Pester Lloyd - esti kiadás, 1931. március (78. évfolyam, 49-73. szám)
1931-03-02 / 49. szám
PESTER LLOYD O % • Solche Bedenken mögen Gandhi zur Nachgiebigkeit bewegen. In einem Punkte zeigte er sich bisher unbeugsam, und um diesen Punkt geht jetzt das langwierige Auf und Ab der Verhandlungen. Dieser Punkt ist die Angelegenheit der Polizeigewalt tätigkeiten gegen die Kongreßanhänger. In dieser Frage soll sich eine Kompromißlösung anbahnen lassen, die Untersuchung soll nämlich unter Wahrung des Prestiges der indischen Polizei hinter geschlossenen Türen geführt werden. Die britischen und eingeborenen Polizisten haben in Indien einen schweren Stand. Sie müssen sich heroische Disziplin auferlegen, um die reizbare Menge von wilderen Gewaltakten zurückzuhalten. Die Allzuvielen, die auf ihrem Posten ermordet werden, bewiesen durch ihreh Tod, daß der „gewaltlose“ Widerstand durchaus nickt harmloser Natur ist. Es wird mit Recht befürchtet, daß eine Aktion gegen die Polizisten von demoralisierender Wirkung wäre. Die Tage vergehen; die Zeit drängt zur Entscheidung. Die Frage: Friede oder Ruhelosigkeit in Indien, reift der Lösung entgegen. Die Entwirrung und somit die Zukunft Indiens liegt großenteils in Gandhis Händen. Er ist für den Frieden; es ist nur die Frage, ob er die Geister, die er rief, wieder besehwjehtigep kann? Unsere telegraphischen Nachrichten über den •jetzigen Stand der Verhandlungen lauten folgendermaßen : New Delhi, 2. März. (Reuter.) Die Besprechungen zwischen dem Vizekönig Lord Irwin und Gandhi, die das letzte Mal ergebnislos verliefen, werden Dienstag wiederaufgenommen (Telegramm des Pester Lloyd.) New Delhi, 2. März. Die pessimistische Stimmung, die seit einigen Tagen in allen politischen Kreisen Indiens geherrscht hatte, gab nach den beiden gestrigen Unterredungen Gandhis und Lord Irwins einer zuversichtlicheren Stimmung Platz. Gandhi und Lord Irwin berieten sich gestern zweimal. Zuerst 2V2 Stunden am Nachmittag, denn aber abends, von 9 Ubr bis Mitternacht.. Über die Unterredungen der beiden Staatsmänner drangen keine Einzelheiten in die Öffentlichkeit, man glaubt jedoch, daß die von den Nationalisten gegen die Polizei geforderte Untersuchung im Mittelpunkte der Konversationen stand. Man will wissen, Lord Irwin sei schon geneigt, die Haltung der Polizei den indischen Nationalisten gegenüber hinter geschlossenen Türen untersuchen zu lassen und Gandhi habe diesbezüglich konkrete Vorschläge dem Vizekönig unterbreitet. England und der Fiinfjahrplan. Von GEORG POPOFF. London, 25; Februar. Während die Länder, des europäischen Kontinents sich schon seit geraumer Zeit mit dem Moskauer Fünfjahrplan beschäftigen, Hat man in England erst kürzlich begonnen, diesem grandiosen Sowjetprojekt die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Dies erklärt sich zum Teil durch den Umstand, daß eine ganze Reihe von hervorragenden Volkswirtschaftlern sich bisher alle erdenkliche Mühe gab, der Welt klarzumachen, daß die Sowjets zu keiner wirklich konstruktiven Aufbauarbeit fähig seien und daß der gesamte Fünf jahrplan daher von vornherein zu einem kläglichen Fiasko verurteilt wäre. Daran wurde besonders in England eine ganze Zcitlang festgehalten. Lange Zeit wollte hier niemand an den Ernst des neuen Sowjetunternehmens glauben. Eine gewisse Änderung in dieser Haltung trat erst ein, als sich im Herbst vorigen Jahres die Auswirkungen des Sowjefcdumpings überall in höchst empfindlicher Weise spürbar zu machen begannen. Die Ergebnisse des Fünf jahrplanes wurden selbst im Herzen der Londoner City empfunden. Englands Erfahrungen mit dem Sowjethandel wurden mit jedem Tage unangenehmer. Schließlich begannen den Engländern langsam die Augen aufzugehen. Und heute hört man sie immer öfter die Frage aufwerfen: Wohin soll es mit dem englischen Handel kommen, wenn die Dinge sich in dieser Weise weiter entwickeln? Das Verhalten der maßgebenden Kreise Englands zur Sowjetmacht im allgemeinen und zum Fünf jahrplan im besonderen charakterisierte mir gegenüber kürzlich ein wirklich guter Kenner der gesamten anglo-russischen Beziehungen in folgender Weise: Englands Verhalten zu Moskau, meinte mein Gewährsmann, wird letzten Endes fast ausschließlich von seinen wirtschaftlichen Interessen bedingt; die britischen Kaufleute und Industriellen, ebenso wie die Staatsmänner und Parlamentarier, interessiert im Grunde genommen die Frage der Arbeitsbedingungen in Sowjetrußland nur in zweiter oder gar in dritter Linie; gleichgültig ist ihnen auch die Frage, ob der Fünfjahrplan der Beweis einer wirklich konstruktiven und grandiosen Aufbauarbeit ist, oder man hierin nur die Anwendung eines Systems zu sehen hat, das einst auch in Indien, in Südafrika und in manch anderer exotischen Kolonie nicht ganz unbekannt war. Gewiß, das englische J Bürgertum ist über die Zustände in den russischen Gefangenenlagern ehrlich entrüstet und zeigt sich stets gern bereit, gegen dergleichen aufs energischeste zu protestieren. Bloß werden die politischen Handlungen einer jeden britischen Regierung nicht von der humanitär gesinnten Masse des Mittelstandes oder gar vom legendären „Mann auf der Straße“, sondern einzig von den maßgebenden Kreisen der Industrie, des Handels und der Finanz beeinflußt, Diese wirtschaftlichen Kreise aber ! machen ihren Einfluß erst geltend, wenn itnre Interesen in wirklich empfindlicher Weise verletzt werden. Die billige Einfuhr solcher russischen Rohstoffe, die nicht in England hergestellt werden, ist den Engländern anfänglich keineswegs störend gewesen. Die Labour-Regieurng, die Liberalen und selbst viele Konservative sehen in einer billigen Rohstoffeinfuhr die Voraussetzung für eine Belebung der britischen Industrie. Die eigentliche Kampagne gegen das Sowjetdumping hat erst gestartet, als die Sowjetmacht auf dem hiesigen Markt nicht nur mit Rohstoffen allein, sondern selbst mit in Rußland hergestellten Industrieartikeln aufzutreten begann, wie; Baumwollstoffe, Metallwaren, Seife, elektrische Laippen, Glas,- Zucker, Konfekt, Konserven, Rahmenholz, Stiefel usw. Diese Art der Sowjeteinfuhr, die erst im Herbst vorigen Jahres einsetzte und völlig unerwartet kam, ist den Engländern der große Schock gewesen. Im Laufe von mehr als zehn Jahren hatten die Sowjets von England nur Fertig-, I fabrikate gekauft. Seit Ende 1929 hörten sie jedoch I völlig auf, diese Waren aus England zu beziehen, i Und schließlich haben sie nun damit geendet, daß sie jetzt in den gleichen Branchen in England selbst als unterbietende Konkurrenten auftreten. Zur Ver- I anschaulichung des Gesagten seien hier nur zwei i Beispiele genannt: In der ersten Woche des Februar j sind in London aus Sowjetrußland 30.000 Tonnen I Seife und 5 Millionen Stück elektrische Lampen (russischer Fabrikation, doch der Londoner Stromstärke genau angepaßt!) eingetroffen; diese Waren werden hier zu Preisen angeboten, die dreipial niedriger als die für die gleichen Artikel in England üblichen sind, die Seife zu Vit Pence das Stück und die elektrischen Lampen zu 6 Pence das Stückln Anbetracht dieser erstaunlichen Wendung im Sowjetbandel ist es begreiflich, daß die englische Hairdelswelt zunächst mal wissen möchte, wodurch dieses sowjetrussische „Wirtschaftswun- I der“ erklärt werden kaim? Die gesamte Welt stellt I sich die gleiche Frage. Einigen Aufschluß hierüber, will es mir scheinen, können am besten die Berichte kürzlich in Sowjetrußland gewesener Sachverständigen geben, wie beispielsweise des amerikanischen Wirtschaftsfachmannes Prof. Conipstoke, der (in der letzten Nummer von „Barron’s Econ. Journal“) eine Reihe von russischen Großwerken nennt, die er selbst besucht hat und die er kurz folgendermaßen charakterisiert: 1. Magnitogorsk. Das größte Stahlwerk der Welt, dessen Bau etwa 400 Millionen Dollar kostet, mjd das etwa 4 Millionen Tonnen Stahl im Jahre produzieren wird. Das gesamte Werk steht unter der Leitung amerikanischer Ingenieure. 2. Dnjeprostrou Die größte hydroelektrische Kraftanlage der Welt. Der Staudamm ist 1.25 englische Meilen lang. Das Werk wird 2.5 MiL lionen Kilowattstunden pro • Jahr .hergeben, mehr als- die berühmten Niagara werke. Der Staüdamm ist von amerikanischen Ingenieuren entworfen und erbaut worden. 3. Die Asbestwerke am Ural. Die größten Asbestwerke der Welt. Die Gewinnung wird von amerikanischen Ingenieuren organisiert. 4, Die gigantischen Traktorenfabriken in Peters« bürg und Tscheljabinsk. Beide sind ganz nach amerikanischem Muster angelegt. Beide werden ausschließlich von amerikanischen Ingenieuren geleitet. 5. Der berühmte Sowchos „Gigant“ im Nordkaukasus. Auf ihm werden nur amerikanische Lastautos, nur amerikanische Traktoren und nur amerikanische Erntemaschinen verwandt. 6. Die Petroleumfelder in Baku und Grosny, die bekannt- j lieh schon jetzt der gesamten Petroleumindustrie der Welt die schärfste Konkurrenz machen. Überall sind neueste amerikanische Maschinen aufgestellt und überall sind amerikanische Ingenieure : am Werk. Und 7. Die Automobilfabrik in Nischnij- Nowgorod. Eines der größten Autowerke der Welt Die Fabrik ist von den. Ford-Werken organisier» worden. Die Oberleitung üben auch hier amerikanische Ingenieure aus. Im ganzen sind zur Zeit in i Sowjetrußland über 2000 amerikanische Ingenieure angestellt, und nicht weniger als 200 der angesehensten amerikanischen Firmen versorgen die Sowjetindustrie mit allem von ihr Gewünschten und stehen ihr mit sachverständigem Rat zur Seite. Nächst den Amerikanern ist natürlich auch die Zahl der englischen, deutschen, italienischen und anderen ausländischen Ingenieure und Techniker in Rußland sehr bedeutend. Doch die Amerikaner sind in der Mehrzahl. In Kürze: die Sowjetmacht verwirklicht den Fünfjahrplan mit Hilfe ausländischer, vor allem amerikanischer Ingenieure, die sie, wie die Ur-: russen einst die Warjäger, nach Rußland berufen hat, die sie gut bezahlt und die am wirtschaftlichen Unterbau des Bolschewismus nach ihrem besten Vermögen mitarbeiten. Diesen Tatsachen gegenüber, d. h. dem immer bedrohlicher werdenden Anwachsen des Fünf jahr- I planes und der Sowjetrußland hiebei vom Auslande erwiesenen Hilfe die Augen zu verschließen, wäre natürlich das Verkehrteste, das man tun könnte. ! England jedenfalls scheint den wahren Sachverhalt schon ziemlich klar erkannt zu haben. Erst vor wenigen Tagen noch schrieben die Times an leitender Stelle: „Eine ernste Gefahr für Europa ist im Anzuge. In Rußland ist ein gigantisches Industriegebilde im Entstehen begriffen, das vom Naturreich tum eines Sechstels unserer Erde gespeist und von auf der Stufe von Sklaven stehenden Millionen von Arbeitern bedient wird. Das Aufstreben eines solchen Gebildes wäre selbst dann für alle übrigen Länder gefahrvoll, 1 wenn es lediglich rein wirtschaftlichen Zielen gewidmet wäre. Dies ist aber keineswegs der Fall. Die gegenwärtigen Machthaber Rußlands sind wenig geneigt, sich damit zufrieden zu geben- Diese Leute wiederholen es dauernd und offen, daß ihr Endziel in der Vernichtung der europäischen Kultur und in der gewaltsamen Ausbreitung des Kommunismus über die ganze Erde liege, nun mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln zugleich. Das Problem ist daher von derart gewaltigen Ausmaßen und so gefahrvoll, daß mit ihm weder einzelne Persönlichkeiten, noch einzelne Wirtschafts- oder Finanzgruppen, noch selbst einzelne Staaten fertig werden dürften .-..“ Weiter zitieren die Times einen Bericht der Handelskammer von Manchester, die schon die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Einheitsfront aller Länder gegen die neue Moskauer Offensive in Erwägung zieht, und schließen ihre Betrachtungen mit folgendem eindrucksvollen Satz: „Alles, was zurzeit in Rußland vor sich geht, mündet in die Lehre, ! daß es jetzt höchste Zeit ist, mit dem bisherigen Wahnsinn aufzuhören, diejenigen mit Feuerzeug zu versorgen, die sich offen mit der Absicht brüsten, unsere Welt in Brand stecken zu wollen und die auf dieses verbrecherische Ziel schon seit Jahren mif einer beispiellosen Beharrlichkeit zusteuern . Diese eine autoritative Äußerung dürfte genügen, um den beginnenden Meinungsumschwung Englands gegenüber dem sowjetrussischen Problem zu veranschaulichen: solange die Engländer der Meinung waren, daß der Fünf jahrplan mit einem völligen Fiasko enden würde, zeigten sie eben wenig Neigung, die Sowjetdrohungen ernst zu nehmen, und waren stets der Sowjetunion gegenüber zu jeder ! Art von Zugeständnissen bereit, besonders wen» daraus für sie irgendein Nutzen erwachsen konnte; sie kauften von Rußland billige Rohstoffe und verkauften dorthin ihre Fertigfabrikate zu relativ hohen Preisen; das ging so volle zwölf Jahre; jetzt stellt es sich aber, zu Englands größtem Mißfallen, plötzlich heraus, daß dieses Geschäft nicht mehr so weiter betrieben werden kann. In Sowietrußland wächst England ein mächtiger Konkurrent heran, der ihm mit der Zeit vielleicht gefährlicher als das Deutschland der Vorkriegszeit werden könnte. Ob der Fünf- I jahrplan zu 100, zu 80 oder nur zu 50 Prozent ge- J lingt, oder ob er in 5, in 10 oder nur in 15 Jahren j beendet sein wird, das ist jetzt den Engländern ! ziemlich gleichgültig. Denn die Resultate des Fünf- i jahrplanes sind bereits heute, da er erst nur zwei j Jahre lauft, vor aller Augen! Sie sind in England I (ebenso wie in Deutschland, in Frankreich und in allen Ländern des Kontinents) bereits an allen Ecken und Enden zu spüren. Es hat keinen Zweck, sie fortzuleugnen. Schon heute hat die Sowjetmacht die Möglichkeit, den englischen Markt nicht nur mit Rohstoffen, sondern selbst mit in Rußland erzeugten Industrieartikeln zu überschwemmen und ganze Wirtschaftszweige ernstlich zu desorganisieren. Das aber nicht allein: alle aus Rußland kommenden Wirtschaftsfachleute bezeugen einstimmig, daß die Häuplbemühungen der Sowjetmacht auf solche Industrien gerichtet sind, die im Kriegsfall militärisch ausgenutzt werden können. Die Industrialisierung I Rußlands geht also mit einer planmäßigen Militari* I sierung des gesamten Landes parallel. In Rußland i wächst eine überaus einschüchternde technische und militärische Macht heran. Und es kann nicht bezweifelt werden, daß diese Macht im Bedarfsfall gegen ei» jedes, von der Kommunistischen Internationale bestimmtes Land gerichtet werden wird. Die praktische Frage ist nun offensichtlich die: j wie tief das Erkennen all dieser Tatsachen bereits : in der Gedankenwelt der britischen Industriellen ! und Kaufleute Wurzel gefaßt hat und welche Aus\ sichten dafür vorhanden sind, daß dieser beginnende Meinungsumschwung Englands gegenüber dem ; Sowjetproblem sich in absehbarer Zeit auch in der Haltung der Regierung selbst auswirken wird? Die Antwort auf diese Frage kann, nach dem Gesagten, nur eine sein: Englands Regierungspolitik gegenüber der Sowjetunion wird sich sehr merkbar ändern, sobald der britische Wirtschaftsorganismus sich durch das Dumping russischer Industrieartikel noch um einiges mehr, als bereits der Fall, geschädigt sehen wird. Englands Labour-Regierung steht, nicht minder als ihre konservative Vorgängerin, unter dem entscheidenden Einfluß der drei Machtfaktoren: Handel, Industrie und Finanz. Diese ermunterten bisher die Regierung mehr oder weniger offen, zur Sowjetmacht „freundschaftliche Beziehungen“ aufrechtzuerhalten. Jetzt aber sind gerade dieselben Wirtsdiaftskreise im Begriff, eine entscheidende Schwenkung in ihrem Verhalten gegenüber dem Sowjetpartner zu vollziehen. Die Regierung selbst nimmt zurzeit gegenüber den Auswirkungen des Fünf jahrplancs noch eine abwartende Haltung ein. Doch sollte in den kommenden Monaten der Druck jenes Teils der britischen Handelswelt, der durch das Sowjetdumping in steigendem Maße geschädigt wird, sich weiter verstärken, und sollte die Zahl der solcherart Geschädigten weiter zunehmen, so wird sich selbst die Arbeiterregierung, trotz all ihrer Sympathien für die Moskauer Freunde, genötigt sehen, diese Tatsachen in Betracht zu ziehen und über Abwehrmaßnahmen gegen die russische Industrieoffensive nachzusinnen. Das Sowjetdumping ist im Begriff, die englische Ausfuhr, die englische Industrie und die englische Arbeit zu ruinieren. Dagegen wird England sich wehren. Und sehr ähnliche Beweggründe, wie jene, die England vor 16 Jahren, nach schwerem Zögern, veranlagten, in Montag, 2. März 1931