Pester Lloyd, September 1913 (Jahrgang 60, nr. 219-231)

1913-09-16 / nr. 219

ON TEN PESTER LLOYD 0.2 . Dienstag, 16. September 1913 ihre Verblendung, durch­ ihren gemeingefährlichen Etat!­er jene unselige Katastrophenpolitik forciert hatten. Die Ichtung, deren Urteilsstatt sich bemährt hat, soll jener Volitit weichen, die um eines Wahnwibes willen Die Nation‘ in einen Wirbel der gefährlichsten Gefahren get­­rieben hat. Dies it das sonderbare, mehr als aben­­teuerliche Ansinnen, das den Mesenstern der­­ neuen Partei und ihres feierlich betonten Willens zur Macht bildet. Glaubt denn Graf Anodrásfy wirklich, das Land und die Krone für Dieses unsinnige Vorhaben gewinnen fu können? An Diese Beleuchtung gestellt, zeigt die adtaspiration des Grafen Sudräfft denn da ein neues Gesicht. Da­ß eine Zeit, da Graf Andrasfy nicht zugeben wollte, daß die DObstruktion Dinge angestrebt habe, die Ungarns große reale Interessen gefährdeten, die einen für das Land verderblichen Konflikt herbei­­führen mußten und für die der Kampf überdies müßig war, weil­ er seine positiven Resultate ergeben konnte. War es da nicht die Pflicht derjenigen, Die Diese Ge­fahren der Obstruktion voraussahen, das Verderben, das diese in ihrem Echope trug, um jeden Preis zu ver­­hüten? Gab es ein höhere nteresse für Dieses arme, irregeleitete, vom süßen Wein nationaler Phrasen im einen Ka­ta­rg Taumel gehebte Land, als es der S Katastrophe, der man es leichtfertigerweise entgegen­­trieb, zu entreifen? War es nicht Flügel und patrio­­tischer, Die Verfassung duch die Kämpfe gegen die Ob­­struktion bis zu einem Grade zu verlegen, aus dem sie ss bald m würde erholen können, als Diese Verfassung durch den Zusammenbruch, den der Sieg der Obstruktion nach sich gezogen hätte, unmwiederbringlich vernichten zu lassen? Graf Andrassy beklagt Heute, der Niederbruch der Obstruktion habe die Regierungsgewalt vermehrt. Gibt er aber nicht selbst zu, daß­ der Sieg der Obstruktion das ungarische P­arlament überhaupt zertrümmert haben würde? Gefeit, es wäre wahr, was Graf Andraffy gestern gesagt hat: durch die Drastischen Mittel, Duray die die Obstruk­­tion niedergeworfen werden mußte, hätte tatsächlich ein Niedergang der parlamentarischen Ethik stattgefunden, aus dem nur die Regierung Nugen ziehe,­n­ aber dem Kampfe gegen die Obstruftion nicht ein anderer, noch viel verfänglicherer Beifall der parlamentarischen Eihit vorangegangen, ein Perfall, der die Minderheit im absoluten Herrin nicht allein der Volksvertretung, D­aöern geradezu der gesamten Gesettgebung machte? Wenn der Rechtszustand, der heute in unserem Parla­ment herrscht, wirklich der reine Absolutismus ist, als den ihn Graf Andrássy gestern gekennzeichnet hat, so ist er doc wenigstens der Absolutismus der Mehrheit, der legitimen Reiberin des allein maßgebenden P­arlaments­­willens. Hat es aber nicht vor­­ diesem A Zustand einen anderen, noch viel bedenflieren Absolutismus gegeben: denjenigen der Minderheit, die Jahre hindurch die ganze Gefeggebung zur kläglichsten und verderblich­en Ohn­­macht verhalten hatte? Graf Andraffy hat sich zu dem Geständnis aufgerafft, daß er Unverantwortlichs getan, als er die Obitruktion gewähren ließ. Sollen nımn er und diejenigen, die an der Obitruktion im Vereine mit ihm schuld sind, durch Emporgelangen zur ARTE ar ! belohnt, die anderen aber, die das größte Uebel durch das weitaus kleinere, den völligen und unrettbaren Zu­­sammenbruch der ganzen Verfassung durch eine einmalige Verlegung der Geschäftsordnung verhütet haben, für ihr zuverlässiges Urteilsvermögen und ihre mutige Opfer­­twilligkeit durch ihre Verjagung aus dem Refike der Macht bestraft werden? Das Schildbekenntnis, das er: seinem G Selbstgefühl gevik nicht ohne Schmerz abgerungen, gibt dem Grafen Andean­y noch sein Anrecht auf die Negierungsgewalten, die er fortab offen eritreben will. Er genügt nicht, mit Der zu gestehen, land in den Abgrund einer Katastrophe zu stürzen. Das halt man a dem besten Wege var, Das eigene Bater«­­ allgemeinen. Kultur seine weltgeschichtliche Bedeutung. In bezeu­gt­­ den Grafen Anbenfiy noch nicht, im einem ochnotpeinlichen Gerichtsverfahren über Diejenigen abzu­­prechen, die das Vaterland vom Mande dieses Abgrunds weggezerrt und Die Nation vor unheilbarem Schaden bewahrt haben. Wenn Graf Andrásfy findet, daß’ die Hände, die dieses Rettungswert­­ verrichtet haben, sich doch. Die Beansprucsnahme nicht ganz einmandfreier Mittel beschmusßt, mag diese 2. im Orange der Not vielleicht berber zugegriffen haben als unumgänglich not­wendig war, so wird das Land darauf­ erlwidern: Diese Hände waren­ jedenfalls­­ starr genug, das unnennbare Unglück zu verhüten, das die Meinen in ihrer Reinheit und die Hüter der parlamentarischen Freiheit in ihrer Schwärmerei für die leitere anzurichten Drohten. Daß der ungarisshe P­arlamentarismus gerettet ist, wird übrigens­ Graf Andrásfy , selbst in V­älde sinnfällig dokumentieren, indem er nicht umhin können wird, an der Arbeit des Abgeordnetenhauses teilzunehmen und dadurch die parla­­mentarischen­­ Zustände wie­derherzustellen. Wir werden ihn in naher Zeit, im Parlament iwiedersehen — in dem ungarischen Parlament, das, wie er nunmehr zugibt, doch die verhängnisvollen Folgen der Obstruktion bet nachtet worden soäre, menn­­ die Männer, die er darob verunglimpft, das drohende Den nicht durch ihre tapfere und aufopferungsvolle Entschlossenheit abge­wendet hätten. Bámbéry als Politiker. Budapest, 15. September. Ist er zu früh oder it er zu spät gestorben? Die Srage drängt sich unmilitärlich jedem auf, der Armin Bamberys politisch-publizistische Tätigkeit halbwegs auf­­merksam verfolgt hat. Nach zwei Fichtungen hatte er sich mit der ganzen Wucht seiner eigenartigen­ Persönlichkeit engagiert. Er glaubte an die Lebensfähigkeit des 3slams und die Wiedergeburt seiner einstigen Machtherrlichkeit. Und er glaubte an eine zukünftige Gestaltung Aftenz, die aus einen selten bewegenden Entscheidungskampfe zwischen Neukland und England hervorgehen sollte. Noch vor ganz kurzer Zeit schien er, als sollte er in beiden Fällen recht behalten. Mit Midhat Bajda beginnt die lange Reihe jener türkischen Denker und Staatsmänner, die den Islam mit dem Kultur- und Geistesleben des Westens versühnen, das Neic­ des Kalifen aus sich selbst heraus reformieren wollten. Mit ihnen wer auch Armin Bámbéry davon überzeugt, daß der Koran an sich nicht daran schuld­­et, wenn man sich im Yildizu­ost von Zeit zu Zeit aller Gesittung ads nern Lehen pflegte und das einst große und mächtige Reich mit allen seinen Völkern in jämmerlicher Barbarei verkommen ließ. Die hehren Lehren des Himm­­lischen „Lesebuches“ (Al-Roran bedeutet das zu Lesende) haben niemals das Gute und Wahre verpönt. Der Islam steht als Kulturfaktor weder hinter dem Judentum noch hinter dem Christentum. Er vereinigt vielmehr in seiner Re­die­ Kulturbedingungen , der­­ beiden Glaubens­­lehren. „Ibrahim war ein Nechtgläubiger” hat Mohammed ausgerufen, als er als unblutiger Sieger nach Metta zurückkehrte und bei den üblichen sieben­en in der Kaaba das Bildnis Abrahams entdeckte. In Arabien haben eben­so lange vor den Propheten gnostifjás jüdische Sekten die Glaubenssäe des Islams in Umlauf gelebt. Der einzige, der intelligente, der ewige Gott wurde auf, von Mohammed verehrt. Der Koran ist nicht bil­­dungsfeindlich. Er war sogar ursprünglich d die Duelle diesem Zeichen erreichte einst Der Handel der Araber leit­ geitig den östlichen und seitlic­hen Cum der alten Sbfeife Der eifrige Koranleser hat in jenen Tagen auf allen Gebieten Der Hunt, des Wilsens und des Gemer­­bes Großes geleistet. Er hat die Chemie zur Wissenschaft emporgehoben, in der berühmten Werzteschule von Gondi­­fapur Die hellenische Tradition der Medizin fortent­­wickelt, die Algebra erfunden, der Erd- und Simmels­­funde methodischen Halt verliehen. Mohamm­edaner haben die abendländische Welt in eine neue Epoche hinüber­­führt. Nur der verunstaltete Islam, nur­­ der verlogene oran Stehen menschlicher Freiheit und Bitte im Wege. Unter diesem anderen Islam und diesem anderen Koran versümmerte das Türfen- und Arabertum. Mit dieser in der innersten Tiefe seines Herzens immerfort glimmen­­den Ueberzeugung trat Midhat Bajdja zum ersten Male im Jahre 1873 das unrühmliche Erbe Mahmud Nedims als Großvezier an. Midhat Baja hat schlec­ht geendet. Seine Berfafsung wurde beiseite geschoben. Sein Werk hat aber Eischule gemacht. Im Auslande war Armin Bombéry der eifrigste, der überzeugteste Verteidiger und Prophet dieser Schule. Er wußte, fühlte und verkündete, daß alles Umheil und alles Glend im tinkischen Reiche der schranfenlosen Welt für, der empörenden Verlogenheit und einheit der früheren obersten türkischen Staatslenfer zuzuffreiben sei. Eben deshalb knüpfte er in seinen Be­zi­rk über die Renaissance des Slam an Die Epoche Midhat Paschas an und mahnte die Gewalthaber in Skambul zur baldigen Umkehr. Keinen Augenblick hatte er bis dahin den Glauben an die Möglichkeit einer derartigen muslimischen Wieder­­geburt verloren. Vor fünf Jahren schien es nun einen Augenblick, als sollten Armin Bambérka Prophezeiun­­gen in Erfüllung gehen. Aus den mazedonischen Chlus­­­ten wurde die türkische Freiheitsader von beherzten, ge­bildeten, redlich denkenden Damonen nach Stambul ge­tragen. Die jungtürkische Revolution flößte auch Bam­­berg an Flor­sa ein, die jedoch gar bald einer schrittweisen Ernüchterung Pla zu machen schienen. Als die üblichen hundert Kanonenschüsse am 28. April 1909 die gewaltsame Entthronung Abdul Hamids verkün­­deten, berchlich bereits den greisen Publizisten Die böse Berahnung des Kommenden. Die jungtürkische Revol­u­­tion hat der Türkei seinen Segen gebracht. Sie w­urde von politisch nicht gehörig geschulten Männern in einer Weise durchgeführt, die dem Islam eher zu schaden als zu nahen geeignet erschien. Wer die Türkei reformieren wollte, durfte nicht bloß französische Gefege nar Stambul tragen, er mußte das in seinen Vorurteilen und Schwächen versumpfte Bolt allmählig aus sich heraus reformieren. E83 galt nicht bloß, die alten Institutionen umzustoßen; es galt vor allem, die Herzen und die Seiiter­stufenunweise für eine neue, heilsante und moderne Epoche vorzubereiten. Die Haft, mit der Die jungen Neuerer das große Werk vollbringen wollten, hat alles verdorben. Der Gläubige wurde in seinem Inmeriten verlegt und ward fortan ungläubig. Der berühmte natio­­nale Fanatismus mit einem bedauern­swerten jeden Zynismus. Die Frommen flüchteten verzweifelt und lud versündend in die Moscheen, und die Lebenslustigen gaben sich unverfroren den Freuden und Genüssen der neuen Hera hin. In einigen­ Jahren war das Türkentum aus dem alten Geleite geworfen, ohne daß sich jemand fand, der ihm einen neuen Weg zu seiner Erlösung weisen wollte. Und nun fan, was da kommen mußte Die Türkei wurde in Europa niedergerungen, der Halbmond um seinen alten Glanz gebracht, von Dort übersiedeln soll. Eine Kopie dieser Statue, in Halbrelief ausgeführt, ziert fest den früheren Aufstellungsort. Der Schriftsteller Bas Gereben erzählt, daß in früherer Zeit die Suraten­si mit ihren jüngeren, eben aus der Provinz einge­troffenen Kollegen, die sich um Mut und Unterirügung an Die älteren Kameraden wandten, den Spaß machten, ihnen eine Erzieherstelle bei Herrn „Nagy Kristóf“ zu­­ empfehlen, der oberhalb der Apotheke in der Waidner­­geile zu finden sei. Der Mann habe ein kleines Lind,­as er eifersüchtig behütet und herumträgt; sie mögen d­as Versuch machen, dort als Erzieher Stellung zu­n. Müögst der Inneren Stadt war die jüngste Vorstadt, "der nach dem heiligen Leopold benannte, in der Richtung der Dörfer Urbees und Send gelegene Stadtteil. Der große Marktplab, der jenseits der Inneren Stadt an der Stelle des heutigen Elisabethplates Tih ausdehnte, war eigentlich nur eine Rlugsandfläche; in der Mitte des Plates stand ein armseliger Ziehbrunnen, und auf der Seite des letteten eine Dellampe. Zur Markt­­zeit standen ringsumber die aus Bretter gezimmerten arktbuden und später die Arena Der Tierhegen. In dieser Arena wurden Hirsche, Bären, Wölfe gegeneinander losgelassen. Im Arh­iv der Hauptstadt st­n­d die Rste der Tiere des Arenadirektors zu finden. Der Unter­­nehmer besaß Beitien im Werte von vielen tausend Guben. An Sonntagen drängte sich Die ganze Metter Bevölkerung zu diesen „Heben“. Es mag eine saubere Unterhaltung gewesen sein, zuzus­auen, wie eine Bestie die Eingeweide der anderen fraß. Und dafür zahlte man Eintrittsgeld. ‘ Der Bauplan der Leopoldstadt zeigt schon — ab a­bwesend von den Untenelmäkigkeiten der früheren Bau Haufe”. Der sogenannte Marktpfab war ehemals ein Sumpf, von Schilf und Nöhricht eingeräumt. Am­­ nördlichen Ende des Pfanes stand auf einer mäßigen Erhöhung die sogenannte „Schneiderkapelle“, das Kirchlein der alten Leopoldstadt, umgeben von einen bescheidenen Gottes­­ader. In diese Kapelle flüchteten am 13. und 14. März 1838 die durch die Weberschwemmung aus ihren Woh­­nungen vertriebenen Eintwohner der Umgegend. Sigmund Ritter v. Fall, der vor kurzem verstorbene Nestor der ungarischen Buchbruder, hat mir erzählt, daß auch er — damals noch ein Kind — zu den Flüchtlingen gehörte und zwei Tage hindurch im Iinnern der Kapelle kauste. Der Marktpla war zu jener Zeit der größte Plan der Stadt West; er maß Hundert Klafter in der Länge, dreiundneunzig in der Breite. Die Ränder des Planes waren gepflastert. Das Gegenstück der Leopoldstadt ist die am anderen Ende von Mett gelegene Enger jo benannt nach Kaiser Franz. Sie lag zwischen troftlosen Sandhügeln, mit Starrem Gefäll nac der Donau. Ihre­­ schönsten Strafen­­ waren­ die Corotjátétíttáke und die Uellderstraße. In beiden Straßen gab es zahlreiche Schenken und Einsehwirtshäuser. Die Zierde und der Stolz der Franz­stadt war­­ der Gasthof „zu den zwei Löwen“, wo zum Salbingszeit viele Tanzfeste gehalten wurden. Auch Die „Smwei Böce“ und die „Krone“ waren an Wochenmarkts­­tagen von den Marktfahrern­­ aus der Umgebung Beits mit Vorliebe aufgesucht. Die Gauner und Bauernfänger übten zumeist hier ihre unsauberes Handwerk aus. Die Höfe der Herbergen wimmelten von Schiwindlern, und Betrügern, die die Pferde anderen als ihre eigenen Vers Tauften oder allerlei Vieh zustam­mten kauften und den Kaufschilling schuldig blieben. Die städtischen Trabanten — so hießen zu jener Zeit die Sicherheitsmachleute — hielten sich zumeist in dieser Gegend­­ auf. Die Innere Stadt und die Leopoldstadt hatten ein stilles, vornehmes Aussehen. Die Ganzstadt und die Theresienstadt hingegen waren förmliche Kriegs­­schaupläne, am­ Vormittag wegen­­ der Marktleute, am Abend wegen der­­ Raufereien und Wirtshausrandale. Hier erstand der­ vormärzliche Lebemann Sózsa Gyurt sein eigene Füllen für vierzig Gulden Münze. Das Hüllen war losgekommen, war durch die Töpfergasse ges­­türmt und hatte alles irdene Geldsitt zerstampft. Der Eigentümer des­ wilden Pferdchens verhielt sich fil, doch erschien er zur Versteigerung des liebeltäters und erstand als Meistbietender das Fohlen. Er Ieistete sich dann wenigstens das Vergnügen, mitanzusehen, wie die Töpfer bei der Aufteilung des Kaufpreises einander in Die Haare gerieten. Er leste sie sogar ein wenig gegeneinander. Die Theresienstadt begann bei der Mündung der Königsgasse und endete bei der alten Slajtanien­­allee. Der Stolz Dieses Stadtteiles war das Drezyische Haus, das sich schon im Jahre 1820 rühmen­­­ durfte, das erträgnisreichste Miethaus der Stadt West zu sein. Man sagte, es brächte stündlich einen Dukaten. Wenn es heute nur so viel brächte, wäre es längst abgetragen. Die Geschichte dieses Hauses erheirscht übrigens ein besonderes Kapitel. Rechts und linke von demselben gab es ein Wirrsal von finsteren, unsauberen Gaffen und Gäßcen, Viele dieser Gaffen und Öhdhen lebten nur

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