssen die zehn Wahlbezirke, welche dem Majoritätsprinzip zufolge je einen Vertreter zu wählen haben, zu einem einzigen Bezirk vereinigt werden, wo jeder Wähler zehn Abgeordnete zu wählen hat. Da auf je 1000 Wähler ein Abgeordneter fällt, so wird "eine jede Partei soviel Abgeordnete erhalten,, als die Zahl 1000 in der Zahl ihrer Wähler enthalten ist. Gemählt sind Diejenigen Kandidaten, die innerhalb ihrer Partei die meisten Stimmen erhalten haben. Es ist klar, das dieses System forwohl auf das allgemeine mie auf Das beschränkte Wahlrecht Anwendung finden : kann, wie Die Beispiele Belgiens und der Schweiz e3 zeigen.” Das nun die Vorteile des Proportionalwahlrechtes anbelangt, 19. gibt es derer mehrere. s Vom Standpunkte—des demokratischen Staates ist jenes Wahlsystem das beste,in welchem jeder Bürger bloß,als« eineZahl·b«ekra«chtet"wird.Vom diesem Standpunkte ausgegangen,ist das A Proportional verhlreicht jedenfalls das gerechteste und richtigsste System,welches das Zahlen ideal mit der größstmöglichen Konsequenz durchführt.Aber die Anhänger des Proportionalwahlsystems rühmet diese Institution axricht wegzeit ihrer moralischen Folgen; ,,Wahlkompromiss se wie a1xkh1 Stichswahlen werden durch die Verhältniswahl ganz unnötig.«Endlich beruft man sikcik auf die praktischen Erfolge des Proportionalwahlrechtes in verschiedenen Ländern, besonders in der Schweiz, wo elf Kantone das Proportionahwaglsystem eingeführt haben. Wenn nun die Verhältniswahl tatsächlich eine lebensfähige Institution ist, so ist sie anderenteils weit davon entfernt, ein Universalmittel gegen den Unvollkormeinheiten auf politischem Gebiete zu sein. Das Proportionalwahlvet hat Vorteile, an denen man nicht zweifehr tun, die Frage ist nur, ob nicht die mit diesen Vorteilen verbundenen Nachteile noch schwerer in die Wagschale fallen. Auf moralischem Gebiete hat das Proportionalwahlrecht zur Folge, daß der Kampf nunmehr nicht zwischen den Parteien, sondern innerhalb der Parteien den heftigste ist, namentlich unter den Kandidaten, welche sie auf derselben Liste befinden. Die Cliquewirtsgaft wird wesentlich gesteigert dadurch, daß das W Partei- oder Wahlkomitee es ist, welches eigentlich die Deputierten wählt, da es von ihm abhängt, wer auf der Parteiliste steht und in welcher Reihenfolge. Der Hauptfehler des Proportionalswahlrechtes ist jedoch, daß es in der Praxis nirgends konsequent durchgeführt werden konnte. Auch bei dem Proportionalwahlrecht bleibt eine Bruichzahl‘ „nichtvertretener” Wähler übrig. Die ‚Zahl der Nichtvertrestenennt dann die Heinte, wenn das ganze Land einen einzigen Wahlbezirk bildet, zum Beispiel wählen 1.000.009 Wähler 100 Abgeordnete, so haben höchstens 4999 Wähler seinen Vertreter. Besteht aber das Land aus zehn Wahlbezirken, so kann die Zahl der Nichtvertretenen tioß des Proportionalwahlrechtes 49.990 ausmachen. Tatsächlichhat das Proportionalwahlsystem in der Praxis immer eine Bezirkswahl, und folglich selbst bei gleichen Wahlbezirken mehr oder weniger Disproportioniert. Da aber die Wahlbezirke meistens (und mit Necht) aus geographischen und Historischen Einheiten bestehen, und folglich ungleich sind, so wird die Disproportionalität des Proportionalswahlrechtes noch verschärft. Es ist ein bezeichnendes Beispiel hiefür, daß in Genf in 1907 trot. des Proportionalwahlrechtes. ‚in einem Bezrk: 11.197 Wähler, im einem anderen hingegen nur 29.363 Wähler je drei Abgeordnete bei der Blitscheng erhielten. Fügen wir dem hinzu, daß in vielen Gefegen (zum Beispiel in den Gehegen von Basel, Genf, Schtoyz, eeder vj. Feuilleton. Antomanie, Bon Marcel Prevost, Mitglied des Instituts. Die offizielle Statistiz von 1910 registriert 60.000 Autos in Stanfreich, die Motorräder noch nicht einmal eingerechnet. Verteilen wir diese unerhört hohe Ziffer auf die Bevölkerungszahl, so kommen wir zu einem ganz merkwürdigen Resultat. Die überwiegende Majorität der Autos hat vier und mehr Site und fast jeder Automobildesiger nimmt nur zu gern Gäste in seinem Wagen mit. Läßt man nun — wie man wohl soll und muß — die Bedürftigen und Armen ganz aus dem Spiel, so kommt man notwendig zu dem Eichluffe. Dass die überwiegende Mehrheit der wohlhabenderen Franzosen ihr Leben und ihr Budget auf den Gebrauch des Kraftiwagens zugeschnitten hat. Der Schluff klingt etwa 3 Fühn, fast parador, ist aber trokbent mathematisc unanfechtbar. Auch wächst die Zahl der Autos stetig (in den letten fünf Jahren hat sie jäh beinahe verdoppelt) , und man kann schon heute die Zeit bestimmen, in der das Auto für den französischen Bürgerstand ebenso unentbehrlich sein wird wie zum Beispiel ein gut funktionierender Küchenofen. Durch welche Wunder an Sparsamkeit haben wohl die Franzosen ein so verblüffendes Resultat erreicht? Die Lösung dieses östlichen Problems überlasfe td willig meinem Kollegen Lavedan, dem geistvollen Autor der Artikelserie: „Womit bezahlen die Leute all das?“ So selbst möchte nur gern die Ursachen eines ganz außerordentlichen Phänomens ergründen. Was treibt den modernen Franzosen so leidenschaftlig, so unwiderstehlich zum Autosport? Ohne erst lange nachzuforschen, woher der Mittelstand das Geld zur Bescheffung und Instandhaltung des Autos nimmt, kann man sich Doch leicht an den Fingern abzählen, dokh der Minderbemittelte beträchtliche Opfer bringen, einschneidende Abstiiche an seinem Etat vornehmen muss,wenn er sich den Besitz eines Kraftwagens gönnen mvill.Die Mehrheit unserer Kleinbürger gehorcht also einem unwiderstehlichsen Zwange,ihr Temperament treibt sie dem Auto sofort direkt in die Arme. Die Gründe der modernen,,Automa«11ie«'liegen auch tatsij schlich im Temperamettt des Durchschnittsfranzosen Die charakteristischeste soziale Eigenschaft des Durfschnittsfranzosen ist seine Leidenschaft für die Gleichheit. Er hält noch mehr auf die Gleichheit, als sein Nachbar, der Engländer, auf Freiheit. Freilich weiß er, Da eine absolute Gleichheit ein Umding ist, aber er will nur „so tun“. Die kleine Näherin, die irgendein weißes Fell zu 19 Frances 95 um den Hals legen kan, beneidet seine Weltkante um ihren echten Hermelin. Der Bauer, der sein Feld selbst bestellt, fühlt sich genau so sehr als „Grundbefiber" wie sein Nachbar, der Tausende von Heiraten sein eigen nennt. . » Nun aber stellt der Besitz eines Automobils die respektiven Eigentümer gesellschaftlich gewissermaßen dmufleichen Fuß.Jeder,der in einer Scheuer eine alte Karrete geben hat, die nur mehr am Brucheisen Wert befikt, sagt stolz „mein Auto !“ Ich höre viel davon reden, daß die Automobilisten eine wahre Leidenschaft dafür haben, ihr Fahrzeug gegen ein anderes zu vertauschen, das besser und schneller Fährt. So glaube aber nicht recht daran. Der französische Mittelstand zum mindesten, der Kleine Mann, furz die kompatte Majorität der Käufer it frei von Dieser Untugend. Alle, alle sind entzüdt von ihrem Fahrzeuge, sie renommieren mit ihrem Auto ganz ebenso wie ehemals mit ihrem Pferde, „das einen Silometer in Br der allerfürzesten Minuten macht”. — wie meine Nachbarn in der Gascogne zu jagen pflegen. Für den französischen Steinbürger bedeutet der Besich eines Automobils eine soziale Promotion, daher er es natürlich doppelt hoch einschäßt. Hat er dem eigenen Flecken Erde, dem eigenen Riegeldach auch noch einen Straftwagen beifügen können, so rechnet er sich unbedenklich zu den upper ten. Ueber ihm gibt es dann nur noch Milsionäre und die find hors concours. Das Auto hat schon sehr viele Glückche geschaffen; man könnte es ganz ernsthaft eine der festesten „Stuben der Sesellschaft“ nennen. Der Franzose des Mittelstandes liebt aber nicht nur die äußerliche Gleichheit, er gibt auch dar, den Wort zu lieben; er möchte seine Nation gern zu einem ebensolchen Sportvoll hinaufheuscheln, wie es die Engländer tatsächlich sind. Der Engländer, der Meer gleich wie der Kleine Efert, hat ein aufrichtiges Bedürfnis, feine Muskeln zu stählen; dieses Bedürfnis fehlt dem Durchschnittsfranzosen völlig. Unsere berühmten Aviatifer sin nur Die Ausnahmen dieser Negel; sind Elitenaturen, die die Gefahr suchen; sind Konquistatoren, die zuerst in die Bresche springen. Auch das Fahrrad it in Frankreich nur feiner Reitersparnis, feines mühelosen Betriebes mögen" populär geworden. « . Das Autofahren vollends ist nur halber Sport,selbst für den Lenkerdeckvhrzeuges.Solie er’einmal"die nötigen Handgriffe innehat,ist der Chauffeur,der reine Faulenzer.Der sportliche Ruhm(auch"der ist"ein Zeichen höherer sozialer Bedeutung und als solches ein Anreiz mehr) wird durch ein Minimum von Kraftentfaltung erreicht. Außerdem begünstigt das Auto die Geselligkeit, ist ein wahrer Schuch für Landpartien, französischen Kleinbürgern. So verschafft der Kraftwagen der Familie nicht nur die Befriedigung ihres sozialen Ehrgeizes, sondern auch die Möglichkeit genußreichen ‚Beieinanderseins.' Der, Franz zofe haft das Heilen, schwärmt aber für Ausflüge, bei welchen er sich nicht allzu weit vom Hause entfernen muß. Am Frühmorgen eines Feiertage fährt man ab, macht spielend 50 Lieues , und ist am Abend mwieder daheim.. Dabei kann man die ganze Familie mitnehmen, das ehrbar rührende Ideal des französischen Kleinbürgers. Niemals wird sich der „Männersport”. in grant reich eimbürgern,‘ weil er den Gatten von Frau und Kind trennt... . « ,"sp" Endlich und»das.dürfte das ausschlaggebendste Motiv für das Ueberhandsttel me11 des Autostakts seitxt der Kraftwagen kommt der notorischen Sparsamkeit des Franzosen stark entgegen dieses Ideale des .