Pannonia, 1879 (nr. 2-148)
1879-03-26 / nr. 37-38
Seite 2 Kaschau, Freitag „PANNONIA“ Nr. 37-38 „Ja, ich hatte wohl Reformabsichten ; wollte mehr Sprache als Sprachlehre lehren, wollte mehr belehren als unterrichten ; wollte mit dem Kinde auf Feld, Wiese und Flur gehen, um ihm Pflanzen und Kräuter zu zeigen; wollte ihm so manch’ Angenehmes und Lehrreiches über Länder- und Völkerkunde vortragen und vorlesen ; aber was sollte ich dann thun, wenn auf der Prüfung an das Kind die Frage gestellt wird : Wie lautet der Genetivus von „Prinz“ und , Bauer"? oder wenn es aufgefordert wird , declinive mir dieses Hauptwort, conjugire jenes Zeitwort, analysire diesen und jener Saß! „Welche Berge, Flüsse und Thäler sind in Afghanistan und Beludschistan ? In welchem Lande und Bezirke liegt Wien und Soroksär ? In wie viel Classen und Abtheilungen“ werden die Thiere, Pflanzen und Steine eingetheilt ?" Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als dem Schiller zu befehlen . Studire gut ein, was in den Büchern steht ! zu conjugiren und analysiren, was Zeug hält. Ja, als ich mit einigen meiner Zöglinge die I. Gymnasialschule privat machte und sie dann in die Stadt zur Prüfung in der Absicht führte, daß sie die betreffende Schule hiefür besuchen sollen, richtete man — weil man die Classe dort nicht mit fremden Kindern überfüllen wollte — solche Fragen an sie, als wenn der Eine Sydow und der Andere Linne gewesen wäre. Ich merkte die Absicht nicht und war daher nicht verstimmt, sondern ging zu Hause“ und arbeitete mit meinen Zöglingen mit noch größerer Strenge und Genauigkeit die mir bezeichneten Bücher durch, was natürlich Anstrengung seitens der Schüler erforderte. Meine Sculd ist es daher nur, wenn das Kind nach dem Austritte aus der Schule die lästigen Bücher weglegt und an Alles, was nach Wissen riecht, kein Vergnügen findet, wenn der Student nur weiter studirt und nach erhaltenem Diplome keine sonderliche Lust mehr zum Studiren verspürt. Schreiber dieses hat vor Jahren in einem Fachlatte seine Ansichten betreffs Reform der Volksschule dargelegt. Diese wurden beifällig angenommen, ohne daß er von irgend einer Seite als Phantasiejäger mitleidig belächelt wurde; íg wage es daher hiermit den Lehrerversammlungen und Vereinen die Frage zur Erörterung und Behandlung vorzulegen : Könnten wir nicht es dahin bringen, daß alles Einstudiren von Fachwissenschaften aus der Volksschule entfernt werde, daß das Geflunker mit den höffentlichen halb- und ganzjährigen Prüfungen einmal aufhöre ; (denn daß diese Prüfungen Geflunker ist, kann man mit Ziff* sern nachweisen), daß wir mehr belehren als vortragen sollen ? Man wird mir vielleicht einwenden, daß mündliche Belehrungen sich bald bei dem Kinde verflüchtigen ; aber könnte man nicht ein Universalstefebug stufenweise in die Classen einführen, in welchem in relativ leichter Sprache und in angenehm sich hörenden Erzählungen alles Wissenswerthe aus der Natur und Geschichte, aus der Heimat-, Länder- und Völkerkunde dem Kinde gereiht wird ? (Ein solches Buch könnte zugleich als Handhabe bei der Prüfung dienen, um zu wissen, welche geistige Reife das Kind besitzt. Die Kinder lesen sehr gerne , überhaupt wenn der Lehrer zuerst vorliest. Wenn sie das Gelesene und Erklärte gut verstehen, werden sie dann mit Vergnügen nach Anleitung des Lehrers kleine Notizen und Aufsäte darüber schreiben und ihnen immer die Lust zum Lesen und geistiger Production würde in allen Verhältnissen und Berufe bleiben. S. 28 März 1879. Politische Nachrichten. Aus Wien, 26. März telegraphirt man: Heute Vormittags 10 Uhr Zuges der Westbahn ist Kaiserin-Königin Elisabeth mittelst Separathier angekommen und wurde von Sr. Majestät am Bahnhofe erwartet und empfangen, worauf die Majestäten sich in die Hofburg begaben. * Die Londoner „Morning Post" meldet, daß Graf Schwaloff auf der Sachreise nach London in Wien einen Besuch machen werde. Bisher ist dieser Besuch dort noch nicht angekündigt. ú Die ängstlichen Gemüther, welche vor der Pest zittern, können sich beruhigen, denn der jüngste Wetljanka-Schreien stellt sie nach offiziellen Depoten der österreichischen Aerzte als ziemlich gegenstandslos dar. Man meldet nämlich: „Die Öösterreichischen, nach Astrachan entsendeten Aerzte berichten telegraphisch über einen subacuten Pestfall in Wetljanfa. Nach Bericht des Dr. Kiemann vom 24. März betrifft der Fall ein zehnjähriges Mädchen, das seit vier Tagen krank ist. Kiemann fand einen bereits künstlich eröffneten Bubo im linken Scenkelbuge ; das Befinden des Mädchens ist nar Eintritt von kritischem Schweiße gut, fieberlos, Hoffnung auf Genesung vorhanden. Die Kranke ist eine Werft vom Orte in einer gut eingerichteten isolirten Kibitka untergebracht, welche Aus Konstantinopel, 26. März meldet „Reuter's Bureau": Die Differenzen zwischen Kheireddin einerseits und Osman Pascha und Said Pascha andererseits haben einen akuten Character angenommen. Die englische Mittelmeer-Flotte hat theilweise in Salonichi, theilweise im Piräus Station gemacht. — Winkhtar Pascha ist hieher berufen worden. — Der englische Commissär in Philippopel hat protestirt gegen ein Urtheil des russischen Gouverneurs Stolypin, durc welches ein Türke nach Sibirien geshi>t werden soll. + Paris wird demnächst auch wieder die parlamentarische Hauptstadt Frankreichs sein, eine Ehre, auf die es seit dem Herannahen des deutschen Kriegsheeres im Jahre 1870 verzichten mußte. Am Sonnabend kam die Angelegenheit in der Deputirtenkammer zur Sprache. Man ist unter den republikanischen Abgeordneten allgemein für eine Rükverlegung der militärisch bewacht wird. Das Haus, in welchem die Erkrankung stattfand, ist militärisch cernivt, die Bewohner desselben sind unter Quarantaine gestellt." * Wie mannigfach die Kreise sind, die innerhalb der russischen Gesellschaft vom Nihilismus angesteht, beweist die Thatsache, daß die ausgezeichneten Verbindungen der Nihilisten selbst bis nahe an die so gefürstete dritte Abtheilung der Kaiserlichen Canzlei heranreichen. Wie man der „M. Z." mittheilt, wußte in derselben Nacht, in welcher die beiden Brudereien aufgehoben wurden, die Verschworenen bereits, daß die Polizei Wind bekommen hatte, und zwei Delegirte des Revolutions- Comite's eilten hinaus nach Gudujewski-Ostroff, um Eichstedt zu warnen; sie kamen jedoch eine halbe Stunde zu spät und wurden verhaftet. Als man aber am andern Tage und sogar noc während der Nacht Jagd auf die Personen machte, deren Namen in den vorgefundenen Striftstücken compromittirt erschienen, da ergab es si, daß die Vögel ausgeflogen waren. Nur Diejenigen, welche nachweislich mit den Flüchtlingen in Verkehr gestanden hatten, konnten festgenommen werden. Viele von diesen fegteren sind indessen schon wieder ihrer Haft entlassen worden. Die Zahl der Inhaftirten beläuft sich gegenwärtig auf nur einmal zwanzig. Man irrt indessen, wenn man im Publicum glaubt, daß auf Gudujewski-Ostroff zeichniß Revolutionsmänner vorgefunden wäre, ein ganzes Ver-so unvorsichtig waren die Verscworenen doch nicht, und der deutlichste Beweis hiefür ist der, daß die Drohbriefe, mit denen hochgestellte Beamte überschüttet werden, noc munter einlaufen. * Nachrichten aus Belgrad zu Folge soll der bisherige Minister Zadivoj Mildikovic an Stelle des verstorbenen Dr. Zukics zum außerordentlichen Gesandten Serbiens in Wien ernannt werden. * Die Bulgaren wollen also doch den bekannten Reisläufer Tschernajeff zum Ober-Commandanten ihrer Miliz ernennen. Die Tendenz dieses Actes läge auf der Hand, * Was die Bulgaren anbetrifft, folgen sie natürlich auf Commando den Wink ihrer Befreier, und selbst ihr Ungehorsam ist einftudirte Comödie. Characteristisch sind in dieser Beziehung die folgende Depeschen aus dem bulgarischen Parlamente ! „Tirnowa, 24. März. Fürst Dondukoff-Korsakoff berief Rolle und Willkürherrschaft aus. Bei manchen guten Eigenschaften des modernen Parlamentarismus scheint es seine Erbsünde zu sein, daß er verspwenderist ist, viel Schulden macht ‚und die Steuern immer erhöht. Wohlerworbene Rechte und die Chefs der Unitarier-Partei zu sich und erklärte denselben“ Freiheiten werden durch eine Abstimmung leicht vernichtet , ums daß die Durc berathung des organischen Statuts unbedingt big: sonst sind die Klagen der Betreffenden, sie müssen sich der mozum 15. April erfolgt sein müsse, da es des Czaren Wille sei, deinen Tyrannei fügen. Bergeblich haben die 16 Zipser und daß spätestens am 15. nächsten Monats die Fürstenwahl stattfinde. Sollten die Notablen diesem Wunsche Rußlands nicht Rechnung tragen, dann würde man den Wahlact noch früher auf die Tagesordnung setzen und es dem künftigen Fürsten überlassen, eine magna charta dem Lande zu octroyiren. Die Stimmung in bulgarischen Kreisen ist daher sehr gedrückt." Eine andere Depesche besagt : „Bukarest, 24. März. Meldungen aus Tirnowa zu Folge hat in der lezten Sitzung der Nationalversammlung der türkische Commissär, unterstüßt von den Commissären der anderen Mächte, einen förmlichen Protest gegen die Artikel XII und XVI des Verfassungs-Entwurfes überreicht, weil diese Artikel die Hoheitsrechte der Pforte tangiren. Bei dem Metropoliten in Tirnowa haben wiederholt Zusammenkünfte der Delegirten stattgefunden, in welchem man sich dahin einigte, das Memorandum an die Mächte nicht aufgeben." Man sieht, die Bulgaren sind den Russen sogar aus lauter Gehorsam — ungehorsam ! Pope vor ihnen der Gendarmerie-Officier ist wie immer an der Seite des Obersten. Der Pope will die gewähnligen Fragen stellen. Plötzlich hörte man einen Schrei, eine Dame schien von einem heftigen Nervenzufall ergriffen zu sein; es war dieselbe Dame, die im Salon neben dem Popen saß und ihm gesagt hatte: „Ich wünschte, daß erst halb vier vorüber wäre." Die Uhr s<lug gerade halb vier. Bei dem Schrei, den die Dame ausstieß, stürzte Alles zu ihrer Hülfe herbei, mit Ausnahme des Popen, Euproxias, des Obersten und seines Freundes. Der Oberst machte sich diese Unruhe zu Nutze und vertauschte so weit seinen Platz mit dem seines Freundes und der Pope bat folgende Fragen : — Wladimir Alexandrovits< Wolkoff, willigen Sie ein, vor Gott und vor den Menschen die hier anwesende Eupraxia Iwanowna Measloff zur Gattin zu nehmen ? 3 — Ja, antwortete der junge Gendarmerie-Officier. — Und Sie, Eupraxia Iwanowna Masloff, willigen Sie ein, vor Gott und vor den Menschen, den hier anwesenden Wladimir Alexandrovitsc Wolkoff zum Gatten zu nehmen ? — Ja antwortete das junge Mädchen. Die Nervenzufälle der alten Dame dauerten höchstens 2 Minuten. Der Hauptmann war einer der ersten gewesen, der auf sie zustürzte, er war auch wieder der erste am Altar, von dem er sich übrigens nur um drei oder vier Schritte entfernt hatte. Er wendete seine Aufmerksamkeit der Ceremonie erst zu, als seine Tochter das entscheidende „Ja“ ausgesprochen hatte. — Man hat Euch ja gar nicht gehört, sagte er. Vorwärts, mein Schwiegersohn, umarmen Sie seht ihre Frau. Der Gendarmerie-Officier umarmte Eupraxia Iwanowna. — Was soll das bedeuten ? rief der Vater der jungen Gattin aus. — Daß ihre Tochter meinem Freunde Wladimir Alexandrowits< rechtmäßig angetraut ist, versezte der Oberst ruhig. Der Hauptmann, welcher mehr Scarfsinn hatte, als er merken ließ, erriet, daß man gegen ihn eine gefchichte Vers<wörung angezettelt hatte, die vollkommen gelungen war. Sich darüber zu ärgern, wäre tactlos gewesen. Er hielt dem Obersten die Hand hin und sagte § — Sie haben 4 RN: ich Ihnen zürnen sollte. Dann näherte er sich seinem Schwiegersohne und reichte ihm gleichfalls die Hand: „Ja hatte Sie verkannt ; Sie sind zu geschi>t, als daß Sie nicht Ihr Glück machen werden. Machen Sie meine Tochter glückig und sehen Sie mir immer als Ihren besten Freund an." | | Kammern von Versailles nach Paris, eine folge Maßregel involvirt aber eine Aenderung der französischen Verfassung, dessen Artikel 9 bestimmt, „daß der Sig der Executivgewalt und der beiden Kammern in Versailles ist.Eine Berfassungsänderung kann nur durch den Congreß — die Vereinigung des Senats und der Deputirtenkammer — beschlossen werden. Die Kammer hat in Folge dessen am Sonnabend mit 330 gegen 131 Stimmen eine Resolution angenommen, daß es wünschenswerth sei, den Congreß zur Revision des Artikel IX. der Verfassung einzuberufen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Senat ebenfalls für den Zusammentritt des Congresses wotiren wird, ebenso wenig zweifelt man, daß auf dem Congreß selbst der Plan der Nahverlegung zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinen wird. u Die neuesten Nachrichten über die Lage der Dinge Afghanistan kommen aus dem Lager des russischen Generarats Kauffmann. Aus Taschkend wird dem "N. Herald" vom 21. b. gemeldet: „Die ersten Depeschen, welche seit dem Tode des Emirs aus Kabul hier angekommen sind, melden, daß dort Ruhe herrsche“ und Yacub Khan zum Emir proclamirt wurde. Abdulrahman ist noch immer hier und soll sich, wie es heißt, zur Rückkehr nach Afghanistan vorbereiten.“ Correspondenzen, Oberzips (Toporcz), 21. März. Geehrter Herr Redacteur! Motto : Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ! Diese drei großen Worte waren der Wahlspruch der französischen Revolution und sie prangen nun auch heute auf den Fahnen der liberalen Parteien des Parlamentarismus. Betraten wir nun mit Ruhe — sine ira et studio — wie dieser Schöne Wahlsprug in Ungarn von der sogenannten liberalen Partei verwirklicht wird. Schon in Frankreich wurde die schöne Idee der Freiheitsynode mißbraucht, denn leider Alles entartet leicht unter der Leitung von wachen und Leidenschaftlichen Menschen ! Die erhitten Parteien übten oft durc die zufällige und leicht wechselnde Majorität von ein paar Stimmen die schreili<ste Des ' andere Städte, sowie die Siebenbürger Sachsen gegen die Einverleibung in die Comitate protestirt ; sie wurden als Particularisten verspottet und gemaßregelt. Nicht viel besser zeht man aug mit der Autonomie der Confessionen und ihren Schulen um. Die schöne Idee der Gleichheit wird von der ungarische liberalen Partei auch wenig geachtet und zwar aug in solchen Fragen, von denen man sagt, daß bei ihnen die Gemüthlichkeit aufhört. Ein eclatantes Beispiel dafür ist die Spiritussteuer. Wer so und so viel hundert Koch Aderfeld und Wiesen hat, bekommt nämlich bei der Brennerei 20 Procent Steuernachlaß als Prämie dafür, daß er so glüklich ist, mehr zu befigen, als Andere. Wer so viel nicht besit, wird gleichsam bestraft mit der vollen Steuer. Wer nun z. B. als Grundbefiger 5 Monate lang breut und monatlich, 300 fl. Brennsteuer zu zahlen hat, der profitirt dabei monatlich, 60 fl., macht 5x60=300 fl. Mit dieser Summe kann er alle seine directen Steuern bezahlen, ja es bleibt ihm nur eine Prämie vom Staate. Wie kann da ein Bauer oder Bürger mit dem an sonst beächtigeren concurriren ? Damit sind aber Viele wo nicht zufrieden, sie verlangen nun viele andere künstliche Stagen für diesen Stand, der dog auch sonst überall zuerst dabei ist, wo es was zu schöpfen gibt. Wie schaut es nun mit der Brüderlichkeit aus z. B. in Bezug auf die Nationalitäten und Sprachen. Das Nationalitäten-Gesetz bestimmt, daß die ungarische Sprache die Sprache der höheren Behörde sei : das ist vet so; die niederern Aemter aber sollen im Verkehr mit dem Volke die übliche Sprache der Gegend berücsichtigen ; das ist nun auch reit, denn die Behörden sind des Volkes wegen da und nicht umgekehrt. Was geschieht aber ? Selbst die Steuerparagraphe über Vormundschaft werden den bäuerlichen Tutorn in magyarischer Sprache gedruckt zuges<eigt, selbst in Gegenden, wo auf Hunderten von Quadratmeilen kein magyarisches Dorf existirt ; selbst die Dienstbücer werden in magyarischer Sprache dem Gesinde ausgefolgt. Das ist nun unnöthig, ja zwei widrig. „Man merkt die Absicht und Migräne. Migräne! Seltsam fremdartig klingendes Wort! Gelehrte und Aerzte behaupten, es stamme von Hemikranie, glaube, es sei viel näher verwandt mit dem deutschen „Greinen“ ; jedenfalls hat der Zustand, den es bezeichnet, damit einigen Zusammenhang. Die Migräne hat sowohl mit ihrem Bruder, dem Katenjammer, als auc mit ihrer Schwester, der Seekrankheit, ungemein viel Aehnlichkeit ; nur daß die beiden letzteren von gewissen Vorbedingungen abhängen, denen man ausweichen kann, während die erstere durch keine äußere Ursache bedingt, unberechenbar und leider stets wiederkehrend ist. Als quälendste aller kleinen Erdenplagen bedeutet die Migräne eine Reihe verlorener Tage und zu Wasser gewordener Lebensfreuden ; sie zieht einen wicen Sticch dur die schönsten Pläne und macht ein festes Zeitprogramm ganz unmöglich. Kann das ihr Opfer niemals sagen: ich werde zu dieser oder jener Zeit dies oder das unternehmen, denn schon über den nächsten Tag, ja selbst über das „Heut“ kann der Migränist nicht verfügen. Der von einer förmlichen Krankheit Befallene weiß dor, warum er leiden muß; er wird gepflegt, des dauert, besucht, getröst ; liebe Angehörige umstehen zärtlich besorgt sein Lager, mit Aufopferung und liebevoller Rücsicht jeden seiner Wünsche erfüllend. Auf die Migräne finden alle diese Lichtpunkte der Krankheit keine Anwendung. Man wird zwar bedauert, aber es mischt sich fast eine Art Ironie in die Worte des Beileids, man spricht ss leichthin aus, als dächte man, es hat nicht viel zu bedeuten. „Ruhe", heißt es, „ist die beste Cur für das Uebel" — auf ist es zugleich die bequemste Pflege. Man läßt den Leidenden daher allein und wartet ruhig ab, bis er seinen bösen Tag dort gekämpft hat. Einige der Beklagenswerthen leiden ihn aber still, verkrießen sich in einen dunklen Winkel oder legen sich auf einen Divan, von wo sie sich zeitweise erheben, um es bald darauf erschöpft, aber etwas erleichtert wieder zurüczufineden. Andere stöhnen, jammern, brummen und zanken und lassen das ganze Haus, die ganze Familie mitleiden. Besonderen Heroismus beweisen oft Frauen, die troß des hocgradigsten Elends ihren häuslichen Pflichten nachzukommen trachten. Männer sind selten so aufopfernd, und sie haben Ret. Wozu diese potencirte Qualii aufbürden ! Ueberhaupt gehören die Letzteren viel seltener zu den Opfern der Migräne als Frauen; ist es aber der Fall, dann tritt das Uebel bei ihnen meist viel stärker und nachhaltiger auf. Ein Mykräne-Anfall bedeutet dann so viel als: mehrtätige Geistesershlaffung, Geistesunthätigkeit, vollständige Einstellung alles Denkens, und nur allmälig kehrt der so hergenommene Kopf wieder in das Stadium gewohnter Arbeitsfähigkeit zurück. So viel von den Schattenseiten der Migräne , sehen wir uns jezt einmal die Lichtseite an. Wie? giebt es denn eine solche ? Gewiß ; denn es gibt nicht nur Migräne-Behaftete, sondern auf Migräne-Berechtigte, und daß sich, die Migräne-Berechtigung bestens ausnüßen lasse, das soll sogleich bewiesen werden. Jedermann, von dem die Welt weiß, daß er zuweilen an Migräne leidet, hat an dieser einen förmlichen Passepartout im geschäftlichen wie im geselligen Leben, z. B. : Man macht nicht gern Leichenbegängnisse mit, folglig hat man an dem Tage, da ein guter Bekannter begraben wird, Migräne; man hat keine Lust, ss zu einer Sitzung, zu einer unangenehmen Besprechung einzufinden, die Migräne entsculdigt die Absenz. Man ist um 12 Uhr noc im Negligs und schämt sich dessen, man trifft mit einer gewissen Persönlichkeit nicht gern zusammen, man erhält Einladungen, die nict angenehm sind; — in all? diesen Fällen ist die Migräne-Bereitigung anwendbar. „Schon wieder eine Einladung" brummt verdrießlich der Genal, eine Karte lesend, „soll iH denn wieder den Sonntag allein zubringen?" „Beruhige Dir, Männchen", tröstet die zärtliche Gattin : „Ich werde am Sonntag meine Migräne haben und bleibe gemäthlt bei Dir zu Hause." SchTahuna aut Now Woilaas