Pester Lloyd - esti kiadás, 1931. január (78. évfolyam, 1-25. szám)

1931-01-02 / 1. szám

PESTER LLOYD ö 3 • In der Christlichsozialen Wirtschaflspartei. Die Mitglieder der Christlichsozialen Wirtschafts- Partei haben am Neujahrstage eine gutbesuchte Landes­konferenz abgehalten, an der auch der rekonvaleszente Volkswohlfahrtminister Dr. Alexander Ernszt teilnahm. Im Namen der Partei wurde Parteipräsident Graf Johann Zichy von Dr. Eugen Czettler. dem Vizepräsiden­ten des Abgeordnetenhauses, begrüßt, der in einer länge­ren Rede unter anderem ausführte, daß die Christlich­­soziale Wirtschaftspartei schon vor Jahren die Gefahren erkannt habe, von denen das Wirtschaftsleben Ungarns jetzt heimgesucht wurde und daß die Regierung angesichts der gegebenen Lage gezwungen war, behufs Aufrecht­erhaltung des Gleichgewichtes im Staatshaushalt Spar­maßnahmen in Leben zu. rufen, die die intellektuellen Klassen schwer treffen. Unserer Partei, fuhr Dr. Czettler fort, ist es gelungen, in den Ausschüssen bei einer ganzen Reihe von Gesetzentwürfen Modifikationen durchzusetzen und so manches zu mildern. Schwierige Probleme haben uns, die wir in der Vergangenheit passiv waren, dazu veranlaßt, daß im Ministerrat nicht ein Mitglied der Par­tei, sondern ein Vertreter der Partei Platz nehme, und zwar in der Person Dr. Alexander Ernszts. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen handelt es sich nicht darum, wer die Regierungsgewalt ausübt, sondern darum, ob es gelingL die wirtschaftlichen Interessen Ungarns den» Auslande gegenüber zu verteidigen. Es ist unser eminen­tes Interesse, daß Dr. Alexander Ernszt in der Regierung unsere Auffassung zur Geltung bringe. Unsere Konzeption richtet sich dahin, daß in allen wirtschaftlichen Fragen der christliche Gedanke zur Geltung gelange, und wir alle müssen' dahin streben, daß angesichts der gegenwärtigen Anhäufung von Vermögen die Prinzipien des ehrlichen Erwerbes verkündet werden. Wir befinden uns gegenwär­tig in einer belagerten Festung, und jedem Ungarn, der arbeiten will, muß Arbeitsgelegenheit gegeben werden. Die Christlichsoziale Wirtschaftspartei steht über den Klasseninteressen, sie will das Wirtschaftsleben auf dem christlichen Gedanken aufbauen und reformieren, denn es ist nicht wichtig, daß es in einem Lande viele reiche Leute gebe, wichtig ist vielmehr, daß es wenig arme Leute geben solL Die ungarische Nation muß einig sein, wenn es sich darum handelt, dem Auslande gegenüber die Ent­scheidung in wichtigen Wirtschaftsfragen zu fällen. Am Schlüsse seiner Ausführungen wies Dr. Czettler noch auf die Notwendigkeit einer Umgruppierung der Produktion hin, indem er gleichzeitig die Regelung des Kreditproblems forderte. Dann sprach Graf Johann Zichy. Er knüpfte an die Worte Dr. Czettlers an und sagte u. a., daß er jene Wege gewiesen habe, die wir einschlagen müssen, um dieses Land wieder aufzurichten. Wir müssen, sagte Graf Zichy weiter, alle unsere Entschließungen genau erwägen. Als sich unsere Partei vor einigen Jahren an die Seite der Regierung stellte, in der Überzeugung, dadurch der Na­tion am meisten dienen zu können, da haben wir nicht gewußt, daß der Weg, den wir damals beschriften haben, auf pine schiefe Ebene führen wird. Wir konnten es uns damals nicht vorstellen, daß die materielle Entwicklung der ganzen Welt noch so weit von dem Zeitpunkt entfernt ist, wo der Gesundungsprozeß einsetzen wird. Man konnte es sich nicht vorstellen, daß jene, die die Berufung in sich gefühlt haben, in der Nachkriegszeit die Bedingungen zur materiellen und moralischen Wiedergeburt zu schaffen, diese Bedingungen auf eine so labile Gerundlagc stellen würden, und kein Mensch hat damals geglaubt, daß jene, die dazu berufen waren, das große Werk der Wiederauf­­lichtung der Welt zu vollbringen, durch die Friedensver­träge den Ausgangspunkt zu neuem Ruin konstruieren werden. Um einen Sportausdruck zu gebrauchen: der ■Start war verfehlt, denn die Regierung hat die Lage viel zu optimistisch beurteilt, und aus diesem Irrtum sind dann zwei schwere Fehler entstanden, und zwar die Irrealität der Friedens^rträge und die völlige Verkennung der innerpolitischen Situation durch die Regierung. Die Politik der Zukunft muß vor allem dahin gerichtet sein, die in der Vergangenheit begangenen Fehler wieder gutzu­machen und zu retten, was noch zu retten ist. Diese Ziele werden aber nur dann erreicht werden können, wenn wir uns des strengsten Puritanismus und der allergrößten Sparsamkeit befleißigen. Wird die Regierung das durch­­zuführen imstande sein, dann werden wir sie auch weiter­hin unterstützen. Wäre sie jedoch aus irgend einem Grunde nicht in der Lage, eine solche Politik zu befolgen, dann werden wir ihr keine Gefolgschaft leisten können, denn dies wäre für uns eine moralische Unmöglichkeit. Die Tatsache, daß es auf der ganzen Welt wirtschaftliche Übel gibt, vermindert die Verantwortung der Regierung keineswegs. Die öffentliche Meinung begnügt sich nicht mit dem, was die Regierung bisher zur Sanierung der Wirtschaftslage getan hat, sie fordert vielmehr größere Konzentrierung und eine schärfere und entschiedenere Zielsteckung. Vor allem aber fordern wir auf allen Ge­bieten des öffentlichen Lebens den strengsten Puritanis­mus, überall, wo man Mißbräuchen auf die Spur kommt, müssen diese mit unnachsichtiger Strenge geahndet wer­den. Wir fordern aber auch eine weise Außenpolitik, die frei von allen überflüssigen Gefühlsmomenten ist, denn Von einer zweckentsprechenden auswärtigen Politik hängt in erster Reihe die Besserung unseres Wirtschaftslebens ab. Die Regierungsfaktoren mögen davon überzeugt sein, daß die verelendete Bürgerschaft die ihr auferlegten (schweren Lasten leichter ertragen wird, wenn sie sieht, daß in diesem Lande sich jedermann einschränkt und seine Bedürfnisse herabsetzt. Wir halten, schloß Graf Zichy seine Ausführungen, auch weiterhin an unserem Programm fest und wollen auch weiter fiir die Behebung der wirtschaftlichen Übelstände und für die Geltend­machung der christlichen Weltanschauung auf konstruk­tiver Grundlage kämpfen. , Volkswohlfahrtminister Dr. Alexander Ernszt setzte (auseinander, daß er sich die Ausführungen Dr. Czettlers und des Grafen Johann Zichy zum überwiegenden Teil zueigen mache. Das Jahr 1931, sagte der Minister dann, Wird in vieler Hinsicht für das Leben dieses Landes von entscheidender Bedeutung sein. Ungarn befindet sich gegenwärtig in einer außerordentlich schwierigen Lage, aber trotzdem dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben, denn der Genesungsprozeß hat bereits begonnen, wenn er auch nur langsam Fortschritte macht. Wir sind arm und danach müssen wir uns auch im staatlichen Leben ein­richten. Die bisher erzielten Ersparnisse genügen nicht. Die Anregungen meiner beiden Vorredner werden aber meiner Ansicht nach nur. sehr schwer realisiert werden können, da der Regierung dazu die erforderlichen Mittel fehlen. Die schreckliche Krise des Wirtschaftslebens, die steten Versuche unserer Nachbarn, das Schicksal Ungarns zu verschlimmern, und die Versuche, die ungarische Na­tion von dem ihr von der Geschichte gewiesenen Weg ab­zudrängen, das sind die Ziele unserer Widersacher. Diesen Z’elen gegenüber müssen wir Ungarn und Christen bleiben und weiter jene Wege wandeln, die uns die Geschichte vorschreibt. Wir wollen niemand entmutigen, sehen aber klar die Folgen, die uns bevorstehen, und wir werden nie­mals zugeben, daß das alte historische Ungarn von seinem Wege abgclcnkt werde. Jedermann muß in dem Kampfe auf jenem Posten aüsharren, auf den er gestellt worden ist! Die Rede des Ministers wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Auf Antrag Karl Huszárs wurde an den Präsidenten der Christlichen Kommunalpartei, Abgeordneten Karl Wolff, ein Begrüßungstelegramm gerichtet. Eine Rede des Ackerbauministers Mayer. Anläßlich des Jahreswechsels hat beim Ackerbau­­minister Mayer heute vormittag unter der Führung des städtischen Oberfiskals Dr. Ludwig Csäkg eine Abordnung des Hódmezővásárhelyét Wahlbezirks, den der Minister im Abgeordneten hause verlritt, vorgesprochen. In seiner Erwiderung auf die an ihn gerichtete Be­grüßungsansprache führte Minister Mayer u. a. aus, daß die Wirtschaftslage der Regierung im abgelaufenen Jahr schwere Sorgen bereitet hat. Es isl jedenfalls sehr er­freulich, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen, da die Rentabilität der Landwirtschaft sich, so stark vermin­dert hat, Handel und Industrie von dem ehrlichen Wunsche erfüllt sind, die Schwierigkeiten im Vereine mit der Landwirtschaft zu beheben und das wirtschaft­liche Gleichgewicht wieder herzustellen. Es ist ein Gebot der Notwendigkeit, daß sich die Regie­rung in das Wirtschaftsleben einmengt, daß inter­ventionskäufe getätigt werden, damit die Börse wiederbelebt wird, und daß von Seite der Regierung gesetzliche Maßnahmen ins Leben gerufen werden, die die Überwälzung von gewissen Lasten auf die Konsumen­ten ermöglichen. Die Berechtigung der diesfälligen Ver­fügungen können aber nur von jenen verstanden werden, die tief eindringen in,, das Wesen der Wirtschaft. In Zeiten wie den gegenwärtigen, sind politische und gesell­schaftliche Aktionen auf der Tagesordnung, und die großen Massen, die von der schwierigen Wirtschaftslage betroffen sind, reagieren leicht auf diese Aktionen. Es darf nicht zugegeben werden, daß solche Aktionen von einzelnen dazu benützt: werden, uni die Massen irrezu­führen. Nichts ist leichter, als heule mit Schlagwörtern vor die Menge zu treten. Jene, die das tun, bedenken nicht, welch’ schädliche Folgen ein solcher Schritt für das Volk haben kann, denn niemals kann man wissen, wohin eine solche Aktion führt. — Die in der jüngsten Zeit initiierten Aktionen geben vom nationalen Gesichtspunkte aus keinen Anlaß zu Be­fürchtungen, denn jene, die an ihrer Spitze ste'hen, sind Patrioten und erprobte Männer, deren Wirksamkeit eine Garantie, dafür bietet, daß sie keinerlei Gefahren herauf­­beschwören wollen. Meine -Worte sind denn auoh nicht an sie gerichtet, idh verurteile vielmehr nur das, daß einzelne die Krpftc der landwirtschaftlichen Bevölkerung zersplittern wollen. Jedenfalls ist es eine Beruhigung für mich, daß der Weg, den die Regierung beschritten hat, vom Lahde als-der richtige1 erkannt worden ist. Iöh hoffe bestimmt, daß es uns gelingen wird, die bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden und daß die ungarische Gerechtigkeit über alle Hindernisse hinweg dem Siege zu­­geführt werden wird. Ncujahrsbegrüßungen bei der Hauptstadt. Anläßlich der Jahreswende empfingen der Ober­bürgermeister und der Bürgermeister, wie alljährlich, auch gestern zahlreiche Abordnungen, die ihnen Neu­jahrswünsche darbrachten. Vormittags 10 Uhr sprach eine größere Abordnung der Einheitlichen Kommunalen Bürgerpartei beim Ober­bürgermeister vor, dem an, Stelle des abwesenden Präsi­denten Dr. Eugen Kozma Vizepräsident Dr. Wilhelm Gaär in einer schwungvollen Ansprache die Glück­wünsche der Partei verdolmetschte, sowie ihren Dank dafür, daß er das Schiff der Hauptstadt in den Hafen des Friedens und der Arbeit geleitet habe. Oberbürgermeister Dr. Franz Ripka antwortete auf die Begrüßung mit einer längeren Rede. Nachdem er für die Begrüßung gedankt hatte, wies er darauf hin, daß das neue hauptstädtische Gesetz einen wichtigen Mark­stein im Leben der Hauptstadt bilde. Er warf einen Rückblick auf die Vergangenheit und betonte, daß die Hauptstadt in den seit der Vereinigung der Pester und der Ofner Teile verflossenen sechs Dezennien sich aus primitiven Zuständen zu einer der schönsten Weltstädte entwickelt habe. Mit Anerkennung ■ gedachte er der Män­ner, die in dieser Epoche der schöpferischen Arbeit an der Entwicklung der Hauptstadt mitgewirkt haben. Er tat dann der Kommunalwahlen Erwähnung und gab dem Wunsche Ausdruck, daß die neugewählten Stadtrepräsen­tanten alle ihre Kräfte dem Wohl der Hauptstadt wid­men, in Eintracht und brüderlicher Liebe selbstlos ihr dienen und ihn in seinem Streben, jedem Mißbrauch zu steuern, unterstützen mögen. Aus dem Leben des Muni­­zipiums, so fuhr Dr. Ripka fort, sollte alles ausgeschal­tet werden, was den Bürger vom Bürger trennt, was den Frieden und die schöpferische Arbeit beeinträchtigt. Budapest gehört nicht nur den Budapestem, sondern der ganzen ungarischen Nation, Budapest ist das natürliche Zentrum des historischen Ungarn, in dem gewaltige kul­turelle und wirtschaftliche Kräfte aufgespeichert sind, die zum Besten des Landes ausgenützt werden müssen. Dies aber ist nur möglich, wenn sich alle Kommunalpar­teien von der Liebe zur Hauptstadt leiten lassen. Sodann hob der Oberbürgermeister die Vorteile des neuen haupt­städtischen Gesetzes hervor und würdigte zum Schlüsse seiner mit stürmischen Eljenrufen aufgenommenen gehalt­vollen Rede die bedeutenden Verdiente des Parteipräsi­denten Dr. Eugen Kozma. Bürgermeister Dr. Eugen Sipöcz wurde zunächst von seinem Sekretär, Obernotär Dr. Paul Szlovák, begrüßt, der ihm die Wünsche des Personals des Bürgermeisteramtes darbrachte. Hierauf machte dem Bürgermeister eine zahlreiche Abordnung der Christlichen Kommunal partéi ihre Auf­wartung. Im Namen der Partei begrüßte den Bürger­meister Dr. Andreas Csilléry; in Worten höchsten Lobes pries ec die erfolgreiche Tätigkeit Dr. Sipöcz’, der sich durch sein puritanisches Wesen, seine christliche Den­kungsart, seine Selbstlosigkeit allgemeine Achtung und Wertschätzung erworben. Bürgermeister Dr. Sipöcz sprach der Partei für die Beweise der Liebe und des Vertrauens zu ihm seinen wärmsten Dank aus. Er erklärte dann, daß er sich nach wie vor vom Geiste des christlich-nationalen Gedankens werde leiten lassen. Im weiteren Verlaufe seiner groß­angelegten Rede verurteilte er den extremen Radikalismus ebenso wie die Reaktion, die mit den Ereignissen der letz­ten Jahre nicht rechnen wolle. Nach seiner Überzeugung sei nur der christlich-nationale Gedanke geeignet, eine Harmonie zwischen den beiden Richtungen zu schaffen. Er gab dann seiner Hoffnung Ausdruck, daß der neue Munizipalausschuß sich weniger mit politischen, als mit den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen der Hauptstadt beschäftigen werde. Das wichtigste sei, der Bevölkerung das tägliche Brot zu sichern, denn nur in diesem Falle könne von einem dauernden Frieden, von einer wahren Konsolidierung die Rede sein. Die zweite wichtige Aufgabe sei, den Handel und die Industrie zu heben. Außerdem müsse aber alles getan werden, um das Glaubensleben zu stärken und die kulturellen Ansprüche zu befriedigen. Unter dem stürmischen Beifall der An­wesenden gab er dem Wunsche Ausdruck, daß den Seelen der Schulkinder der Gedanke des Irredentismus cinge­­impft werden sollte. Aber aucli ■nur, so fuhr Dr. Sipöcz fort, müssen unermüdlich den Gedanken an Großungarn hegen, mit friedlichen Mitteln, mit ernster Arbeit nach dessen Verwirklichung streben. (Langanhaltende Éljen­­rufe.) Der Bürgermeister wurde im Laufe des Tages noch von mehreren Deputationen beglückwünscht. Im Lokale der Christlichen Kommunalpartei nahm Präsident Karl v. Wolff die von Dr. Andreas Csilléry ihm verdolmetschten Neujahrswünsche der Mitglieder entgegen. In seiner Antwort konstatierte Wolff mit Be­friedigung den Erfolg der Partei bei den Kommunal­­wahlen, die das Vordringen der internationalen Elemente verhindert habe. Die Partei werde auch in Hinkunft die Kraft haben, <fen Marxismus niederzuringen, sie werde die Kraft haben, die christlichen Arbeiter von den sie derzeit noch "beherrschenden „Knappen der galizischen Rasse“ zu bef'réien. Im Elisabethstädter Kasino wurde Präsident Gabriel v. Ugrón von Dr. Josef Steiner im Namen der zahlreich versammelten Mitglieder begrüßt. In einer längeren wir­kungsvollen Rede wies Ugrón auf die Folgen des Welt­krieges und die ungerechten Friedensverträge hin nnd betonte, daß die Welt sich nicht eher wirtschaftlich stärken könne, als bis die Fehler der Friedensverträge gutgemacht seien. In herzlichen Worten gedachte er dann der Neujahrswünsche Lord Rothermeres und seiner von der Liebe zu Ungarn diktierten Botschaft, die uns zu den schönsten Hoffnungen berechtige. (Lebhafte Eljenrufe.l Kundgebungen im Auslande. Berlin, 1. Januar. (Wolff.) Anläßlich des Neujahrstages fand beim Reichspräsidenten im Beisein des Reichsministers des Äußern ein Empfang des diplomatischen Korps statt. Nunzius Orsenigo als Doyen des Diplomatenkorps hielt eine Ansprache, in der er unter anderem ausführte: Die Morgenröte des neuen Jahres ist leider nicht ohne Trübung. Der Horizont des internationalen Lebens bleibt immer düster. Millionen Arbeitswillige sind gezwungen, un­tätig zu bleiben. Wir beobachten mit großer Genugtuung den Ernst der Gesinnung und die Großherzigkeit der An­strengungen, mit denen Deutschland, um Ew. Exzellenz geschart, sich bemüht, die wirtschaftliche Krise zu über­winden. Aber die Erfahrung erbringt immer erneute Be­weise, daß ohne volle und aufrichtige Eintracht der Na­tionen es unmöglich ist, eine wirkliche wirtschaftliche Wiedergesundung der Völker herbeizuführen. Hoffen wir, daß die wirtschaftliche Not der Antrieb wird zu neuen ernstgemeinten Versuchen, um eine herzliche Verständi­gung unter den Nationen zu «Teichen, die allein die Ge­währ bietet für eine gesicherte Freiheit und Ruhe in allen Ländern und für einen tatsächlichen dauernden Frieden •unter den Völkern. Der Reichspräsident antwortete hierauf unter ande­rem: Sie wiesen auf die schwere wirtschaftliche Krise hin, unter der die ganze Welt leidet. Mit besonderer Wucht treffen die Auswirkungen der Krise das deutsche Volk. Deutschland setzt seine äußerste Kraft ein, um die Grund­lagen seiner Existenz zu sichern. Es erwartet, daß sich die internationale Zusammenarbeit wirksam genug erweist, um das deutsohe Volk vor weiteren schmerzlichen Ent­täuschungen zu bewahren. Die Zusammenarbeit aller, die Zusammenfassung aller positiven Kräfte zur Überwindung der Krise ist die große Friedensaufgabe, an der Deutsch­land mitzuwirken entschlossen ist. Berlin, 1. Januar. (Wolff.) -In Vertretung des beurlaubten Reichskanz­lers begrüßte Reichswehrminister Dr. Gröner den Reichs­präsidenten mit einer Ansprache, worin er ausführte: Das vergangene Jahr brachte uns die schicksalsschwere Be­endigung der Haager Verhandlungen mit den Abmachun­gen über den neuen Plan. Wir mußten trotz schwerer Bedenken diese Regelung annehmen. Seither vollzog sich jedoch in der weltwirtschaftlichen Lage eine so tief­gehende Wandlung, daß die Reichsregicrung vor die Frage gestellt ist, ob das deutsche Volk die vorgesehenen Lasten zu tragen vermag. Am 1. Juli 1930 wurde das besetzte Ge­biet endlich frei, und wenn auch das urdeutsche Saar­gebiet noch immer auf den Tag der Rückkehr zum deut­schen Reich mit Ungeduld harren muß, ist der Abzug der internationalen Bahnschutztruppen ein Schritt vorwärts auf dem Wege zur endgültigen Heimkehr. Die Reichs­regierung wird in der Saarfragc das Eintreten für das deutsche Volkstum als ihre wichtigste Aufgabe ansehen. Schwer empfindet das deutsche Volk, daß der Grundsatz der Gleichberechtigung, auf die es eilten selbtsverständ­­lichen Anspruch hat, noch nicht gewährleistet ist. Noch immer ist die feierlich eingegangene Verpflichtung auf Abrüstung durch die anderen Mächte nicht verwirklicht. Die Reichsregierung wird nachdrücklich dafür eintreten, daß der Grundsatz gleicher Sicherheit für alle Völker durchdringt. Reichspräsident Hindenburg erwiderte: Wir begrüßen die Räumung der Rheinlande als einen Fortschritt auf dem Wege zum wahren Frieden und hoffen, daß bald Freitag, 2. Januar 1931

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