Pester Lloyd, März 1854 (Jahrgang 1, nr. 50-76)

1854-03-26 / nr. 72

—­ipest,26.März. Drei Kyrrespondenzen aus Wien liegen vor uns,sie haben es alle mit der in der Residenz herrschenden Stimmung zuthunz sie belegen insge­­sammt von Neuem,daß der Moment der Krise,obschon man ein ganzes Jahr durch auf ihn vorbereitet ward.Nichtsein seiner Wirkung a­­f die Gesammtbevölkerung und ihre Interessen verloren.Die eine Nachricht jagt die andere:die ganze österreichische Flottenstation in der Levante begibt sich nach Beikos,­——ein preußischer Kourier hat neue wichtige Depeschen gebracht,( Herr von Manteuffel verschiebt seine Abreise um einige Tage, — am 22. hatten die Gesandten der beiden Westmächte eine fast anderthalbsüündige Unterredung mit unserem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, wobei die orientalische Frage den nahezu ausschließlichen Gegenstand der Bespre­­chung gebildet, — wer Handelsstand wird von der politischen Lage affizirt und gibt seine Affektion durch Sarlimente Fund; dies die Themata des Tags­­gespräches. Wir müssen uns heute beschränken, und aus den vorliegenden Briefen nur die wichtigsten Angaben hervorheben. R. 25. März. Die Vorschläge der preußischen Regierung, die den Abschluß einer förmlichen Konvention auf Grundlage einer strikten Neutra­­lität bezwehken, haben im Allgemeinen günstige Aufnahme gefunden; nur darf man dabei nicht übersehen, waß die österreichische Regierung zwar von Grundlas der Nichteinmischung in den Streit, so lange es thunlich, billigt, dem ungeachtet aber nicht ge­willt ist, vielfalls eine bindende Verpflichtung einzugehen, — auch ist gegründete Hoffnung vorhanden, daß Preußen in die von unserer Regierung beantragte Modifikation eingehen werde, indem durch sie der Beweis geliefert würde, daß, wenn auch die veutschen Groß­­mächte einer kriegerischen Kooperation mit den Westmächten sich enthalten, ihre Auffassung der Rechtsfrage dennoch identisch mit jener der Westmächte. Haben diese Verhandlungen zwischen den beiden deutlichen Kabineten erst an einer vollkommenen Verständigung geführt, dann werden dieselben auch ihre definitiven Erklärungen dem Bundestage vorlegen, die, wie ein Ge­­rücht wissen will, mit dem Antrage zur bewaffneten Neutralität des Bun­des Schließen sollen. Der schmedische Gesandte, General Mannsbach, hatte am 23. eine Konferenz im Ministerium des Aeußeren und später eine Besprechung mit dem englischen Gesandten. Man mwirmet hier von zwischen Rußland und Schweden obschwebenden Verhandlungen große Aufmerksamkeit ; gewiß ist, daß sie bis fest noch nicht ausgeglichen ; wahrscheinlich, daßs auch ihr Resultat den Forderungen Rußlands nicht günstig sein wird. Die Stellung der deutschen Mächte ist in dieser Trage deutlich­ genug, nachdem sie im Jänner schon von von den slandinasischen Staaten abgeschlossenen Neutralitätsvertrag aner­­kannt haben. Als bloßes Gerücht theile ich Ihnen mit, daß Se. Majestät die in Südungarn aufgestellten Armeekorps im Laufe der nächsten Wochen zu bez­­ichtigen gepachten. Bei der Naschheit, mit der die Energie und Unermüd­­lichkeit unseres Monarchen beilet Vorhaben auszuführen pflegt, ist zwar eine solche Inspektionsreife nicht unmöglich, doch entbehrt das betreffende Gerücht zur Stunde wo positiver Anhaltspunkte. — Oberst Saup, Tf. f. Zinienschiffskapitän,, weilt seit einiger Zeit in Wien, um sich­son hier nach England zur Uebernahme der auf den dortigen Werften im Bau begriffenen Bin Burunche ihrer Vollendung nahen zwei kaiserlichen Kriegskampfer zu egeben. 4 Wien, 25. März Graf Westmoreland und Baron Bourqueney begaben sich am 22. zum Grafen Buols Schauenstein, um, wie es heißt, über die Haltung. Dester reicht dem nunmehr auf das Gebiet der Thatsachen gedrängten orientalischen Streit gegenüber, sollkommene Klarheit zu ver­­langen. Ueber die Art der Aufklärung, die den beiden Vertretern der Welt: müc­e geworden, kann ich Ihnen heute noch nichts Sicheres mittheilen ; allein ed wird vor der Hand genügen Ihnen zu bemerken, daß Herr von D­ourqueney, als er die Staatskanzlei verließ, nicht verstimmt schien, und Graf Westmorelann sogar eine heitere Miene zeigte. Das fortwährende Steigen unserer Baluten und der Nüdgang der Papiere auf unserer Börse fängt hier an sehr beunruhigend zu wirfen. Es­tellt sich heraus, daß die namhaften Verlaufsaufträge des Auslandes, ins­­besondere des außerdeutschen, das, wie man wissen will, sein Kapital auf englische Stods überträgt, hauptsächlich an jener unglücklichen Tendenz Schuld tragen. Diese Aufträge machen große Nemboursen nöthig, die eine faire Nachfrage nach Wechseln und Devisen hervorrufen, wodurch diese natürlich in ihrem Preise steigen. Haben aber einmal fremde Wechsel eine Reigenve Richtung genommen, dann kann man auch das Dinaufschweifen der Metallkurse nicht mehr aufhalten ; denn ver Befiger von Metallen, der die Bewegung der Kurse auf bag Aufmerksamste verfolgt, weiß gut, bag Die­jenigen, die fremde Effekten zu Nembourfen suchen, wenn viele im Preise zu body steigen, zu ihm werden kommen wollen und erhöht daher, sobald er eine solche Tendenz gewahr wird, die Preise seiner Waare früher noch, ehe sich die egteren darum an ihn wennen. So wirfen also jegt in einer natür­­­lichen Weise die Verkäufe des Auslandes auf die Kurse aller Effekten nach­­theilig gurüd. Sie machen sich aber auch noch(dadurc) in sehr empfindlicher Art bemerkbar, daß sie den inländischen Geldmarkt verangiren und Kapita­­lien, die vielleicht sonst gewerblichen Unternehmungen zugewendet worden wären, der Industrie entziehen, und dem Börsespiel überliefern. — F Wien, 25. März. Das Peinliche der gegenwärtigen politischen Situation lastet wie ein Alp auf aller Thätigkeit, ver Wunsch, daß die Ent­­scheidungszeit endlich gekommen sein möge, macht si unz­weideutig fund ; ein entschlossener Schritt, um die Störung des Weltfrie­dens zu beseitigen, als ungerecht anerkannte Forderungen zum Schweigen zu bringen, kann auf die Opferunwilligkeit Aller zählen. Es greifen die politischen Wirren zu tief in das Geschäfts- und Familienleben, um nicht eine möglichst baldige Lösung versehben zum gemeinsamen Wunsche zu machen.­­Selbst die ange­­borne Leichtfertigkeit des Wieners, die über manche Angst und Skrupel hinüber hilft, bleibt diesmal wirkungslos. Die Zahl der Fallimente wächst fast mit jedem Tage, namentlich hier und in Brünn. Die beiden legten hier vorgenommenen Fallimente mit 400,000 und 350,000 fl. Passiven haben mehrere ansehnliche Läufer erschüttert. Eine Firma verlor allein hieber bei 75,000 fl. Diese Geschäftspanique kommt zu arger Zeit, die bevorstehende Reipziger Dítermesse, Die Buchhändlerabrechnungen bewirfen großen Bedarf an fremden Megseln und Metallgeld, und üben einen weiteren Einfluß auf die Entwert­ung der Baluta. SIndeß eröffnen wir mit dem 1. April die italienische Opernstagione ; die Medort singt die Norma, Bellini von Pollione, und seine Loge, Fein Sperrfiß ist mehr zu haben. Ein Logenabonnement für 3 Monate kolter die Kleinigkeit von 1000 Gulden, das Abonnement ist längst geschlossen. Sie leben, es gibt auch unbefümmerte Seelen, trog Menzisoff und Woronzoff! Eine sehr interessante Borstelung steht für den Palmsonntag in Aussicht, wo zu Gunsten des Taubstummeninstitutes „ver Abban de l’Epee“ von Rogebue, mit Hrn. Anfhüs in ver Titelrolle und einem leibhaf­tigen Zaubstummen in der Rolle des Zöglings stattfinden sol. Der erste Ball, daß ein solcher Unglück­cher die Schaubühne betritt. “ Hermannstadt, 15. März. So angenehm die telegraphischen Kursberichte aus Wien für uns im Allgemeinen sind, und so wanfbar wir der hohen Negierung für viese Unterstügung der Handelsbewegung, lassen doch eben diese Kursnotizungen ein bedeutendes Desiderat des hiesigen Ma­ge unerfüllt, das wohl nur vor An­deutung durch die Presse bewarf, um gleichfalls befriedigt zu werden. Es ist nämlich auffallend, daß in diesen telegraphischen Berichten die Kurgnotizung auf Bufureft so selten anges­­ehen wird, während sie im Wiener Geschäftsbericht fast immer sich vorfindet. Gerade sie aber ist für Hermannsranz und noch mehr für Kronstanz am michtigsten, da wir in lebhaftem Geschäftsverkehr mit­­ Bufureft stehen. Vertrauliche, russisch-englische Korrespondenz. E. €. London, 21. März. Die „vertrauliche Korrespondenz“ ist von so unerschöpflichem Interesse und regt zu einer so enplosen Reihe von Ber­trachtungen, Seitenbliten und Ahnungen an, Daß die Preife — wenn auch sonst völlige Windstille in Europa herrschte — mit Stoff zu Leitartikeln auf ein halbes Jahr versorgt wäre. Der ganze Inhalt der voluminören „Blau­­bücher“ erscheint daneben als faver nichtpragender Gemeinplag, und der erste Eindruck, der sich vielen Lesern aufprängt, besteht wohl in der Erinne­­rung, wie man der populäre Argwohn, der von den Eingemweihten und Of­­fiziellen als leere Kannegießerei verhöhnt zu werden pflegte, hier Schmalz auf weiß bestätigt it. Schwer wird ei das englische Publikum, welches zyor ein Paar Monaten wo an die Existenz einer geheimen Korrespondenz um seinen Preis geglaubt hätte, nach vielen Enthüllungen des Betrachtes erwehren, daß am Ende die Weltgeschichte nicht ganz in den Blaubüchern steht, die man dem Parlamente zur schweren Berdauung vorwirft, und daß im Allgemeinen doch mehr hinter den Koulissen als auf der Bühne abge­­macht wird. In vieler Beziehung wird die Korrespondenz auch­ Dazu dienen, die legten Zweifel verstocter Optimisten an der Echtheit des bekannten „Portfolio“ nie­derzuschlagen. Die Veröffentlichung verdankt man gewiß seiner bloß vorübergehenden Mitstimmung des englischen Kabinets — eine Menge Rücksichten mußten wohl über Bord geworfen werden, ehe man zu dem Entfehlun kam, und insofern ist das Erscheinen der Affenstück an und für si ein Ereigniß, ein Zeichen, daß England mit dem Kaiser Nikolaus unheilbar gebrochen haben muß. Die „Times“ sagt: Die Veröffentlichung dieser Aftenstüce wird nicht ermangeln, auf die Beziehungen Englands und Rußlands zu den andern Staaten einen gewaltigen Einfluß zu üben. Obgleich diese Korrespondenz höchst vertraulicher Natur und in aller Wahrscheinlichkeit bestimmt war, bislang nach dem Dahingang aller darin handelnden Personen der Welt verborgen zu bleiben, dürfen wir doc mit stolger Genugthuung bemerken, das F ein Wort der britischen Regierung oder des britischen Gesandten darin vo k­ommt, welches England zu bepauiern oder zu Degapouiren Grund hätte. So oft England von den andern Mächten Europa’s sprach, führte er genau dieselbe Sprache hinter ihrem Namen wie ihnen in Gesicht , und in den geheimen Erklärungen der britischen Agenten kann seine fremde Macht das Geringste entdecken, was den Grundlagen widerspräche, melde wir stets öf­­fentlich ausgesprochen haben. Auf das Anerbieten eines territorialen Zuge­­ständnisses ließ sich England seinen Augenblick ein, und obgleich willig gez nug, fs zur Aufrechthaltung des­­ Bestehenden im Orient mit Rußland zu vereinigen, lehnte es unbedingt die Betheiligung an dem Zerstörungswert ab, welches Rußland im Schilde führte. Der Umstand, daß es überhaupt vertrauliche Mittheilungen mit dem Kaiser von Rußland pflog, vermochte es darum nicht, von dem freundlichen Einvernehmen, mit andern Mächten oder von der treuen Achtung der europäischen Interessen im Allgemeinen nur ein haarbreit abzu­weichen.... Damit kontrastirt die „Times" das Bez­nehmen Rußlands... Im­ ganzen Verlauf dieser Unterredungen spricht der Kaiser Nikolaus von Stankreich als einer Macht, die zu gewinnen er kaum der Mühe werth hält, und es ist offenbar, daß die Ausschließung des französischen Einflusses vom Orient einen Haupttheil seines Planes bildete. England hat ein Recht, das Benehmen seiner Minister gegen Defterreich mit dem Rußlands zu vergleichen, welches sich als Defterreich­ nächster Affikrter gebertet. England sah augenblicklich ein, daß Defterreichs Inter­wessen in jedem Falle berücksichtigt werden müssen; und obgleich unsere Beziehungen zu dieser Macht damals nicht­ weniger als Fordial waren, fiel uny body seinen Augenblik ein, gegen Desterreich oder ohne Wissen Desterreichs zu handeln. Auf welcher Seite finden wir dann ein ehrliches Festhalten an den großen Prinzipien der Geieglichkeit und Ordnung ? Wir fünnen die Antwort getroff der Öffentlichen Meinung aller zivilisirten Nationen überlassen. Die vertrauliche Korrespondenz begweift, daßs der Kai­ser von Rußland einen Plan entworfen hatte, dur wen er die ZTürfei zu unterjochen oder zu „beihügen," Swanfreih Hohn und Trog zu bieten, und Preußen zu einer Null zu renziren hoffte, vorausgefegt, daß er die still­­schweigende oder ansprüchliche Zustimmung Englands erlangte. Wir haben jet triftige Beweise, daß er den Streit mit England gern vermieden hätte, es war daher nicht unvernünftig anzunehmen, daß eine milde Opposition von unserer Seite ihn zum Aufgeben seiner verhängnisvollen Pläne be­­wegen könnte. Da er hier einen Korb besam, wandte er sich, wie wir Grund zu glauben haben, mit seinen Eröffnungen an Frankreichs und erhielt einen ähnlichen Korb. Gegenfalls wird die Welt aus dieser Korrespondenz sehen, daß England seine S­chulvigkeit gethan hat. — Er versteht sich, daß „Chronicle" in ähnlichem Sinne spricht; aber selbst die unabhängigen "Daily News" freuen sich über den klar gelieferten Beweis, daß England gegen die uners­tüpdlichen Bem­ühungen und Lodungen des Ezaren fest geblieben ist. Wir lassen nun hier aus der „vertraulichen Korrespondenz‘‘ die ersten Briefe, 1— VII, folgen : I. Sir ©. 9. Seymour an Lord Sohn Ru­ffell, (Geheim und ver­­traulich. — Hingegangen am 23. Jänner.) St. Petersburg, 11. Jänner 1853. Mylord ! Am Abende des 9. d. M. hatte ich die Ehre, den Kaiser im P­alaste der Großfürstin Helene zu sehen, welche, wie es schien,, die Güte gehabt hatte, die Erlaubniß zu erbitten, Lady Seymour und mich zugleich mit der kaiserlichen Familie einladen zu dürfen. Der Kaiser kam in der gnädigsten Weise auf mich zu, um mir zu sagen, er habe mit großem Vergnügen ger­hört, daß das britische Kabinet definitiv konstituirt sei, und fügte hinzu, daß er vertraue, das Ministerium werde von langer Dauer sein. Se. Kaiserliche Majestät ersuchte mich insbe­­sondere , diese Versicherung dem Grafen Aberdeen zugehen zu lassen , mit dem, wie er sagte, ex seit fast 40 Jahren bekannt sei, und für den er gleich große Nachsicht, wie Achtung hege. Se. Majestät bat, der freundlichen Erinnerung Sr. Lordschaft empfohlen zu werden. „Sie­­ fennen," sagte der Kaiser, , meine Gesinnungen in Bezug auf England. Ich wiederhole, was ich Ihnen früher schon gesagt habe : es war die Abit , daß die beiden Länder durch eine enge Freundschaft verbunden seien; und ich bin überzeugt, daß dies auch ferner der all sein wird. Sie find jet [chon eine gewisse Zeit hier, und es hat, wie Sie gesehen hat­­ben, nur wenige Punkte gegeben , in denen wir nicht übereinstimmten : in der That, unseer Sutereffen sind fast in allen Fragen vieselben.‘‘ Ich bewterfte, es sei mir allerdings nicht bes­pannt, daß seit meiner Anwesenheit in St. Petersburg irgend wirkliche Meinungsverichei­denheiten zwischen une bestanden hätten, ausgenommen ber III Louis Napoleons, — ein Britt , bezüglich dessen jede Regierung ihre eigene Anschauungsweise habe, der aber nach Allem sehr un­wesentlich sei. „Die Zahl III," erswieverte der Kaiser, , würde eine lange Auseinanderlegung erfor­­dern ; ich will daher den Gegenstand nicht berühren ; es würde mirh aber freuen, wenn Sie hören, was ich über die Frage zu sagen habe, und ich w­erde Sie bitten, eines Morgens bei mir vorzusprechen, wenn ich ein wenig Zeit habe." Ich hat , Wie sich versteht, daß Se. Majestät die Gnade haben möge, über mich zu verfügen. Inzwischen fuhr der Kaiser fort : „Ich wiederhole, daß es sehr wesentlich ist, bag die beiden Ne­gierungen— das heißt, daß die englische Regierung und ich, und ich und die englische Negierung — auf dem besten önte stehen; die Nothwendigkeit deffen ifi nie größer gewesen als seht. Ich bitte Sie, d­iese Worte Lord John Ruffell mitzu theilen Wenn wir einig sind, so bin ich ganz außer Sorge wegen des Westens von Europa; es ist unwesentlich, was die Andern denten oder thun mögen Was die Türkei betrifft, so it bad eine andere Frage, dieses Land is in einem Fritischen Zustande und fan uns Allen wo viele Unannehmlichk­eiten bereiten. Und jest werde ich Abschied von Ihnen nehmen“ — was denn Se. Maj. unter gnáz bigem Händebruche that. Es kam mir augenblicklich in den Sinn, daß die Unterredung noch unvollständig sei und vielleicht niemals werde wieder aufgenommen werden , und da der Kaiser noch meine Hand hielt, so sagte ich : „Sire, mit Ihrer gnädigen Erlaubniß möchte ich Bitten, mir eine große Freiheit nehmen zu dürfen.‘ — „Geswiß,‘ entgegnete Ce. Viajettät, „was ist es, lassen Sie mich hören.” — , Sire," bemerkte ich, , Ew. Majestät ist gütig genug gewesen, mich mit allgemeinen Versicherungen bezüglich der Gleichheit der Ansichten zwischen den beiden Kabineten zu beauftragen , mit Versicherungen , die mir gewiß das größte Vergnügen bes­teitet haben und die mit gleicher Befriedigung in England werden aufgenommen werden ; € 6 würde mich aber ganz besonders erfreuen, wenn Gw. Majestät einige Worte hinzufüg­­ten , die geeignet wären , die Unruhe bezüglich der türk­ischen Angelegenheiten zu beschwichti­­gen, welche der Verlauf der Greianisie vermöge ihrer Beschaffenheit bei der Negierung Ihrer Majestät hervorgerufen hat ; vielleicht werden Sie geruhen,, mich mit noch weiteren derar­­tigen­­ Versicherungen zu beauftragen.‘ — Des Kaisers Worte und Wesen, obgleich noch immer sehr gnädig, zeigten mir, daß Se. Majestät seine Absicht hatte, mit mir von der Des­monstration zu sprechen , welche er im Begriffe steht, im Süden zu machen. Jedoch sagte er, zuerst mit einigem Zögern, dann im Verlauf der Rede, in einer offenen Weise und ohne Bursdhaltung : „Die Angelegenheiten der Türkei sind in einem sehr pBesorganisirten Zustande; das Land selbst scheint dem Verfalle entgegen­zugehen. Der Zusammensturz wird ein großes Unglück sein, und es ist von großer Wichtigkeit, daß England und Ruß­­land zwei neunvollkommenen Ginverständnisse über diese Anz 3 a gelangen und daß Leines vom beiden ohnedeg­ndern Kenntnis einen wichtigen Schritt thue" I" bemerkte in wenig Worten, daß ich mich freute, zu hören, daß Se. Majestät eine solche Sprache führe ; daß dies allerdings die Anschauung wäre, welche ich von der Art hätte, in der Fragen über die Türkei behandelt werden müssen. „Sehen Sie, sprach der Kaiser, als ob er in seiner Bemerkung fortführe, —sehen Sie, wir haben da einen kranken auf dem Halse, einen schweren Kranken;es wird,ich sage es ihnen offen, ein großes Unglück sein, wenn er uns eines Tages unter den Händen entfirmwände, besonders noc­­he alle nöthigen Bestimmungen getroffen sind. Dies ist jedoch nicht der Zeitpunkt, um mit Ihnen davon zu sprechen." Es war Mar, daß der Kaiser nicht beabsichtigte, die Unterhaltung zu verlän­­gern ;.ich sagte daher : . Gw. Majestät ist so gnädig, daß Sie mir erlauben wird, Ihr noch eine Bemerkung zu machen. Gw. Majestät sagt, daß der Mann franz ist ; das ist wohl wahr, aber Em. Majestät wird geruhen, mir die Bemerkung zu entschuldigen, dag es dem Hochherzigen und Starten zusommt, den Kranken und Schwa­­­Hen zu schonen.‘ Der Kaiser nahm dann Abschied von mir in einer­­ Weise, die mir den Eindruft machte, daß ich ihm wenigstens nicht verlegt habe, und drückte wiederholt seine Absicht aus, eines Tages nach mir zut schicken. Ob dieser Absicht Folge gegeben wird, scheint mir nicht so gewiß. Vielleicht thue ich gut, Gw. Lordschaft mitzutheilen , daß ich die­s habe, dem Grafen Nesfelrode über meine Unterhaltung mit seinem kaiserlichen Herrn zu berichten. 3 bin überzeugt, daß der Kanzler Mairegeln der Mäßigung und, so weit es in seiner Macht Liegt , englischen Ansichten unwandelbar günstig is. Sein Mun­c), im Ein- Hang mit 3. Maj. Regierung zu handeln, kann also nur gestärft werden , wenn er Kennt­­niß erhält von dem herzlichen Erklärungen, die mir der Kaiser über den Gegenstand gemacht hat. Nachdem ich meine Depefche überlefen,, habe ich die Überzeugung gewonnen , daß die Unterhaltung, obwohl abgekürzt, dennoch getreulich berichtet ist : der einzige Punkt von einigem Interesse , den ich meines Wissens nicht berührt habe , ist , daß der Kaiser bemerkte, die legten Berichte von Konstantinopel wären befriedigender, indem die Türfen verständiger geworden zu sein schienen , obgleich nicht bekannt ge­worden wäre, wie sie es geworden. Ich will nur bemernen, daß wir alles I­nteresse an dem Einver­­ständnisse haben, daß in den türkischen Angelegenheiten ohne Abkommen mit I. Maj. Negierung von einem Sängerán, der über mehrere h­underttausend Bajonnete verfügen kann, seine Entscheidung getroffen werden soll. Wird man dem Ueberein­­kommen gemäß handeln? Das kann allerdings wohl bezweifelt werden, und zur war umso mehr, als bes Raisers Bereicherungen ein wenig im Widerspruch stehen mit den Maßregeln, auf die es meine Pflicht gemeier is, &.w. Lordshaft Nufmerfsamkeit zu ziehen. Dessen ungeachtet scheinen mir die Worte Sr. Majestät einen beträchtlichen Werth zu haben, und wenigstens verschaffen sie mir in diesem Augenblick einen Vortheil, deffen mich zu bedienen ich nicht an mir halten werde. Ein Lordschaft wird mir die Bemerkung verzeihen , daß es mir nach aufmerksamen Nachdenken über meine Unterredung mit dem Kaiser scheint, daß diese und jede et­wa noch zu machende derartige Eröffnung die Absicht habe, ein Dilemma hervorzurufen, von dem 08 sehr zu wünschen steht , daß 3. Maj. Regierung sie durch dasselbe nicht binden lasse. Das Dilemma scheint dieses zu sein: — wenn 3. Maj. Regierung nicht zu einem Einverständnisse mit Rußland über das kommt, was in dem Balle des plößlichen Zusammensturzes der Türkei zu geschehen habe, so wird sie um so weniger Grund haben sich zu befragen, wenn für England unangenehme Ergebnisse vor­­bereitet werden sollten. Wenn im Gegentheil ihrer Maj. Ne­gierung in die Erwägung solcher Wed­elfälle eintreten sollte, so erklärt sie damit gewissermaßen ihre Beistimmung zu einer Katastrophe, die sie doch so viel Interesse hat, so lange als möglich abzuwehren Die Summe ist wahrscheinlich diese, daß England in der Absicht, den Fall der Türkei zu verhüten, ein inniges Einverständniß mit Rußland zu wünschen hat — während es Rußland wohlgefallen würde, daß dieses Hinverständniß Anwendung fände auf Ereignisse, die dem Falle der Türkei nachfolgen. 34 habe sc. (983.) ©. 9. Seymour. Nachschrift. Nachdem die vorstehende Depesche geschrieben war, habe ich von dem österreichischen Gesandten in Erfahrung gebracht, daß der Kaiser mit ihm von der mit mir gehabten Unterredung gesprochen hat. Ich Habe Sir Hamilton Seymour gesagt, sprach Se. Wajertät, daß mir das neue Ministerium stark zu sein fehlene, und daß ich des­­sen Dauer sehnlich wünsche — obgleich ich , um die Wahrheit zu sagen , was England be­­trifft, gelernt Habe, daß es das Land ist, mit dem wir verbündet sein müssen. Wir dürfen uns nicht auf diese oder jene Partei flagen. 9. 9. Seymour. II. Sir 6.5. Seymour an Lord John Ruffell (empfangen am 6. Fem­ber). (Geheim und vertraulich.) Petersburg, 22. Jänner 1853. Mylord. — Am 14. die­­ses machte ich dem Kaiser in Folge einer vom Kanzler erhaltenen Aufforderung meine Auf­­wartung, und hatte die Ehre, mit Dr. kaiserlichen Majestät eine sehrinteressante Un­terredung zu haben, über welche ich Ihrer Kordschaft einen, wenn auch unvoll­­ständigen, da seinesfalls ungenauen Bericht abzustatten mich verpflichtet fühle. Ich fand Seine Majestät allein ; er empfing mich sehr­ freundlich mit der Bemerkung, es hätte ihm geschienen, als wünschte ich mit ihm über die orientalischen Angelegenheiten zu sprechen ; er seinerseits sei nicht ungeneigt es zu thun, doch müsse er von einer entfernteren Periode aus­­holen. — „Sie rennen,” sagte Se. Majestät: „Die Träume und Pläne, der wen die Kaiserin Katharina nahhzuhängen pflegte; sie sind bis auf unsere Zeit herab gekommen; aber wenn ich auch ungeheure Territorialbefißungen erbte, Habe ihphodh nit jene Risionen oder wenn Sie lieber wollen Intentionen mitgeerbt. Im Ge­­gentheil, mein Neih ist so ausgedehnt, in jeder Beziehung so glücklich gestellt, daß es von mir unvernünftig wäre mehr Jűn Dergebiet oder mehr Machtalsich schon besige zu wünschen; im Gegentheil, ich [age Ihnen selbst, dag unsere große, vielleicht unsere einzige Gefahr aus einer weiteren Ausdehnung dieses bereits zu großen Reiches entstehen könnte Hartan uns grenzt Die Säurtei, und in unserer gegenwärtigen Cage kann für unsere Interessen nichts erwünschter sein; die Seiten sind vorbei, wo wir vom fanatischen Geist oder der militärischen Unterneh­­mungsluft der Türken etwas zu fürchten hatten, und doch ist das Land fart genug oder war bis fest starr genug, um seine Unab­­hängigkeit zu behaupten und sich eine achtungsvolle Behand­­lung von Seiten anderer Stanaten zu sichern.“ „Su b diesem Neihe nun leben mehrere Millionen Christen, deren Interessen zu überwachen (surveiller) ich berufen bin, während das­ Recht dazu mir der Berträge gesichert is. Ic darf wohlsagen, dag ich von meinem Rechte mit V­äßigung und Schonung Gebrauch mache, und ich will offen gestehen, was­ es zuweilen mit sehr unangenehmen Verpflichtungen verbunden it, aber ich kann der Erfüllung einer rar ausgesprochenen Brlcht nicht aus dem Wege gehen. Unsere Religion, so wie sie in diesem Lande Herrscht, fam ung aus dem Morgenlande zu, und es gibt Gefühle sowohl wie V­erbindlichk­eiten, die man nie aus den Augen verlieren darf. .— „Nun ist die Türkei, in der Lage wie ich sie beschrieben Habe, allmälig in einen solchen Zu­­fand der Altersschwäce verfallen, daß, wie ich ihnen schon un­längst Abends sagte, sie uns pröglich unter den Händen sterben könnte, sofehrung auf Allen am längeren Leben dbiefes Frans­sen liegt (und das bitte ich Sie zu glauben, das ich ihm eben so wie Sie ein längeres Leben wünsche); aber was einmaltopf ist, können wir nicht in’s eben zurückrufen; fällt das tarkische Reich, dann fällt es um nie mehr zu erfiehen; und ich appellire daher an Sie,ob es nicht besser ist, auf einen solchen Fall im Bovans gerüstet zu sein, als sich der Gefahr eines Chaos, einer Verwirrung und der Gewißheit eines europäischen Krieges aus­­stiegen, sämmtlich Ereignisse, welche die Katastrophe begleit­ten müßten, wenn sie unerwartet hereinbräche, bevor noch ein System für die Ankunft entworfen ist? Das is ver Punkt, auf dem­­ Sie die Aufmerksamkeit Ihrer Regierungg zu lenfen bit­­te." — „Site," erwiederte ich: „Ihre Majestät ist so offen gegen mich, daß ich überzeugt bin, Sie werden die Güte haben mir zu gestatten, daß ich mit versehlten Offenheit spreche. Sich möchte somit bemerken, daß, so befragenswerth die Lage der Türkei au sein mag, sie doch ein Land ist, welches Tange in Schwierigkeiten geschwebt hat, die von Vielen für uns überwindlich gehalten wurden. Was allenfallfige Arrangements betrifft, so ist die brie­fiige NRNegierung, wie Ihre Majestät wohl wissen, einem allges­meinen Grundfaß gemäß dagegen, sich in Bezug auf sünftige Möglichkeiten zu binden, und wäre vielleicht besonders abges­teigt, es in­ diesem Salle zu thun Man dürfte in England auf große Abneigung (Gepugnance) stoßen, wenn ich so sagen darf, über die Erbschaft eines alten Freundes und Alliirten im Bors auszu verfügen. „Der Grundfas ist gut“, erwiederte der Kaiser, „gut zu allen Zeiten, besonders in Seiten der Ungewißheit und des Wechsels wie die gegenwärtigen ; dennoch si­eg von größs­ter Wichtigkeit, daß wir einander verstehen, und ung von den Ereignissen nicht überrumpeln lassen. Maintenant je desir, vous parler en ami et en gentleman, si nous arrivons a nous entendre sur cette affaire, V Angleterre et moi, pour le reste peu m’importe ; il m’est indifférent­,ce que font ou pensent les autres. Usant donc de franchise, je vous dis nettement, que si l’Angleterre songe d s’établir un de ces jours a Constantinople, je ne le permeterai Pas; je ne vous prête point cesi­ tentions, mais il vaut mieux dans ces occasions parler clairement; de mon cot6 je suis également disposé de prendre Vengagement de ne pas m’y établir, en proprietaire il s’entend, car en dépositaire je ne dis pas ; il pourrait se faire que les eir constances me misent dans le cas d’occuper Con­­stantinople, si rien ne se trouve prövu, si Von doit tout laisser au­­r au hazard.“* — 34 dankte Sr. Majestät für die Offenheit dieser Erklärungen und für den Wunsch, den er ausgesprochen hatte, offen und herzlich mit der britischen Regierung zu gehen, und bemerkte gleichzeitig, daß­ ein solches Einvernehmen die beste Bürgschaft gegen jene plögliche Gefahr sei, auf melche Se, Majestät angespielt habe. Ich fügte hinzu, daß obwohl unvorbereitet eine entschiedene Meinung über solche inhaltsschwere und eigliche Fragen abzugeben, ich es doch für möglich) hielte, daß irgend ein solches Arrangement zwischen der britischen Regie­­rung und Dr. Majestät getroffen werden könnte, welches, wenn nicht für gewisse Fälle Borz folge treffen, wenigstens getwissen Möglichkeiten vorbeugen könnte, — Um mich­ verz

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