Transsilvania - Beiblatt zum Siebenbürger Boten, 1843 (Jahrgang 4, nr. 2-100)

1843-02-21 / nr. 15

58 jene behaupteten , daß der Todte und der Le­­bendige zwei ganz verschiedene“ Individuen seien, und daß La Pivardiere, den‘ man essen , trinken, sprechen sieht, nur ein Abenteurer ist, den Madame Pivardiere zu ihrem Glück in Paris entdeckt hat; seine auffallende Aehnlichkeit mit dem Todten habe die kühne­dee eines Betrugs entstehen lassen , er habe seine Rolle einstudirt und sei reichlich dafür bezahlt worden , daß er sich dazu hergegeben. Man führt als Beweis den Prozeß des Martin Guerre an: dieser Mann war genöthigt gewesen, seine Familie zu verlassen , um sich zur Armee zu begeben ; man hielt ihn für todt; ein Betrüger, der ihm wunderbar glich, gab sich für ihn aus; er wurde­­ als solcher von der Gattin des Abwesenden und den Kindern desselben aufgenommen. Nach Verlauf einiger Jahre kommt der wirkliche Martin an, er steht MD­LINE gegenüber; ein Prozeß entspinnt n hundert und fünfzig Zeugen, wa­­gen vierzig keinen entscheidenden Ausspruch , fünfzig­­behaupteten , daß der falsche Martin der wirkliche sei, und sechzig wollten das Gegentheil beweisen. Martin Guerre war auf dem Punkte gehängt zu werden , als der, welcher sein Ebenbild war, endlich Alles gestand ; man verurtheilte ihn dann zum Gal­­gen. Dieser bis dahin beispiellose Prozeß ward häufig bei der Sache, von welcher wir sprechen, angeführt. Außerdem leugnete der neue Picardiere seine zweite Heirath­­; er leugnete, jemals in Auxerre ge­­wesen zu sein; er wußte nicht , was man von­­ ihm wolle, als man mit ihm von seinem Amt als Ge­­richtsdiener sprach. Man confrontirte ihn mit Madame Bouchet, mit mehren der ersten Einwohner Auxerres. Die Frau erkannte ihn zuerst ganz bestimmt, nach neuen Prüfungen ließ sie einigen Zweifel blik­­fen. Drei Personen zweifelten nicht an der­den­­tität des Mannes, der vor ihnen stand , mit dem Gerichtsdiener , zwei andere leugneten dieselbe. Es kam noch ein neues Ereignis hinzu, welches die schon sehr verwickelte Sache noch verwielter machte. Man empfing mit der Post von Dijon einen Brief mit der Namens­unterschrift : La Pivardiere , der Verfasser desselben sagte , daß er am Leben sei, die Schweiz erreicht habe, daß sein Doppelgänger ein Schurke , die Unschuld der Angeklagten aber nichts desto weniger sicher sei; er sagte, er bewuße die Gelegenheit, dieß dem Gerichte mitzutheilen, und fügte hinzu , daß er Frankreich für immer ver­­lassen und man ihn nicht wiedersehen werde. Man konnte nicht daran denken, die Schrift mit der La Pivardiere's zu­­ vergleichen, sie bestand in großen Buchstaben und war offenbar verstellt. Mehre Personen sahen hierin nur einen schlechten Scherz irgend eines Thoren , der die Absicht hatte, bei dem Prozeß, der damals großes Aufsehen machte, zu interveniren. Indem die Angeklagten alle Stufen des damals sehr complicirken Prozeßverfahrens durchmachten, wandten sie sich von Romorantin nach Chartres und gingen an­s Parlament zu Paris. Der Hof und die Stadt nahmen lebhaften An­­theil an dieser bizarren Geschichte, der Marquis von Dangeau schrieb viel in seinem damals sehr beliebten Journal darüber . Madame von Maintenon fand häufig Gelegenheit, durch die Erzählungen von den Unglücksfällen oder von der Kühnheit des Wieder­­aufgelebten den König zu amüsiren. Nach vielen Reden vor Gericht , nach unzähli­­gen Bittschriften und vielfachen Nachforschungen, gab endlich das Parlament das ungeduldig erwartete End­­urtheil. Allen Angeklagten ward die Freiheit wieder­­gegeben , da die Ermordung nicht t­atsächlich con­­statirt werden konnte. La Pivardiere oder sein Doppelgänger trat schnell wieder in den Königsdienst ein. Der Erbfolgekrieg war eben ausgebrochen , er verschwand bei der Nie­­drlage von Raillies : war er gefangen genommen worden ? war er getödtet ? — Niemand konnte es sagen : Die Besißerin von Nerbonne blieb in der Pro­­vinz 3; eines Morgens stand sie nicht wie gewöhnlich auf, man drang in ihr Schlafzimmer : sie lag todt ihrem Bette; ein plößlicher Schlag war wohl der Grund ihres Todes ; sie ward begraben, ohne daß man weiter sich darum befümmerte. Madame Bouchet zu Auxerre war in der selt­­samsten Lage : sie hatte zwei Gatten und keinen, es war um den Verstand zu verlieren ; sie ließ deshalb die Ungültigkeit ihrer Ehe mit La Pivardiere , sei er am Leben oder todt, gerichtlich anerkennen und verheirathete sich wieder mit einem Gutsbesißer von Joigny.­­­­ Zehn Jahre später versicherte ein aus Italien kommender Franzose ,­­daß er, bei einem Besuche des Klosters Monte Cassino, unter der Kapuze den wahren und einzigen La Pivardiere, dessen Züge ihm vollkommen gegenwärtig gewesen, erkannt habe. Er habe aber nicht mit dem Klosterbruder reden können, und der Superior sei vergeblich befragt worden.

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