Neues Pester Journal, Dezember 1877 (Jahrgang 6, nr. 333-362)

1877-12-03 / nr. 335

Samnemenke Beteil Gm. Matt bach]. 1­860, menatlich f. 120, il 7, | Das „Neue elter Journal erieint ! “, Ndaktion un ! täglich, auch am Montagen. Redaktion und Administration: Leopoldft. Kirchenplat Nr. 2. Einzelne Nummern 4 Inferate nach anfliegendem Tarif, England und Gestetreichs Ungarn. p­est; 2. Dezember. Lord Derby kam in seiner jüngsten politischen and­ Buda auf die Beziehungen cS unthätig geblieben, Englands zu Defterreicrlngarn in der Orientfrage zu sprechen. Zwar werden diese Beziehungen nur tangirt, allein auch die flüchtigen Andeutungen, werfen ein charakteristisches Streiflicht auf. österreichisch-ungarische Negierung ‚bereit politische Haltung Angesichts der großen Tagesfrage. Man machte nämlich dem britischen Kabinett den Vor­­wurf, daß sei, im Dviente , etwas zu thun". Lord Derby erklärte hier:­­ Y auf ganz kurz, er tenne die „Ideen und Gesinnungen” der Negierung von Oesterreich-Ungarn ganz genau und künne nur sagen, daß Die Sache wesentlich anders sich verhalte. · Aus der verhüllten Aeußerung des englischen Ministers schen­kt hervorzugehen,daß es einen Moment gegeben, in welchem Geltend Englands an Oesterreich) = Ungarn Aufmunterungen zu einer ge­meinsamen Thätigkeit in der Orientfrage geschehen seien, hier jedoch auf ungünstigen Boden trafen; denn Ho „sheet und Sefiingen, der plaza­tig Hi ungavisdjent Nessorıma stimmte zu einer solchen Spolitit der Aktion nicht übere­n. So abgewiesen blieb England seine andere Wahl, als die „bedingte Neutralität” zu proklamiren und sich durch _ Die neueste Kundgebung seines Ministers des Aeußern in sein insulares Schwedenhaus gänzlich zurückzus­ziehen. Das­­Verhältniß erscheint darnach als ein umgekehrtes: England wollte im­ Orient „etwas thun“, aber Oesterreicher Ungarn lehnte er ab, mitthun zu wollen. Wir stehen hier vor einem der merkwü­rdigsten Details der­ an Heberrafgungen so reichen Orient­politik Europas. Unter allen europäischen Mäch­ten sind es England und Desterreichlingab­, Die in­ der Orientfrage­ gewise übereinstimmende, ja iventische Interessen haben. Aus der Gemeinsam­­­eit ihre I­nteressen, die insbesondere darin ful­minirt, die Macht Ruhlands in Schranfen zu hal­ten und­ dessen Lebermacht im Orient zu verhin­­dern, sollte naturnothwendiger Weise auch­ eine gemeinschaftliche Politik hervorgehen, die zur Folge hätte, daß die beiden Großmäcte im Orient Hand in Hand operiren. Wie Lord Derby et­att deutet, sind auch englischerseit3­s Versuche in dieser Ridhlung geschehen ; ebenso­ ist bekannt, wie ein achtunggebietender Theil der Presse in England und Desterreicher­ngarn ein Zusammengehen dieser beiden Mächte in der Orientfrage auf das Eindringlichste befürwortet hat. Und tro:dem sind alle Befunche gescheitert, sind die Wünsche der öffentlichen Mei­­nung unerfüllt geblieben, Wer trägt hieran Die ul : 2 Lord Derby läßted errathen und unsere ges­tam­mte politische Haltung beweist es, hab die Ir: jadhe ded Mißlingend einer solchen politischen Kon­bination Oesterreich-U­ngarn gewesen. Unser Verhält­­nis zu Deutschland, unsere Stellung im „Drei-Staf­­fer-Bunde” benehmen unserer Monarchie die Freiheit ihrer Entschließungen, die Selbstständigkeit Der Hitionen. DOesterreichsungarn hatte sein Gefiht an das seiner beiden „Verbündeten“ geknüpft und wurde dadurch nicht 5103 von dem englischen Standpunkte abgedrängt, sondern zugleich zu der wenig beneidend, werthen passiven Nolle verurtheilt, in welcher wir unsere Regierung seit geraumer Zeit erbliden. Man hat und immer w­ieder die namhaften „Bortheile” vorgerückt, Die aus dem „Dreisftaffer­­bunde“ für und erwachen werden. Graf Andr­u­y muß starre und ausreichende Garantien in Händen haben, welche ihm als gute Wechsel für zukünftige Bartheile gelten ; denn dermalen, im gegenwärtigen Stadium der orientalischen Verwidelung, suchen wir vergeblich, nach einem Anheb­epunkte, der und mit Nude für die Zukunft erfüllen würde. Nußland er­­weitert seine Machtspare in einer Weile und nach einer Richtung, welche die intimsten Interessen der Monarchie bedrohen. Unsere Offiziellen und Offizieren doziren immer wieder, daß diese Om­ensionen Ruh­­lands die­­ „österreichisch = ungarische Interessen­­sphäre“ noc­h nicht. Definitiv alteriven. Nur ígevuld ! Bei dem Friedenzschluffe werden alle Zweifler besehämt werden, die vorsichtige, reservirte Politik des Grafen Andraffy wird ihre Lorbeeren ernten. Nun, wir, wünschen dies aufrichtigst, haben jedoch sehr gemwichtige Zweifel, ob die­ Politit des Grafen Anzräffy diese ihre Probe bestehen werde. Un­scheint das Spiel bereit verloren und­ von Urhebern wie den Vertheidigern der­ „striftesten“ Neutralitätspolitik dürfte im entscheidenden Mo­­mente das verhängnißvolle „Zu spät!” entgegen­­farıen. England und Desterreich-Ungarn hätten in Gemeinsamkeit zu­ rechter Zeit „Europa” um sich versammelt ; heute stehen wir vor dem sehr mög­­lichen russisch-türkischen Separatfrieden, den Dentsdja and wünscht, den Desterreich-Ungarn zulasfen, Enge­land nicht verhindern wird. Aus Baris. Dreierlei D Versionen über die momentane Lage in Paris Legen uns vor. Die Einen behaupten, die Situation sei unverändert, die Anderen berichten, daß die Verhan­d­­­ungen z­wisgen den Konpitutionesen und der Linien­heit der Kammern­ fortdauern und man von den besten Hoff­­nungen beseelt sei.­­ Endlich wird von dritter Seite ges meldet, die Lage in Versailles sei, abermals Fritisch gewor­­den; man sei zwar auf beiden Seiten zu Kompromissen geneigt, aber seine Partei wolle den ersten Schritt syun. Der Marschall berufe sich auf seine „Ehre“, die Republik­­aner verlangen , Garantien", und so sei eine Ausführung noch immer sehr fraglich. Wir geben im Nachstehenden eine Auslese der neuesten Pariser, Nachrichten, die zum Theil widersprechend sind, aber gerade dadurch die Un­­klarheit, Berworrenheit und Gefährlichkeit der Situation charakterisiren. Die Nepublitaner können aus Gründen der elementarsten­ Staatöflugheit einen Vergleich nicht acceptie­ren, der seine Garantien gegen die Wiederkehr der Politik des 16. Mai enthielte. Die von den Nepublitanern­­­e­r­­langten Garantien sind folgende: Annahme des eingebrachten Gesehvorschlages Über den Belagerungszustand und Nevision der Verfallung in dem Sinne, daß fortan zu einer Kammerauflö­­ fung eine Zweidrittel-Majorität in G­es nate not­wendig sein solle. Die lettere Forderung sol es nun sein, welche im Elysée auf den größten S8iverstand stößt, und das aus begreiflichen Gründen. Die vereinigten monarchischen Parteien im Senate verfügen nicht über die Zweidrittele Majorität. 63 wäre also für Die nächste Zuk­­unft eine Auflösung der Kammer nicht möglich. Damit begäbe­­ icn Mac­ Mahon der­ wirksamsten Waffe, welche ihm bis jet gegen die Deputirtenkammer zur Verfügung stand. — Nach einer Tarifer Meldung der , Bost" faßt Mac Mahon das Votum der Kammer gegen das Geschäftsministerium als eine persönliche Belei­­bigung für sich auf und hat erklärt, von seinem jetigen Standpunkte des Widerstandes nicht weichen zu wollen, bis die Kammer in irgend einer MWeife jenes Votum mie­­der zurückgenommen habe. Die Sdee einer B Präsidents­chafts­- Kandidatur Dufaure tritt sei viele­fach auf. Gambetta sol dieselbe begünstigen. Die Orleanis­iten lassen ihrerseits als ballon d’essai die Kandidatur Aubiffrets Basquier verbreiten, wogegen der „Moniteur”, der feit das spezielle Organ des Senats-Präsidenten ist, lebhaft protestirt. Ueber die Stimmung Mac Mahons nach den Interredungen mit Jules Gr&ny meldet der „Mos­niteur” : Nach der Entrem­e mit dem Kammerpräsidenten ließ der Marschall jene Personen, mit denen er nach ihrem Rathe eine Verbindung anknüpfen wollte, ausholen, fand aber deren Anschauungen nicht geeignet, sie zur Bildung eines Kabinets zu berufen. Sie verlangen theilsweise Hingebung seiner Prärogative, beson­­dere des Difsolutionsrechtes als Garantie; er aber könne, seinen Anschauungen zufolge, die ihm anver­­trauten Landesrechte nicht opfern. — Dagegen berichtet der „Sob­": Unterh­andlungen sind im Zuge mit den bevollmächtigten Freunden des Marshalls und Dufaure. Eine Einigung sol erzielt werden. Zur Basis wiren Ministerium der Linien und des linken Centrum­s genommen mit der Freiheit, ad­ministrative Personal-Renderungen vorzunehmen ohne Kon­greß oder sonstige Forderungen. Das Kabinet soll Montag gebildet werden. Noch liegen Folgende Pariser Meldungen vor: In Paris ist die Rede davon, daß für den Fall, als Graf Bogue6 nun doc das Portefeuille des Neufern übernehmen sollte, Herr Banneville den Botsc­hafters­posten n Wien erhalten solle, den er schon einmal als Nachfolger des Herzogs von Gramont innegehabt. — Die Arbeiten in der österreichisch-ungarischen ‚Ausstellungs:Abtheilung, welche demnächst ‘beginnen sollten, sind verscho­ben worden, bis die Si­­­tuation sich geklärt haben wird. Andere Länder, welche mit­­ den Installationsarbeiten schon angefangen haben, seten dies stelben fort, ebenso Frankreich. — Herr von Fourton hat, wie der „Tempo“ erfährt, vor seinem Müdtritte noch ‚ein streng vertrauliches Cirkfular um die Präfesten und jede unfere während die­­ Unterpräfesten erlasfen und dabei sogar die ganz außer­­ordentliche Vorsicht gebraucht , von demselben genau nur so viel Exemplare abziehen zu lassen, als die Zahl der Beamten beträgt, die davon Kenntniß erhalten sollten , noch mehr, die Adressaten sind angewiesen worden, das Original der Zus­­chrift nach genommener Hinsicht in das M­inisterium des Sanern zurückzufcniden. Der 3wec­k dieser geheimnißvollen Mittheilung wäre nun sein anderer gewesen, als der, alle kompromittirenden Rapiere über die Wahlbewegung bei Zeis­ten vernichten zu lassen. Dahin sollen u. A. viele mit Geld beschwerte Briefe des Ministers gehören, welche Fonds von Bersonen herrührten, die nicht mit ihrem Namen auf den Listen des konservativen Wahlkomitee 3 (Greffulhe) figuriren wollten . Diese freiwilligen Beiträge waren in der Regel für einen gemeilten besonderen Wahlbezirk bestimmt und der Minister des Innern übernahm es, sie durch die Piäfekten ihrem Zweck zuzuführen. Ein Brief Midhat Baldha’3. Aus seinem Neapler Exil hat Midhat Baldja den folgenden Brief an einen befreundeten, an der Führung­ der türkischen Staatsgeschäfte t­eilneh­­menden Staatsmann in Konstantinopel gerichtet. Das Schreiben, enthält Midhat 3 Anschauung über die Tage der­ Türkei, äußert sich jede starf gegen­ den Gedanken eines unmittelbaren Friedensschluies mit Rußland und gibt interessante Aufschlüffe über die Motive, welche Mithad im Testen Sommer nach Wien­ geführt haben. Das Schreiben Mich hat’s Zunici . Mit großer Aufmerksamkeit habe ich Ihrem rechten Brief gelesen. Was Ihre gerechten Klagen über unsere fritische Lage und unsere Schlag auf Schlag einander folgenden U­nglücksfälle betrifft, so fann ich Dieselben weder widerlegen, noch deren Gerechtigkeit irgendwie verz­rennen. Da Sie an der Führung der Geschäfte theilneh­­men, so werden Sie wenigstens die Genugthuung haben, Alles, was in Ihren Kräften stand, zum Wohle des Tanz­­es und der Nation gethan zu haben... · Was mich betrifft,so befinde ich mich in einer Lage,die michh selbst dieses Trostes beraubt,sind Sie we»rden»zugeben,daß unter solchen U­mständen Neun­­gli­cfsfalle·111 eines Vaterlandes mir doppeltes Leid bereiteni missen Sie wissen,daß ich vor vier Monaten­ nachdem­ die Nussen den Balkan überschritten und«auf Ahrmnppelmarschirtet und als dieserafchen Erfolgs des Feindes im­ ganzen Lande allgemeine Westi­rzung ver­­u­rsachten,Gelegenheit hatte,mit gewissen Staats­­männern,deren Gesinnung eine der Türkei günstige way i­n Beziehung zu treten-Tief beunruhigt durch bIFF Dkrfchritte der Moskotinter,konnte ich meinem Pa­­triotismus nicht länger Schweigen gebieten,und ich richtete an­ Se.Majestät den Sultan ein Telegramkm worin ich ihm meine Dienste gnb­ot.Dieser Schritt führte zu gar keinem Resultate, und ich erhielt nicht einmal eine Antwort darauf.­­ All um diese Zeit die bei Blevna erfochtenen Siege einander folgten, reiste ich wieder von Wien nach Paris. Später veranlaßte mich mein rheumatisches Leiden, das Klima zu verändern, und ich entschloß mich, meinen Auf­­enthalt in Neapel zu nehmen und dort in einer völligen Abgeschlossenheit zu Leben. Hier stellte ich Betrachtungen an über­ die Leiden, welche die ganze Nation und insbesondere die unglückliche Bevölkerung von Numesien seit Beginn dieses ungerechten Krieges zu tragen hat. Leiden. Die zu den grausamsten, fredlichsten und trostlosesten gehören, welche in der Welt jemals vorgekoumen. Gedente ich der furchtbaren Folgen dieses Krieges, der vielen herumirrenden, ihres Herdes, ihrer Familie, ihrer Kinder, ihres Wohlstandes beraubten und ihrer Heimath, mit der sie durch die Traditionen von fünf Jahrhunderten verbunden sind, entfremdeten Mienichen; sehe ich Bersonen, welche noch im abgelaufenen Sabre im höchsten Wohlstande lebten, nun an den Bettelstab ges bracht; Halte ich mir vor Augen unsere neuesten Niederz­lagen, die Einnahme von ars, den Angriff auf Grzerum und die Einschließung jenes Pleuia, in welchem sich fünfzig bis siechzigtausend unserer braven und tapferen Soldaten befinden, so bricht mir beinahe das Herz und Thränen ers ft­den jedes Wort, das über meine Lippen kommt. Offenbar ist unsere Lage heute viel schlimmer, als vor vier Monaten. Habe ich aber in Folge dessen dieselbe Haltung zu beobachten wie damals? 39 glaube nicht. N­icht blos, weil man meine Dienste abgelehnt ,,­ sondern auch weil — selbst in dem Tale, da­ Sene, welche damals gegen mich intriguirten und meinen Wünschen entgegen wirkten, fest Denselben gerecht werden sollten wir heute einer ganz verschiedenen Situation gegenüberstehen. Seit Beginn des Krieges bestand die Polik der kaiserlichen Regierung fortwährend dann«t·1,v»otx Europas­b­­zusehen,wo1«au­s sich notdwendiger Wege ergibt,daß nun­­mehr Alles von Konstantinopel abhängt.Es geht d­­raus h­ervor,daß Diejenige 11,von denen im gegenwärtigen Augem­blicke das Leben und der Tod des Reiches abhängt,ver­­antwortlich sind für die zur Wahrung unserer­ moralischen und mmterielle Interessentxothegen­digen Maßnaht­ie 11. Os muk gehofft werden, daß sie dieselben ergriffen haben. Schenke ichh aber den Mittheilungen Glauben, welche mir in den lebten Tagen aus Konstantinopel zugegangen Sind, so wäre Die Bevölkerung durch die neuerlichen Unglücke fälle auf den Schlachtfeldern so sehr in Verzweiflung ge­­bracht, Daß sie zu einem Frieden sichlufe um jeden Preis hinneigen würde, » Eu u;

Next