Pester Lloyd - reggeli kiadás, 1929. június (76. évfolyam, 121-145. szám)

1929-06-01 / 121. szám

PESTER LLOYD • 2 • Besitze sie auf einer genügend festen parlamentari­schen Grundlage eine starke und dauerhafte Regie­rung zu bilden vermöchte. Der Premierminister Baldwin und sein politischer Generalstab haben immer schon das bange Vorgefühl gehabt, sich auf die Volksgunst nicht mehr im früheren Maße ver­lassen zu dürfen. Darum glaubten sie, im sogenann­ten Backfisch-Wahlrecht, das die Zahl der weib­lichen Wähler von 8 auf 15 Millionen mit einem Schlag erhöhte, den Rettungsanker erklügelt und ge­schaffen zu haben. DieSe Erwartung nun hat sich in keiner Weise erfüllt. Die sieben Millionen neuen Wählerinnen haben das Schicksal des Kabinetts Baldwin nicht aufzuhalten vermocht. Die Jugend ist gärender Wein, der sich unruhig in seinen Schläuchen wälzt, die Backfische haben sich eher zur radikalen Demokratie Macdonalds hingezogen (gefühlt, und zu dem Wahlsieg der Arbeiterpartei dürften ihre Stimmen in ganz hervorragendem Maße mit beigetragen haben. Wie dem auch sei, so natür­lich auch der Gedanke erscheint, die komplizierte Lage in England durch Wiedereinsetzung einer jArbeiterregierung zu entwirren, eine wirkliche Lösung, eine, die dem Lande die so wichtige Regie­rungsstabilität verheißt, wird dieses Auskunfts­mittel wohl nicht bringen. Wie die Dinge jetzt lie­gen, angesichts der merkwürdigen Kräfteverteilung der Parteien im neuen Parlament, werden bloß Ver­legenheitslösungen von voraussichtlich kurzer Lebensdauer möglich sein. Wie der Ausgang der Neuwahlen auf die politi­schen und wirtschaftlichen Verhältnisse des europäi­schen Kontinents und auf die Ausgestaltung der weltpolitischen Lage auswirken wird, läßt sich zur Stunde nicht einmal annähernd beurteilen. Das (wird erst möglich sein, wenn man sehen wird, wer die Persönlichkeit ist, die die Kabinettsbildung über­nimmt, und auf welche parlamentarische Faktoren sich das neue Kabinett zu stützen vermag. Man weiß, was Macdonald in der internationalen Politik vorhat, denn im Laufe der Wahlbewegung hat er sich über die wichtigsten Probleme der europäischen Politik mit sattsamer Klarheit und großer Aufrichtigkeit ausgesprochen. Er hat von der britischen Politik mehr Selbständigkeit und größere Unabhängigkeit von Frankreich verlangt; er hat auch in der Ab­rüstungsfrage und in der Frage der nationalen Min­derheiten Ansichten geäußert, aus denen man sich ein ziemlich .zuverläßliches Bild von der Außenpolir tik konstruieren kann, die er machen würde, wenn er an die Spitze der Regierung gelangt. Ebenso weiß die Welt auch ziemlich Bescheid über die Absichten und Ansichten der führenden Persönlichkeiten des konservativen Lagers in bezug auf das Verhältnis mit Frankreich, sowie auf das Abrüstungsproblem und auf die Frage der nationalen Minderheiten. Man weiß, daß Baldwin in diesen Dingen genau so denkt, wie Sir Austen Chamberlain, und im Verlaufe der Wahlbewegung hat der Premierminister mit keinem Worte angedeutet, daß er, falls seine Partei als Mehr-Sie hatte ihre große Szene zu Ende gespielt. Es gab Applaus; ja, aber einen, den man Höflich - keiisapplaus nennt. Jetzt erkannte sie ihn Und fühlte den Unterschied. Der gilt in der Tat der Vergangen­heit, ihrer Vergangenheit, und der der anderen, es war der Applaus der Familienväter, deren Traum sie gewesen und heute ein Erinnern der eigenen Jugend ist, der Applaus der Familienmütter, die sie einst beneidet, nachgeahmt haben, und heute, heute glücklich sind, daß heute sie die Künstlerin be­mitleiden können. Ja, nicht einmal diesen Applaus, diesen abgemessenen, zählbaren, mit kalten Händen gespendeten Applaus kann sie sich, sondern nur der Schadenfreude verdanken. In der Ankleideloge erwartete sie ihr lang­jähriger Freund, der alte Kritiker. „Ich freue mich, daß Sie mich heute besucht haben,“ — sprach sie, und während sie sich vor ihn hinstellte und mit der Hand streichelnd über sein Gesicht fuhr, zählte auch sie die Falten auf dem anderen Gesicht. Auch er, wie ist auch er alt geworden, allmächtiger Gott! Ja, die Zeit, mur­melte sie auch dann noch, als sie zum Hintertürchen des Theaters hinaustraten. „Nehmen wir ein Auto?“ fragte der Kritiker. „Nein, mein Lieber, wir gehen zu Fuß, ich denke nämlich über etwas nach und möchte dar­über mit Ihnen plaudern.“ Stillschweigend trafen sie vor dem Hause ein, in dem sie wohnte. „Kommen Sie auf eine Tasse Tee zu mir hin­auf, wir sind ein bißchen durchfroren, es ist kalt, aber ich bedurfte jetzt der Luft, der frischen, reinen uft.“ '' Oben hatte sie den Samowar zurecht gemacht und angezündet, dann sprach sie; „Sehen Sie, lieber Freund, uns tut nur mehr der gute, heiße Tee wohl. Nicht der feingekühlte Champagner, kein Likör, nur der Tee. Der unseren auskühlenden Leib erwärmt.“ Und als der Journa­heit ins Parlament zurückkehrt, die Leitung der aus­wärtigen Angelegenheiten nicht auch weiterhin in Chamberlains Händen zu belassen gedächte. Für ein Rätselraten über die künftige Außenpolitik des Bri­tenreiches ist also überhaupt kein Spielraum da. Bekannt sind die politischen Richtlinien, die für Eng­land maßgebend wären, wenn, sei es Baldwin weiter im Amte bleibt, sei es Macdonald an der Spitze einer Arbeiterregierung ans Ruder kommt. Die Frage ist eben bloß die, wer der kommende Mann ist und welche Parteien oder Parteikombinationen hinter diesem Manne stehen werden. Erst wenn diese, aller­dings wichtigste Vorfrage entschieden ist, wird die Zeit gekommen sein, um den Folgewirkungen des Wahlergebnisses auf die Zukunftspolitik des Briten­reiches nachzusinnen. Höchstens wäre heute nur noch das eine festzustellen, daß jede Regierung, die jetzt kommen mag, nur kurzlebig sein kann und spätestens binnen Jahr und Tag ein neuer Ruf an die Wählerschaft wird ergehen müssen. * (Telegramm des Pester Lloyd.) London, 31. Mai. Aus den bis 7 Uhr abends vorliegenden Wahl­ergebnissen kann der Schluß gezogen werden, daß weder die Konservativen, noch die Arbeiterpartei eine absolute Stimmenmehrheit haben werden, so daß die Haltung von Lloyd George als Führer der Liberalen Partei auschlaggebend sein wird. So viel steht jetzt fest, daß er zusammen mit der Arbeiter­partei über die Mehrheit der Stimmen im Parlament verfügt, es ist jedoch noch nicht ganz sicher, ob das bei einem Zusammengehen mit den Konservativen der Fall sein wird. Die Wahlergebnisse der Londoner Stadtteile liegen vollständig vor. Danach haben von den 62 Sitzen die Arbeiterpartei 35, die Konservativen 25, die Liberalen 2 erhalten. Die Arbeiterparteiler ge­wannen von den Konservativen 14, von den Libera­len 3 und von den Kommunisten einen Sitz und ver­loren einen Sitz an die Liberalen. (Telegramm des Pester Lloyd.) London, 31. Mai. Der Stand der Ergebnisse war um 21 Uhr fol­gender: 289 Arbeiterpartei, 250 Konservativen, 52 Liberalen, 5 Sonstige. Die Arbeiterpartei geht aus den Wahlen als die stärkste Partei hervor, ohne jedoch die absolute Mehrheit von 308 Stimmen erhalten zu haben. Da­mit ist die Lage geschaffen worden, die Lloyd George und seine Politik in den Vordergrund des Interesses schickt, da von seiner Entscheidung die Beschlüsse des Parlaments in positivem oder nega­tivem Sinne beeinflußt werden können. Unwesent­liche Änderungen der gegebenen Zahlen können noch eintreten, was jedoch auf das Gesamtergebnis kei­nen Einfluß mehr haben wird. Es fehlen nur noch die Ergebnisse von 5 schottischen, 2 nordirischen und dem Wahlkreise Rugby, sowie von 11 Universi­tätssitzen. London, 31. Mai. (Wolff.) Nach Bekanntgabe der Wahl hielt Ramsay Macdonald eine Ansprache, in der er sagte: Noch niemals hat die Arbeiterpartei einen so er­hebenden Augenblick erlebt. Ich muß sagen, daß ich nicht erwartet habe, daß mir dies während meines Lebens vergönnt sein würde. Der Arbeiter­führer dankte seinen Wahlagenten und den anderen Anwesenden und huldigte besonders r dem jungen und alten Frauen wegen ihres Anteils an seinem Erfolge. London, 31. Mai. (Reuter.) Macdonald wurde von vier Kandidaten mit einer Mehrheit von 28.794 Stimmen wieder­­gewählt. London, 31. Mai. (Reuter.) Baldwin wurde mit einer Mehrheit von 14.018 Stimmen wiedergewählt. London, 31. Mai. (Wolff.) Von bekannten politischen Persönlichkeiten, die wiedergewählt wurden, werden genannt: von der Arbeiterpartei Snowden, Schatzkanzler im Kabinett Mac­donald; der bekannte Parlamentarier Jack Jones und Kenworthy; von den Liberalen Walter Runciman und Sir John Simons; von den Konservativen die Herzogin von Atholt, die unter der Regierung Baldwin als parla­mentarischer Unterstaatssekretär im Erziehungsamt tätig war. Die Namen bekannter Arbeiterführer werden im. neuen Haus auch durch ihre Söhne vertreten sein, da der Sohn Macdonalds in Bassetlaw (Nottingham) und der Sohn Hendersons im Wahlkreis Cardiff-Süd gewählt wurden. London, 31. Mai. (Havas.) Ministerpräsident Baldwin, Ackerbaumiflrister Guincfi und Lloyd George wurden wiedergewählt. Auch die Tochter Lloyd Georges, Miß Megan Lloyd George, die mit liberalem Programm auftrat, wurde gewählt. Der Chef der Finanzsektion des Kriegsministeriums Duff- Cooper erlitt eine Niederlage. London, 31. Mai. (Havas.) Der Eisenbahnerführer Thomas, der Abge­ordnete der Arbeiterpartei Kennworthy, sowie der liberales Führer Walter Runciman wurden wiedergewählt. London, 31. Mai. (Wolff.) Der Unterstaatssekretär für die Kolonien Ornsby-Gore wurde wiedergewählt, doch fiel seine Mehr­heit von 4033 auf 2313 Stimmen. Sir Henry Slesser (Ar­beiterpartei), der im Kabinett Macdonald Generalanwalt war, und der Arbeitervertreter Thurtle wurden wieder­gewählt, ebenso die bisherige Arbeitervertreterin Susanne Lawrence, eine Sachverständige für Steuerfragen. Der konservative Brigadegeneral Spearc und Mitchell Banks sind unterlegen. London, 31, Mai. (Reuter.) Bei den gestrigen Wahlen wurden wieder^ gewählt Postminister Mitchell-Tliomson, der Vizeminister im Postministerium Lord Woolmer, der Finanzsekretär des Schatzamtes Samuel, Transportminister Ashley und der Staatssekretär für Schottland Gilmore. Gewählt wurde ferner Lady Cynthia Mosley (Arbeiterpartei), die Tochter des verstorbenen Lord Curzon. London, 31. Mai. (Wolff.) In Coventry, wo die Konservativen seinerzeit eine Mehrheit von 4824 Stimmen besaßen, hatte die Ar­beiterpartei jetzt eine Mehrheit von 11.719 errungen, der frühere Minister Boyd Carpenter, der konservative Kan­didat für den Wahlkreis, hat seinen Sitz verloren. Der frühere Minister im Arbeiterkabinett Hartshorn konnte in list sie fragend ansah, fuhr sie fort. „Wir sind alt geworden. Ich bin daraufgekommen, daß ich für alle Zeit, unwiderruflich alt geworden bin.“ „Das dürfen Sie nicht sagen, Kamilla,“ entgeg­­nete der Kritiker. „Sie sind die Kunst und die Kunst kann nie altem.“ „Mein Lieber, das haben Sie schön gesagt, aber es stimmt nicht. Ich bin nicht mehr die Kunst. Heute erfuhr ich, was Ihnen gewiß schon vor langer Zeit klar geworden, ist. Meine Stimme ist müde, umflort, sie ist nicht mehr das Instrument mit hundert Saiten, das sie vielleicht gewesen ist, und mein Gesicht, nun ja, mein Gesicht, vermag nicht mehr alles auszudrücken, denn den aus­drucksvollsten Zug zerstören mir die... Fal­ten. Und das, was es jetzt ausdrückt, ist nur mehr die Tatsache, daß ich alt, unwiderruflich alt gewor­den bin.“ „Aber, Kamilla“__ „Nicht doch,“ — fiel ihm die Frau ins Wort — „heute wollen wir aufrichtig sein. Alles kann ge­mimt werden, nur nicht die Jugend.“ Und sie er­zählte ihm mit etwas Bitterkeit, jedoch mit viel Resignation, ihr Schamgefühl niederkämpfend, alles, was sie im Theater gehört, und was auch sie selbst erfahren hat. Der Kritiker hörte sie mit Ruhe an. Anfangs dachte er darüber nach, womit er sie trösten, wie er die Wahrheit weglügen, verschminken solle,- dann aber dachte er an sein eigenes traurig-bitteres Schicksal und ergab sich der Wahrheit. Das ist eine kluge Frau, sie sieht die Dinge mit klaren Augen und dann, welchen Zweck hätte alles? Früher oder später müsse man abrechnen,'—, denn das/ fordert die Wahrheit. Sie sind beide alt geworden und stehen den Aufstrebenden, den Jungen im Wege. Wie auch zu ihrer Zeit andere voi* ihnen gestanden waren, nach deren Plätzen sie sich sehnten, an die sie auch getreten sind. Als die Frau geschlossen. hatte, küßte er ihr die langen, weich ge wordenen Finger und sagte: „Jawohl, Kamilla, wenn auch . nicht so streng genommen, verhält sich die Sache dennoch so, Sehen Sie, auch mich, mich schmerzt es schon lange. Denn auch ich,.auch ich stehe im Wege, Drin, bei der Zeitung, ich fühle und weiß es, daß ein anderer sich an meinen Schreibtisch setzen will und ich, nun ich möchte noch arbeiten, aber lange ist das nicht mehr möglich, Kamilla, ich weiß, lange dauert es nicht mehr. Ich entsinne mich, vor einem Jahr waren Sie es selbst, die mich bat, ich möge eines der Mädchen beobachten, dié heute im Theater über Sie so böse gesprochen haben, ich solle ip der Zeitung die Aufmerksamkeit auf sie lenken, sie ver­diene es, denn sie sei talentiert. Sie sind ein guter Mensch, Kamilla, und das Schicksal ist bösartig oder vielleicht auch nicht. Wir hatten Erfolg, als unsere Zeit da war. Nun ist sie nicht mehr da. Das ist alles. Die anderen sind jung, sie haben Zukunft. Und wir?“ „Wir haben nichts mehr. Wir Selbst gehören nicht uns. Wir gehören der Vergangenheit.“ „Jawohl, Kamilla. Wir gehören der Vergan­genheit.“ Im Zimmer ward es still und kühl. Der Kritiker erhob sich langsam und verabschiedete sich mit einem Kuß auf die Hand der Frau. Sie geleitete ihn hinaus und hörte eine Minute lang zu, wie er mit langsamen, müden Schritten die Treppe niederstieg und während sie die Türe schloß, murmelte sie un­bewußt: „Wie alt schon sein Gang ist.“ Und der Kritiker dachte an die Hand der Frau, an ihre kalte Hand, und bei jedem Schritt sprach er für sich: „Die runzlige Hand, die runzlige Hand.“ Dann kam ihm die stattliche, junge Schauspielerin in den Sinn, die nur Nebenrollen bekam, die so frisch ist, so lebensvoll, heiter, schön und stark. Die noch jung ist.., Samstag, Í. Juni 1929

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