Pester Lloyd - esti kiadás, 1929. október (76. évfolyam, 222-248. szám)

1929-10-01 / 222. szám

PESTER LLOYD sind, deren Lebensformen das Gesetz von Grund auf ändern möchte. Auch müssen wir bedenken, daß die Mehrheit selbst im Parlamente nur dadurch möglich wurde, daß viele Abgeordnete sich der Stimme ent­hielten. Die neuesten Nachrichten aus Indien mel­den bereits erbitterte Angriffe protestierender Massen gegen aufklärerische Elemente, die das Gesetz über das Land brachten. Und so kann es sehr leicht der Fall sein, daß dieses Gesetz, das Volks­schutz im wahrsten Sinne des Wortes bedeutet und das dem Gedanken der För­derung der Gesundheit und Lebensfähigkeit des indi­schen Volkes entsprungen ist, als politische Waffe sich im Befreiungskämpfe gegen die Engländer keh­ren wird, die in diesem Falle wirklich treu ihre Auf­gabe verwalten, Vorkämpfer der Zivilisation zu sein. Gedanken eines Weltbürgers. Von AUGUST SCHVAN. Der Verfasser des liier folgenden Artikels, Sproß einer in der politischen Geschichte Schwedens bekannten Familie, hat in seiner Jugend in der österreichisch­­ungarischen Armee als Dragoneroffizier gedient und später auf Einladung des Deutschen Kaisers als schwe­discher Gardehusar die preußische Kriegsakademie fre­quentiert. In weiterer Folge wurde er dem schwedischen Generalstab zugeteilt, betrat jedoch alsbald die diplo­matische Laufbahn. Als Schweden noch mit Norwegen in Personalunion verbunden war, war er Sekretär der schwedisch-norwegischen Gesandtschaft in Petersburg, sodann Privatsekretär des Ministers des Äußern und Ein­führer des diplomatischen Korps in Stockholm. Nach Auflösung der Union wurde er mit der Reorganisation des schwedischen diplomatischen Dienstes und Kon­sulatwesens betraut. Nachdem er der Beamtenlaufbahn entsagt hatte, warf er sich auf die Politik. Schon vor zwanzig Jahren kämpfte er für die Modernisierung des Heerwesens, für die Einführung der Unterseeboote und Aufhebung der Zölle. Erbittert über die Verständnis­losigkeit der damals allmächtigen liberalen Partei Schwedens, die denn auch bald dem sozialdemokratischen Ansturm weichen mußte, ging er auf Reisen, um die Ur­sachen des politischen Chaos zu studieren. Nach dem Kriege ließ er sich in Dänemark nieder und gründete dort die Rechtsstaatspartei, die für eine vollständige Scheidung zwischen Politik und Wirtschaft eintritt. Jetzt lebt er in der Schweiz, und ist dort in fünf Sprachen als Schriftsteller tätig. Wir geben dem Verfasser nunmehr das Wort zu seinen interessanten Erörterungen über das Thema: Die allernotwendigstc Rationalisierung. In den ersten Kriegsjahren unternahm ich eine Vor­tragsreise in Amerika, um den Gedanken des Frei­handels als einzig mögliche Grundlage des Weltfriedens zu verbreiten. Meine zweihundert Vorträge wurden von der studierenden Jugend mit Begeisterung aufgenommen. Aber die älteren Leute verhielten sich ablehnend dazu. Mein Freund, der bekannte Soziologe an der Columbia- Universität, Prof. Hiddings, sagte: „Die Menschen sind so dumm, daß sie 300 Jahre brauchen werden, um ein­zusehen, daß sie zwischen Krieg und Freihandel zu wäh­len haben.“ Ich ließ mich dadurch nicht entmutigen. Zwar wurde ich vom ökonomischen Klub in New York im Jahre 1915 als Ehrengast zum Abhalten eines Vor­trages eingeladen, aber der Herausgeber der Zeitschrift New Republic, dem ich einen Artikel über meinen Vor­trag zusandte, schrieb mir, er wäre wohl der Meinung, daß ich recht hätte, doch wagte er es nicht, mit Rück­sicht auf seine Abonnenten, meinen Artikel zu veröffent­lichen. Auf meiner Rückreise nach Europa im März 1916 traf ich zufällig zusammen mit dem bekannten Bankier Willard Straight, dem Gatten einer Miß Whitney, die die Zeitschrift New Republic aus den idealsten Gründen finanzierte. Ich zeigte ihm den Brief des Herausgebers und Herr Straight versprach, die Sache in die Hand zu , nehmen. Dabei ist es aber geblieben. Ein besonders schlagender Beweis für die in dieser Beziehung herrschende Beschränktheit soll aber hier noch angeführt werden. Bei meinem zweiten Be­such in San Franziska wurde ich zu einem Frühstücks­vortrag vom Senator Oskar Underwood, dem Vater des Wilsonschen Zolltarifs, eingeladen. Ich saß neben der Gattin des jetzigen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Frau Hoover wird sich der Sache noch erinnern. Denn als wir von Krieg sprachen, bedauerte ich den wohlgemein­ten, aber unüberlegten Eingriff ihres Mannes, der nur zur Verlängerung des Krieges beitragen würde. Herr Hoover leitete damals das amerikanische Hilfswevk für das durch die deutsche Besetzung von großen Nahrungssorgen heimgesuchte belgische Volk. Nun sagte ich der Gemah­lin Hoovers, daß, wenn die deutsche Heeresleitung ge­nötigt wäre, das belgische Volk zu ernähren, die Hun­gersnot bald die Einstellung der Feindseligkeiten er­zwingen würde; wenn man jedoch die Belgier hungern ließe, würde die Empörung in Amerika so groß werden, daß der Präsident gezwungen wäre, auf die Seite der Alliierten zu treten. Senator Underwood leitete meinen Vortrag mit fol­genden Worten ein: „Den Wohlstand Amerikas verdan­ken wir nicht dem oft betonten Umstande, daß wir bessere Ingenieure oder tüchtigere Geschäftsleute als Europa hätten. Das ist einfach nicht wahr. Unser Wohl­stand kommt daher, daß wir auf unserem ungeheuren Gebiete keine Zolltarife oder sonstige Verkehrshindernisse haben.“ Dies veranlaßte mich, Herrn Senator Underwood j nach dem Vortrage anheimzustellen, er möchte seinen Zuhörern doch ans Herz legen, daß ein Ver­schwinden der Zollgrenzen und Verkehrshindernisse über die ganze Erde hinaus in ähnlicher Weise den Wohlstand der ganzen Welt und also auch Amerikas vergrößern müßte, schon weil infolge der daraus entstehenden Spe­zialisierung der Produktion alle Kriege ebenso unmöglich wie unnötig würden und folglich alle Rüstungsausgaben verschwinden könnten. Der Herr Senator lehnte dies aber ab und meinte, er könne sich als Amerikaner nicht mit internationaler Politik befassen. Die gleiche Engiierzigkeit und Kurzsichtigkeit kenn­zeichnet auch heute noch die leitenden Staatsmänner Europas. Dieselbe Art von Leuten, in vielen Ländern so­gar dieselben Männer, die zum Weltkrieg gesteuert, die in den Jahren des Weltkrieges in einer bisher von der Geschichte nie gekannten fabelhaften geistigen Unzu­länglichkeit Menschenleben und wirtschaftliche Werte vergeudet haben, die als die Urheber des ungerechtesten Friedens, den die Weltgeschichte kennt, anzusprechen sind, und die durch die Intlationspolitik ungezählte Mil­lionen von Existenzen zugrunde gerichtet und arbeitslos gemacht haben, sie führen auch heute noch Ln ihren Ländern, wie auch im Völkerbund das große Wort. Anachronistische Gedanken, deren Alter schon dafür bürgt, daß sie den heutigen Verhältnissen unmöglich ent­sprechen können, dienen diesen von einem großen Teil der Weltpresse täglich als Halbgötter gefeierten Poli­tikern als Leitsterne. Es ist, als ob die ganze Menschheit mit Blindheit geschlagen wäre; oder ist wirklich in der Mentalität der Völker eine pathologische Entartung ein­getreten, die dahin führt, daß klare, einfache, wahre Ge­danken nicht mehr erfaßt werden können? Der Gedanke, d-'e Gesamtwirtschaft der Welt zu ent­politisieren, die Zollschranken und Verkehrshindernisse überall abzuschaffen, wird auch heute noch als un­­realisierbar, als Utopie gebrandmarkt, und man geht dar­über zur Tagesordnung über. Das für die Zukunft Wün­schenswerte gilt als nicht aktuell. Bloß das auf den ver­schiedenen Parteiprogrammen Stehende soll diskutiert werden. Kann es daher überraschen, daß Bolschewismus und Arbeitslosigkeit andauernd überhandnehmen, der Klassenkampf sich überall härter gestaltet, Abrüstung und Völkerversöhnung leere Worte bleiben, mit denen man nur naive Seelen einfangen will? Wer sowohl den sozialen wie den internationalen Frieden wirklich will, sollte nichts für utopisch, für un­realisierbar halten, bloß weil es mit den bestehenden Ge­wohnheiten bricht. Denn dies ist vor allem klar, daß die bisher befolgten Methoden unmöglich zu dem gewünsch­ten Resultat führen können. Nicht nur die Erfahrungen aller Völker bezeugen dies. Jede ruhige Überlegung muß bestätigen, daß es eine geradezu wahnsinnige Idee ist, alle Männer und Frauen über alles zwischen Himmel und Erde abstimmen zu lassen, wenn nicht einmal die Ver­treter, die sie in die Parlamente entsenden, ein irgendwie beachtenswertes Urteilsvermögen über den größten Teil der für die Menscheit lebenswichtigen Fragen besitzen können. Dazu kommt noch, daß die selbständigen Staa­tengebilde, in die die Menschheit verteilt ist, mit ihren Wurzeln in Epochen zurückgehen, die sehr geringe, in vielen Fällen vollends gar keine Verbindungen zwischen den verschiedenen Teilen der Erde kannten. Die heutige Welt dagegen ist infolge der technischen Fortschritte der letzten fünfzig Jahre eine vollkommene wirtschaftliche Einheit geworden, in der Zeit und Abstand fast gar keine Rolle mehr spielen, und sogar die ärmsten unter allen Völkern die Produkte fernster Weltteile an ihrem täg­lichen Frühstückstisch beanspruchen. Neuerdings tritt dies in besonders auffallender Weise hervor. In allen Ländern wird andauernd von der Not­wendigkeit der Rationalisierung gesprochen. Aber ob­gleich die Politik jetzt mehr als je ins Wirtschaftsleben hineingreift, ist von einer Rationalisierung der Politik kaum die Rede, und dies ist um so merkwürdiger, als die weitblickenden Männer der Großindustrie sich bestreben, die hemmenden Einflüsse der politischen Grenzen zu über­winden. Und doch ist die Rationalisierung der Politik der Punkt, wo der Kampf gegen den Krieg und den Klassen­kampf, gegen Armut und Arbeitslosigkeit einzusetzen hat. Sowohl der internationale wie der soziale Frieden ver­langen die Entpolitisierung der Welt. Politische Abrüstung muß der erste Schritt sein. Erst nach ihr wird die wirt­schaftliche und dann schließlich auch die militärische Ab­rüstung folgen. In einem nächsten Aufsatz wollen wir die Entpoli­tisierung der Wirtschaft erörtern. O %o Vom Tage* Die Rückkehr des Grafen Bethlen. Die Meldung eines hiesigen Abendblattes, wonach Ministerpräsident Graf Bethlen heute bereits in Budapest eingetroffen sei und sein Amt übernommen habe, ist völlig unzutreffend. Der Kabinettschef dürfte dem Ver­nehmen nach erst am Abend in Budapest ankommen und im Laufe des morgigen Vormittags sein Amt von seinem Stellvertreter, Volkswohlfahrtminister Dr. Vers*, übernehmen. Die Osireparaiionen. Paris, 1. Oktober. Das Komitee für die Ostreparationen hat in sei­ner gestrigen Sitzung ein Exposé des Führers der bulgarischen Delegation angchört, worin dieser in ausführlicher Weise die wirtschaftliche und politi­sche Lage Bulgariens, wie sie sich aus dem Vertrag von Neuilly und aus den nach 1926 abgeschlossenen Verträgen ergibt, darlegte. Auch die bulgarische Delegation hat daraufhin, wie schon die Österreich! sehe, ein Memorandum dem Komitee überreicht. Heute wird Baron Friedrich v. Korányi die un garische These vor dem Komitee verteidigen. Dienstag, 1. Oktober 1929 Die SeeabrüsfungskonSerenz. London, 1. Oktober. (U. T.-K.-B.) Der gestern in Tokio stattgefunden* höchste Kriegsrat stellte Japans Abrüstungspolitik fest. Die Grundsätze dieser Politik wurden durch den Admiral Takarabe in folgendem festgesetzt: 1. Japan willigt in die Verzögerung des Austausches der veralteten Kriegsschiffe ein, nimmt jedoch gegen die Herabminderung der Leistungsfähigkeit der Schiffswerft» Stellung. 2. Japan fordert für sich hinsichtlich der Kreuzer­flotte ein siebzigprozentiges Verhältnis, auch die Zehn­tausendkreuzer erster Klasse mit inbegriffen. 3. Es verwahrte sich gegen die Einstellung der Unter­seeboote und fordert in Hinblick auf diese gänzliche Gleichheit für sich. 4. Es fordert eine Beschränkung der Umgestaltung der Handelsschiffe für Kriegszwecke. Der Kriegsrat machte sich alle diese Grundsätze zu eigen. Da nun auch schon die englischen Dominien dem Text der Einladungen für die Londoner Seeabrüstungs­konferenz beigestimmt haben, scheint auch das letzte Hin­dernis für die Versendung der Einladungen aus dem Weg geräumt. Der Araberaufnik in Palästina. Jerusalem, 1. Oktober. Als Protestmaßnahme gegen die Verurteilung von Arabern, denen die Teilnahme an den kürzlichen Un­ruhen in Palästina nachgewiesen wurde, ist von der arabischen Bevölkerung beschlossen worden, am kom­menden Mittwoch einen eintägigen Proteststreik durch­zuführen. Alle arabischen Geschäfte in Palästina werden au diesem Tage geschlossen sein und die arabischen Ar­beiter werden ihren Arbeitsstätten fernbleiben. Jerusalem, 1. Oktober. (Havas.) ln den Städten Haifa, Jaffa und Jerusalem fanden große Protestversammlungcn der Araber gegen die jüngst erbrachten Urteile der Kolonialgerichte statt. ÖSTERREICH. Die Vorbereitung der Verfassungsreform. Wien, 1. Oktober. Gestern nachmittag trat der Ministerrat unter Vorsitz des Bundeskanzlers Schober zu einer neuen Sitzung zu­sammen. Es wurde ein Ministerkomitee, bestehend aus dem Bundeskanzler und dem Vizekanzler, sowie den Mi­nistern Schumy und Slama, eingesetzt, das die Aufgabe hat, die Regierungsentwürfe über die Verfassungsreform raschestens durchzuberaten und die Ergebnisse ihrer Be­ratungen an das Plenum des Ministerrats zu leiten, damit dieser nach vollendeter Redaktion die Entwürfe ehestens dem Parlament zugehen lassen kann. Die Besetzung des Unterriehtsressorts. Wien, 1. Oktober. Wie das Neue Wiener Tagblatt meldet, verlautet in parlamentarischen Kreisen, daß für die Leitung des Unterrichtsministeriums, die bekanntlich Bundeskanzler Schober zunächst selbst übernommen hat, in den aller­nächsten Tagen dem Nationalrat ein Wahlvorschlag er­stattet werden wird. Nach Ablehnung durch den Professor Eiseisberg werden die Verhandlungen mit einigen pro­minenten Persönlichkeiten fortgesetzt. Im Vordergrund steht die Kandidatur des ordentlichen Professors an der Wiener Universität Dr. Heinrich Srbik. Professor Srbik 1st einer der hervorragendsten Historiker Österreichs. Er wirkt seit 1922 an der Wiener Universität. Ein Werk von ihm über Metternich hat in der letzten Zelt weit über die Fachkreise hinaus großes Aufsehen erregt. Dr. Seipel. Obmann der christlicbsozialen Vereinigung. Wien, 1. Oktober. (U. T.-K.-B.) Nach der Reichspost ist Dr. Seipel an Stelle des verstorbenen Abgeordneten Fink zum Obmann der christtichsozialen Vereinigung im Parlament gewählt worden, bat jedoch, mit Rücksicht auf seinen Gesund­heitszustand, der Berufung nicht unmittelbar folgen zu müssen. Bonibenattentat gegen ein Hotel. Wien, 1. Oktober. (U. T.-K.-B.) Aus Payerbach melden die Blätter, daß in der Nacht von Samstag auf Sonntag gegen das „Hotel zur weißen Rose“ auf dem Hauptplatz, das den sozialistischen und kaufmännischen Angestellten als Er­holungsheim diente, eine Bombe gelegt wurde, die auch 1 explodierte und das Hotel, sowie ein Nachbargebäude j schwer beschädigte. Menschenleben sind nicht zu be­klagen- In dem benachbarten Hause hat die Heim wehr, Ortsgruppe Payerbach, ihren Sitz. Der Anschlag wird von den Blättern den Heimwehrleuten zugeschrieben. FRANKREICH. Die Befestigung der Ostgrenze. Paris, 1. Oktober. Auf eine Anfrage des linksrepublikanischen Abge­ordneten Louis Rollin über die Befestigung der französi­schen Grenze und besonders der Ostgrenze, erwidert Kriegsminister Painlevé in einem längeren Brief, in dem er zuerst die Pläne darlegt, die für die Verteidigung der Grenze ausgearbeitet worden sind. Dieses Verteidigungs­system umfaßt erstens die Ausrüstung aller Grenzen Frankreichs, darin eingeschlossen den Bau von Eisen­bahnlinien, unterirdischen Telegraphenkabeln, Vorrats­lagern von chemischen Materialien und Artillerie­munition, und zweitens die Arbeiten für die Verteidigung | der Grenze, die mit den modernsten Ausrüstungen ver­sehen werden soll, hauptsächlich die besonders empfind­liche erste Linie der französischen Grenze und der . wiedergewonnenen Grenze. Diese Arbeiten würden zur­­j zeit in den Gegenden von Metz, im Tale der Läufer, in ; den Vogesen, am elsässischen Rhein und in den Alpen j ausgeführt. Dabei würden schon bestehende Vertei­digungswerke verbessert, aber vor allem auch neue ge-

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