Transilvania, 2017 (Anul 123, nr. 1-11)

2017-09-01 / nr. 9

rrr-”7^ l8l|68 w Politische, wirtschaftliche und antisemitische Aspekte werden simultan wiedergegeben. Überzeugend dargestellt ist die Tätigkeit der Eisernen Garde, vor allem die Verfolgung der Juden oder deren Säuberungsaktionen in Bukarest. Darüber berichtet Leontines Ziehtochter Maria, die abwechselnd in Bukarest und Zeiden wohnt: in Zeiden hilft sie in Leontines Haushalt und bekommt dafür Deutschstunden, in Bukarest verkauft sie Waren, welche die Legionäre von den ausreisewilligen rumänischen Juden abgenommen haben. “Durch viele Perspektiv- und Ortswechsel ensteht ein vielstimmiges Panorama der Bewohner, die auf dem brodelnden Vulkan ums Überleben kämpfen”17 Von den Nazipraktiken, an denen sich Sachsen beteiligen, wird z.B. die “Rassenhygiene” bzw. Euthanasie erwähnt, in die der Zeidner Apotheker Reimer impliziert ist, doch lässt er zu, dass seine Tochter Edith den Dorftrottel Joseph rettet, der ihr in der Apotheke aber auch im Bett behilflich ist: Kinder, Kinder, die Euthanasie beseitigt nur Ballastexistenzen, die uns nur auf der Tasche liegen und verbrauchen. Joseph ist ein braver Junge, er arbeitet fleißig und hilft unserer Edith. Kastrieren werden sie ihn aber trotzdem, warf Capesius beiläufig ein...18 Bei der hermeneutisch durchgeführten Lektüre des Romans Zeiden, im Januar ist die Fülle an genauen historischen Daten der Zeitspanne 1939-1941, aber auch in Vor- und Rückblenden aufgenommene Fakten aus der Vergangenheit der Siebenbürger Sachsen, nicht zu übersehen. Die Autorin hat sich eingehend dokumentiert, viel historisches Material gesichtet, um die stoffliche Grundlage ihres Romans zu sichern. Als Leser ist man geneigt zu fragen: Was bewog die im Ausland lebende Autorin, ein Thema aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen zu wählen? Ist es die von Gumbrecht formulierte “neue Sehnsucht nach Substantialität" bzw. ein Verlangen “Vergangenheit präsent zu machen und präsent zu halten”?19 Im Rahmen einer Lesung aus dem Roman Zeiden im Januar beantwortete die Autorin, die oben formulierten Fragen nicht als solche, doch sprach sie von “historisch akkurate[m] Erfinden 20, das in meiner Sicht, als “historisches Erzählen , “als fiktional wahrgenommene Wirklichkeit” 21 zu deuten ist. Die poetologische Konturierung des historischen Erzählens “wira durch die Frage nach dem Verhältnis von Fakt[um] und Fiktion bestimmt.”12 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in der Postmoderne selbst die “Geschichtsschreibung” - so Hayden White, von dem diese Anregung ausgeht - “nicht weniger eine Form von Fiktion, als der Roman eine Form historischer Darstellung ist.”23 Das angeführte Verhältnis von historischen Fakten und Fiktion hat in der Postmoderne mehrere Formen historischen Erzählens hervorgebracht, die von Ansgar Nünning24 eingehend besprochen und typologisiert worden sind. Nünning verwendete für “den Prozess der imaginativen Rekonstruktion der Vergangenheit” den Gattungsbegriff “ metahistoriographische Fiktion , in deren Mittelpunkt die Frage nach der “Fiktionalität von Geschichte”25 steht. Der “metahistoriographischen Fiktion” werden “produktive Funktionen für die kollektive Erinnerung und die Generierung von Geschichtsbildern in der zeitgenössischen Gesellschaft”26 zugesprochen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Analyse eines Romans, der auf Darstellung von historischen Ereignissen fokalisiert ist und sich auf Fakten stützt, deren poetische Funktionalisierung bzw. Fiktionalisierung in Betracht ziehen muss. Denn Fakten können Elemente der Dichtung, Mittel der Darstellung sein, und hier mögen sich Literatur und Geschichtsschreibung berühren, aber Dichtung referiert nicht auf Fakten, transportiert nicht Fakten um der Fakten willen, sondern nutzt sie für den Aufbau einer präziesen Unpräzison, einer bestimmten Vagheit, einer polyvalenten Bedeutung, einer unantastbaren eigenen ästhetischen Wahrheit, die sich unmittelbar, in reiner Temporalität und reiner Lokalität, ohne Referenz zur empirischen Wirklichkeit und durchaus auch mit vorsemantischen klangautonomen fiktionalisierter Rede im Text konstituiert.27 Ackrills Zeiden, im Januar verwendet Fakten, historische Quellen, die von der Autorin eigens in Form einer Danksagung28 angeführt werden und den “Rohstoff’ zum Roman bilden. Doch werden die historischen Tatsachen umgewandelt und verdichtet, literarisch bearbeitet bzw. fiktionalisiert. Das bedeutet, die Geschichte wird bewusst anders erzählt, “die Romanform und die Freiheit zur Erfindung, die sie gewährt, boten [ihr] die psychische Abschirmung, durch die es überhaupt möglich wurde, Themen in Angriff zu nehmen [,..]”29, die sie sonst als schwer darzustellen fand. Ihre Personenkonstellation umfasst Dictcr Schlesak Capesiiis 15

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