Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1929. július (76. évfolyam, 146-171. szám)

1929-07-02 / 146. szám

—— — --------------------- ■ ■-------------­ über jene einfachen Arbeiten, die der Alltag in Indien erfordert, insbesondere aber über die Landarbeit, hoch erhaben dünkt. Allerhöchstens ein Drittel, wahrscheinlich aber nur ein Viertel derer, die eine solche Schule durchlaufen haben, finden ihnen zu­sagende Stellungen. Der übergroße Rest vermehrt, oder besser gesagt, bildet den Kern des Heeres der Unzufriedenen. Dies wäre nicht geschehen, wenn die geschaffenen Schulen den Bedürfnissen und der Denkart des Landes angepaßt gewesen wären, und vor allem jene Kenntnisse übermittelt und vertieft hätten, die der ja immerhin noch vielfach sehr pri­mitive Eingeborene schätzt und braucht. Ähnliches gilt vom Regierungssystem. Mehr oder minder unvermittelt ein europäisches Regie­rungssystem auf einen Boden zu verpflanzen, ^ der durchtränkt ist von festgefügten, orientalisch-histo­rischen Anschauungen, bringt Gefahren mit sich. Man rüttelt nicht roh an Althergebrachtem ohne schwere Erschütterungsfolgen. Jahrhunderte lang waren die Völker Holländisch-Indiens gewöhnt, durch einheimische Fürsten regiert zu werden. Zweifellos haben im Laufe der Zeiten so manche dieser Ehrsten ihre Macht mißbraucht, aber scharfe Zusicht von holländischer Seite hat dies gebessert. Dieses Regierungssystem auszubauen und schritt­weise zu verbessern, wäre der richtige Weg gewe­sen, nicht aber eine Mischung europäischer und orientalischer Einrichtungen. In diesem Zusammenhang ist noch einiges an­zumerken, vor allem, was die Rechtsstellung des Eingeborenen in Holländisch-Indien betrifft. Diese ist außerordentlich gut entwickelt. Natürlich wird er vielfach nach anderen Rechtsgrundsätzen als der Europäer behandelt. Doch ist dies nichts an­deres, als eben ein Ausfluß seines unverbrüchlichen Rechtes, nach jenen Grundsätzen gerichtet zu wer­den, die seinem Volksleben und Rechtsauffassungen entspringen. Aber er findet sein Recht und findet es unweigerlich auch dem Europäer gegenüber; denn der holländisch-indische Richter kennt keinen Ras­senunterschied. Und gerade die Behandlung der Rassenfrage bildet den schärfsten Unterschied gegenüber Bri­­tisch-Indien. In Niederländisch-Indien werden Mischlinge als Europäer betrachtet. Es wird noch einen langen Weg brauchen, bis eine derartige Auf­fassung auch in Britisch-Indien durchgedrungen sein wird, falls dies überhaupt jemals geschieht; denn zwischen der Mentalität des Engländers und der des Holländers klafft ein gewaltiger Spalt. Eine weitere Folge der holländischen Auffassung ist die Tatsache, daß ein Eingeborener in Hollän­disch-Indien, wenn er sich die nötige Bildung er­wirbt, auch alle Staatsämter — ohne Ausnahme — -erreichen kann und, wie genügend Beispiele bewei­sen, auch erreicht. Dieses weite Entgegenkommen | Hollands führte aber gerade in einem Fall zu einem ! Auf einanderprallen europäischer und orientalischer i Begriffe. In den neuen, nach europäischem Muster aufgebauten Verwaltungsbehörden Indiens ist es möglich, daß Eingeborene von ganz einfacher Ab- Ikunft in eine Stelle gelangen, die ihnen das Recht : gibt, einheimische Fürsten zu kontrollieren. Hier hätte die Grenze gezogen werden müssen; denn diese Tatsache verletzt die indischen Auffassungen, und zwar sowohl die des Fürsten als auch die des Volkes. Man darf als Europäer dabei gar nicht ver­wundert den Kopf schütteln; denn wenn auch bei uns der Kastengeist schon etwas nachgelassen hat, so besteht er mehr oder minder ausgeprägt doch noch immer in ganz genügendem Maße. Aus diesen kleinen Beispielen läßt sich die Größe und Schwierigkeit der indischen Probleme bereits ahnen. Jonkheer de Graeff, der derzeitige General - gouverneur, ist mit hohen Idealen vor seinen Augen nach Indien ausgezogen. Er wollte das Vertrauen der Indier, soweit es verlorengegangen war, wieder gewinnen. So schön seine Gedanken in der Theorie waren, so wenig ließen sie sich in die Praxis Um­setzen. Unterstützt durch Geld und Propaganda aus Moskau, reiften gerade unter ihm noch halbver­standene, nationalistische und religiöse Strömungen mit kommunistischen Unterströmungen zum revo­lutionären Ausbruch, der ihn und seine Ideen auf das bitterste enttäuschen mußte. Zögernd sah er sich ge­zwungen, zu schärferen Maßregeln zu greifen, als el­sieti je gedacht hätte, und erlebte es, daß er weder das Vertrauen der Europäer, noch auch das der Eingeborenen gewinnen konnte. Die Europäer verwiesen ihm, daß er nicht rasch und nicht energisch genug eingegriffen hatte, und das Vertrauen der Eingeborenen konnte sicherlich nicht gerade jener Generalgouverneur gewinnen, der — wenn auch durch die Sachlage gezwungen —, die Strafkolonie Boven-Digul ins Leben gerufen hat. Heute ist er wohl stark enttäuscht, und, wenn er es auch wahrscheinlich selbst noch nicht einmal er­kannt hat, so ist er in der Praxis zumindest mehr oder weniger von seinen ursprünglichen Ideen abge­kommen, was schließlich und endlich nicht anders zu erwarten war. Derzeit ist die Lage in Holländisch-Indien so, daß allgemeine Ruhe herrscht. Die Schaffung der Strafkolonie Boven-Digul hat zweifellos Eindruck auf die einheimische Bevölkerung gemacht. Die Propa­ganda von Moskau her hat zwar nicht aufgehört, hat sich aber, was sehr interessant ist, ein nationalisti­sches Mäntelchen umgehängt. „Ultranationalismus“ ist das Schlagwort des Augenblicks in Indien. Besser charakterisiert wäre die Bewegung mit dem Namen „National-Bolschewismus“.Sie hat tiefere Wurzeln ge­faßt, als man annehmen sollte. Ich halte es nicht für unmöglich, daß es wieder einmal zu einem Auf­flackern mit revolutionärem Anstrich kommt, bin aber, vollkommen davon überzeugt, daß Hollands Macht in Indien fest genug begründet ist, auch zum zweitenmal eines solchen Ereignisses Herr zu wer­den, wenn es auch Blut genug kosten wird. Öie allerletzte Ursache der Not, in der sowohl Europa als das nun erwachende Asien steckt, ist aber nicht in Äußerlichkeiten zu suchen. Sie liegt viel tiefer. Sie liegt in der Tatsache, daß eine an Schrecken und Schicksalsschlägen reiche Zeit auf ein Geschlecht gestoß^ip jst, -dem schöpferische Kraft fehlt. , holfeneren aufzurühren. Unter dem Schutze Wal­demars stürmte er dann auch selbst wiederholt gegen Manasse los und verbarg sich, wenn es zu Tätlichkeiten kam, hinter seinen muskulösen Freund, mit dem in treuem Verein er dem anderen auch im .Wettkampfe um die Gunst der Mädchen manches Schnippchen schlug. Und wenn dann Manasses Revolver unvermittelt in Funktion tritt und neben dem ungebührlich aggressiven Bruder zugleich den herbeieilenden Freund zu Boden streckt, fällt die Entscheidung gewiß nicht leicht, was bei dieser tragischen Verkettung der Schicksale Zufall und was Absicht war. Die Gerichtsverhandlung, die mit der Verurtei­lung Manasse Friedländers zu sechsjährigem Ge­fängnis endet, breitet über den Vorfall keine ab­schließende Klarheit aus. Man hat sich vor allem Manasses Erscheinung anders vorgestellt, als sie sich vor den Gerichtsschranken präsentierte. Es schwebte einem — zweifellos wohl unter dem Ein­druck literarischer Vorbilder — ein .verkrüppelter Geselle, eine Art jugendlicher Quasimodo vor. Nun erscheint aber Manasse wreder als verwachsen, noch a}s häßlich, wohl aber als ein Geduckter und Ge­drückter, der mit der Sprache nicht herauszurücken vermag, und der selbst in den entscheidenden Stun­den, da es um die Verteidigung gegen eine Anklage auf Brudermord geht, durch eine geradezu patho­logische Wortkargheit auffällt. Wie aus der Aussage seines Chefs hervorgeht, versuchte er sich für seine Unfähigkeit in der realen Welt durch die Illusion seiner Berufenheit zu etwas Außergewöhnlichem schadlos zu halten. In striktem Gegensatz zu ihm war sein jüngerer Bruder Waldemar ein hoffnungs­voller Repräsentant des realen Lebens zeitgemäße­­stenJFormats. Dieser betätigte sich in den verschieden­sten Sportgattungen, flunkerte mit besonderer Vor­liebe als Boxer und erprobte seine Künste vor allem an dem mehr passiv und haarspalterisch veranlag­ten Bruder, bei welchen Anlässen Freund Tibor nach bestem Können sekundierte. Die Mutter der beiden stellte sich an die Seite des sport- und lebens­kundigen Waldemars und trug durch die Bevor­zugung des Jüngeren ohne Zweifel entscheidend zu Manasses seelischer Verzweiflung und Verbitterung bei. Merkwürdig, wie sich bisweilen selbst der Mut­tertrieb durch die äußere Erscheinung bestricken läßt! Leute, die aus psychoanalytischen Tiefen schöpfen wollen, sind eigentlich aus Anlaß des Ber­liner Brudermordprozesses w^enig auf ihre Rechnung gekommen. Die kriminalistische Reportage gab sich in Anbetracht von Manasses farblosem, gleichgülti­gem Benehmen vielfach enttäuscht und sprach ver­schiedentlich von einem „uninteressanten Fall“. Das scheint wohl auch mit dem Umstand zusammenzu­hängen, daß an Stelle des derzeit psychologisch be­sonders hoch im Kurse stehenden „Ödipuskomplexes“ diesmal eine dem Augenschein nach recht schlichte und unkomplizierte Begebenheit aus dem Kreise des „Kainkomplexes“ getreten ist. Jahrelang ließ sich Manasse Friedländer von seinem jüngeren Bruder prügeln. Der Revolver, den er sich gelegentlich von einem Straßenverkäufer erwarb, wurde in einem Moment psychischer Gleichgewichtsstörung zu einer Mordwaffe. Manasse schoß; — und dies nicht bloß ein einziges Mal, was ihm der Staatsanwalt, wie er in seinem Plädoyer betonte, noch entschuldigt hätte, sondern er schoß wild drauflos. Wußte er, überlegte er, wras er tat? Wollte er, wie der Vater des er­schossenen Tibor mit begreiflicher Erbitterung gegen den Mörder seines Sohnes vor Gericht behauptet hat, einmal mit einer Tat von schrecklichen Dimensionen renommieren, nachdem ihm die Erfolge eines werk­tätigen Handelns vorenthalten blieben? Das alles sind schließlich bloß Fragen für ge­richtlichen und publizistischen Gebrauch. Der nor­male Willensmensch handelt in vorbestimmten Etappen und ruht dann nach vollbrachtem Tages­­werke aus. Der seelisch Gehemmte und in der Phantasie Ausschweifende, nach keinem ökonomi­schen Arbeitsplan Vordringende aber läßt das Leben untätig über sich hinwegtorkeln und schaltet sich dann — durch einen entarteten Drang zum Handeln getrieben — just in dem unrichtigsten Moment und an der unrichtigsten Stelle ein. Manasse Friedländer drückte, einer jähen Eingebung ohn­mächtigen Hasses folgend, den Revolver ab, ohne recht zu wissen, wie und warum. Vielleicht handelte er unter dem Eindruck, daß das Maß voll sei, viel­leicht bildete er sich nachträglich ein, unter solchem Eindruck gehandelt zu haben. Dann erschien er auf dem nächsten Polizeirevier und bat um Entschuldi­gung, daß er melden müsse, er habe soeben seinen Bruder und dessen Freund erschossen. Und dann kam über ihn wieder das große Schweigen früherer Tage und wich auch während des Verhörs vor Ge­richt — trotz der wiederholten wohlwollenden Er­mahnungen des Vorsitzenden — nicht von ihm. Zu­letzt renkte sich noch die zwischen den beiden Kin­dern befangen unterscheidende Elternliebe mit er­schütternder Wahrhaftigkeit wieder ein. Die Mutter gestand reuig, den anderen mehr geliebt zu haben, und der Vater bekannte sich schluchzend zu dem ihm einzig übriggebliebenen Sohn. Manasse wird, nachdem er seine Bußzeit abgesessen hat, wieder in den Schoß seiner Familie zurückkehren. Er wird sein verpfuschtes Leben von neuem beginnen dür­fen. Wird er dazu auch imstande sein ? Für den psychologischen Ergriinder menschlicher Charak­tere ist eher zu befürchten, daß durch den tödlichen Überfall auf den Bruder und den Freund des Bru­ders Manasse Friedländer ebenfalls sein Leben ver­loren hat. _________ • 3 • PESTER LLOYD Dienstag, 2. Juli 1929 ■c—_______ ♦ l| des v I PESTER LLOYD Redaktion . . . 843-20♦ Chefredakteur 824-31 Administration 843-39 Druckerei . . . 825-04 Vom Tage, Ein tschechischer BrandartikeL Aus Anlaß der zehnten Jahreswende des Ver* sailler Vertrages veröffentlichte Kramcir in der Na­­rodny Listy einen Leitartikel, worin er erklärt, Un­garn sei der unruhigste Staat Europas. Die Friedens­verträge, die Deutschland allein für den Krieg ver­antwortlich machen, seien viel zu einseitig. „Wir wissen“, schreibt Kramar, „daß der Feuerherd der Balkanunruhen nicht in Wien, sondern in Budapest zu suchen war. In der Außenpolitik der Monarchie hatte Budapest das entscheidende Wort. Budapest ist der Hauptschuldige des Weltkrieges. Man muß sich wun­dern, daß man sich in Paris der unverständlichen Hoff­nung hingibt, die Ungarn ließen sich für Frankreich ge­winnen und würden sich von Italien entfernen. Die Ungarn möchten vor allem das Vertrauen Frankreichs zur Kleinen Entente untergraben, sie werden sich daher ostentativ mit der Freundschaft Frankreichs brüsten, bis man ihnen in Paris nicht klipp und klar erklärt, daß Frankreich ohne Einwilligung der Kleinen Entente keine wie immer geartete Grenzregulierung zulassen werde. Dies müßte Frankreich um so eher tun, als ihm einzelne Staa­ten der Kleinen Entente keine allzu begeisterte Freund­schaft entgegenbringen, selbstredend müßte die Kleine Entente ihre Haltung Ungarn gegenüber ebenfalls ändern. Was in Budapest geschah, hätte denn doch nicht mit einer solchen diplomatischen Ruhe aufgenommen werden sollen. Die Antwort des Ministers Walko war unerhört, wenn man bedenkt, daß sie der Repräsentant eines Staates mit acht Millio­nen Einwohnern der Kleinen Entente erteilte, die 45 Millionen Einwohner zählt. Die Abberufung der Gesandten wäre die einzige entsprechende Antwort ge­wesen. Dann hätte wohl Herr Walko eine andere Tonart jenen Staaten gegenüber gefunden, die friedlich der Frankfälschung, dem Gewehrschmuggel von Sankt Gott­hard und allen anderen Dingen, zusahen, wovon sie Kenntnis hatten, über die sie aber im Interesse des Friedens schwiegen. Wenn sich jemals die Notwendigkeit ergeben würde, gegen Ungarn zu mobilisieren, führte Kramar weiter aus, so könnten hierüber verschiedene Meinungen herrschen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die zu einem Kriege hetzen, ich habe aber die Ungarn 25 Jahre vor dem Kriege sehr gut gekannt und weiß, ihnen imponiere man nur mit einem entschlossenen und furchtlosen Auftreten. Niemand verlangt von den Un­garn, daß sie mit dem, was geschehen ist, zufrieden sein sollen, untereinander mögen sie reden, was sie wollen. Sie dürfen aber den Vertretern der Kleinen Entente ge­genüber keineswegs etwas tun, was sie einem anderen Staate gegenüber niemals wagen würden. Wir sind mili­tärisch stark genug, um von Budapest fordern zu können, alle Provokationen einzustellen, um so mehr, als wir ja die Unterdrückung der Slowaken Ungarn niemals vergolten haben. * * Dieser Artikel, ein Schulbeispiel tschechischer Gehässigkeit, ist keineswegs von irgendeinem jun­gen Reporter, sondern von einem gewesenen Mini­sterpräsidenten der Republik geschrieben worden, von Herrn Kramar, der bekanntlich von der Ambi­tion durchdrungen ist, das Erbe Masarvks einst an­zutreten. Herr Kramar ist kein junger Mann, er hat bereits vor dem Kriege eine politische Rolle gespielt und obwohl er heute an der Spitze der unduldsamsten tschechischen Partei steht, wird er wohl seine Worte stets genau erwägen. Diesmal hat ihn aber der Haß so fortgerissen, daß er in einem hysterischen Aus­bruch Anklagen gegen uns erhebt, sich zu Unwahr­

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