Banater Deutsche Zeitung, November 1926 (Jahrgang 8, nr. 249-272)
1926-11-03 / nr. 249
M %05T Preis 4 Lei 839 Dei, halbjährig 389 Lei, vierteljährig 260 Lei und Zemissar 19 Lei unstattlich, — Bezugspreis für das . Einzelpreis: achtseitig 4 Lei, zwätlitsitig 5 Dei, Timisvara-Temegsvar, Mittwoch, 5668 rscheint | Fernrohr: @ Frei Irane Zei 2 na 4 DF zen 3. November 1926 . REESE ENGEN ER Ne. 249 Wieder ein Revolveranschlag auf Mussolini Die Kugel prallte ab, der Täter wurde gelyngt Rom. 1. November. Ganz Italien ist in riesiger Aufregung über Attentat gegen Mussolini ein neuerliches in Bologna. Es wird wie ein Wunder angeschaut, daß der Ministerpräsident auch diesmal unversehrt davonkam. Das Attentat wurde von einem etwa 18jährigen Burschen ausgeführt, der sich an das Automobil Mussolinis herandrängte und einen R Revolverschuß auf denselben abgab. Mussolini reiste gestern von Bologna ab, wobei eine riesige Menschenmenge ihm bis zum Bahnhof Spalier bildete. Der Attentäter hatte in der Nähe des Bahnhofes unter der Voltmenge Aufstellung genommen und als das Automobil, in dem Maussolini saß, langsam vorbeifuhr, trat der junge Mann plötzlich vor und feuerte seinen Revolver auf den Ministerpräsidenten ab Einen zweiten Schaf konnte er nicht mehr abgeben, denn im Nu war der Attentäter von der Menge umringt, wurde zu Boden geschlagen und binnen einer Minute bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Seine Identität konnte bisher nicht festgestellt werden, doch vermutet man in ihm von Angehörigen einer kommunistischen Arbeiterorganisation. Das Geschoß traf Mussolini an der Brust, prallte am Stern des Mauritiusordens ab, durchlöcherte sodann den Rat, ohne Mussolini zu verletzen. In der öffentlichen Meinung wird aus diesem Anlaß an den Ausspruch Mussolinis erinnert, er werde eines natürlichen Todes sterben und keines der gegen ihn geplanten Attentate werde jemals Erfolg haben. Mussolini bewahrte nach dem Attentater ol ste Ruhe und hielt am selben Tage noch mehrereReden, in denen er dieses Ereignis mit keinem Worte erwähnte. Er hob lediglich hervor, daß der Faszismus unter den glüclichsten Ausvizien das fünfte Jahr seiner Tätigkeit beginne. Der Faszismus werde auf dem bisherigen Wege weiterschreiten und ein Italien schaffen, dessen Stärke Iann Meocht dem ganzen Lande und der ganzen Nation ein besonderes Gepräge geben werde. Das Italien von gestern werde in dem von heute nicht wieder zu erkennen sein. Mussolini erhielt aus dem ganzen Land Grühwunschtelegramme zu seiner Errettung. Rheingespenster Von Dr. Paul Rohrbach In Frankreich ist der Kampf zwischen Thoiryisten und Antithoiryisten in vollem Gange. Es gibt drei Parteien. Die einen wollen die Politik von Thoiry und sagen, man müsse einen Weg finden. Die andern wollen sie nicht, sagen aber, sie seien bereit, wenn Deutschland die Grenze gegen Polen garantiert, auf den österreichischen Anschluß verzichtet und eine Militärkontrolle annimmt. Natürlich wissen dauernde sie, daß es das niemals tun wird. Die dritten sind ehrlich und sagen: Nichts von Thoiry, wir wollen am Rhein bleiben. Indem im französischen Volk fängt die Verständigung mit Deutschland an, ein populärer Gedanke zu werten. Die Popularität kommt teils aus dem Portemonnaie, teils aus dem Verlangen, endlich die Angst vor Deutschland loszumerden, die den geheimen Aldru> so vieler Franzosen bildet. Der Hauptgegner der Räumung ist die militaristische Schule, an deren Seite die Marschälle Fox und Petain stehen. Fachmänner von diesem Rang glauben natürlich nicht an eine deutsche bewaffnete Gefahr. Sie halten aber fest an dem alten französischen Ziel, den Rhein womöglich die politische, und wenn das nicht geht, so doch mindestens Die militärische Ostgrenze Frankreichs sein zu lassen. „Alle großen französischen Heerführer“, schreibt ein führendes Pariser Militaristenblatt, „haben seit 1919 immer wieder erklärt, daß die Wacht am Rhein für die Sicherheit Frankreichs altbedingt notwendig ist: „So denkt Marschall Koch, denkt Marschall Betain und denkt auch General de Gattelran. Auch die Generäle Guillaumant und Debeney „vertreten in vertraulichen Berichten und offiziellen Reden diesen Standpunkt mit aller Entschiedenheit. Drei Wochen vor seinem Tot erklärte noch General Mangin: Wenn der Tag kommen sollte, an dem wir die Wacht am Rhein aufgeben müssen, dann wird es kein französischer General wagen, die Verantwortung die Verteidigung des Landes zu übernehmen.“ für Es ist interessant, zu sehen, mit welchem Raffinement die Gegner der Politik von Thoiry fett arbeiten, um die öffentliche Meinung in Angst davor zu versetzen, daß wenn das linke Rheinufer geräumt wird, die Schutzdämme gegen eine deutsche Invasion freiwillig niedergerissen werden. Ein ungeheures Schreckgespenst soll vor den Augen des Bublikums am Rhein aufgerichtet werden. Es heißt: Die Wehrverbände und die Reichswehr! Der französische Bourgeois ist so ahnungslos in strategischen Dinen, daß man e3 ruhig wagen kann, das Gespenst mit den gröbsten Pinselstrichen zu malen. Die Führung bei diesem Geschäft hat: das Blatt „Echo de Paris“. Man höre: „Allein im PAPAROER Gebiet befinden sich 32 — bekannte — nationalistische Verbände, die Zehntausende von Mitgliedern umfassen. Ich sage das nicht aufs Geratewohl. Die ganze Zahl der Mitglieder im Rheinland ist zwar nicht bekannt (!), dagegen kenne ich einige erbauliche Gesamtziffern für ganz Deutschland. Der nationalistische Verband „Stahlhelm“ zählt allein fast 2 Millionen Mitglieder, der „Wehrwolf“ über 500.000 und der „Jungdeutsche Orden“ 500.000. Die Sportvereine zählten vor einem Jahre 6.900.000 Mitglieder. Schübenvereine gab es vor einem Jahre 1600 mit 450.000 Mitgliedern. Die Wandervereine heiiten im Rheinland 170 Herbergen, mit Küche, Schlafsaal und Versammlungsraum... Man höre weiter: „Wenn man diese Verbände näher betrachtet, gewinnt man eine furchtbare Vorstellung von der agree Dey Bag Volkes .. WMERE Die Verbände sind geradezu militärisch ausgerüstet. Es fehlt nur das Gewehr. Die Mitglieder tragen Reithose, Widelgamaschen, Mütte, Koppel, Brotbeutel, Feldflasche und Tornister. Die Führer tragen Treffen... Wer kann da noch zweifeln, daß das deutsche Oberkommando hier sofort über eine organisierte, ausgerüstete Armee verfügt? ... Diese Verbände benugen zur Ausbildung Sporthandbuch von Böhmer, worin u. a. zu lesen ist: a) Gelände- und Dauerritte; b) Fechten, Geländespiel oder 4609: a e) Schießen und Instandhaltung der Waffen... Der „Jung-Stahlhelm“ und "der „Wehrwolf“ besüßen ferner noch den von Hube und das „Wehrbuch für „Infanterist“ die deutsche Jugend“. In diesen beiden, besonders für die militärische Ausbildung bestimmten Handbüchern befinden sich folgende Kapitel: a) Pistole 08, Gewehr 98 und Karabiner; b) die Bedienung des Maschinengewehrs; c) Hands“ granatenwerfen ; d) Bedienung der Feldbauleite; Unruhen.“ e) Aufrechterhaltung der Ordnung bei Wo ist der französische Spießbürger, den nicht das Gruseln überläuft, wenn er hört, daß die Verbandsmitglieder Wickelgamaschen tragen (die Führer sogar Tressen!) und daß die Wehrwölfe den „Infanteristen“ von Hube benutzen, in dem nicht nur Bedienung der Feldhaubibe gelehrt wird, sondern sogar die „Aufrechterhaltung der Ordnung bei Unruhen“! Aber es kommt noch besser. Im Rheinland gibt es 20.000 Lastkraftwagen und 17.000 Räder! Die Reichswehr braucht zu Fuß sechs Motorbis ins Rheinland, mit Kraftwagen sogar nur drei! In 20 Stunden sind die rheinischen Verbände mobilisiert. Beschwörend hebt der Artikelschreiber die Hand : „Begreift Ihr jekt, warum der gleiche Stresemann wie der Stresemann von Genf und Thoiry am 5. Juni 1925 ausländischen Journalisten gegenüber sagte: „Die vaterländischen Verbände kann Deutschland nicht entbehren! Wenn Deutschland in die Auflösung dieser Verbände einwilligte, würde es sich selbst entmannen!“? Dann kommt das verlogene Lied vom den „zwei Deutschlanden“. Das eine Deutschland hat „tiefe lateinische Prägung.“ Es ist „kultiviert, gesittet, genußfroh und friedlich“. Es umfaßt „ganz Süddeutschland, Westdeutschland, einschließlich DOesterreich!“ Das andere Deutschland kennt als Lebenszweck nur den Krieg und als Recht nur die Macht. Das ist das verfluchte Preußen. Das eine Deutschland „gehorcht, arbeitet, schafft Reichtum“, da andere „organisiert, diszipliniert, kommandiert.“ Nachdem dies gesagt ist, kommt ein neues, ganz anders geartetes Argument gegen die Räumung: „Das Deutschland des Westens war durch den Zusammenbruch des Reiches einen Augenblick in Verwirrung geraten und wurde vom Prestige unseres Sieges bezaubert. Schließlich aber enttäuscht, hat es sich von uns abewandt! Gehorsam unterwirft es sich heute wieder der preußischen Disziplin!“ Die Lochung ist deutlich: "Geht nicht fort vom Rhein, heißt sie — es ist immer noch möglich, daß wir eines Tages die Bevölkerung für uns gewonnen haben, und das ganze Rheinland behalten! Uns endlich das Aeußerste. Die Hand „zittert“ dem Verfasser, aber er muß er schreiben: Frankreich steht mit geringerer (!) Heeeresmacht als Deutschland einer ernsten Gefahr gegenüber — und nicht nur einer ernsten, sondern auch einer nahen, denn: „Klarer kann man sich nicht mehr ausdrücken, wie es Marschall Hindenburg in seinem Handschreiben an General v. See>t vom 10. Oktober getan hat: Io habe die feste Hoffnung, daß Ihre zahlreichen Kenntnisse, Ihre Tatkraft und Ihre Erfahrung in der Zukunft unserem Vaterland noch nützen können!“ General v. Seeckt ist kein Jüngling mehr! Auf seine Tatkraft, seine Erfahrung rechnet der Reichspräsident! O armes Frankreich! | Tage |