Neues Pester Journal, September 1878 (Jahrgang 7, nr. 242-271)

1878-09-11 / nr. 252

Jll· IVLJEIZIPLTeZeJ eues Pe Abonnementhanzj.a.14,halbj.sc.7, 008 viertelj. fl. 3,50, monatlich fl. 1.20. „Reue Veiter Sournal“ täglich, aid an Montagen­ _ Zeitfwod! den 11. Septem­ber IB. Jurnal. " er­eint | Redaktion und Administration: L­eopoldft. Kirchenplat Nr. 2. Ginzelne Nummern Infernte nach aufliegendem Em­if. Die deutsche Thronrede. Budapest, 10. September. Einem einzigen Gegenstande ist der Inhalt der Thronrede gewidmet, mit welcher gestern der Vizekanzler Graf Stolberg den deutschen Reichs­­tag eröffnet hat. Weder dem S Kongresse, den in der Hauptstadt Deutschlands getagt hat, noch den gro­­ßen europäischen Fragen, nach der kirchenpolitischen Angelegenheit, noch endlich den wichtigen wirts­­chaftlichen und Steuerfragen wird in der deutschen Thronrede ein Bläschen gegönnt, sie beschäftigt ih einzig und allein mit dem Sozialistengefeb, dessen Dachregung im Augenblicke das ausschließ­­liche Biel der Sehnsucht des Fürsten Reichskanzlers it. Klaver konnte die Ursache der Auflösung des legten R Reichstages nicht mehr zum Ausbruch ge­­bracht, bestimmter und energischer die Anschauung nicht mehr an den Tag gelegt werden, daß alle denkbaren politischen und wirthschaftlichen Fragen für die deutsche Reichsregierung weit in den Hin­tergrund treten gegenüber der Hauptfrage des Ta­­ges, der Sozialistenfrage. Außerordentliche Maßregeln fordert die deutsche R Reichsregierung, welche die Handhabe bieten sollen zur Unschädlichmachung der sozialistischen Bestre­­bungen und zur Heilung des eingerisfenen Möbela. Worin diese außerordentlichen Maßregeln bestehen sollen, ist bekannt; der aufgelöste Reichstag hat das anläßlich­ des Hoedel’schen Attentates vor­­gelegte Sozialistengejet abgelehnt; dem neuen Reichstag wird nach dem Nobiling’schen Attentat ein verschärftes Sozialistengeset unterbreitet, wel­­ches die sozialistische Presse unterdrücken, das so­­zialistische Bereinswesen vernichten will, durch die Dehnbarkeit des Begriffes . „Sozialismus” aber genöthigt ist, für das arbiträre Walten der Po­­lizei­ und Verwaltungsbehörden umfassende Voll­­machten zu verlangen, daß damit nicht nur die sozialistische Presse und das sozialistische Vereins­­wesen getroffen werden, sondern die Vreß:, Ver­­eins- und­­ Versa­mmlungsfreiheit überhaupt arg bedroht erscheinen. Von diesem Gelegentwurfe, der im Nu­hen Rechtsstaat in einen in der Wolle ge­färbten Polizeistaat umzuwandeln geeignet ist, be­­hauptet die Thronrede, daß er im Allgemeinen die staatsbürgerliche Freiheit jehone und die verbün­­deten Regierungen hegen die Zuversicht, daß der neugewählte Reichstag die Vorlage votiren werde. Die Hoffnungen der Weiheregierungen ruhen indessen auf einer schmalen Basis. Das deutsche Bolt hat durch die legten Wahlen zwar einen tie­­fen Abscheu gegen die Kaisermörder bewiesen, es hat entschieden antis­ozialistisch gewählt, und die Sozia­­listen haben mehrere ihrer wenigen Site im­­ Reichstage eingebüßt. Allein eine so stürmische, fanatische Bewe­­gung hat das deutsche Bolt keineswegs erfaßt, daß es, blind gegen die Konsequenzen seiner Hand­­lungsweise, die schwach zugemessene politische Frei­­heit freiwillig in die Schanze geschlagen und solche Abgeordnete gewählt hätte, die, auf Bismarc’s Ordire Hin, das Sozialistengefeg schlechtweg votiren würden. War ja doc gerade dieses Ergebniß der Reichstagswahlen ein Hauptgrund für den Fürsten Bismarc, die Kirchenpolitischen Verhandlungen mit Rom anzuknüpfen, um mit Hilfe der Centrumsz­partei das Sozialistengesäß durchzubringen, und erst als er einsah, „daß Rom nichts zu bieten hat”, daß die Centrumspartei nicht geneigt sei, einer eventuellen Weisung aus dem Vatikan in Angelegenheit des Sozialistengefeßes Folge zu lei­­sten, ließ er die angeknüpften Verhandlungen wie­­der fallen. Wenn die Zentrumsfraktion nicht noch in legter Stunde für das Sogialistengefeß gewon­­nen wird, dann ist auch im neuen Reichstage dessen Annahme unwahrseinlich; nur eine ganz künft­­liche, unberechenbare Gruppirung der Parteien könnte zur Bet­rung des Gefäßes führen, und selbst dann würde dasselbe erst wesentliche Modifikatio­­nen erleiden müüssen, ehe es die dritte Lesung passirt. Kein ruhig Denkender wird verfennen, daß einer so mächtig um sich greifenden Agitation gez.­genüber, deren Tendenzen auf die Vernichtung des heutigen Staates und der heutigen Gesellschafts­­zustände gerichtet sind, deren Sieg die Barbarei der Berferwanderung über das civilisirte Europa heraufbeschwören würde, der Staat sein passiver Zuschauer bleiben dürfe. Allein mit Z­wangsmaß­­regeln und Gewaltgelegen allein läßt sich eine Be­­wegung nicht unterdrücken, die vorwiegend eine gei­­stige ist und anderthalb Jahrzehnte hindurch von den geistigen Gentren Deutschlands, den Universi­­täten, ihre beste Nahrung erhalten hat. Und am allerwenigsten läßt­ sich die Unterdrückung einer Bewegung, die nicht von heute datirt und bereits so mächtige Wellenkreise treibt, im Handumdrehen improvisiren. Die Dämpfung einer solchen Be­we­­gung erfordert Zeit, die Heilung des eingerissenen Webels muß allmälig, schrittweise erfolgen. Die Lehre in Schule und Presse, die wirthschaftlichen Reformen, die Loslösung der blos irregeleiteten Elemente von den hirnverbrannten Thoren oder­­ den lügnerischen Führern sind Heilmittel, welche nicht an einem Tage wirksam­ in Anwendung ge­­bracht werden können.Die Polizei-und Strafge­­walt des Staates aber darf sich nur gegen die positiven Ausschreitungen, nie und nimmer aber gegen Tendenzen, gegen zollfreie Gedanken wenden. Und darum ist es um die Chancen des Sozialistens gejeßes schlecht bestellt, welches alle Bedingungen in sich trägt, um ein Zwinguri der bösartigsten Reaktion zu werden, die alle die spärlichen Frei­­heitsblüthen m­icht, welche dem deutschen Volke auf den französischen Schlachtfeldern aufgegangen sind. Der Onartals- Ausweis. Budapest, 10. September. Der Gebahrungsausweis für das zweite Quartal des laufenden Jahres ist uns heute zugenommen. Nach demselben betrugen die Einnahmen im zweiten Quartal 1878 46.2313,224 Gulden, stellen sich­ somit gegen das gleiche Quartal 1877, in welchem 45.927,018 Gulden eingingen, um 286,206 Gulden günstiger. Die Ausgaben bezifferten sich im zweiten Quartal auf 50.936,344 Gulden und stellen sich somit um 8139 Gulden günstiger, als­o die­ Ausgaben im gleichen Zeitraume des vorigen Jahres, welche sich auf­ 50.944,483 Gulden beliefen. Zieht man lediglich die Ziffern des Aus­­weises­ in Betracht, so gelangt man­ zu dem Resultate, daß Ah die Gesammtgebahrung im zweiten Quartal 1878 um 294,345 Gulden günstiger gestaltete, als die im zweiten Quartal 1877. Dieses günstige Resultat ist» aber nur ei­nscheinbares. Eine Anmerkung zum Duartalg- Ausweis führt eine Ausgabe von 436.648 Gulden an, welche für die Kosten der bosnischen Flüchtlinge gemacht­­wurden. Daß diese Ausgabe in den Ausgaben­ Ausweis nicht einbezogen wurde, wird damit motivirt, daß eine gleiche Ausgabenpost im Vorjahre nicht erk­ä­rte, des richtigen Vergleichs halber also jene 436,648 Gulden nicht eingestellt werden durften. Allein wenn der Ausweis in der That ein richtiges Bild gewähren sol, dann müten alle thatsächlich gemachten Auslagen, somit auch die genannte Summe in die Rechnung einbezogen werden, und dann ge­­staltet si der Vergleich bereits mit 142.303 Gulden zu Ungunsten des zweiten Quartals 1878. Wie in­­dessen eine andere Bost beweist, Huldigt die Finanz­­verwaltung dem Grundlage, daß nur jene Wosten 1. Vergleichung gestellt werden dürfen, bei welchen i Eu) BE Die heut­­­ige Nummer umfaßt zwei Seiten. BB Das Toilettezimmer der Kaiserin Eugenie. Orig.:Feuill. des „Neuen Bester Journal“­ Bari, 7. September. Der gegenwärtige Senator und ehemalige Ab­­geordnete Eugen Belletan veröffentlicht augenblicklich im „Rapper" Tagebuch-Aufzeichnungen, Die — interessant, wie wenige Publikationen dieses Genres — ein helles Licht auf die Verhältnisse und Persönlichkeiten werfen, welche unter dem Kaiserreiche geherrngt. Dabei wissen diese Blätter auch aus den Tagen des Zusammen­­bruches Des legieren mehr als Eines zu erzählen. Ich erhalte soeben durc die liebenswürdige Vermittelung eines der Redakteure des republikanischen Blattes den Bürstenabzug des Tagebuch = Abschnittes, Der morgen erscheinen sol. Dieser Abschnitt behandelt eine über­­aus interessante Episode, nämlich die Bejitergreifung der Tuilerien Durch die Abgesandten der provisorischen Regierung. Die Erzählung des­ Herrn Belletan, die ich in Nachstehendem unwörtlich wiedergebe, ist gerade jet sehr an der Zeit, da anläßlich des Besuches, mit dem die Witwe des Staatsstreich-Kaisers jüngst die Haupt­­stadt Oesterreichs beglüdt hat, mehrere Wiener Blätter versucht haben, für diese Dame mit sentimentalen Schilderungen und Betrachtungen „Stimmung zu machen“. Die Erzählung des Herrn Belletan, dem ,d) nnn das Wort abtrete, lautet: — 5. September­­ 1870). Wir erfahren. erst. heute Früh Die Flucht der Kaiserin. Sie hat die Güte gehabt, Furcht zu haben. In den Tuilerien befinden sich Staatspapiere und die Diamanten der Krone. Die Regierung der National­­vert­eidigung entsendet sich und Durier, um sie in Sicherheit­ zu bringen. Das Toilettezimmer ist ein langgestrebtes Gemach. Man könnte hier ein ganzes Mädchenpensionat ab­­waschen. Eine Marmortafel nimmt eine ganze Lang­­seite ein. Auf derselben ruht eine wahre Apothese von Töpfen und glajden. Es ist ein vollständiges Museum dessen, was die Kunst der Barfumerie an Baiten, Pulvern, Opiaten, Fetten, Delen, Nindsmart, Nied­­­wässern hat erfinden können, und dies Alles ist ver­­mit mit Bürsten, Pinseln, Nesspulver-Duasten, Chignons, Zöpfen, mit einem Worte, mit dem Nüst­­zeug eines Weibes, das in der Mode den Ton angibt und der Welt die Kunst lehrt, die Schönheit lüdteilig zu machen. Eine bedeutende Anzahl von Hüten liegt auf allen Seiten umher ; es sind das ebensoviele Kandi­­daten der legten Kopftoilette, die der Reihe nach ver­­sucht und weggeworfen worden waren. Ein Priester dieses Heiligt­ums in grüner Leiblade und kurzen Kniez bojen hat die Ge­wogenheit, uns in die Geheimnisse Dieses Tempels der Modefeten einzumeihen. Er zeigt, und mit dem Finger eine Mofette in der Mitte des Blafonds. Wenn Ihre Majestät sich an oder, aus­­kleidete, öffnete sich die Rosette taherförmig, eine im oberen Stockwerk angebrachte Eisenbahn führte zur Deffnung der Haufen Sammt oder Spiten, welchen der Umfang einer Kaiserin erforderte, ein Aufzug legte diesen erlauchten Firlefanz ehrfurchtsvol auf den VOLJ SAVA den. Wir hatten Rom Italien als Prämie für seine Alianz zu bieten; Italien hätte eine solche Prämie angenommen, nein, es hat sie angenommen. Allein er machte seine Rechnung ohne die frömmelnde Spanierin, die ohne zu schwanzen um ihres Geelenheils willen Frankreich dem P­apstthum opferte. Sie ist es eben­­falls, die im lechten Momente den Kaiser zu seinem wahnsinnigen Manne nach Sedan gezwungen hat, ·

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