Gutenberg, 1928 (Jahrgang 10, nr. 1-52)
1928-01-06 / nr. 1
GUTENBERG Erscheint jeden Donnerstag mit dem Datum des nächstfolgenden Tages. — Einzelnummer 80 h. — Zuschriften werden nur frankiert angenommen. Nichtversiegelte Reklamationen sind portofrei und sind an die Expedition zu richten. Manuskripte werden nicht retourniert. ZEITSCHRIFT FÜR BUCHDRUCKER? UND VERWANDTE INTERESSEN IN DER CECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK Redaktion: Prag II., Smecky 27 n. — Administration: O. Kinsky, Prag II., Smecky 27 n. Expedition: Grafia, Arbeiterdruckerei, Prag II., Myslikova 15 n. — Annoncen werden bei der Administration angenommen und mit Kc 2’— pro Petitzeile berechnet. Bei öfterer Insertion Rabatt. X. JAHRGANG. PRAG, 5. JÄNNER 1928. INV. 33720 NUMMER 1. 1928. Nur der Törichte weint der Vergangenheit nach, der Starke jedoch sieht mutig und vertrauend auf seine Kraft der Zukunft entgegen. Auch wir haben keine Ursache, dem vergangenen Jahre eine Träne nachzuweinen, wohl aber haben wir uns zu rüsten für die kommende Zeit, die mit dem Beginne des neuen Jahres anhebt. Es wäre müßig, wollten wir heute einen Blick in die Zukunft werfen, da uns das vergangene Jahr Lehrmeister genug war, um uns zu zeigen, was wir zu erwarten haben. Mit den Parlamentswahlen des Jahres 1925 begann die Kampfzeit für die Arbeiterschaft der Tschechoslowakei und es kann als gewiß angenommen werden, daß wir auch im Jahre 1928 nicht tatenlos zusehen können, wie die herrschende Reaktion Stück für Stück des von der Arbeiterschaft in früheren Jahren Errungenen zunichte macht. Auch in unserem Gewerbe weht ein anderer Wind von der Gegenseite her, was bereits die Preßfehde in den letzten Nummern unseres Blattes des Jahrganges 1927 beweist, und woraus wir schon schließen können, was uns von dieser Seite in der Zukunft bevorsteht. Politisch und wirtschaftlich betrachtet, ist die Lage der Arbeit ersehn“) alles andere denn gut. Die Herrschaft der tschechisch-deutschen Bürgerkoalition zeigt immer unverhüllter ihr wahres Gesicht. Noch ist der Kampf um das Gesetz über die Arbeiter-Sozialversicherung im vollen Gange, und das heutige Jahr wird entscheiden, ob die Bürgerlichen deutscher und tschechischer Zunge wahrmachen werden, was sie seit langem schon anstreben: die Verschlechterung eines Gesetzes, das sie einstmals als Standardwerk sozialer Fürsorge nicht genug loben konnten, das sie aber nun, da sie an der Macht sind, in ihrem Sinne »verbessern« wollen. Die Arbeiterschaft und auch die vernünftige Unternehmerschaft stellen sich gegen diesen unsinnigen Haß auf dieses Minimum an sozialer Einsicht, die das Gesetz der Arbeiterschaft dieses Staates zubilligt. Die Stimmen mehren sich, die sich auch mit der Frage der Abänderung des Mieterschutzes befassen. Der heutige soziale Zustand in Industrie und Wirtschaft ist auf dem Mieterschutze aufgebaut. Die wirtschaftliche Lage der Arbeiterschaft in der Tschechoslowakei ist infolge der schleichenden Teuerung, die natürlich von Regierungsund Koalitionsseite abgeleugnet wird, die denkbar schlechteste. Das war zu ersehen aus den Lohnkämpfen, die die Textilarbeiter, die Bergarbeiter usw. in der letzten Zeit geführt haben, und auch der Kampf der Eisenbahner hatte schließlich keine anderen Ursachen, als nur die Teuerung aller Lebens- und Bedarfsartikel. Diese Kämpfe sind zum Teile noch nicht abgeschlossen und mit dem Beginne des neuen Jahres werden sich gewiß noch andere Berufsgruppen anschließen. Man kann es daher begreifen, daß die Regierungsparteien nur sehr vorsichtig an das Problem des Mieterschutzes herangehen. Einesteils drängen die Hausherren nach einer Erhöhung ihrer Hauszinsrente, andernteils aber ist zu gewärtigen, daß eine jede Erhöhung der Mietzinse unweigerlich allgemeine Lohnbewegungen zur Folge haben muß. Denn wo sollen die Arbeiter den erhöhten Mietzins hernehmen, wenn ohnehin schon die Teuerung sie zwingt, ihre Lebensbedürfnisse auf ein menschenunwürdiges Maß einzuschränken? Immer mehr und mehr kommt der Klassencharakter der heutigen Regierungskoalition zum Ausdrucke. Es war eine große Tat, als nach dem Umstürze der Steckbrief der Arbeiter, das Arbeitsbuch, abgeschafft wurde. Es war kein Schade um dieses vorsintflutliche Dokument kapitalistischer Arbeiterverfolgung, das nur zur Klassenscheidung diente, sonst aber vollkommen zwecklos war. Wehmütig geSie sagen, ihr seid die Kinder der Nacht, Und ihr wäret seit je undem Anbeginn, Und für euch hat Gott seine Welt nicht gemacht Und ihr seid ein ewiger Scherz darin. Ihr seid eine Wunde, die ne sich schliesst, Eine Anklage seid ihr, stetig neu, Und was da lacht und was da genießt, Verhüllt sich vor euch, ist lumm und scheu. Sie sagen, ihr seid nur selber schuld, Und sie Schreiens euch richtend ins Gesicht. Sie haben so wenig Huld und Geduld, Und sie hassen euch und vertragen euch nicht. Ihr aber tastet euch immr fori Durch an levtil unne »T / AlunturTu. OuVi, Und legt euch endlich frühverdorrt Zu einem erlösenden Sterben hin. Ihr, Menschen, werdet nicht immer so Geschlagen und geknechtet sein! Ihr werdet einmal nimmer so Getreten und entrechtet sein! Der Tag glüht auf, ein junger Held, Der Sprecher einer neuen Zeit, Die euch zu Erben einer Welt, Zu lichten Kindern Gottes weiht! Max Hayek (»Die Armen«), denken die Scharfmacher aus industriellen, kleingewerblichen und bäuerlichen Kreisen der schönen Zeiten, da es noch möglich war, durch unmerkliche Eintragungen in diesem Steckbriefe mißliebige Arbeiter zu »strafen« und sie von Ort zu Ort zu hetzen. Was wäre also naheliegender, als daß sich auch die heutige Bürgerkoalition der Bauern, der christlichen Volksbeglücker und der Gewerbetreibenden, besonders die letzteren, die sich vor Freude darüber, daß auch aus ihren Reihen ein Minister gestellt wurde, kaum fassen können, mit der Wiedereinführung des Arbeitsbuches befaßt? An einer »Begründung« hiefür wird es ihr wohl nicht fehlen. Schon aus dieser kurzen Blütenlese der Wünsche und bereits begonnenen Arbeiten des heutigen Regierungssystems kann man genügend klar erkennen, was für die Arbeiterschaft das neue Jahr bringen wird. Daß nebenher noch andere »Kleinigkeiten« laufen und laufen werden, die keineswegs unbeachtet bleiben dürfen, ist selbstverständlich, so zum Beispiel die Abänderung der Arbeitslosenunterstützung nach dem Genfer System, die wieder nur die ganze Last den Gewerkschaften beläßt, ohne daß endlich einmal an die Schaffung eines Gesetzes für die obligatorische Arbeitslosenversicherung geschritten wird. Aber auch wir Buchdrucker haben für das kommende Jahr so manche Wünsche, die zumeist noch aus dem alten Jahre stammen. Teuerung, Arbeitslosigkeit und Lehrlingsfrage, das sind diejenigen Postulate, die auch uns beschäftigen und noch weiter beschäftigen werden. Wenn auch im vergangenen Jahre unsere Prinzipalität in ihrer Verblendung alle unseren diesbezüglichen Anregungen ablehnte oder unbeantwortet ließ, so dürfte sie aber doch in der kommenden Zeit nicht darüber hinwegkommen, endlich einmal auch Einsicht darin zu zeigen, daß sie die Zeichen der Zeit zu erkennen vermag. Die Ruhe und der Friede im Gewerbe wird nicht durch brüske und unsinnige Ignoranten geschützt, die lediglich Haß und Unduldsamkeit predigen, wo Entgegenkommen und Verständnis am Platze wäre. Die Giftspritze der Prinzipalsteilung, der »Graphischen Blätter«, ist viel mehr in Tätigkeit, als der Vernunft frommt, und sehr leicht kann der Funke, der unter einem Pulverfasse glimmt, eine Explosion herbeiführen, die dem haßerfüllten Leitartikler der »Graphischen Blätter« schnell die unüberlegten Folgen seiner Tendenzarbeit vor Augen führen könnte. Es ist etwas (oder vieles) faul im Staate der Prinzipale, und derjenige oder diejenigen, die heute noch in dieser Organisation etwas zu sagen haben, würden sicherlich klüger tun, die Hand, die innen von der Gehilfenorganisation entgegengestreckt wird, um Ordnung im Gewerbe zu schaffen, nicht abzulehnen. Haß war schon immer ein schlechter Berater und er wird es auch im Falle unserer Unternehmerorganisation sein. Die Zeit heilt manche Wunden und sie überbrückt die Gegensätze. Die Arbeiterschaft in der Tschechoslowakei wird nicht nur von der Klassenherrschaft bedrückt, sondern sie hat auch Zwietracht in ihren eigenen Reihen, die ihre Aktionsfreiheit lähmt und die Initiative hemmt. Politisch und gewerkschaftlich in viele Lager gespalten, steht sie der einigen, der internationalen Unternehmerschaft des tschechoslowakischen Staates gegenüber. Das Vorjahr brachte wenigstens die Einigung der beiden größten gewerkschaftlichen Oranisationen, die nunmehr, zu einer Landeszentrale verbunden, eine ungleich höhere Schlagkraft besitzen und besser die bevorstehenden Kämpfe der Arbeiter durchführen können. Aber die unglückselige Abspaltung durch den Kommunismus und ganz besonders der Krebsschaden des unheilvollen Nationalsozialismus bedeutet für die gewerkschaftliche Arbeiterbewegung in der Tschechoslowakei noch eine gewaltige Zukunftsarbeit, die überwunden werden muß, wenn endlich einmal die Kraft dieser Bewegung sich voll auswirken soll. Aber auch politisch ist die klassenbewußte Arbeiterschaft in der Tschechoslowakei nicht viel anders daran. Das klassenbewusste Proletariat konnte sich international nicht finden in dem Streben nach Einigung auch in politischer Beziehung, nach der wahren Internationale der Arbeiterschaft eines Staates. Die Machthaber der Industrie, die Bauern und die Gewerbetreibenden der verschiedenen Nationen in der Tschechoslowakei fanden sich zu gemeinsamem Vorgehen gegen die Arbeiter aller Nationen. Nur