Pester Lloyd, September 1915 (Jahrgang 62, nr. 243-257)

1915-09-01 / nr. 243

. MORGENBLATT Budapefi, Alittmod, 1. September 195 633 Gruß an Wien. Bon Dr. Stefan Baarczy, Bürgermeister von Budapest. Budapes­t, 31. August. Wir sind nit die erste ungarische Abordnung, die in­ Wien einzieht. In besseren oder schlimmeren­ Zeiten der Geschichte, unter Gewitterbliken — oder dem Negen­­bogen des aufgeheiterten Himmels nahm, in vergangenen Zeiten­ manche ungarische Deputation ihren Weg nach Wien. Nie aber erlebten größere Zeiten eine­­ geläutertere Harmonie als die, in der fest die Farbenpracht des unga­­rischen Huldigungszuges mit der strahlenden Schönheit Wiens und der vertrauten Wärmehinheit ‚des Chön-­brunner Schlosses, zusammen­ lingen wird. Die brüder­­lichen Augen werden aufleuchten, wenni der Biid einer Na­­son in andachtsvoller Weihe sich in den väterlichen BREE eines gütigen fürstlichen Augenpaares versenzt, und das Smeinanderstrahlen von so viel Wärme und Lit­­ wird eine ganze Zukunft erwärmen und erhellen mü­ssen. Bewußt bringen wir jeßt die Liebe und Wertshaltung nach Wien, die wir unbewußt, auch auf dem Intergrunde unserer verflossenen Bitterfeiten und Mitverständnisse noch), immer in uns getragen haben. Für und, Schüler­ des Abendlandes, war die Anmut immer bestridend, mit deren Schmelz Wien auch noch die Härten der Kulturgebote zu überziehen gewußt hat. Anmut ist Verzogenheit, und das jene, glückliche, uns überragende Wien hat es mit lächeln­­der Verwunderung lange Zeit nicht begreifen können, wie neben der Möglichkeit des Teilhabens an einem so groß­­zügigen Leben auch: kleinere und primitivere Leben sie hatten behaupten wollen. Dennoch: Wiens Anziehung: Krajt, Wiens Beispiel, Wiens Nähe hat ’diese empor­­strebenden Leben befruchtet. Und heute, da wir in der Reihe unserer Munizipien als Abordnung­ von Yudäapest in Bien unseren Einzug halten,­ darf ich er sagen, daß ich im­ Verlaufe meiner zehnjährigen Bürgermeisterschaft von Dahr, zu Jahr, von Tag zu Tag ein immer­ größeres, eindringlicheres und liebevolleres Verstehen in Wien ge­­funden habe, insbesondere jeßt bei meinem verehrten Kol­­legen, dem Bürgermeister Wiens, für mein von Anbeginn unentwegt. ‚festgehaltenes Gitreben, die­ Freundschaft övischen Wien und Budapest fest zu begründen und­ sie einem noch mächtigeren Gebäude, dem­ Einflange innerhalb der Monarchie, zugrunde zulegen. Die Höchste Kunst und die erquidendste Einfachheit bereinigen sich in Wien, und in seinem reichen Leben bei ver­­­­­­­einigt sich die Nervosität der Großstadt mit der Lieblichkeit des Dorfes. Nirgend herrscht für diese­ Wesensart der österreichischen Metropole: mehr Empfänglichkeit als: bei uns, wie denn’auch Wien als Meisterwerk nirgend ein verständigeres P­ublitum "hat als unser Budapest und unser,durch): das Ausleben seines eigenen Lebens aufblü­­hendes Vaterland. Und indem wir jebt in den Tagen der gemeinsamen Prüfung und des gemeinsamen Sieges vor den Herrscher ziehen, den wir mit gemeinsamer Huldigung umgeben, ist die Gastfreundschaft, mit der uns die alte, ehrwürdige österreichische Residenz zu empfangen sich an­­schiert, nur die Antwort­ auf die Huldigende­­ Zuneigung, die wir­­ für Die­nst und die Kultur Wiens empfinden, Setzlich und ER­N begrüße­n: die Stadt Wien,­ ­­ ­ Gruß an Budapes. Bon Dr. Richard MWeidfirchner, Bürgermeister von Wien. Wien, 31. August. Ger gedente ich meines lebten Besuches in­ der schönen Schweizerstadt an der Donau. Er galt der feier­­lichen Eröffnung der neuerbauten städtischen Gaswerke, eines Denkmals für die zielbewußte städtische Verwaltung und ihre vorsorgende Industrieporitur. Gern erinnere ich mich des sympethischen Empfan­ges, der mir damals zuteil wurde und der die Solidarität der­ beiden Sam­tstädte im forttrittlichen Streben­­ zur Schaffung von Kultur­­werten und Werten materieler Wohlfahrt ENERRETINS zum Ausbruch brachte. Heute rüstet die­ Reichshaupt- und­ Residenzstadt Wien, um brüderliche Gäste aus den Ländern der heiligen ungarischen Krone festlich zu’ ‚em­pfangen.. Su Treue und hingebungsnotler 2 Bekrheung zu ihren König. Fommt. die Mboh­nung : der "ungucidjen und­­ frontischen Runigipien und Komitate zur­ ‚Huldigung unseres geliebten greifen Monarchen in­ die Alte Kaiser­­stadt an der Donau. Ein großes, geschichtliches Ereignis! Ein Ereignis, dag nit nur in allen‘ der des: ‚Hababurgreiches, sondern : wert über­­ dessen Grenzen ‚hinaus tiefen, nach= Haltigen Eindruck 'auslösen wird. Oesterreich-U­ngarn, von Millionen Feinden bedroht, führt im Vereine mit seinen treuen, heldenmütigen Ver­­bündeten die siegreichen ahnen der glorreichen­ ‚Armee ‘ weit ins Feindesland, und im­ Innern erhebt sich eine Stärke und eine Größe der Monarchie, welche schaffen zz 7 freudige Zukunft und einigende Macht im Interesse aller Völker verbürgt. Die Bürgermeister beider Hauptstädte werden zum ersten Male gemeinsam in Audienz vor ihrem Kaiser und König erigeb­en und das väterliche Auge des Monarchen wird die Freundschaft und die Verbindung, ai Bürger K­las segnen. Zum ersten Male Beru­ fs) der Gemeinderat der Stadt Wien im Festlaufe des von deutscher Kunst geschaffenen­ und von deutschem Geist erfüllten Bürger­palastes, um­ die­ Hochansehnlicen Abgeordneten aus Ungarn und­ Kroatien freudig und herzlich zu begrüßen. Die gemeinsame Regierung und Mitglieder der beider­­seitigen Regierungen sind Zeugen dieses Altes. In diesem Augenblick drängt es mich, meine, und des Gemeinderates herzlichen Grüße der Stadt Budapest zu entbieten! ‚Gerade im großen Weltbrande des gebwal­­tigsten Krieges, den die Geschichte der Menschheit fennt, ist die Bedeutung der Städte und­ der übrigen Gemeinde,­weien als Grundfesten des Staatlichen­­­ Gefüges, als die Pfeiler des­­ MWirth­aftslebens zu­ bedeutender Höhe herangewachsen. Neue, ungeahnte, schwere Aufgaben hat das Kriegs­­jahr den Gemeinden gebracht. In hingebungsvollem Patriotismus, mit tiefem Verständnis für die wirtschaft­­liche Not der Zeit und mit sozialem Empfinden für alle Schichten der Bevölkerung haben die Gemeinden sich redlich bemüht, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Erleichtert wurde ‚diese Aufgabe ‚den, Gemeinde­­verwaltungen­­ durch die selbstlose Mitarbeit von Tausen­­den, von Bürgern und Bürgerinnen,­ die sich seit Beginn des Krieges opferwillig in den Dienst der Ailigemeinheit stellten und ihr bestes Missen ımd Können aufboten, um in Betätigung ebelster Charitas, reinster Humanität mit hoher Auffassun­gpn und unendlicher Liebe, ihre Kriegs­­dienstleistung zu bewähren.­­ So war es in Budapest und Agram, , ir­ Wien, in Graz und in allen Städten. So hat der verheerende Krieg im Sinterlande ein großes Geschlecht gefunden, und wäh­­rend Magyaren und Kroaten, Deutsche und andere Na­­tionen des vielestaltigen» Habsburreiche› mit­ einem an­ antike Größe reichenden Heldenmute die Feinde bek fämpften und besiegten, haben die Zurückgebliebenen ich erfolgreich a ei A die Henin b des­­ Wirtschaftslebens . Feuilleton. Die Circe von Ralnica. Aus dem Kriegstagebuch von Zoltan 9. Grauge­­ t sprechen Deutsc! — wic) das unsichtbare weibliche Telen meinen Worten aus, und auf den un­­freundlichen Klang der Stimme fühlte ich heraus, daß “ mir Bon die Türe vor Ben Zu sugeschlagen hatt. Io ging die Landstraße des Strieges, die Straße der aufgerissenen Friedhöfe, der vernichteten Dörfer, der ver­­miejenden Tierfachaver, der ausgerodeten Irwälder, der zertrümmerten Suhrwerfe, jene Straße, die nicht An­­fang hat noch Ende, die dort irgendwo im Tumult der Augustinge begann und, wer weiß wohinaus mündet: sie führte und wand sich durch die Hunderte von Kilometern, Zagen und Gefahren des gemußten‘ Nomadentums, von der morgendlichen Seöhligikeit bis zur abenddäm­merlichen Ermattung. Bis ich endlich eines Abends das Pfarrhaus von Ralnica erreichte. Jet werd ich er gewahr: ich müßte wirklich über das Ganze im Zone des Märchens schreiben: über das, Haus mit seinem Haußflur, und darüber, was in­ dem Hause­ geschah, denn das Ganze: ist so, wie die unwirklichen Se­hichten alter, romantischer Dichter: mit Krieg, Abenteuer,­ Liebe, Verrat und einem schönen, sinnisichen Mädchen, das aber dennoch Wirklichkeit ist, denn fische, brennendes­ Reh: Durchzittert mein Herz, wie ich es don nettemiin die Erinnerung surüdrufe. Im­­ Hausfhrr sah ich noch niemand. Es war stille, an den Fenstern die Vorhänge heraßgelassen, als­ ob das ganze Haus ausgestorben wäre; nur der Regen fiel in dichten Takt auf die­ Ziegel des Daches. Drinnen : ge­langte ich in den Hof, Flopfte der Reihe nach an jedes der Fenster:: ob sich sicht vielleicht doch, jemand zeigen würde! Nach langem Warten: öffnete sich die Türe und eine furchtsame Frauenstimme erflang im Dunkel: — Ber ist da? IH sprang l auf dem Sattel, trat näher, stellte mich dar und erklärte, daß ich für den Regimentsstab Nacht: = Dunitier! — wiederholte ich, jebt jcho:, _ ener­otischer. Mitmutig führte sie michh in die erste Stube und, unverständliche, flavische Worte vor sich) Hinmurmelnd, zündete je die ärmliche Petroleumlampe an, den einzigen Gegenstand in dem unwüsten,­ leeren Zimmer, der an die guten alten Zeiten menschlichen Komforts gemahnte. Außer den Strohbetten auf der Erde befand sich gar nichts zwischen den vier fahlen Wänden. Ich machte grobe Augen, mußte wohl auch sicherlic­helächelt haben, denn die Frau — eine zu Tode gearbeitete, magere Gestalt von ungefähr vierzig Jahren — begann, noch ehe ich über­­haupt irgend etwas gefragt­­ hätte, ihre Entschuldigung herzuschwaken. Sie sprach schlecht Deutsch, mengte un­außgelebt Haviiche Worte in ihre Räte, und darum ver­­stand ich sie nur schwer, als sie sich über unsere Soldaten befragte. Daß in der­ vergangenen Nacht österreichische Randstürmer hier gesc­hlafen hätten, die­ hätten alles von unterst zu oberst­ gefehrt, beschmubt, das Zimmer über und über mit Stroh bestreut, des Morgens aber hätten sie vergessen, auszufehren. Daß die A­uffen z­wei Wochen hier gekauft hätten, mit­ ihren Laden aber sonender umgegangen wären, daß­ sie bedauere, sein Rettzeug her­­geben zu künnen, daß alles dur­ den Krieg vernichtet worden, daß sie­ eine armne, verlassene Frau sei, der­ Will­­kür der Soldaten ausgeliefert . . . Das alte Lied . 5. — Mio’Ihr Mann, der Herr Pfarrer, wo ist der­ fragte: ich ohne jedes besondere Interesse. Doch im gleichen Augenblicke bemerkte ich, daß sie diese unerwartete Frage im Verlegenheit lebte. Ihr bleiches, farbloses Gesicht zuchte nervös zusammen, als sie mit leiser Stimme die Antwort stammelte: —_ Interniert ..... in Graz..... aber unschuls dig schlechte Leute.....stammelte sie in­ abge«­­ersinneiU Deutschceine Feinde hatten ihn denunziert Waf man ihn dann foort nach der Kriegserklärun­g ; seshhaftet und‘ weit, weit weggeschleppt hatte, schon­seit­ig Pr­ise Monaten war kein Brief von ihm gekommen Der­­weilen er aber winn auch Ruthene,dennoch kein Russos fqui­er sehen kcieiner politischer Abstammung ... Genforsky heiseer... _ | Mode war ich und |­­öfäfig, nur flüchtig hörte 7 ER die in einem Zuge Hergefragte Xamentation; id). forite ( nit weiter, id) .war auf nisis neugierig: eine einzige Sehnsucht jurrte mir durch­ dem­ Kopf, Tribbelte mir in den Gliedern, in den Knochen, in den Nerven: Schlafen! So rajer als nur irgend möglich; die Kleider abwirfen, mit der Länge nach auf dem Stroh, hinftreden und schlafen, schlafen eine lange Naht hindurch) und für nichts und um niemand in der Welt erwachen. Die Pfarrersfrau­ so schien es—las-nu:·voms». Gesichte ab woran ich dachte,un­d ging mit einer ge­­­­­m­essenen Neigung des Kopfes hinaus. Sie stand Thon an der Schwelle des Zimmers, als sie si­nd einmal zurückwandte: — Und wie lange ungefähr werden Sie sich hier in Dorfe aufhalten? — 30 weiß es noch nit. Vier Tage, fünf Tage, möglicherweise sogar eine Woche. —­­Dohr den! — Gute Nacht! Ich ließ eine Ordonnanz auf der Landstraße Kost fassen, die den Regimentskommandanten und seine­gleitung hieher zu führen haben würde, und zehn Minuten später war­ ih­­m­ einen ohnmastähnlicen Schlaf ver­­junten. Der Morgen­ dämmerte herauf, er war, aber. noch dunkel, arg, von der Division der­ Befehl tam, das Regi­­ment.solle drei Dörfer, tiefer nach Süden, ziehen, um einer­­ Offensive, der­ zufftischen Liebermacht auf diesen, zur Verteidigung ungeeigneten wi auszumweichen. Augen. Bildlich wurden , sämtliche Ordonnangen ausgesdicht­, „Um acht Uhr morgens Abmarich! AS Nadhut eine halbe Kompagnie, nach deren Abzug unse seg Pioniere die, über das Flüchchen führenden Brüden in die Luft Mieengent haben!” - Bir alle werden,traurig. Kaum angekommen, muß­­­­ten wir . [den dieses ausgezeichnete Quartier verlassen, baz — wenn auch leer, wenn auch unmöbliert — doch immerhin ein geschloffener, gedechter Raum, eine Stube tar, die wenigstens nachts vor Wind und Regen schüßte. Brake war alles Geutzen; es mußte dunnébredtette e­zw .­­ ı fe >, 7 —­­SAN 7­5

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