Neues Pester Journal, Oktober 1877 (Jahrgang 6, nr. 272-302)

1877-10-09 / nr. 280

..·Dienstag z den 94 Oktsobeus3 s I Uhoh JTsis IFsT G asszz.a.«14,ha.1bj.fr.7, viertelj. fl. 3.50, monatlich fl. 1.20. Das „Neue Bester Journal“ erscheint ‚täglich, Redaktion und Administration, such an Montagen. | Leopoldst. Kirchenplak Nr. 2. Einzelne Nummern 418 Inserate und­ anfliegendem­ Larif, Die zu zwei Seiten Beilage, Die Affaire Selfy. Budapest, 8. Oktober, Die Affaire Helfy, diese merkwürdige Piece, in welcher tragische und fomische Stoffe in bunter Reihenfolge einander ablösen, hat die heutige Situng des Abgeordnetenhauses ausgefüllt. Die N­egierung hat endlich ihren Bericht über die Vorfälle im Hause Helfy’s vorgelegt und dieser bildete den Gegenstand einer sehr lebhaften Debatte. Der Bericht der Ne­gierung befolgt eine einfache Taktik: er­ stellt Alles in Abrede. Er behauptet zwar nicht, Helfy sei nicht überwacht worden, aber er behauptet, dab von seiner Seite irgend­wenn ein Auftrag ertheilt worden sei, in Helly’s Haus einzudringen; er behauptet, daß die Hordär’s, einen ihnen zu Theil gewordenen Auf­­trag weißverstehend, im angeheiterten Zustande und ganz aus freien Stüden ohne jegliche Ermächtigung Helfy einen Besuch gemacht hätten, er behauptet endlich, daß dieser Besuch Taunt eine Stunde gedauert habe und gelangt demgemäß zur Konklusion, daß eine Berlegung des Immunitätsrechtes in der Affaire rg Pe 2 null , j Mer immer der Berlefung dieses­­ Berichtes angewohnt hat, ohne Unterfchten, ob er zur Oppo­­sition oder zur Regierungspartei gehört, mußte fid m­ilfürli sagen: So, wie der Bericht die Vorfälle und ihre Urjfade schildert, Haben fi dieselben sicher nicht angetragen,. Jeder mußte fid­ offen und inggeheim sagen,daß si noch manches Andere zugetragen haben dürfte, was der Bericht verschweigt oder zu vetduchtren versucht und Seder mußte zugestehen, daß in den Berichte der tegierung das alte Jesuitensprüchlein zur Anwendung gefome wen fest „sie fecisti, nega”. Und gerade dieses Verfahren war es, was in den reifen der Negierungsanhänger lebhafte Unzufriedenheit er­regte. Die Opposition aber geradezu empörte. 63 it­ein Serwahn, wenn eine Regierung der Ansicht it. € 3 würde ihre Autorität schädigen, wenn sie einen von ihr oder von ihren Organen begangenen Fehler eingefiehen wurde. S­eine Regierung it unfehlbar und ihre Organe sind es noch weniger. Ist ein Schler begangen worden, Dantz ziemt es, denselben offen und männlich zuzugeben und das schuldtragende Organ zur Verantwortung zu ziehen. Gerade ein solches männliches Verfahren ist geeignet, das Ver­­trauen zur Negierung zu kräftigen und ihr Ansehen zu stärken. Wintergüge und Ausflüchte, denen die Unwahrsceinlichkeit und Unglaubunwürdigkeit an Die Stirne geschrieben ist, sind bei solchen Anlässen einer Regierung unnwürdig, sie fordern zur herbten, uns zahlichtigsten Schrittt Heraus und sind die besten Hüi­tel, um die Würde und die Autorität der Re­gierung bei dem denkenden, jede Bertusdung verab­­scheuenden Theile der Bevölkerung zu untergraben. Trot alledem können wir es nicht mißbilli­­gen, daß da Haus den Negierungsbericht zur Senntung nahm und die Anträge auf Einleitung einer U­ntersuchung ablehnte. Ungeachtet des "sen rationellen Charakters der Sache konnte für das Parlament nur die Frage in Betracht kommen : Hat eine Verlegung des Immunitätsrechtes­­ statt­­gefunden und wenn ja, Farm Dieselbe der Negierung oder einer Behörde zugerechnet werden ? Der Be­richt Hatte erklärt, daß die Vorgänge in Helly’s Haufe mit feinem Auftrage der Negierung oder einer Negierungsbehörde im Zusa­mmenhange stehen unnd aus den Akten leb fich Fein sichhaltiger Bez­weiß für die entgegengelegte Behauptung entneh­­men. Das Abgeordnetenhaus mußte sie also zu­­­­friedengeben und wegen Vtangels an Beweisen einen „Ablassungsbeschluß” Fassen. und es st auch gut, daß man sich entschlob, die nicht­ weniger als rein­­liche und ehrenvolle Affaire zu begraben , hätte man dem Antrage der Opposition gemäß eine Unter­suchung einheiten Yaffen, dan wäre wahrsceinlic nicht viel mehr positives zum Vorschein gekommen; es wäre nur no­ch mehr Staub aufgewirbelt worden und die unerqui­lische Sache Hätte sich vielleicht noch Durch etliche Wochen fortgesponnen, ohne daß Das Endergebniß ein andres geworden wäre. Wie immer fi­­ndet die Affaire Helly verbal: Staatspolizei ist abermals um eine jener Blamagen reicher geworden, an denen sie wahrhaftig nicht arın ist. Wer immer heute das Wort ergriff, gleicgiltig, ob er pro oder contra Regierung sie äußerte, unter­­ließ es nicht, der Polizei einige recht­sämische Kom­­plimente zu machen, und das Schampffichtte, was der Ministerpräsident selbst von dieser Polizei zu sagen wußte, war, daß sie seine gute sei. Und wie sollte es auf anders sein ? Die Staatspolizei, wie sie heute organisirt ist, erscheint kau­m geeignet, den gewöhnli­­chen Sicherheitsdienst nothdürftig zur versehen ; von sogenannter „höherer Polizei”, von der Verwendung der Polizei zu politischen Zwecken war Big auf Tipa herab in Ungarn seine Rede. Auf einmal kommt ein Minister des Innern zur Negierung, der den Chr­­geiz hat und das Bedinfuis fühlt, eine höhere Staatspolizei zu befiben. Und nun soll die höhere Staatspolizei, dieser feine, zarte, kaum hörbar und unsichtbar funktionirende Organismus mit dem alten Materiale versehen werden! Daß die untergeordneten Polizet-Organe hiezu­ nicht taugen, weiß Sedermantz. Aber die Oberbeamten sind fürwahr kaum um sein Chef des Bolizet:Departem­ents. Mo hat der Mann den höheren Polizeidienst kennen gelernt? Etwa als Bürgermeister einer kleinen Provinzstadt ? Oder als Sektionsrath im Kulturm­inisterium ? Oder Kann jemand von dem Polizeichef der Hauptstadt behaup­­ten, daß er die Hand hetzze, um die zahllosen Fäden, die in einer großen, von den politischen Ereignissen berührten Stadt zusammenlaufen, mit den erforder­­lichen Takte und Zartgefühle zu fassen? Kann auch nur Jemand behaupten, daß Herr vd. Thaiß eine Ahnung hat von dem Telen der höheren Staats­­polizei und den Mitteln, mit welchen eine solche zur arbeiten hat? Und wenn es mit den Sorgen der höhe­­ren Staatspolizei dermaßen beschaffen tt, was fan man dann von den untergeordneten Organen erwar­­ten und wie kann man fordern, daß ein so beschaffe­­ner polizeilicher Apparat anstandslos, geräuschlos und tastvoll funktionire ? In der That sehen wir dett auch­ unausges fert Blamagen und Mißgriffe dieser „höheren“ Polizei vor und. So oft sie sie arbeiten beginnt, kommt es zu einem Gilat.. Man erinnere sich nur an die Maßnahmen­ gegen Die Gregleder Deputation und an das Maffenaufgebot, welches Herr 9. Thai in der Umgebung 565. Abgeordnetenhauses ent­­faltete. Die dritte dieser Umgescindlichkeiten in Folio im Laufe eines halben Jahres ist die Affaire Helfy und da hat denn selbst Herr 9. Tipa nicht umhin können, ein entschiedenes Militrauenspotum seinen Polizei-­­rganen fundzugeben. Vielleicht kommt der Ministerpräsident nun doch zur Einsicht, daß die höhere Staatspolizei, wenn politisch bewegte Zeiten Das Wirken einer solchen erfordern, Flügeren Köpfen und gewandteren Händen anvertraut werden müsse, auf daß das große Publikum nicht jeden Augen­­blick dar) Das von diesem polizeilichen Apparate vereinfachte unangenehme Geräusch auf die Existenz dieses Apparated aufmerksam gemacht werde. Zu einem feinen­ Chronometer sind eben die grob und roh gearbeiteten Bestandtheile einer Schwarzwälder­­uhr nicht­­ zu brauchen und der Hausarbeiter­ Im Schwarzwalde, der recht und schlecht eine Nurlukö­­uhr zusammenstellt, besigt nicht die Hand für die Aneinanderfügung der zarten Theile eines Schiffs­­Hronometers. Vielleicht gelangt bei einiger Selbst­­prüfung Herr 9. Tipa zur Einsicht, daß auch ein Minister des Sinnern, welcher eine höhere Staats» polizei fi) einrichten will, einige Kenntnisse über das Mefen und die Funktionen Dieser Institution beiten muß, und daß ein solcher Minister zum allfermindesten so viel Takt beu­ten muß, um heiffe­igenden tastlosen Händen so rasc­­ale mög­lich zu entziehen. Budapest, 8. Oktober. " In der gestrigen Nummer unseres Blattes haben wir auf jene Meldung des , B. Naple" verleiti­t, welche von einer Beziehung 962 Briefgeheimnisses Seitens der N­egierung und auch Davon handelte, daß hierzulande ans­geblich bereits ein vollständig organisirtes „Schwarzer Ka­binet” bestände. Bon maßgebender Seite werden wir nun­ mehr ersuch­t, der genannten Meldung gegenüber zu erklären, beide in derselben enthaltenen Behauptungen­ vollständig unbegründet und aus der Luft gegriffen sind. An derselben Angelegenheit erhalten Mittheilung: Sofort nach den „Petti Naple" wir die Mitthei­­­lung brachte, daß das Briefgeheimniß­ verlegt wurde, hat­ die hauptstädtische Postdirektion an die Redaktion sich die Mittheilung auf das Hiesige Postamt bestehe, mit der Bitte, die Redaktion dieselbe wirtlich im Besiße von konkreten Altenstüden und auf einzelne Fälle bezüglichen Daten sein solte, die Lektoren der Wortdirektion zur Verfügung stellen, damit die als nothmendig erschei­­nende Untersuchung eingeleitet werden könne. Die Nedak­­tion des " Naple" nahm jedoch weder Veranlassung, von der Zuschrift Gebrauch zu machen, noch gab sie dem an sie ges richteten Ansuchen in irgend­einer Weise Folge. Al nun das „Neue Reiter Journal” Heute Morgens in seinem Art­titel „Zu den Polizeimaßregeln" das Schweigen der Negie­­rung und den Mangel eines jedweden Dementis einer so erst auftretenden Nachricht gegenüber rügte, übersendete die Bestdirektion sofort eine Kopie ihrer an , Naple" zus geshi­ten Zeilen dem Ministerium und machte dem Lebres faire — wenn auch vergebens — sofort eingeleitet." & Dem Wiener Korrespondenten des „Daily Telex graph” zu Folge sol sich Graf Andesffy in einen Ges­­präch über die Salzburger Entrevue wie folgt ausges­prückt haben: „So bin mathematisch davon überzeugt, daß Fürst Bismarck den Frieden Europa wirkdt." („Je suis mathématiquement convaincu que le Prince Bismarck veut la paix de l’Europe.”) daß nannten Blattes eine Zuschrift gerichtet, möge, falls folgende: des mit der Frage, ges. ob sowie, lescht, was bis zum Londoner Protokoll von den Mächten verhandelt, vereinbart, bekräftigt war ? Den Frieden zu erzwingen, ist auch das vereinte Europa nicht angethan — ihn vorzubereiten ist seine unabs­weisliche Aufgabe. Beiser als Noten, Parlamentsreden und Zeitungdartikel hat der noch glücklich unterdrückte Szétlers But­ch (!) Defterreiceringarn darüber belehrt, ob es anz­wänglich ist, die Dinge im Orient sich selbst zu überlassen. Und wird man sich nicht endlich in England darauf befind­­en, wie es fon­me, daß (chon Heute der englische Botschafter in Konstantinopel, Mr. Layard, zu einer mit spöttischer und fahler Ironie behandelten Persönlichkeit geworden it ? Wird man sich nicht dort fragen, weld dem englischen Interesse es­ dienen kann, sei es ein politisches, ein merkantiles, ein menschliches oder etwa eines der nationalen Ehre und des Ansehens, den barbarischen Hochmuth des Alttürfenthums, seine Berictung Europa’s und dessen Kulturaufgaben durch die resignirte Uedernahme einer untergeordneten und einflußlosen diplomatischen Rolle zu nähren? ‚Die Sprache des vereinten Europa’s würde am Bosporus wohl kaum so überhört werden, wie die des zersplitterten und sich ges­genseitig neutralisirenden. Und wer wollte sich darüber täuschen, daß Schon nicht mehr die Sage Rußlands, sondern die des ganzen christlichen Europa’s in der Levante in Ges­­­fahr steht !" ten haben mag. Eines ist ganz unzweifelhaft: unsere X In der heute Abends stattgefundenen Konferenz der liberalen Partei des Neid­etages wurde die Spezials­debatte über den Gefeßentwurf bezüglich des Bagatells verfahrens beendet und der Gefeßentwurf mit einta­gen geringen Modifikationen angenommen. — Der Geseh­­entwurf über die­ Spiritussteuer gelangt in der übermorgen stattfindenden Konferenz zur Verhandlung. & Die Orientpolitik Deutschlands wird immer Earer. Immer sichtbarer wird das Bestreben der deutschen Diplomatie, dem geschlagenen Rußland zum Mindesten diplomatisch unter die Arme zu greifen. ALs ein Mertz mal der sich vorbereitenden Aktion Deutschlands zu Gune­sten Rußlands registriren wir die folgenden Stellen aus dem Leitartikel der heute hier angelangten „Nationale Zeitung”, welches Blatt bekanntli) der Bismark’schen Politik seit Jahren treuergebene Eclaireurdienste leistet. Das Bismark’sche Organ schreibt: Der Kampf, der während dieser Sommers und Herbstmonate am der Donau gewüthet hat, ist seine Ge­­schichte für sich; er­st nur eine kurze Episode eines­­ langen, langen Dramas, von welchem vor zwei Jahren in den illyrischen Kalkbergen erst wieder ein neuer Ast begonnen hat. Rußland ist, wie es feierlich und verpflich­­tend erklärte, ins Feld gezogen nicht um eigensüchtiger Zweckk willen, sondern um ein Programm auszuführen, welches die Gesamm­theit der europäischen Mächte ebenso feierlich als ihr gemeinsames anerkannt und proklamirt hatte. Nur um des so bestimmten und beschränkten K­riegszwedes willen haben andere unter den Mächten ihre Eifersucht gegen Rußland zurückgedrängt, ihm völlig freie Bahn gelassen. Geben wir nun den äußersten Fall, daß Rußland sich ganz und gar besiegt geben, daß es auf jeden Gedanken verzichten müßte, mit eigenen Kräften das Programm durchzuführen, um welches er den Krieg unternommen hat — wäre damit die Sache einfach zu Ende? wäre wirklich, wie aus der Erinnerung von Zeitungsschreibern, aus der Geschichte Europa’3 ausges 7 7

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